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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.03.1998
Aktenzeichen: NotZ 18/97
Rechtsgebiete: RNPG


Vorschriften:

RNPG § 6
RNPG § 6

Zur Amtsenthebung einer Notarin, die sich als Richterin an einem Gericht der DDR in politischen Strafverfahren der Rechtsbeugung schuldig gemacht hat.

BGH, Beschluß vom 16. März 1998 - NotZ 18/97 - OLG Dresden

Entsch. v. -

OLG Dresden Entsch. v. 1.7.97 - DSNot 29/92

NotZ 18/97


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

NotZ 18/97

vom

16. März 1998

in dem Verfahren

wegen Amtsenthebung

Zum Sachverhalt:

Die 49 Jahre alte Antragstellerin ist Diplom-Juristin. Nachdem sie zunächst einige Monate als Richterassistentin beim Kreisgericht D. tätig war, wurde sie 1973 zur Richterin am Kreisgericht L. gewählt, wo sie bis Ende 1989 als Straf- und Familienrichterin tätig war. In der Zeit von 1984 bis 1989 war sie als Vorsitzende einer Strafkammer mit zahlreichen politischen Strafverfahren befaßt, insbesondere mit Strafverfahren wegen ungesetzlichen Grenzübertritts (§ 213 StGB/DDR), Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit (§ 214 StGB/DDR) sowie ungesetzlicher Verbindungsaufnahme (§ 219 StGB/DDR). Aufgrund ministerieller Anordnung wurde sie Ende 1989 an das Kreisgericht W. versetzt, wo sie bis zu ihrem Ausscheiden aus dem richterlichen Dienst am 1. April 1990 Familiensachen bearbeitete.

Durch Urkunde vom 20. August 1990 bestellte der Minister der Justiz der DDR die Antragstellerin mit Wirkung zum 1. November 1990 zur Notarin in eigener Praxis mit dem Sitz in L. Dort betreibt sie seitdem mit einer Kollegin eine Gemeinschaftspraxis.

Gestützt auf § 6 des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter vom 24. Juli 1992 (RNPG) hat der Antragsgegner die Antragstellerin mit Bescheid vom 8. Dezember 1992 ihres Amtes als Notarin zum 1. Januar 1993 enthoben, weil sie bei ihrer richterlichen Tätigkeit in politischen Strafsachen sowie in Strafverfahren mit politischem Hintergrund gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe und aus diesem Grunde ihrer Persönlichkeit nach für das Notaramt ungeeignet sei.

Gegen ihre Amtsenthebung hat die Antragstellerin Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, den das Oberlandesgericht Dresden zurückgewiesen hat. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der Beschwerde. Sie macht insbesondere geltend, daß das Oberlandesgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, daß an eine Amtsenthebung von Notaren gemäß §§ 5, 6 RNPG geringere Anforderungen zu stellen seien als an den Widerruf bzw. die Rücknahme von Rechtsanwaltszulassungen gemäß §§ 1, 2 RNPG. § 6 RNPG fordere ebenso wie die §§ 1, 2 RNPG einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit. Ein solcher Verstoß liege bei ihr nicht vor. Allein die Mitwirkung an politischen Strafsachen als Richterin reiche nicht aus. Zu verlangen sei vielmehr, daß die einschlägigen Strafvorschriften exzessiv zum Nachteil der Angeklagten ausgelegt und angewendet worden seien. Dies könne bei ihr nicht angenommen werden, da die verhängten Strafen in der DDR üblich gewesen und letztlich auch vom Obersten Gericht der DDR gebilligt worden seien. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß sie seit nunmehr sieben Jahren ihr Amt als Notarin ohne Beanstandung ausübe.

Das Landgericht L. hatte die Antragstellerin am 27. Februar 1997 in zwölf Fällen, die auch dem Amtsenthebungsverfahren zugrunde gelegt worden sind, wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der Bundesgerichtshof hat dieses Urteil im Revisionsverfahren in zehn Fällen im Schuldspruch bestätigt (Beschluß vom 23. Dezember 1997 - 3 StR 401/97).

Aus den Gründen:

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 25 Abs. 3 NotVO, 42 Abs. 6 BRAO). In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu Recht als unbegründet angesehen.

1. Grundlage für die Entscheidung des Antragsgegners, die Antragstellerin ihres Amtes als Notarin zu entheben, ist § 6 RNPG. Danach sind Notare, die vom Minister der Justiz der DDR in der Zeit zwischen dem 29. Juni 1990 und dem 3. Oktober 1990 bestellt worden sind, des Amtes zu entheben, wenn sie nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Recht nach ihrer Persönlichkeit für das Notaramt nicht geeignet waren, weil sie gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter des Staatsicherheitsdienstes, verstoßen haben.

Diese Voraussetzungen sind in der Person der Antragstellerin gegeben.

