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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.12.2003
Aktenzeichen: IXa ZB 226/03
Rechtsgebiete: SGB I, ZPO


Vorschriften:

SGB I § 54 Abs. 4
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 574 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 575
ZPO §§ 850 ff.
ZPO § 850a
ZPO § 850b
ZPO § 850c
ZPO § 850c Abs. 1
ZPO § 850c Abs. 2
ZPO § 850c Abs. 3
ZPO § 850c Abs. 4
ZPO § 850d
ZPO § 850e
ZPO § 850f
ZPO § 850f Abs. 1
ZPO § 850f Abs. 2
ZPO § 850f Abs. 3
ZPO § 850g
ZPO § 850h
ZPO § 850i
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IXa ZB 226/03

vom 12. Dezember 2003

in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft, die Richter Raebel, v. Lienen und die Richterinnen Dr. Kessal-Wulf und Roggenbuck

am 12. Dezember 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 1b Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 22. Juli 2003 wird auf Kosten des Gläubigers zurückgewiesen.

Wert: bis 1.500 €

Gründe:

I. Der Gläubiger erwirkte vor dem Amtsgericht wegen einer Forderung in Höhe von 1.295,95 € zuzüglich weiterer Zinsen und Kosten einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, der die gegenwärtigen und künftigen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Renten und Altersruhegelder sowie Pensionen in Höhe des nach § 54 Abs. 4 SGB I i.V. mit § 850c ZPO pfändbaren Betrages zum Gegenstand hat. Mit der Begründung, der Schuldner stehe nicht mehr im Erwerbsleben, sondern beziehe bereits Rentenleistungen und wohne zudem im eigenen Haus, beantragte der Gläubiger, die Pfändungsfreigrenze um die Pauschalen herabzusetzen, die der Gesetzgeber bei der Bemessung des dem Schuldner monatlich zustehenden Selbstbehalts für die Kaltmiete (296,55 €), die Kosten der Fahrten zur Arbeitsstätte (51,13 €) und allgemein für Erwerbstätige (140,61 €) veranschlagt habe. Das Amtsgericht hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist vor dem Landgericht ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet er sich mit seiner - zugelassenen - Rechtsbeschwerde.

II. Das gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die vom Gläubiger erstrebte Absenkung der Pfändungsfreigrenze. Der Gesetzgeber habe Arbeitseinkommen und Einkünfte mit Lohnersatzfunktion im Rahmen der Pfändung gleichgestellt; in beiden Fällen bestehe derselbe Pfändungsschutz.

Dem hält die Rechtsbeschwerde entgegen, zwar habe sich der Gesetzgeber bei Festsetzung des unpfändbaren Betrages bewußt für eine Pauschalierung entschieden. Das zuständige Vollstreckungsorgan könne aber ohne größeren Aufwand zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Schuldnern unterscheiden, ein Abzug der für Erwerbstätige vorgesehenen Pauschalen sei daher ohne weiteres möglich. Eine Gleichbehandlung von Rentnern, die Freibeträge für Aufwendungen in Anspruch nehmen könnten, die sie tatsächlich nicht hätten, und Erwerbstätigen sei durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt und verstoße gegen Art. 3 I GG. Ebenso sei es unbillig, dem Schuldner einen Betrag für die Kaltmiete zu belassen, obwohl er eine solche nicht zahlen müsse. Der Gläubiger werde unangemessen benachteiligt, da er seine Außenstände nicht realisieren könne, obwohl der Schuldner auf den Pfändungsfreibetrag in voller Höhe nicht angewiesen sei. Die §§ 850a bis 850i ZPO regelten unmittelbar nur die Pfändung von Arbeitseinkommen. Auf Rentenbezüge seien sie lediglich infolge der in § 54 Abs. 4 SGB I enthaltenen Verweisung anwendbar. Bei Heraufsetzung des pfändungsfreien Anteils des Arbeitseinkommens im Zuge der gesetzlichen Neuregelung zum 1. Januar 2002 sei übersehen worden, daß die Freibeträge nicht für Rentenempfänger gelten könnten, bei denen das gesetzgeberische Ziel, den Schuldner zu weiterer Erwerbstätigkeit anzuhalten, von vornherein nicht erreicht werden könne. Es sei daher Aufgabe der Rechtsprechung, berichtigend einzugreifen und dem Gläubiger in entsprechender Anwendung des § 850c Abs. 4 ZPO das Recht zuzubilligen, die Kürzung der Freibeträge um die Pauschale für berufsbedingte Mehrausgaben zu beantragen.

