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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.11.2008
Aktenzeichen: V ZB 31/08
Rechtsgebiete: ZVG


Vorschriften:

ZVG § 149
Die Zwangsverwaltung eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks ist unzulässig, wenn sie nur dazu dient, dem im Haus wohnenden Schuldner den Bezug von Sozialleistungen zu ermöglichen, damit er an den Zwangsverwalter ein Entgelt für die Nutzung der Räume entrichten kann, die ihm nicht nach § 149 Abs. 1 ZVG zu belassen sind.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

V ZB 31/08

vom 20. November 2008

in dem Zwangsverwaltungsverfahren

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 20. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Klein, die Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 23. Januar 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Schuldnerin wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren mit Wirkung vom 3. März 2008 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Geisler bewilligt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 2.042,80 €.

Gründe:

I.

Auf Antrag des Gläubigers ordnete das Vollstreckungsgericht die Zwangsverwaltung des Grundstücks der Schuldnerin an. Das darauf befindliche Einfamilienhaus wird von der Schuldnerin und ihrem Ehemann bewohnt.

In dem Inbesitznahmebericht des Zwangsverwalters sind als Einnahmen Betriebs- und Nebenkostenerstattungen der Schuldnerin von 50 € und als Ausgaben Kosten für Grundsteuer und Versicherungen in Höhe von 45 € angesetzt.

Mit der Begründung, die Zwangsverwaltung sei rechtsmissbräuchlich und im Hinblick auf ihren schlechten Gesundheitszustand, welcher bereits zur Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens geführt habe, sittenwidrig, hat die Schuldnerin die Aufhebung der Zwangsverwaltung beantragt.

Das Vollstreckungsgericht hat das Zwangsverwaltungsverfahren aufgehoben und ausgeführt: Das Vorgehen des Gläubigers sei zwar nicht rechtsmissbräuchlich. Es ergebe sich ein Überschuss von monatlich 5 €. Nach den Vorstellungen des Gläubigers könne die Schuldnerin außerdem Wohngeld beantragen; dies solle im Rahmen der Zwangsverwaltung an den Gläubiger abgeführt werden. In Anbetracht der akuten Suizidgefahr der Schuldnerin stelle die Fortsetzung des Verfahrens jedoch eine sittenwidrige Härte im Sinne von § 765a ZPO dar.

Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das Landgericht den Beschluss des Vollstreckungsgerichts aufgehoben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung der Gläubiger beantragt, erstrebt die Schuldnerin weiterhin die Aufhebung der Zwangsverwaltung.

II.

Das Beschwerdegericht hält, die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO für nicht gegeben. Die von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen bestätigte Suizidgefahr der Schuldnerin gründe sich in erheblichem Maße auf den möglichen Verlust ihres Eigenheims. Ein solcher sei bei der Zwangsverwaltung aber nicht zu besorgen. Dem Schuldner, der zur Zeit der Beschlagnahme auf dem Grundstück wohne, seien die für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume zu belassen. Nur hinsichtlich der nicht benötigten Räume müsse der Schuldner eine Nutzung durch den Zwangsverwalter dulden mit der Folge, dass er bei Nutzung dieser Räume ein angemessenes Entgelt an den Zwangsverwalter zu entrichten habe. Auf diese Besonderheiten des Zwangsverwaltungsverfahrens hingewiesen, habe der Sachverständige ergänzend ausgeführt, ein wesentlicher Faktor für die bei der Schuldnerin bestehende Suizidgefahr entfalle, wenn sie in ihrem Haus bleiben könne. Bei Abwägung der Interessen der Beteiligten überwiege deshalb dasjenige des Gläubigers an der Fortführung der Zwangsverwaltung.

III.

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 793 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts konnte der Vollstreckungsschutzantrag der Schuldnerin (§ 765a ZPO) nicht zurückgewiesen werden.

Die Vorschrift des § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen, die wegen ganz besonderer Umstände eine mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende Härte für den Schuldner bedeuten. Sie kommt zur Anwendung, wenn im Einzelfall die Zwangsvollstreckungsmaßnahme nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. BGHZ 161, 371, 374 m.w.N.). Bei der Feststellung der abzuwägenden Belange der Beteiligten sind dem Beschwerdegericht Rechtsfehler unterlaufen.

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Feststellungen des Beschwerdegerichts zu der Gefahr eines Suizids der Schuldnerin bei Fortsetzung der Zwangsverwaltung unzureichend sind.