a) Die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit folgen aus dem Sittengesetz und den jeder Rechtsordnung vorgegebenen natürlichen Rechten der Einzelperson, die auch unter der Herrschaft des SED-Regimes Geltung hatten (Senat BGHZ 128, 240, 249; BGH, Senat für Anwaltssachen, Beschlüsse vom 21. Februar 1994 - AnwZ (B) 59/93 - AnwBl. 1994, 293 = NJW 1994, 1732 und vom 11. Juli 1994 - AnwZ (B) 17/94 - AnwBl. 1995, 97, 98 - BRAK-Mitt. 1994, 241; Henssler in Henssler/Prütting, BRAO (1997), § 7 Rdn. 50; zur Geltung in der Zeit des Nationalsozialismus vgl. BVerwGE 15, 336, 338). Bei der Auslegung und Anwendung des § 6 RNPG ist allerdings zu berücksichtigen, daß die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit berührt wird. Dieser Schutz kommt auch der Antragstellerin als Nurnotarin zugute, wegen der Nähe ihres Amtes zum öffentlichen Dienst allerdings nur in eingeschränktem Maße (BVerfG, NJW 1989, 2614; NJW 1987, 887; Senat BGHZ 128, 240, 249). Ein die persönliche Eignung ausschließender Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit kann deshalb nur bejaht werden, wenn es sich um persönlich schuldhaftes Verhalten von einer gewissen Erheblichkeit handelt (BVerfG, NJW 1996, 709, 711; Senat BGHZ 128, 240, 249 m.w.N.). Die Feststellung eines solchen Verhaltens darf nicht aufgrund einer schematischen und typisierenden Betrachtung getroffen werden. Notwendig ist vielmehr eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Notar sprechenden Umstände (Senat, Beschl. vom 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 273; BGH, Beschl. vom 21. Februar 1994 - AnwZ (B) 57/93 - DtZ 1995, 175; Prütting in Henssler/Prütting, BRAO (1997), § 1 RNPG Rdn. 40 m.w.N.). Insoweit können keine anderen Grundsätze gelten als sie vom Senat für Anwaltssachen beim Bundesgerichtshof zum Begriff der Unwürdigkeit i.S.d. § 7 Nr. 5 BRAO (vor Inkrafttreten des BRAO- NeuordnungsG: § 7 Nr. 2 RAG) und zur Anwendung der §§ 1, 2 RNPG entwickelt worden sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. November 1993 - AnwZ (B) 47/93 - BRAK-Mitt. 1994, 40, 41; 21. Februar 1994 - AnwZ (B) 57/93 - DtZ 1995, 175 und vom 20. Januar 1995 - AnwZ (B) 16/94 - NJ 1995, 390; Senat a.a.O.). Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Anwendung des § 1 Abs. 1 RNPG vom 9. August 1995 (NJW 1996, 709 ff.) und zur Anwendung des § 6 RNPG vom 14. Februar 1996 (DNotZ 1997, 165 ff.) stehen den genannten Rechtsprechungsgrundsätzen nicht entgegen. Denn diese sind durch das Bundesverfassungsgericht nicht in Frage gestellt worden. Beanstandet wurde lediglich die konkrete Anwendung der Vorschriften in drei Einzelfällen.

Angesichts der einheitlichen Verwendung des Begriffs im Gesetz darf die Tatbestandsvoraussetzung des Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit bei der Amtsenthebung eines Notars gemäß §§ 5, 6 RNPG nicht anders ausgelegt werden als bei dem Widerruf oder der Rücknahme einer Anwaltszulassung gemäß §§ 1, 2 RNPG (Senat, Beschluß vom 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 273). Davon geht auch das Oberlandesgericht aus.

Die nach der Feststellung eines solchen Verstoßes gebotene Prüfung der Ungeeignetheit für das Notaramt oder der Unwürdigkeit für den Rechtsanwaltsberuf kann dagegen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, da an den Maßstab der persönlichen Eignung für das Notaramt "strengere Maßstäbe" anzulegen sind als an das Kriterium der Unwürdigkeit bei Rechtsanwälten (vgl. amtliche Begründung zu § 5 RNPG, BT- Drucksache 12/2169 S. 8; Senat, Beschlüsse vom 30. Juli 1990 - NotZ 23/89 - NJW 1991, 2423 und 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 273).

b) Allein die Mitwirkung an politischen Strafsachen oder an Strafsachen mit politischem Hintergrund in der DDR reicht allerdings nicht aus, um einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit anzunehmen. Erforderlich ist vielmehr eine einzelfallbezogene, das Gebot der Verhältnismäßigkeit wahrende Würdigung aller für und gegen den Notar/Rechtsanwalt sprechenden Umstände (Senat, Beschl. vom 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 DtZ 1996, 272, 273; BGH, Beschlüsse vom 21. November 1994 - AnwZ (B) 54/94 - DtZ 1995, 294 und 20. Januar 1995 - AnwZ (B) 16/94 - NJ 1995, 390; vgl. auch BVerfG, Beschl. vom 9. August 1995 - 1 BvR 2263/94 u.a. - NJW 1996, 709, 711). Entscheidend ist deshalb, ob der betroffene Notar bei der Mitwirkung an solchen Strafsachen im konkreten Fall gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats und des Senats für Anwaltssachen kommt ein solcher Verstoß vor allem dann in Betracht, wenn die einschlägigen Vorschriften des StGB/DDR oder der StPO/DDR exzessiv zum Nachteil der Angeklagten ausgelegt und angewendet worden sind oder bei der Verfolgung dieser Taten ein menschenverachtendes Verhalten an den Tag gelegt worden ist (Senat, Beschl. vom 5. Februar 1995 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 273; BGH, Beschlüsse vom 29. November 1993 - AnwZ (B) 47/93 - BRAK-Mitt. 1994, 40, 41; 21. Februar 1994 - AnwZ (B) 57/93 - DtZ 1995, 175; 21. November 1994 - AnwZ (B) 54/94 - DtZ 1995, 294; 20. Januar 1995 - AnwZ (B) 16/94 - NJ 1995, 390 und 31. Januar 1997 - AnwZ (B) 8/96 - nicht veröffentlicht; vgl. auch BVerfG, Beschl. vom 28. Mai 1997 - 1 BvR 304/97 - dokumentiert in Juris). Zu denken ist insbesondere an Fälle, in denen Strafen verhängt worden sind, die selbst bei Berücksichtigung der damals herrschenden Rechtsvorstellungen und gemessen an dem verwirklichten Unrecht und der Schuld des Täters als grob unverhältnismäßig erscheinen. Lag den Strafurteilen wie häufig in politischen Strafsachen der DDR eine ausdehnende Auslegung der angewendeten Strafvorschriften zugrunde, die an die äußersten Grenzen noch hinnehmbarer Gesetzesinterpretation heranreichte und Verhaltensweisen von allenfalls minderem Gewicht im Grenzbereich tatbestandlichen Handelns erfaßte, mußte sich dies nach dem auch die Richter der DDR bindenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Strafzumessung zugunsten der Angeklagten auswirken. Die Grenzen zulässigen Strafens waren dann enger gezogen (Senat, Beschl. vom 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 273; BGH, Urteile vom 15. September 1995 - 5 StR 713/94 - NJ 1995, 653, 656 und 15. November 1995 - 3 StR 527/94 - MDR 1996, 404, 405).

2. Hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen bei früherer Tätigkeit in politischen Strafsachen ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit i.S.d. § 6 RNPG anzunehmen ist, kann zwar grundsätzlich auf die von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs entwickelte Rechtsprechung zur Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung zurückgegriffen werden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß sich die Voraussetzungen für die Feststellung eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit mit den Anforderungen an die Erfüllung des Tatbestands der Rechtsbeugung nicht völlig decken (Senat, Beschl. vom 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 273; zu den Anforderungen an die Verurteilung von DDR-Richtern bzw. Staatsanwälten wegen Rechtsbeugung vgl. BGH, Urteile vom 13. Dezember 1993 - 5 StR 76/93 - NJW 1994, 529 = BGHSt 40, 30; 9. Mai 1994 - 5 StR 354/93 - NJW 1994, 3238 = BGHSt 40, 169; 5. Juli 1995 - 3 StR 605/94 - NJW 1995, 2734 = BGHSt 40, 272; 15. September 1995 - 5 StR 713/94 - NJ 1995, 653 = BGHSt 41, 247 und 15. November 1995 - 3 StR 527/94 - MDR 1996, 404). Die strengen Anforderungen für die Annahme einer Rechtsbeugung durch DDR- Richter beruhen (u.a.) darauf, daß die strafrechtliche Ahndung durch die unverzichtbaren Beschränkungen begrenzt ist, die aus dem Verbot der rückwirkenden Begründung der Strafbarkeit (Art. 103 Abs. 2 GG) folgen und die eine Berücksichtigung der in der Rechtsprechungspraxis der DDR herrschenden Rechtsvorstellungen bis an die Grenze zum unerträglichen und offensichtlichen Verstoß gegen die auch in der DDR verbindlichen Elementargebote der Gerechtigkeit und des völkerrechtlich anerkannten Menschenrechtsschutzes verlangen. Gleich hohe Schranken gelten für die Regelungen der §§ 5, 6 RNPG und deren Anwendung hingegen nicht. Zwar muß auch hier berücksichtigt werden, daß es um die Beurteilung von Verhaltensweisen geht, die unter Geltung eines anderen Rechtssystems geschahen. Andererseits geht es aber nicht um eine strafrechtliche Ahndung, sondern um die Frage der Auswirkung früheren Handelns auf die fortwirkende berufliche Tätigkeit unter der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und um die Wahrung der dafür wesentlichen und wichtigen Interessen der Allgemeinheit. Dazu gehört insbesondere das Interesse an einer geordneten und leistungsfähigen Rechtspflege als einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut (BVerfG, Beschl. vom 9. August 1995 - 1 BvR 2263/94 u.a. - NJW 1996, 709, 710). Eine unentbehrliche Grundlage dafür ist das Vertrauen, der rechtsuchenden Bevölkerung in die Integrität der Amtspersonen, die wie die Notare im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege tätig sind. Das gilt insbesondere in der noch nicht völlig abgeschlossenen Phase der Konsolidierung einer rechtsstaatlich verfaßten, an den Werten des Grundgesetzes ausgerichteten Rechtspflege in den neuen Bundesländern als Gegenmodell zu der in weiten Bereichen ideologisierten, politisch indoktrinierten Rechtspflege in der DDR. Für die Förderung des Vertrauens in die Integrität der in der vorsorgenden Rechtspflege tätigen Amtspersonen ist es schädlich, ja geradezu kontraproduktiv, wenn die rechtsuchende Bevölkerung mit Amtsträgern konfrontiert wird, die in ihrer früheren Tätigkeit für das SED-Unrechtssystem, zumal in Leitungsfunktionen, vorwerfbar gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. Dieser Grundgedanke des RNPG (vgl. BT-Drucksache 12/2169 S. 1 und 6) darf bei der Einzelfallprüfung des früheren Verhaltens betroffener Notare nicht aus den Augen verloren werden (Senat, Beschl. vom 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 273 f.). Bezogen auf eine frühere richterliche Tätigkeit in politischen Strafsachen oder in Strafsachen mit politischem Hintergrund ist - wie bereits dargelegt - entscheidend, ob der betroffene Notar das Strafrecht, insbesondere im Bereich der Strafzumessung, in einer Weise exzessiv angewendet hat, daß das Vertrauen der rechtsuchenden Bevölkerung in eine an den Werten des Grundgesetzes ausgerichteten Amtsführung bei Kenntnis der Einzelheiten des früheren Verhaltens nachhaltig erschüttert sein müßte und der betroffene Notar daher als Träger eines öffentlichen Amtes im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege untragbar erscheint (Senat, Beschl. vom 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 274).

3. Im vorliegenden Fall ergibt die Prüfung der von der Antragstellerin bearbeiteten Strafsachen mit politischem Hintergrund, die Gegenstand dieses Verfahrens sind, daß die Antragstellerin in 10 von I2 Fällen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat. Bei der Verurteilung der damals Verfolgten wegen ungesetzlicher Verbindungsaufnahme (§ 219 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB/DDR) in den im Beschluß des Oberlandesgerichts dargestellten Fällen II. 1 bis 3 und wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit (§ 214 StGB/DDR) in den Fällen II. 4 bis 9 und 11 hat die Antragstellerin Strafen verhängt, die in grobem Mißverhältnis zu dem selbst nach den damals herrschenden Rechtsvorstellungen allenfalls anzunehmenden Unrecht und zur Schuld standen. Lediglich in den Fällen II. 10 und 12 kann ihr ein solcher Verstoß nicht zur Last gelegt werden.