2. Der Standpunkt der Rechtsbeschwerde kann nicht überzeugen.

a) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Gläubiger keine Herabsetzung der Pfändungsfreigrenze verlangen kann. Ein solches Recht sehen die §§ 850 ff. ZPO nur unter bestimmten Voraussetzungen vor, die vorliegend nicht gegeben sind. So kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, daß eine Person, welcher der Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt, wenn sie über eigene Einkünfte verfügt (§ 850c Abs. 4 ZPO). Ferner ermöglicht § 850f Abs. 2 ZPO auf Antrag des Gläubigers dem Vollstreckungsgericht, bei der Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens ohne Rücksicht auf die in § 850c ZPO vorgesehene Beschränkung zu bestimmen, wenn dem Schuldner soviel belassen wird, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf. Nach § 850f Abs. 3 ZPO kann im Falle einer Zwangsvollstreckung wegen anderer als der in Abs. 2 der Vorschriften bezeichneten Forderungen und der in § 850d ZPO aufgeführten Unterhaltsansprüche die Pfändbarkeit unter Berücksichtigung der Belange des Gläubigers und des Schuldners vom Vollstreckungsgericht nach freiem Ermessen festgesetzt werden, wenn sich das Arbeitseinkommen des Schuldners auf mehr als monatlich 2.815 € beläuft, solange dem Schuldner soviel belassen wird, wie sich bei einem Arbeitseinkommen von 2.815 € aus § 850c ZPO ergeben würde. Kann sich ein Gläubiger auf die genannten Vorschriften nicht berufen, ist er weder bei Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses noch zu einem späteren Zeitpunkt (§ 850g ZPO) berechtigt, eine erweiterte Pfändung der Einkünfte des Schuldners zu beantragen.

b) Der Rechtsbeschwerde ist nicht darin zu folgen, dem Gläubiger müsse ein solches Antragsrecht in entsprechender Anwendung des § 850c Abs. 4 ZPO zugebilligt werden. Es fehlt bereits an der dafür erforderlichen gesetzlichen Regelungslücke. Nach § 54 Abs. 4 SGB I sind Ansprüche auf laufende Sozialleistungen, die in Geld zu erbringen sind, "wie Arbeitseinkommen" pfändbar. Damit unterliegen die Rentenansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin den §§ 850 ff. ZPO; ihr pfändungsfreier Teil bestimmt sich nach § 850c ZPO (Giese, Sozialgesetzbuch I § 54 Rdn. 11; Wannagat/Thieme, SGB AT § 54 Rdn. 9; Hauck in: Hauck/Noftz, SGB I K § 54 Rdn. 26; Mrozynski, SGB I 3. Aufl. § 54 Rdn. 20; Lilge in: Sozialgesetzbuch-Gesamtkommentar § 54 SGB I Rdn. 7.4; Stöber, Forderungspfändung 13. Aufl. Rdn. 1362; vgl. auch BSGE 61, 274, 276 f.). Anderweitige Bestimmungen, die die Pfändbarkeit von laufenden, auf Geld gerichteten Sozialleistungsansprüchen betreffen und ihren Besonderheiten Rechnung tragen, enthält das SGB I - über die Regelung in § 54 Abs. 4 hinaus - nicht.