Wie das Beschwerdegericht im Ausgangspunkt nicht verkennt, sind die Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte, insbesondere das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), zu berücksichtigen. Die Zwangsvollstreckung ist deshalb einstweilen einzustellen, wenn sich eine konkrete Suizidgefahr des Schuldners oder eines nahe Angehörigen anders nicht abwenden lässt. Bei ihrer Verfahrensgestaltung haben die Gerichte die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um Verfassungsverletzungen tunlichst auszuschließen. Dies kann es insbesondere erfordern, Beweisangeboten des Schuldners hinsichtlich seines Vorbringens, ihm drohten schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen, besonders sorgfältig nachzugehen (vgl. BVerfGK 6, 5, 10 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Verfahren des Beschwerdegerichts nicht.

a) Die Gefahr eines Suizids der Schuldnerin ist von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen in seinem Gutachten vom 11. Oktober 2007 zunächst als "hoch" eingeschätzt worden. Auf Nachfrage des Gerichts, ob die Beurteilung anders ausfalle, wenn davon auszugehen sei, dass die Schuldnerin und ihre Familie Haus und Grundstück nicht verlassen müssten, hat er dies in seiner Stellungnahme vom 19. Dezember 2007 zwar dahin eingeschränkt, dass in diesem Fall ein wesentlicher Faktor der Suizidgefahr entfalle. Dem durfte das Beschwerdegericht aber nicht entnehmen, dass mit der Fortsetzung der Zwangsverwaltung keine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Schuldnerin verbunden ist.

Schon weil die Annahme einer hohen Suizidgefahr ausweislich des Gutachtens vom 11. Oktober 2007 auf mehrere Risikofaktoren gestützt war, also nicht nur auf der Befürchtung der Schuldnerin beruhte, ihr Haus zu verlieren, konnte das Beschwerdegericht zunächst nur davon ausgehen, dass der Sachverständige die Gefahr eines Suizids nunmehr geringer einstufte, nicht aber, dass sie vollständig entfallen war. Hinzu kommt, dass der neuen Beurteilung kein weiteres Gespräch des Sachverständigen mit der Schuldnerin vorausgegangen ist, und dass die Schuldnerin der Einschätzung im Schriftsatz vom 11. Januar 2008 widersprochen und die erneute Befragung des Sachverständigen beantragt hat. Bei dieser Sachlage erforderte eine zuverlässige Beurteilung der von der Fortführung der Vollstreckungsmaßnahme ausgehenden Bedrohung für Leben und körperliche Unversehrtheit der Schuldnerin weitere Feststellungen.

Das gilt auch, soweit die Suizidgefahr auf falschen Vorstellungen der Schuldnerin über die Auswirkungen einer Zwangsverwaltung beruht. Die Erwägung des Beschwerdegerichts, solchen Vorstellungen könne durch eine Aufklärung der Schuldnerin über Zweck, Umfang und Rechtsfolgen der Zwangsverwaltung begegnet werden, lässt die Gefahr für das Leben der Schuldnerin nicht entfallen. Sind begleitende Maßnahmen bei der Vollstreckung geeignet, der Suizidgefahr entgegenzuwirken, darf das Gericht sie bei der Abwägung nach § 765a ZPO vielmehr nur berücksichtigen, wenn ihre Vornahme weitestgehend sichergestellt ist (vgl. BVerfGK 6, 5, 11 f.; Senat, Beschl. v. 24. November 2005, V ZB 24/05, NJW 2006, 508; Beschl. v. 14. Juni 2007, V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3720). Daran fehlt es hier. Das Beschwerdegericht geht nur von der Möglichkeit aus, dass die Schuldnerin durch irgendjemanden über die Auswirkungen der Zwangsverwaltung aufgeklärt werden kann und soll, nicht aber davon, dass dies sichergestellt ist.

b) Darüber hinaus gibt der Vortrag der Schuldnerin im Schriftsatz vom 11. Januar 2008, wonach bereits der Gedanke, dass nicht mehr sie, sondern der Zwangsverwalter das Sagen im Hause habe, sie "an den Rand des Abgrunds" treibe, Anlass zur Prüfung, inwieweit andere mit der Fortsetzung der Zwangsverwaltung einhergehende Umstände eine Suizidgefahr begründen. Hiervon durfte das Beschwerdegericht wiederum nicht aufgrund des - angesichts des § 149 Abs. 2 ZVG im Übrigen nicht uneingeschränkt zutreffenden - Hinweises absehen, dass die Zwangsverwaltung nicht zu einer Zwangsräumung führen werde. Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung kommt auch in Betracht, wenn sonstige mit der Zwangsverwaltung einhergehende, möglicherweise nur subjektiv als schwerwiegend empfundene, Belastungen allein oder in Verbindung mit weiteren Faktoren zu einer anders nicht beherrschbaren Suizidgefahr bei der Schuldnerin führen.