a) Gemäß § 219 Abs. 1 StGB/DDR war mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, Verurteilung auf Bewährung oder mit Geldstrafe zu bestrafen, wer zu Organisationen, Einrichtungen oder Personen, die sich eine gegen die staatliche Ordnung der DDR gerichtete Tätigkeit zum Ziele setzen, in Kenntnis dieser Ziele oder Tätigkeit in Verbindung trat. Gemäß § 219 Abs. 2 Nr. 1 StGB/DDR wurde ebenso bestraft, wer als Bürger der DDR Nachrichten, die geeignet waren, den Interessen der DDR zu schaden, im Ausland verbreitete oder verbreiten ließ oder zu diesem Zweck Aufzeichnungen herstellte oder herstellen ließ. Diese Strafvorschrift diente dem Schutz der DDR vor "gegnerischer Tätigkeit" (vgl. Kommentar zum StGB/DDR, herausgegeben vom Ministerium der Justiz, 5. Aufl. [1987], § 219 Anm. 1). Die Anwendung dieser Strafvorschrift sowie weiterer Bestimmungen des politischen Strafrechts bezweckte jedoch in der Rechtsprechung der DDR als ein von höchster staatlicher Stelle, insbesondere durch die "Leitungstätigkeit" des Justizministeriums und des Obersten Gerichts der DDR, gesteuertes Mittel die Unterdrückung und unnachsichtige Disziplinierung ausreisewilliger Bürger. Sie war neben arbeitsrechtlichen Mitteln (vgl. BGH, Urteile vom 13. Dezember 1993 - 5 StR 76/93 - NJW 1994, 529 = BGHSt 40, 30 und 5. Juli 1995 - 3 StR 605/94 - NJW 1995, 2734 = BGHSt 40, 272) und Methoden gesellschaftlicher Ächtung Teil eines Systems von Maßnahmen und Regelungen, die alle dazu dienten, bei den Bürgern der DDR den Willen zur Ausreise von vornherein zu unterdrücken. Diese Rechtsanwendungswirklichkeit in der DDR stand im Widerspruch zur Ausreisefreiheit, so wie sie durch den von der DDR ratifizierten (wenn auch nicht in innerstaatliches Recht transformierten) Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (IPbürgR) als Menschenrecht anerkannt war, das zwar gesetzlichen Einschränkungen unterliegen konnte, aber nicht im Kern, wie dies in der DDR geschehen ist (vgl. auch Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948; vgl. ferner BGH, Urteile vom 5. Juli 1995 - 3 StR 605/94 - NJW 1995, 2734, 2735 = BGHSt 40, 272, 278 und vom 15. September 1995 - 5 StR 713/94 - NJ 1995, 653, 656). In Übereinstimmung mit dieser von höchsten staatlichen Stellen der DDR verfolgten Zielrichtung wurde § 219 Abs. 2 Nr. 1 StGB/DDR ausdehnend dahin ausgelegt, daß z.B. jede Kontaktaufnahme eines Bürgers der DDR mit der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Berlin mit dem Ziel, dadurch seine Ausreise zu ermöglichen, ausreichte, um den Straftatbestand zu verwirklichen. Es war nicht erforderlich, daß dadurch die Interessen der DDR tatsächlich geschädigt wurden. Ausreichend war, daß die Nachrichten zur "Herbeiführung eines Interessenschadens tauglich" waren (vgl. Kommentar zum StGB/DDR, herausgegeben vom Ministerium der Justiz, 5. Aufl. [1987], § 219 Anm. 4).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben mag es noch hinnehmbar sein, daß die Antragstellerin das Verhalten von H. R., H. F. und der Eheleute A. in den Fällen II 1 bis 3 des angefochtenen Beschlusses als tatbestandsmäßig i.S.d. § 219 Abs. 2 Nr. 1 StGB/DDR angesehen hat. Gleichwohl war auch der durch das SED-Regime geprägten Antragstellerin bewußt, daß es sich hier um Fälle minderer Bedeutung handelte. Auch im DDR-Strafrecht galt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. Art. 30 Abs. 2 Verfassung der DDR). Gemäß § 61 Abs. 2 StGB/DDR waren im Rahmen der Strafzumessung u.a. die Persönlichkeit des Täters sowie sein gesellschaftliches Verhalten vor und nach der Tat zu berücksichtigen. Bei der Festsetzung der Strafe hatte das Gericht sowohl die zugunsten als auch die zuungunsten des Täters vorliegenden Umstände allseitig 2u würdigen. Mit der ausgesprochenen Strafe sollten die Rechte der Bürger nur so weit eingeschränkt werden, "als dies gesetzlich zulässig und unumgänglich" war (Kommentar zum StGB/DDR, herausgegeben vom Ministerium der Justiz, 5. Aufl. [1987], § 61 Anm. 1). Außerdem war es auch DDR-Richtern untersagt, straftatbegründende oder die strafrechtliche Verantwortlichkeit mindernde oder erhöhende Umstände sowie die im Strafrahmen des Straftatbestandes zum Ausdruck kommende grundsätzliche Bedeutung der Deliktsart für das gesellschaftliche Zusammenleben bei der Strafzumessung nochmals im Sinne einer Straferhöhung zu verwerten (sog. Verbot der Doppelverwertung, vgl. Kommentar zum StGB/DDR, herausgegeben vom Ministerium der Justiz, 5. Aufl. [1987], § 61 Anm. 2). In den drei genannten Fällen II. 1 bis 3 waren die Betroffenen nicht vorbestraft. Es handelte sich jeweils um Taten, die allenfalls im untersten Bereich der vom gesetzlichen Tatbestand erfaßten Fälle einzuordnen waren. Unter diesen Umständen bedeutete die Verhängung von Freiheitsstrafen von einem Jahr und 2 Monaten (H. R. und K. A.), einem Jahr und drei Monaten (H. F.) bzw. einem Jahr und 4 Monaten (G. A.) bei einem Strafrahmen, der auch Verurteilung auf Bewährung oder Geldstrafe zuließ, eine exzessive, rechtsstaatlichen Grundsätzen zuwiderlaufende Bestrafung. Die zugunsten der Verurteilten sprechenden Umstände sind von der Antragstellerin im Rahmen der Strafzumessung nicht einmal erwähnt worden. Niedrigere Strafen wurden vielmehr pauschal mit der Begründung abgelehnt, daß diese "der Tatschwere nicht gerecht" würden. Im Fall II 1 (H. R.) ist die Antragstellerin zwar von mehrfacher Tatbegehung (§§ 63 Abs. 2, 64 Abs. 1 bis 3 StGB/DDR) ausgegangen, weil die Verurteilte ihre Schreiben an drei verschiedene Adressaten gerichtet hatte. Materiell änderte dies jedoch nichts daran, daß es sich um Verfehlungen von minderem Gewicht handelte.