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde beruht dies nicht auf einem Versehen des Gesetzgebers. Denn er hat sich auch an anderer Stelle dafür entschieden, die Einkünfte von erwerbstätigen und nicht (mehr) erwerbstätigen Schuldnern vollstreckungsrechtlich gleichzusetzen. Zu den Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 ZPO, die nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO gepfändet werden können, zählen nach den Absätzen 2 und 3 der Vorschrift unter anderem Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten, Ruhegelder und ähnliche nach dem einstweiligen oder dauernden Ausscheiden aus dem Dienst oder Arbeitsverhältnis gewährte fortlaufende Einkünfte sowie Renten, die aufgrund von Versicherungsverträgen gewährt werden, wenn die Verträge zur Versorgung des Versicherungsnehmers oder eines unterhaltsberechtigten Angehörigen eingegangen worden sind. Unbeschadet des versorgungsrechtlichen Charakters dieser Ansprüche ist § 850c ZPO auf sie anwendbar, sofern nicht die Sonderregelungen für Ansprüche auf Unterhalt (§ 850d ZPO) und aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung (§ 850f Abs. 2 ZPO) vorgehen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO 25. Aufl. § 850c Rdn. 1; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 3. Aufl. § 850 ZPO Rdn. 10, 12; Zöller/Stöber, ZPO 24. Aufl. § 850 Rdn. 17; Musielak/Becker, ZPO 3. Aufl. § 850 Rdn. 3, 4). Für Sozialleistungsansprüche, die gemäß § 54 Abs. 4 SGB I "wie Arbeitseinkommen" (§ 850 ZPO) pfändbar sind, gilt nichts anderes.

c) In welcher Höhe Arbeitseinkommen - oder ihm gleichgestellte Sozialleistungsansprüche - pfändbar sind, ist § 850c Abs. 1, 2 und 3 in Verbindung mit der dem Gesetz als Anlage beigefügten Tabelle zu entnehmen. Der Gesetzgeber hat darin feste Beträge bestimmt, die den pfändungsfreien Teil des Arbeitseinkommens ausmachen. An sie ist das Vollstreckungsgericht grundsätzlich gebunden. Von ihnen kann nur nach Maßgabe des § 850c Abs. 4 sowie des § 850f Abs. 2 und 3 ZPO zugunsten des Gläubigers und des § 850f Abs. 1 ZPO zugunsten des Schuldners abgewichen werden. Soweit der Gesetzgeber in den Gesetzgebungsmaterialien (Gesetzesbegründung zum Entwurf eines 7. Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen, BT-Drucks. 14/6812, 9) offengelegt hat, wie sich die für Arbeitseinkommen geltenden Pfändungsfreigrenzen ermitteln, handelt es sich um Kalkulationsgrundlagen, die im Gesetz selbst nur mit ihrem Endbetrag, nicht aber mit ihren Einzelposten Niederschlag gefunden haben. Schon deshalb verbietet es sich, von den in § 850c ZPO nebst der dazugehörigen Tabelle vorgegebenen Beträgen Abschläge vorzunehmen, weil der Schuldner, wie die Rechtsbeschwerde geltend macht, keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, keine Mietaufwendungen hat und ihm keine Fahrtkosten zu seiner Arbeitsstätte entstehen. Soweit der Gesetzgeber in den aufgeführten Vorschriften Abweichungen zuläßt, tragen diese den Belangen des Gläubigers abschließend Rechnung. Soweit sie zugunsten des Schuldners gelten, sind sie darin begründet, daß diesem als Ausdruck des Sozialstaatsprinzips das Existenzminimum zu belassen ist. Eine Pfändungsmaßnahme darf im - die Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten des Gläubigers beschränkenden - Interesse der Allgemeinheit nicht dazu führen, daß der Schuldner seinen notwendigen Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus öffentlichen Mitteln der Sozialhilfe bestreiten muß (vgl. BT-Drucks. aaO S. 8 f., 40; Schuschke/Walker, aaO Rdn. 3 f.).

Die von der Rechtsbeschwerde vertretene Lesart der §§ 850, 850c ZPO widerspräche schließlich dem Bestreben des Gesetzgebers, die Zwangsvollstreckung praktikabel zu gestalten und die Durchsetzung der Gläubigerrechte nicht unzumutbar zu erschweren. Er hat sich deshalb für eine Pauschalierung der pfändungsfreien Beträge entschieden und ihre Staffelung nach personenbezogenen Elementen ausdrücklich abgelehnt (BT-Drucks. aaO S. 8).

Ende der Entscheidung

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