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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.10.2008
Aktenzeichen: StB 18/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 94
StPO § 97
StPO § 98 Abs. 1
StPO § 119 Abs. 3
StPO § 304 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

StB 18/08

vom 23. Oktober 2008

in dem Strafverfahren

gegen

wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u. a.;

hier: Beschwerde gegen Briefbeschlagnahme

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Oktober 2008 gemäß § 304 Abs. 5 StPO beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeschuldigten F. E. wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21. Juli 2008, mit dem die Beschlagnahme des Briefes des Angeschuldigten vom 2. Juli 2008 an N. E. angeordnet worden ist, aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschwerdeführer hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe:

I.

Der Generalbundesanwalt hat gegen den Beschwerdeführer, der sich seit April 2007 in Untersuchungshaft befindet, am 27. Juni 2008 Anklage wegen mehrfachen versuchten und vollendeten Mordes, unter anderem in Tateinheit mit Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, und anderer Straftaten zum Oberlandesgerichts Düsseldorf erhoben. Dieses hat mit Beschluss vom 21. Juli 2008 den handschriftlich verfassten Brief des Angeschuldigten vom 2. Juli 2008 an N. E. in Istanbul/Türkei gemäß §§ 94, 98 Abs. 1 StPO beschlagnahmt, weil dieser in dem Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer als Beweismittel in Betracht komme. Bei der Erstattung von Sachverständigengutachten zur Feststellung der Urheberschaft von Handschriften könne der Brief als Vergleichsmaterial dienen. Zu den Beweismitteln im vorliegenden Strafverfahren zählten zahlreiche Unterlagen, die handschriftlich abgefasst oder mit handschriftlichen Anmerkungen versehen seien.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Beschwerde gegen diesen Beschlagnahmebeschluss. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass schon das Anhalten des Briefes gemäß § 119 Abs. 3 StPO nicht rechtmäßig erfolgt sei, weil diese Vorschrift rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genüge. Der Beschlagnahme des Briefes stehe ein Beschlagnahmeverbot analog § 97 StPO entgegen. Sie verstoße auch gegen den Grundsatz, dass ein Beschuldigter zur Abgabe von Schriftproben nicht gezwungen werden dürfe. Die Beschlagnahme greife in die verfassungsmäßig verankerten Rechte des Beschwerdeführers ein und sei vor dem Hintergrund des "fair trial" als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 GG) sowie den Bestimmungen der MRK nicht zu verantworten. Schließlich sei die Beschlagnahme des Briefes unnötig und somit unverhältnismäßig; denn aus den Ermittlungsakten ergebe sich, dass der Angeschuldigte zur Begründung seines Asylantrags im Mai 2007 ein umfangreiches handschriftlich verfasstes Schreiben an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gerichtet habe und dieses den Ermittlungsbehörden vorliege. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verteidigerschriftsätze vom 17. und 22. Juli 2008 sowie vom 12. August 2008 Bezug genommen. II.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 Abs. 5 StPO) und begründet. Die Beschlagnahme des Briefes des Angeschuldigten vom 2. Juli 2008 an N. E. als Beweismittel ist unverhältnismäßig.

1. Allerdings entspricht die angefochtene Beschlagnahmeanordnung des Oberlandesgerichts Düsseldorf - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - im Übrigen den gesetzlichen wie auch den rechtsstaatlichen Anforderungen. Insbesondere hinderten die Grundsätze, dass ein Beschuldigter nicht zur Abgabe von Schriftproben gezwungen werden darf und sich selbst nicht belasten muss, die angeordnete Beschlagnahme ebenso wenig, wie der Umstand, dass der Brief im Rahmen der richterlichen Postkontrolle des sich in Untersuchungshaft befindenden Angeschuldigten angehalten und beschlagnahmt wurde. Denn § 94 StPO stellt auch bei Vorliegen der durch den Vollzug der Untersuchungshaft begründeten besonderen Situation eines Beschuldigten eine geeignete Rechtsgrundlage dar, um in die grundlegenden Rechte des Angeschuldigten nach Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 10 GG und Art. 8 MRK einzugreifen (vgl. BGHR StPO § 94 Beweismittel 1 m. w. N.). Insofern gehen die Einwendungen des Beschwerdeführers fehl. Auch eine analoge Anwendung von § 97 StPO kommt nicht in Betracht.

2. Indessen bedarf es vorliegend der Beschlagnahme des Briefes zu Beweiszwecken nicht.

Eine Beschlagnahme stellt einen Eingriff in Grundrechte des Betroffenen dar. Die Anordnung hat daher, wie alle Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu genügen. Dieser Grundsatz verlangt, dass die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich sein muss und dass der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen darf (vgl. BVerfG NStZ 1992, 91, 92). Für die Gewinnung des für ein Schriftgutachten notwendigen Vergleichsmaterials war die Sicherstellung des Briefes vom 2. Juli 2008 nicht erforderlich. Denn als solches steht das auf Anregung des Senats durch den Generalbundesanwalt beigezogene, 28 Seiten umfassende handschriftliche Originalschreiben des Angeschuldigten vom 10. Mai 2007 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Verfügung, mit dem er - ebenfalls aus der Untersuchungshaft heraus - seinen Asylantrag begründet hat. Eine Kopie dieses Schreibens befand sich bereits zum Zeitpunkt der Beschlagnahmeanordnung bei den Akten. Daher hätte das Oberlandesgericht schon zuvor Kenntnis von dessen Existenz haben und das Original anfordern können.

Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist nicht erkennbar, dass dem beschlagnahmten Brief eine dem sehr umfangreichen, ebenfalls eigenhändig verfassten Schreiben des Angeschuldigten überlegene Beweiseignung zukäme. Der beschlagnahmte Brief an N. E. verspricht daher keinen zusätzlichen sachlichen Erkenntnisgewinn. Wegen des Vorliegens des Originals kann dahinstehen, ob die vom Beschwerdeführer angeführte, bei den Ermittlungsakten vorhandene Kopie des Antragsschreibens zur Erreichung des erstrebten Beweiszieles geeignet gewesen wäre.

Die Beschlagnahme erweist sich danach für das Verfahren als nicht erforderlich und ist somit unverhältnismäßig (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 94 Rdn. 18 m. w. N.). Dies führt zur Aufhebung der Anordnung.

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