b) Nach § 214 Abs. 1 StGB/DDR war mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe, Geldstrafe oder öffentlichem Tadel zu bestrafen, wer die Tätigkeit staatlicher Organe durch Gewalt oder Drohungen beeinträchtigte oder in einer die öffentliche Ordnung gefährdenden Weise eine Mißachtung der Gesetze bekundete oder zur Mißachtung der Gesetze aufforderte. Auch dieser Tatbestand wurde in der Rechtsprechung der DDR ausdehnend dahin ausgelegt, daß jede erhebliche Kritik an den Regelungen und der Praxis der Ausreise aus der DDR erfaßt wurde. Eine solche Auslegung widersprach der Meinungsfreiheit, ebenfalls einem völkerrechtlich anerkannten, in Art. 19 IPbürgR unter Schutz gestellten und auch in der DDR-Verfassung in Art. 27 bezeichneten Menschenrecht. Dieses Recht gilt zwar nicht uneingeschränkt, sondern unterliegt auch nach völkerrechtlichen Vereinbarungen einem weitreichenden Gesetzesvorbehalt. Die Bestrafung fast jeder Kritik an der menschenrechtswidrigen Ausreiseregelung und Ausreisepraxis der DDR erscheint jedoch nach rechtsstaatlichen Grundsätzen als unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1995 - 5 StR 713/94 - NJ 1995, 653, 656). So wurde die Grenze noch hinnehmbarer Gesetzesinterpretation jedenfalls erreicht, wenn § 214 StGB/DDR unter völliger Vernachlässigung der tatbestandlichen Voraussetzung, daß die Gesetzesmißachtung in einer die öffentliche Ordnung gefährdenden Weise geschehen sein mußte, auch auf Fälle ausgedehnt wurde, in denen für einen Außenstehenden nicht erkennbar war, daß ein bestimmtes Handeln eine Mißachtung der Gesetze darstellte (Senat, Beschluß vom 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 274). So war selbst nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts der DDR eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung (u.a.) dann nicht gegeben, wenn die Grenzübergangsstelle von einem Bürger unter Vorlage seines Personalausweises mit der Bitte um Ausreisegenehmigung (zur Vermeidung jeglichen Aufsehens) zu einem Zeitpunkt aufgesucht wurde, zu dem sich dort außer den Grenzsicherheitskräften keine weiteren Personen aufhielten (Urteil vom 7. Januar 1983 - 1 OSB 63/82 - S. 6).

Gleichwohl hat die Antragstellerin in den unter Ziff. II. 4 (W. K.), 6 (G. H.), 7 (R. A.) und 9 (T. P.) des angefochtenen Beschlusses dargestellten Fällen den Tatbestand des § 214 Abs. 1 StGB/DDR als erfüllt angesehen. Der Verurteilte K. hatte die Grenzübergangsstelle Berlin/Bahnhof Friedrichstraße am 23. Dezember 1985 gegen 0.55 Uhr aufgesucht, um unter Vorlage seines Personalausweises um Ausreisegenehmigung zu bitten. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich dort außer dem Kontrollposten keine weiteren Personen. Unter dem Vorsitz der Antragstellerin wurde der nicht vorbestrafte K. deswegen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Verurteilte H. hatte sich am 7. Dezember 1986 gegen 0.10 Uhr in den Bereich der zu diesem Zeitpunkt publikumsleeren Grenzübergangsstelle begeben, wo sie den dort anwesenden Vorkontrollposten unter Vorlage ihres Personalausweises um Ausreisegenehmigung bat. Durch die Antragstellerin wurde sie ebenfalls wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit (§ 214 Abs. 1 StGB/DDR) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. R. A. hatte sich am 14. Januar 1987 gegen 19.10 Uhr in den zu diesem Zeitpunkt publikumsleeren Bereich der Grenzübergangsstelle begeben, um dort unter Vorlage seines Personalausweises um Ausreisegenehmigung zu ersuchen. Er wurde durch die Antragstellerin wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Auch T. P. hatte eine zu diesem Zeitpunkt publikumsleeren Grenzübergangsstelle aufgesucht, um dort unter Vorlage seines Personalausweises die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland zu fordern. Er wurde ebenfalls wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Indem die Antragstellerin in allen vier genannten Fällen das Verhalten der Verurteilten noch als tatbestandsmäßig i.S.d. § 214 Abs. 1 StGB/DDR angesehen hat, obwohl eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung auch nach der oben dargelegten Rechtsprechung des Obersten Gerichts der DDR in keinem der Fälle gegeben war, hat sie die Strafvorschrift exzessiv zum Nachteil der Verurteilten ausgelegt und angewendet. Auch die angeordneten Rechtsfolgen stehen selbst auf der Grundlage des damals geltenden DDR-Strafrechts und der vom Obersten Gericht der DDR vorgegebenen Richtlinien in einem groben Mißverhältnis zu der geringen Bedeutung der zugrunde liegenden Verfehlungen. Selbst wenn man das Verhalten der Betroffenen noch als tatbestandsmäßig i.S.d. § 214 Abs. 1 StGB hinnehmen würde, ist die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafen von einem Jahr bis hin zu einem Jahr und vier Monaten angesichts der allenfalls im Bagatellbereich anzusiedelnden geringen Bedeutung der Verfehlungen grob unverhältnismäßig und rechtsstaatswidrig.

In dem Fall II. 5 hat die Antragstellerin Frau A. H. wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit (§ 214 Abs. 1 StGB/DDR) zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt, weil diese am Nachmittag des 29. April 1986 unter dem Notruf 110 die Volkspolizei angerufen und bei diesem Gespräch gedroht hatte, eine Republikflucht zu begehen. Die Antragstellerin hat das Verhalten der Frau A. H. als Drohung i.S.d. § 214 Abs. 1 StGB/DDR angesehen. Drohung in diesem Sinne waren Ankündigungen von Nachteilen aller Art, die sowohl persönlicher Natur für den Empfänger als auch Nachteile für die staatliche Tätigkeit sein konnten. Die jeweilige Drohung mußte ernstzunehmen sein, d.h. objektiv den Eindruck der Ernsthaftigkeit erwecken. Für die Beeinträchtigung der staatlichen Tätigkeit reichte es bereits aus, daß die Tat den ordnungsgemäßen Tätigkeitsablauf eines staatlichen Organs.z.B. durch Tätigkeitsunterbrechungen beeinflußt hat (Kommentar zum StGB/DDR, herausgegeben vom Justizministerium der Justiz, 5. Aufl. [1987], § 214 Anm. 3). Angesichts der von höchsten staatlichen Stellen vorgegebenen Richtlinien mag es noch hinnehmbar sein, daß die Antragstellerin das Verhalten der Frau A. H. als tatbestandsmäßig angesehen hat, obwohl durchaus fraglich ist, ob die angekündigte Drohung objektiv ernstzunehmen war. Auch die Antragstellerin hat hier jedoch erkannt, daß es sich um einen Fall handelte, der im untersten Bereich der vom Tatbestand des § 214 Abs. 1 StGB/DDR erfaßten Fälle anzusiedeln war. Berücksichtigt man weiter, daß die nicht vorbestrafte Frau A. H. zur Zeit der Tat nur vermindert schuldfähig (§ 16 Abs. 1 StGB/DDR) war, war die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten grob unverhältnismäßig und rechtsstaatswidrig.

