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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 06.07.2006
Aktenzeichen: V ZB 43/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 78 Abs. 1
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 234 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 519
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 574 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

V ZB 43/06

vom 6. Juli 2006

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 6. Juli 2006 durch die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 20. Februar 2006 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 60.332,44 €.

Gründe:

I.

Das Landgericht Erfurt hat durch Urteil vom 12. Oktober 2005 zum Nachteil der Beklagten entschieden. Das Urteil ist den Beklagten am 17. Oktober 2005 zugestellt worden. Am 10. November 2005 haben sie Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug beantragt. In dem Antrag heißt es u.a.:

"Die Beklagten beabsichtigen, gegen ... (das Urteil des Landgerichts) Berufung einzulegen, sehen sich jedoch nicht in der Lage, die Kosten für das Rechtsmittelverfahren aus eigenen Mitteln aufzubringen. ... Die hinreichende Erfolgsaussicht ergibt sich aus dem anliegenden Entwurf der Berufungsbegründung. Die Beklagten beabsichtigen, nach Entscheidung des Senats über die Prozesskostenhilfe einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen".

Der Entwurf ist als "Berufung und Berufungsbegründung" überschrieben, von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterschrieben und ebenfalls am 10. November 2005 bei dem Oberlandesgericht eingegangen.

Dieses hat mit am 22. Dezember 2005 den Beklagten zugestelltem Beschluss vom 19. Dezember 2005 das Prozesskostenhilfegesuch zurückgewiesen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Mit am 26. Januar 2006 bei dem Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz haben die Beklagten die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Das Oberlandesgericht hat den Antrag zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde erstreben die Beklagten die Aufhebung der Entscheidung des Oberlandesgerichts.

II.

Das Berufungsgericht sieht die Berufung als unzulässig an, weil die Berufungsfrist versäumt sei. Es meint, durch den Schriftsatz vom 10. November 2005 sei das Urteil des Landgerichts nicht angefochten worden, weil dieser Schriftsatz in dem Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten ausdrücklich als Entwurf bezeichnet worden sei. Die Berufung sei erst durch den hierher auszulegenden Schriftsatz vom 26. Januar 2006 eingelegt worden. Auch wenn den Beklagten nach der Zustellung des Beschlusses vom 19. Dezember 2005 eine Frist zuzubilligen sei, sich darüber schlüssig zu werden, das Urteil des Landgerichts ohne die Gewährung von Prozesskostenhilfe anzufechten, sei die nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu bestimmende Frist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu beantragen, am 26. Januar 2006 abgelaufen gewesen.

II.

1. Das nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsmittel der Beklagten ist unzulässig.

Die kraft Gesetzes statthafte Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 ZPO nur zulässig, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Daran fehlt es.

a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach gefestigter Rechtsprechung zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb für die Allgemeinheit ein Interesse hat (Senat, BGHZ 151, 221, 223; 152, 182, 190). Insoweit obliegt es dem Rechtsbeschwerdeführer auszuführen, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite die betreffende Rechtsfrage umstritten ist und dass die tatsächlichen oder wirtschaftlichen Auswirkungen des Rechtsstreits nicht nur für die Vermögensinteressen der Parteien, sondern auch für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind (Senat, BGHZ 154, 288, 291; BGH, Beschl. v. 10. Dezember 2003, IV ZR 319/02, NJW-RR 2004, 537).

So verhält es sich hier nicht. Der als "Berufung und Berufungsbegründung" überschriebene Schriftsatz der Beklagten vom 10. November 2005 genügt zwar den nach §§ 519, 78 Abs. 1 ZPO an eine Berufung zu stellenden Anforderungen. Nach dem gleichzeitig übermittelten Prozesskostenhilfeantrag bedeutete er jedoch nur den Entwurf einer Berufungsschrift. Dass in der Rechtsprechung oder in der juristischen Literatur Divergenzen oder eine unterschiedliche Auffassung zu der Frage bestehen, ob einem Schriftsatz die Bedeutung als Rechtsmittel durch die Beifügung eines anderen Schriftsatzes genommen werden kann, wird von der Rechtsbeschwerde nicht dargestellt.

b) Auch zur Rechtsfortbildung ist eine Entscheidung des Senats nicht geboten. Anders verhält es sich nur, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (Senat, BGHZ 151, 221, 225). Hierfür ist kein Raum, soweit die Fehlerhaftigkeit der Auslegung einer konkreten Erklärung innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens geltend gemacht wird.

c) Eine Entscheidung des Senats ist schließlich auch nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich. Das Berufungsgericht hat die Erklärung der Beklagten in ihrem Prozesskostenhilfeantrag dahin ausgelegt, dass der als "Berufung und Berufungsbegründung" bezeichnete Schriftsatz nur einen Entwurf bedeute und insoweit nicht zwischen der Einlegung der Berufung und ihrer Begründung zu unterscheiden sei. Diese Auslegung ist möglich und nahe liegend, weil sie es den Beklagten ermöglichte, das ausdrücklich als angestrebt bezeichnete Ziel zu erreichen, die Belastung mit den Kosten des Berufungsverfahrens zu vermeiden, falls dieses nach Ansicht des zur Entscheidung zuständigen Gerichts keine Aussicht auf Erfolg böte. Die Auslegung, die der Senat in vollem Umfang überprüfen kann (vgl. BGH, Urt. v. 18. November 1996, VI ZR 325/95, NJW-RR 1996, 1210, 1211), beruht weder auf einem Rechtssatz, der von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweicht, nach der ein bestimmender Schriftsatz nur dann nicht als solcher auszulegen, wenn dies in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise deutlich ist (vgl. BGH, Beschl. v. 16. Dezember 1987, IVb ZB 161/87, NJW 1988, 2046 f; v. 10. Januar 1990, XII ZB 134/89, FamRZ 1990, 995; Urt. v. 31. Mai 1995, VIII ZR 267/94, NJW 1995, 2563 f.; Beschl. v. 22. Januar 2001, VI ZB 51/01, NJW 2002, 1252 f., u. v. 21. Dezember 2005, XII ZB 33/05, NJW 2006, 693 f.), noch wird durch sie der Zugang zu den Gerichten in verfassungswidriger Weise erschwert (vgl. BVerGE 69, 381, 385; 74, 228, 234).

2. Auch soweit die Beschwerde geltend macht, die Bevollmächtigten der Beklagten seien darüber im Irrtum gewesen, dass durch den Schriftsatz vom 10. November 2005 gegen das Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt und diese lediglich nicht begründet worden sei, führt dies nicht zum Erfolg der Beschwerde. Die Auslegung des mit "Berufung und Berufungsbegründung" überschriebenen Schriftsatzes als Entwurf der für das Berufungsverfahren notwendigen Prozesserklärungen beruht auf der Erklärung in dem Prozesskostenhilfeantrag, die Beklagten beabsichtigten, das Urteil des Landgerichts anzufechten, und dem ausdrücklich formulierten Ziel, die Belastung mit Kosten im Falle der Zurückweisung des Prozesskostenhilfeantrags zu vermeiden. Der Antrag ist von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten formuliert. Wollten sie etwas Anderes erklären, ist ihr Irrtum über den Inhalt ihrer Erklärung nicht unverschuldet. Der Wiedereinsetzung stehen §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO entgegen. Zudem wäre über einen so begründeten Wiedereinsetzungsantrag nicht im vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren zu entscheiden.

III.

Der Kostenausspruch beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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