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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 09.03.1999
Aktenzeichen: KZR 23/97
Rechtsgebiete: GWB, BGB


Vorschriften:

GWB § 34 F. 20. Februar 1990
BGB § 125
Markant

GWB § 34 F.: 20. Februar 1990; BGB § 125

Die Formnichtigkeit eines vor dem 1. Januar 1999 abgeschlossenen, Wettbewerbsbeschränkungen enthaltenden Vertrages kann nicht deswegen bejaht werden, weil die Beteiligten zwei verschiedene Urkunden mit zum Teil unterschiedlichem Inhalt unter demselben Datum formgerecht errichtet haben, die Kartellbehörde aber nicht allein aus den Urkunden feststellen kann, welcher der beiden Verträge gelten soll.

BGH, Urt. v. 9. März 1999 - KZR 23/97 - OLG Naumburg LG Magdeburg


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

KZR 23/97

Verkündet am: 9. März 1999

Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. März 1999 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofes Geiß und die Richter Dr. Melullis, Prof. Dr. Goette, Ball und Dr. Bornkamm

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 22. Mai 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die im Juni 1990 gegründete beklagte GmbH betreibt in M. (Sachsen-Anhalt) auf eigenem Grund und Boden eine moderne Tankstellenanlage. Diese ist von der in Mü. ansässigen Markant Mineralölhandelsgesellschaft mbH (im folgenden: Markant) errichtet worden.

Die damaligen Partner haben über ihre Vertragsbeziehungen zwei Urkunden errichtet, die beide für die Beklagte den 1. Juni 1990 und für die Markant den 15. Juni 1990 als Unterzeichnungsdatum ausweisen. Unstreitig sind diese Daten unrichtig, in Wahrheit sind beide Verträge nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit, nämlich am 12. April 1991, unterzeichnet worden.

Sowohl der "Tankstellenbelieferungs- und Kommissionsvertrag" (im folgenden: TBK) als auch der "Miet-, Tankstellenbelieferungs- und Kommissionsvertrag" (im folgenden: MTK) bestimmen, daß Markant für die Errichtung der Tankstelle Investitionen in Millionenhöhe vornimmt, während die Beklagte sich verpflichtet, Kraft- und Schmierstoffe ausschließlich bei dieser Gesellschaft zu beziehen. Im übrigen unterscheiden sich beide Verträge in mehrfacher Hinsicht: Das gilt nicht allein hinsichtlich der Höhe der an die Beklagte zu zahlenden Provision für verkauften Kraftstoff, sondern auch für die Frage, ob die Beklagte, die nach beiden Verträgen einen Teil der verdienten Provision an die Klägerin abzuführen hatte, das Eigentum an der Tankstellenanlage erwirbt oder dieselbe nur mietweise nutzen darf und die Einrichtungen nach Beendigung des Vertragsverhältnisses an die Markant zurückzugeben hat.

Die jetzige Klägerin ist im Juni 1992 - entsprechend einer der Markant eingeräumten Option - in das Vertragsverhältnis mit der Beklagten eingetreten. Diese bezieht seit Mitte 1994 die von ihr in der Tankstelle verkauften Mineralölprodukte nicht mehr von der Klägerin, sondern kauft sie bei einem Dritten ein; aus diesem Grund fallen die Provisionszahlungen nicht mehr an, die die Klägerin in der Vergangenheit teilweise einbehalten hatte, um damit die Kaufpreisraten bzw. den Mietzins für die Tankanlage zu decken.

Die Klägerin leitet aus dem TBK, der nach ihrem Vorbringen durch den später unterzeichneten MTK hat ersetzt werden sollen, keine Rechte her. Sie hat in dem vorliegenden Rechtsstreit zunächst beantragt festzustellen, daß die Beklagte zum Alleinbezug verpflichtet sei, hat diesen Antrag dann aber einseitig zurückgenommen und stattdessen begehrt, die Wirksamkeit des MTK festzustellen. Das Landgericht hat den ursprünglichen Antrag durch rechtskräftig gewordenes Versäumnisurteil abgewiesen und dem neuen Antrag entsprochen. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte dieses Urteil angegriffen und außerdem mit der Widerklage die Feststellung der Unwirksamkeit auch des TBK verlangt. Das Berufungsgericht hat dem nur teilweise entsprochen und sowohl die Klage als auch die Widerklage - diese wegen fehlenden Feststellungsinteresses - abgewiesen.