Auch den Fällen 8 (E. K.) und 11 (H. P.) liegen Verurteilungen wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit zugrunde. Frau K. hatte am 25. März 1987 an ihrem Küchenfenster ein großes "A" und die Jahreszahl "1985" angebracht, um auf diese Weise auf ihren Ausreisewunsch aufmerksam zu machen. Unter dem Küchenfenster hatte sie ein Bettlaken mit der Aufschrift "Gnade vor Recht" befestigt. H. P. hatte am 26. Januar 1988 vor seinem Haus eine Sperrholzplatte mit der Aufschrift "Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren. A.e.d. Menschenrechte verk, 10.12.1948 Artikel 13 Abs. 2 gez.: H. P. 25.01.1988" aufgestellt. Beide Betroffenen wurden von der Antragstellerin wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von jeweils einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Beide waren nicht vorbestraft, und die Aufschriften wurden nach kurzer Zeit wieder entfernt. Es handelte sich auch unter Berücksichtigung der herrschenden DDR-Strafpraxis um Verfehlungen von geringer Bedeutung. Es besteht in beiden Fällen ein erhebliches Mißverhältnis zwischen der verhängten Strafe und der zugrunde liegenden Tat, so daß sich die Verurteilungen als grob unverhältnismäßig und rechtsstaatswidrig darstellen.

c) Lediglich in den Fällen II. 10 (A. P.) und 12 (Eheleute K. und M. K.) hat der Senat einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit i.S.d. § 6 RNPG nicht feststellen können.

Dies beruht im Falle A. P. darauf, daß dieser bereits einschlägig in Erscheinung getreten war. Gegen ihn war bereits eine Ordnungsstrafe von 300 Mark/DDR verhängt worden, weil er im September 1987 am Fenster seiner Wohnung ein Plakat mit der Aufschrift "Laßt uns endlich raus, Hilfe" angebracht hatte. Gleichwohl brachte er am 29. Oktober 1987 erneut ein von ihm selbst gefertigtes Plakat an mit der Aufschrift "Hilfe, wir wollen endlich raus. Diese Schriftzeichen sollen keine Provokation sein, sondern sind Hilferufe von Verzweifelten". Er wurde deswegen von der Antragstellerin zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Zwar erscheint die Verurteilung angesichts der geringen Bedeutung der Tat sehr hart und bewegt sich im Grenzbereich des Vertretbaren. Da der Verurteilte jedoch erst kurze Zeit zuvor einschlägig in Erscheinung getreten war, ist die Höhe der Strafe unter Berücksichtigung der in der DDR vorherrschenden Strafpraxis insbesondere bei sogenannten Rückfalltätern (vgl. Berichte über die Umsetzung der 17. Plenartagung des Obersten Gerichts vom 20. Januar 1982, abgedruckt in den Informationen des OG der DDR, Nr. 2/1982, S. 37, 39; vgl. ferner Bezirksgericht Cottbus, Urteil vom 25. Februar 1985 (BSK 1/85), abgedruckt in den Informationen des OG der DDR, Nr. 4/1985, S. 32, 35) noch nicht als Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit zu werten.

Das gilt auch im Fall II. 12. Die Eheleute K. und Frau M. K. beabsichtigten, sich mit Gleichgesinnten (Ausreisewilligen) zu treffen und mit ihnen gemeinsam durch die Stadt zu gehen, um dadurch ihrem Ausreisewunsch Nachdruck zu verleihen. Zu diesem Zweck fertigten sie mindestens 88 Zettel, die sie am 14. November 1988 an Teilnehmer des Friedensgebets verteilten. Die Antragstellerin verurteilte die Eheleute K. wegen gemeinschaftlicher Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von jeweils einem Jahr und zehn Monaten und Frau M. K. zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten. Dabei hat die Antragstellerin eine gemeinschaftliche Tatbegehung i.S.d. § 214 Abs. 3 StGB/DDR festgestellt. Danach war mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu bestrafen, wer eine Tat nach den Absätzen 1 oder 2 zusammen mit anderen begeht. Gemäß § 62 Abs. 3 StGB/DDR war die Anwendung des erhöhten Strafrahmens zwar nicht unbedingt geboten, sondern davon abhängig, daß der normale Strafrahmen zur Ahndung nicht ausreichte. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten bei den Eheleuten K. erscheint insbesondere angesichts der Tatsache, daß die Eheleute eine 7 Jahre alte Tochter zu versorgen hatten, auch ausgesprochen hart. Bei Berücksichtigung des Maßstabes der in der DDR herrschenden Strafpraxis waren die von der Antragstellerin im vorliegenden Fall verhängten Freiheitsstrafen aber noch nicht als grob unverhältnismäßig und damit als Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit anzusehen.