2. Für das Beschwerdegericht bestand ferner Anlass näher zu prüfen, welche schützenswerte Belange an der Fortsetzung der Zwangsverwaltung auf Seiten des Gläubigers in die nach § 756a ZPO vorzunehmende Abwägung einzustellen sind.

a) Ziel der Zwangsverwaltung ist es grundsätzlich, dem Gläubiger die Erträge aus der Vermietung oder Verpachtung des zwangsverwalteten Grundstücks zukommen zu lassen. Ist - wie hier - ein selbstgenutztes Einfamilienhaus Gegenstand der Zwangsverwaltung, scheidet eine Vermietung aus, soweit das Haus gemäß § 149 Abs. 1 ZVG dem Schuldner zu belassen ist. Eine dennoch erwirkte Zwangsverwaltung ist nur dann geeignet, zur Befriedigung des Gläubigers zu führen, wenn die verbleibenden Räume oder andere auf dem Grundstück befindliche, für den Hausstand des Schuldners nicht erforderliche, Gebäude selbständig vermietbar sind (vgl. Senat, Beschl. v. 14. April 2005, V ZB 5/05, NJW 2005, 2460, 2462; Beschl. v. 24. Januar 2008, V ZB 99/07, NJW-RR 2008, 679, 680). Dass es sich hier so verhält, ist von dem Beschwerdegericht nicht festgestellt worden.

b) Andere schutzwürdige Ziele der Zwangsverwaltung sind auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht erkennbar.

aa) Der von dem Zwangsverwalter in seinem Inbesitznahmebericht ausgewiesene Überschuss von 5 € im Monat ist nicht geeignet, ein legitimes Interesse des Gläubigers an der Fortsetzung der Zwangsverwaltung zu begründen. Es bestehen bereits nachhaltige Bedenken, ob der Zwangsverwalter berechtigt ist, von der Schuldnerin einen monatlichen Vorschuss auf die Nebenkosten zu verlangen (ablehnend: LG Duisburg, Rpfleger 2008, 323; a.A: LG Zwickau, Rpfleger 2006, 426; ZMR 2007, 656; AG Heilbronn, Rpflger 2004, 236; vgl. auch Senat, Beschl. v. 24. Januar 2008, V ZB 99/07, NJW-RR 2008, 679). Jedenfalls handelt es sich bei dem "Überschuss" von 5 € monatlich nicht um einen Mietertrag, sondern um den nicht verbrauchten Teil eines von der Schuldnerin geleisteten und damit an sie zurück zu zahlenden Vorschusses.

bb) Soweit der Zwangsverwalter beabsichtigen sollte, Erträge aus dem Grundstück zu erwirtschaften, indem er der Schuldnerin die im Sinne von § 149 Abs. 1 ZVG nicht benötigten Räume des Einfamilienhauses gegen Entgelt überlässt, wäre dies im Ausgangspunkt zwar nicht zu beanstanden (vgl. BGH; Urt. v. 14. Mai 1992, IX ZR 241/91, NJW 1992, 2487). Ein solches Vorgehen verspricht aber nur Erfolg, wenn die Schuldnerin in der Lage ist, das Entgelt aus eigenen Mitteln zu bezahlen.

Kein schutzwürdiges Interesse an der Fortsetzung der Zwangsvollstreckung begründet dagegen die von dem Gläubiger aufgezeigte Möglichkeit, die Schuldnerin könne das Entgelt durch Inanspruchnahme von Wohngeld oder anderen Sozialleistungen aufbringen, weil sie infolge der Zwangsverwaltung sozialhilferechtlich so behandelt würde, als lebten sie und ihr Ehemann zur Miete. Es ist schon zweifelhaft, ob der Schuldnerin ein Anspruch auf Wohngeld für die Anmietung von Räumen zustehen kann, die über den durch § 149 Abs. 1 ZVG berücksichtigten Bedarf hinausgehen. Jedenfalls wird das Institut der Zwangsverwaltung rechtsmissbräuchlich genutzt, wenn es dazu dient, Ansprüche des Schuldners auf Sozialleistungen zu begründen, damit er für die von ihm nach § 149 Abs. 1 ZVG nicht zum Wohnen benötigten Räume ein Entgelt an den Zwangsverwalter zahlen kann. Es wird dann nämlich nicht dazu eingesetzt, um Erträge aus dem Grundstück zu erwirtschaften, sondern dazu, eine Notlage des Schuldners zu schaffen, die ohne die Zwangsverwaltung nicht bestünde, und die Verbindlichkeiten des Schuldners dann mithilfe von Sozialleistungen, also auf Kosten der Allgemeinheit, zu tilgen. IV.

Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Die Sache wird an das Beschwerdegericht zurückverwiesen, damit es ergänzende Feststellungen zu den aus einer Fortsetzung des Verfahrens folgenden Gefahren für Leben und Gesundheit der Schuldnerin und den schutzwürdigen Interesse des Gläubigers an der Fortsetzung der Zwangsverwaltung treffen kann. Im Hinblick darauf, dass zweifelhaft erscheint, ob die Zwangsverwaltung des Grundstücks (echte) Erträge aus einer Vermietung erwarten lässt, wird dabei zu berücksichtigen sein, dass eine sittenwidrige Härte im Sinne des § 765a ZPO auch in der Fortführung einer aussichtslosen Vollstreckung liegen kann (vgl. Keller, DZWIR 2006, 315, 319).

Ende der Entscheidung

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