Die Klägerin erstrebt mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat die Abweisung der Klage im wesentlichen damit begründet, der MTK sei nach den seinerzeit geltenden § 18 Abs. 1 Nr. 2 und § 34 GWB a.F. formbedürftig gewesen, habe diesem Erfordernis aber, obwohl er schriftlich abgefaßt und von beiden Partnern unterzeichnet worden ist, deswegen nicht entsprochen, weil aus dem MTK nicht hervorgehe, daß er den dasselbe Unterzeichnungsdatum tragenden TBK habe ersetzen sollen. Dies sei aber erforderlich gewesen, wenn der Zweck der Formvorschrift habe erreicht werden sollen, den Kartellbehörden die Entscheidung zu erleichtern, ob sie Anlaß zum Einschreiten haben.

II.

Dies hält im entscheidenden Punkt revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, der MTK habe Beschränkungen der in § 16 GWB n.F. (§ 18 GWB a.F.) bezeichneten Art vorgesehen und habe deswegen nach § 34 GWB a.F. der Schriftform bedurft.

a) Auch wenn § 34 GWB a.F. durch die am 1. Januar 1999 in Kraft getretene 6. GWB-Novelle ersatzlos aufgehoben worden ist, ist für den MTK das Schriftformerfordernis nicht entfallen. Da das Gesetz eine Übergangsvorschrift nicht enthält, gilt der allgemeine Grundsatz, daß sich die Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts nach den Formvorschriften bestimmt, die bei seiner Vornahme galten (vgl. BGH, Urt. v. 2.2.1999 - KZR 51/97 - Coverdisk, m.w.N., zur Veröffentlichung bestimmt). Unberührt hiervon bleibt die - im Streitfall nicht in Betracht kommende - Möglichkeit einer nach Wegfall des Formerfordernisses vorgenommenen Bestätigung des nichtigen Rechtsgeschäfts nach § 141 BGB.

b) Die von der Revision aufgeworfene Frage, ob die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 1984/83, soweit sie anwendbar ist, das nationale Kartellrecht auch hinsichtlich dessen gegenüber dem Europäischen Recht strengeren Formvorschriften verdrängt (so Wiedemann, Kommentar zu den Gruppenfreistellungsverordnungen des EWG-Kartellrechts, Bd. I AT Rdn. 349; Bechtold, GWB, § 34 Rdn. 16; aA OLG Stuttgart WuW/E OLG 3628, 3629 f.), ist hier nicht entscheidungserheblich (vgl. auch BGH, Urt. v. 6.5.1997 - KZR 42/95, ZIP 1997, 1979, 1981 - Sprengwirkungshemmende Bauteile). Denn schon nach dem auf den MTK noch anzuwendenden strengeren nationalen Recht ist die erforderliche Form gewahrt. Für die von der Revision angeregte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist danach kein Raum.

c) Anders als das Berufungsgericht meint, verlangt § 34 GWB a.F. nur, daß der Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne von § 16 GWB n.F. (§ 18 GWB a.F.) enthaltende Vertrag schriftlich abgefaßt und ordnungsgemäß unterzeichnet ist. Richtig ist zwar, daß der Formzwang allgemein damit gerechtfertigt worden ist, mit seiner Hilfe solle den Kartellbehörden die Überprüfung erleichtert werden, ob sie sich zu einem Einschreiten veranlaßt sehen (vgl. BGH, Urt. v. 11.3.1997 - KZR 44/95, WuW/E 3110, 3111 - Magic Print; Urt. v. 17.3.1998 - KZR 42/96, WuW/E DE-R 138, 140 - Lizenz- und Beratungsvertrag, je m.w.N.; ferner Odersky, FS Fikentscher, 1998, S. 586). Aus diesem Gesetzeszweck ergibt sich folgerichtig die Notwendigkeit der vollständigen Wiedergabe des Vereinbarten, was z.B. bei der Niederlegung der Regelungen in mehreren Urkunden deren Bezugnahme erfordert. Das bedeutet aber nicht, daß auch bei äußerlicher Wahrung der genannten Erfordernisse ein Vertrag dann formnichtig ist, wenn er die genannte Überprüfung nicht ohne weiteres zuläßt. Mit seiner gegenteiligen Ansicht erweitert das Berufungsgericht den zur Rechtfertigung des Formzwangs angeführten Gedanken zu einem allgemeinen, über das Schriftformerfordernis hinausgehenden Prinzip und stellt entgegen der auch im Schrifttum gebilligten höchstrichterlichen Rechtsprechung Anforderungen an den Inhalt der getroffenen Vereinbarungen (vgl. BGHZ 77, 1 ff. - Einstandspreise ab Raffinerie; Hennig in Langen/Bunte, Kartellrecht, 8. Aufl. § 34 GWB Rdn. 11; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl. § 34 Rdn. 26 b m.w.N.).

Darauf läuft es hinaus, wenn das Berufungsgericht die Angabe in dem MTK verlangt, daß dieser an die Stelle des TBK trete.