4. Der Bewertung der auf § 219 Abs. 2 Nr. 1 StGB/DDR bzw. § 214 StGB/DDR gestützten Verurteilungen in den Fällen II. 1 bis 9 und 11 des angefochtenen Beschlusses als übermäßig harte Bestrafungen steht nicht entgegen, daß andere DDR-Gerichte in vergleichbaren Fällen ähnliche Strafen verhängt haben (Senat, Beschl. vom 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 275; BGH, Beschlüsse vom 21. November 1994 - AnwZ (B) 54/94 - DtZ 1995. 294 = NJ 1995, 332 und 20. Januar 1995 - AnwZ (B) 16/94 - NJ 1995, 390 = DtZ 1995, 441 = BRAK-Mitt. 1995, 162). Für die Wertung als exzessive Anwendung des DDR- Strafrechts bei der Strafzumessung ist der entscheidende Bezugspunkt das Gewicht der im Einzelfall abgeurteilten Verfehlung. Daran und nicht allein an der in der DDR im allgemeinen üblichen Praxis der Strafzumessung in solchen Fällen ist zu messen, ob eine Bestrafung eine exzessive Anwendung des 5trafzumessungsrechts darstellte. Denn sonst wäre das untragbare Ergebnis letztlich nicht zu vermeiden, daß eine übermäßig harte, rechtsstaatswidrige Bestrafung diese Kennzeichnung nur deswegen verlieren könnte, weil andere Gerichte ähnlich rechtsstaatswidrig geurteilt haben (Senat, Beschl. vom 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 275). Im übrigen zeigt der unter II. 10 des angefochtenen Beschlusses dargestellte Fall (A. P.), daß es auch innerhalb der DDR- Strafjustiz durchaus mildere Ahndungen als die Verhängung von Freiheitsstrafen gegeben hat. Gegen diesen war wegen eines vergleichbaren Vorganges (Anbringen eines Plakates am Fenster seiner Wohnung) wenige Monate zuvor nur eine Ordnungsstrafe von 300 Mark- DDR verhängt worden. Auch von anderen DDR-Gerichten wurden bei Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung in weit mehr als einem Drittel aller Fälle keine Freiheitsstrafen, sondern Haftstrafen, Bewährungsstrafen oder Geldstrafen verhängt (vgl. Berichte über die Umsetzung der 17. Plenartagung des Obersten Gerichts vom 20. Januar 1982, abgedruckt in den Informationen des OG der DDR, Nr. 2/1982, S. 37, 40 f). Die Antragstellerin war in ihrem Handeln durch die Vorgaben des Obersten Gerichts der DDR in Richtlinien, sogenannten gemeinsamen Standpunkten sowie sonstigen Erläuterungen und Rechtsprechungshinweisen nicht derart eingeengt, daß ihr eine mildere Ahndung objektiv nicht möglich gewesen wäre. Vielmehr sah sich selbst das Oberste Gericht veranlaßt, zu harte Bestrafungen als "grobe Fehlentscheidungen" bei der Aburteilung von "Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung" zu beanstanden (vgl. Bericht des Präsidiums des OG an die 17. Plenartagung des OG am 25. September 1980, abgedruckt in den Informationen des OG der DDR, Nr. 6/1980, S. 13 ff.).

Die Beurteilung der von der Antragstellerin verhängten Strafen als übermäßig hart ist nicht auf Strafen im oberen Bereich des Strafrahmens beschränkt (BGH, Urteil vom 15, September 1995 - 5 StR 713/94 - NJ 1995, 653, 656). Da die Strafe stets in Bezug zum Gewicht der abgeurteilten Verfehlung zu setzen ist, kann selbst eine Freiheitsstrafe im mittleren oder unteren Bereich des Strafrahmens bei Fällen minderer Bedeutung grob unverhältnismäßig sein. Andererseits darf bei der Prüfung, ob eine Bestrafung als grob unverhältnismäßig anzusehen ist, nicht unbeachtet bleiben, daß die Vollstreckung der verhängten Strafen regelmäßig nach Teilverbüßung gemäß § 45 StGB/DDR zur Bewährung ausgesetzt wurde und einzelne Verurteilte harte Bestrafungen möglicherweise bewußt in Kauf nahmen, weil sie sich einen "Freikauf" durch die Bundesrepublik Deutschland erhofften (BGHSt 40, 272, 284). Dies vermag die Antragstellerin in den vorliegenden Fällen jedoch nicht zu entlasten. Denn zum einen blieb es im maßgeblichen Zeitpunkt der Verurteilung ungewiß, ob es später tatsächlich zu einer vorzeitigen Entlassung der Verurteilten kommen würde. Zum anderen sind die von der Antragstellerin verhängten Strafen selbst unter Berücksichtigung späterer teilweiser Strafaussetzung als unverhältnismäßige, rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechende Bestrafungen anzusehen.

5. Die festgestellten Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit sind der Antragstellerin persönlich vorwerfbar. Trotz ihrer an der Doktrin des Marxismus-Leninismus ausgerichteten Ausbildung hält es der Senat für ausgeschlossen, daß ihr nicht bewußt war, daß die Verurteilungen in den in dem angefochtenen Beschluß unter II. 4, 6, 7 und 9 dargelegten Fällen wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit gemäß § 214 Abs. 1 StGB/DDR selbst mit den Vorgaben des Obersten Gerichts der DDR nicht zu vereinbaren waren. Für die Antragstellerin war auch offensichtlich, daß sie die gesetzlichen Tatbestände des politischen Strafrechts der DDR in exzessiver Weise anwandte und die von ihr gegen Ausreisewillige verhängten Strafen in den unter II. 3. a) und b) dargestellten Fällen gegen den auch im DDR-Strafrecht anzuwendenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 61 Abs. 2 Satz 1 StGB/DDR; Art. 30 Abs. 2 Satz 2 DDR-Verfassung) verstießen. Der Senat ist deshalb überzeugt davon, daß ihr klar gewesen ist, daß die unverhältnismäßig hohen Strafen gegen Ausreisewillige deren auch in der DDR gültigen Menschenrechte verletzte. Diese Würdigung des Verhaltens der Antragstellerin wird dadurch bestätigt, daß sie in den ihr angelasteten zehn Fällen inzwischen rechtskräftig wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung verurteilt worden ist. Hat sich ein DDR-Richter in so schwerwiegender Weise schuldig gemacht, ist der Vorwurf berechtigt, er habe dadurch gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit verstoßen.