Darüber hinaus ist diese Angabe nicht erforderlich, um den genannten Kontrollzweck zu erreichen. Es reicht vielmehr aus, daß die Kartellbehörde - wenn man mit dem Berufungsgericht davon ausgeht, daß entgegen den Vorstellungen der Beklagten nicht beide Verträge nebeneinander Geltung haben sollten - sowohl auf der Grundlage des Textes des TBK wie desjenigen des MTK prüfen kann, was an wettbewerbsbeschränkenden Abreden in ihm enthalten ist und welches Gewicht sie haben.

Welcher der beiden Verträge gelten soll, ist im übrigen im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei hier schon der Umstand, daß der TBK die Beklagte als "GmbH in Gründung", der MTK sie als "GmbH" bezeichnet und schon Ende Mai 1990 zumindest ein Entwurf des TBK vorgelegen hat, ein deutliches Anzeichen dafür bietet, daß der MTK der spätere Vertrag ist und er deswegen - wie die Klägerin geltend gemacht hat - den TBK ersetzt hat.

2. Das Schriftformerfordernis ist entgegen der Meinung der Beklagten auch hinsichtlich des Vertragsbeitritts der Klägerin gewahrt. Daß die Markant die "Vertragsstellung auf einen Dritten übertragen" durfte, ist in § 12 MTK ausdrücklich festgelegt worden. Auf eine Zustimmung der Beklagten zu dieser Auswechselung des Vertragspartners kam es nicht mehr an, vielmehr vollzog sich diese allein durch eine entsprechende Vereinbarung zwischen Markant und der Klägerin und die übereinstimmende Mitteilung hiervon an die Beklagte. Dies ist geschehen. Denn aus der Vertragseintrittserklärung der Klägerin ist zweifelsfrei zu entnehmen, daß die Markant beteiligt war. Bei der Klägerin handelt es sich um ein eigens gegründetes Tochter- oder Schwesterunternehmen der Markant, das den gleichen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer, dieselbe Adresse und Telefonnummer sowie dieselben Mitarbeiter hatte wie die Markant. Dem Inhalt des Schreibens ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß die Klägerin in die vertraglichen Beziehungen mit der Beklagten, so wie sie sich aufgrund der geschlossenen Verträge darstellen, eingetreten ist. Ergibt aber die Auslegung, welcher Vertrag mit wettbewerbsbeschränkenden Abreden gemeint ist, ist dem Schriftformerfordernis bei der Auswechselung eines Vertragspartners Genüge getan (vgl. BGH, Urt. v. 23.3.1982 - KZR 18/81, WuW/E 1909 f. - Mendener Hof; Urt. v. 9.7.1985 - KZR 8/84, WuW/E 2158, 2162 - Anschlußvertrag; i.E. ebenso Hennig aaO § 34 GWB Rdn. 14), weil die Kartellbehörde auf der Grundlage dieser Urkunden ihre Kontrollaufgabe wahrnehmen kann.

III.

Entgegen der Ansicht der Beklagten erweist sich das angefochtene Urteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO).

Durch die rechtskräftig gewordene Abweisung des ursprünglichen Klageantrags ist das Feststellungsinteresse der Klägerin für den nunmehr erhobenen Anspruch nicht entfallen. Sollte nämlich der MTK, wie die Klägerin geltend macht, wirksam sein, können sich aus ihm u.U. weitere Ansprüche ergeben als diejenigen, die durch das Versäumnisurteil abgewiesen worden sind. Das gilt vor allem hinsichtlich der Frage, ob die Beklagte nach § 5 MTK die Einrichtungen der Tankstellenanlage an die Klägerin zurückzugeben hat. Denn die Erklärung der Rechtsvorgängerin der Klägerin vom 31. Mai 1991, sie werde diesen Rückgabeanspruch nicht geltend machen, steht nach ihrem Zweifel ausschließenden Wortlaut unter dem Vorbehalt, daß die Beklagte nicht - was ihr die Klägerin vorwirft - die vorzeitige Beendigung des Vertrages durch Vertragsverletzungen herbeiführt.

IV.

Von seinem Standpunkt aus folgerichtig hat das Berufungsgericht die in dem MTK niedergelegten Vereinbarungen bisher in materieller Hinsicht nicht geprüft. Mangels tatsächlicher Feststellungen zu dem streitigen Vortrag der Parteien fehlen dem Senat die Grundlagen für eine eigene Sachentscheidung. Das gilt nicht nur hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen für das Eingreifen der Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 1984/83 vorliegen, sondern ebenso für die Tatsachen, aus denen die Beklagte einen Verstoß gegen das AGBG und gegen § 138 BGB herleitet. Durch die Zurückverweisung erhält das Berufungsgericht die Gelegenheit, diese Prüfung - gegebenenfalls nach Ergänzung und Vertiefung des Sachvortrags der Parteien - anzustellen.

Ende der Entscheidung

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