6. Die Antragstellerin ist aufgrund der festgestellten, ihr zurechenbaren Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit für das Notaramt persönlich ungeeignet i.S.d. § 6 RNPG. Der bereits im Zeitpunkt der Bestellung zur Notarin gegebene Eignungsmangel bestand bis zum Erlaß des Bescheides über die Amtsenthebung vom 8. Dezember 1992 fort und dauert nach der Überzeugung des Senats auch noch an.

Der Eignungsmangel in der Person der Antragstellerin wiegt schwer. Sie hat die Menschenrechte der unter ihrem Vorsitz verurteilten Bürger, die erhebliche Freiheitsstrafen verbüßen mußten, verletzt und dabei gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen. Sie hat durch ihre jahrelange Tätigkeit in politischen Strafsachen bewußt dem DDR-Unrechtsregime gedient. Wenn derart vorbelastete, inzwischen sogar wegen mehrerer Fälle von Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung rechtskräftig verurteilte Juristen nunmehr als Notare im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege tätig wären, würde dies in der Bevölkerung mit Recht auf Unverständnis stoßen. Das Vertrauen der Rechtsuchenden in die Integrität der Amtspersonen, die im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege tätig sind, würde erheblich erschüttert. Die der Antragstellerin zur Last gelegten Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch ihre Mitwirkung in politischen Strafsachen sind im Ergebnis nicht anders zu bewerten als die in §§ 5, 6 RNPG ausdrücklich erwähnten Verstöße im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter des Staatsicherheitsdienstes.

Die Fälle rechtsstaats- und menschenrechtswidriger Verurteilungen durch die Antragstellerin reichten bis ins Jahr 1988 hinein. Die seitdem vergangene Zeit und die Tatsache, daß die bisherige Amtsführung der Antragstellerin als Notarin zu Beanstandungen keinen Anlaß gab, mindert die Schwere des durch die Verstöße gegen die Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit begründeten Eignungsmangels in ihrer Person nicht so weitgehend, daß die Amtsenthebung nicht mehr gerechtfertigt wäre. Dabei kann dahinstehen, ob diese Beurteilung auch für den Widerruf bzw. die Rücknahme einer Zulassung als Rechtsanwalt gemäß §§ 1, 2 RNPG ausreichen würde (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 21. November 1994 - AnwZ (B) 54/94 - DtZ 1995, 294, 295 und 31. Januar 1997 - AnwZ (B) 8/96 - S. 10/11). Denn die Anforderungen an die persönliche Eignung eines Notars sind strenger als an diejenige eines Rechtsanwalts (Senat, Beschlüsse vom 30. Juli 1990 - NotZ 23/89 - NJW 1991, 2423; 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 273, 276 und 24. Juni 1996 - NotZ 42/95 - NJ 2996, 555, 556; vgl. auch BT-Drucksache 12/2169 S. 8). Diese strengeren Anforderungen beruhen darauf, daß dem Notar öffentliche, mit hoheitlichen Mitteln zu erfüllende Aufgaben übertragen werden, die ihn als unabhängigen Träger eines öffentlichen Amtes nach der Regelung seiner Aufgaben, Amtsbefugnisse und Rechtsstellung in unmittelbare Nähe zum öffentlichen Dienst rükken (vgl. BVerfG, Beschl. vom 18. Juni 1986 - 1 BvR 787/80 - NJW 1987, 887, 888; Senat, Beschlüsse vom 30. Juli 1990 - NotZ 23/89 - NJW 1991, 2423 und 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 276). Daran gemessen fällt es besonders ins Gewicht, wenn in persönlich vorwerfbarer Weise Verstöße gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit begangen worden sind mit der Folge, daß Bürger, die auf der Ausübung völkerrechtlich anerkannter Menschenrechte bestanden, in grob unverhältnismäßiger Weise ihrer Freiheit beraubt wurden. Dieses Fehlverhalten hat zu einer Zeit, in der die Konsolidierung des Justizwesens in den neuen Bundesländern noch nicht abgeschlossen und die Justiz besonders darauf angewiesen ist, sich das Vertrauen der rechtsuchenden Bevölkerung zu verschaffen und es zu stärken, noch nicht so viel an Bedeutung verloren, daß es der Antragstellerin in ihrer Tätigkeit als Notarin nicht mehr entgegengesetzt werden könnte.

Die Amtsenthebung ist im vorliegenden Fall auch für die Antragstellerin persönlich nicht unverhältnismäßig. Zwar hat die Antragstellerin durch ihren persönlichen Einsatz über inzwischen mehr als sieben Jahre hinweg ihr Notariat aufgebaut. Andererseits hat sie das Notaramt aber erst nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und damit von Anfang an unter der Geltung des Grundgesetzes ausgeübt. Ein aus früherer Notartätigkeit in der DDR abgeleiteter Vertrauensschutz kann ihr daher nicht zugute kommen. Das Vertrauen darauf, daß die durch den Einigungsvertrag anerkannten Notarbestellungen nicht aufgrund einer neuen bundesgesetzlichen Regelung einer am Wertesystem des Grundgesetzes ausgerichteten Überprüfung unterzogen würden, ist nicht in dem Maße schützenswert, daß es dem allgemeinen Interesse an einer geordneten, vom Vertrauen der rechtsuchenden Bevölkerung getragenen vorsorgenden Rechtspflege vorgehen müßte (Senat, Beschl. vom 5. Februar 1996 - NotZ 42/94 - DtZ 1996, 272, 276). Für das Gewicht eines eventuellen Vertrauens der Antragstellerin in den Fortbestand ihrer Notariatspraxis ist auch von Bedeutung, daß sie spätestens seit Erhalt des Amtsenthebungsbescheides weiß, daß ihre weitere Tätigkeit als Notarin unter dem Vorbehalt des Ausgangs dieses Verfahrens steht. Im übrigen wird der jetzt 49-jährigen Antragstellerin der Weg zu einer Tätigkeit in anderen juristischen Berufen durch diese Entscheidung nicht verbaut. Zum Schutz des Vertrauens in die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts (vgl. BVerfG, Beschl. vom 9. August 1995 - 1 BVR 2263/94 u.a. - NJW 1996, 709, 710), ist die Enthebung der Antragstellerin von ihrem Amt als Notarin unter Abwägung aller für und gegen diese Maßnahme sprechenden Umstände daher geboten.

Ende der Entscheidung

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