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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.05.2004
Aktenzeichen: V ZB 59/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 269 Abs. 3
ZPO § 344
Der Beklagte, gegen den ein Versäumnisurteil (in gesetzlicher Weise) ergangen ist, trägt die durch die Versäumnis veranlaßten Kosten auch dann, wenn der Kläger die Klage zurücknimmt.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

V ZB 59/03

vom

13. Mai 2004

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 13. Mai 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Dr. Lemke, Dr. Gaier, Dr. Schmidt-Räntsch

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden der Beschluß der 10. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg vom 10. November 2003 aufgehoben und der Beschluß des Amtsgerichts Augsburg vom 21. November 2002 abgeändert.

Nach Rücknahme der Klage trägt die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der durch die Versäumnis des Beklagten veranlaßten Kosten.

Die Klägerin trägt zudem die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 300 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin erwarb ein von dem Beklagten bewohntes Anwesen und forderte ihn erfolglos zur Räumung bis 31. Mai 2002 auf. Die Räumungsklage ist dem Beklagten, zusammen mit der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens, der Aufforderung, die Absicht der Rechtsverteidigung binnen zwei Wochen anzuzeigen, und der Belehrung über die Folgen der Nichtanzeige am 16. August 2002 durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden. Am 5. September 2002 ist ohne mündliche Verhandlung ein Versäumnisurteil gegen ihn erlassen worden. Der Beklagte hat mit der Behauptung, daß er sich vom 15. August bis 15. September 2002 in Urlaub in der Türkei befunden habe, Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gestellt. Im Einspruchstermin hat die Klägerin die Klage zurückgenommen. Das Amtsgericht hat die durch die Säumnis entstandenen Kosten dem Beklagten, die übrigen Kosten der Klägerin auferlegt. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde des Beklagten zurückgewiesen.

Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte seinen Antrag, der Klägerin auch die durch die Säumnis entstandenen Kosten aufzuerlegen, weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Das Beschwerdegericht meint, der Beklagte habe so, als ob das gegen ihn ergangene Versäumnisurteil auf Einspruch abgeändert worden wäre, die durch die Versäumnis veranlaßten Kosten zu tragen. Die Voraussetzung hierfür, der Erlaß des Versäumnisurteils in gesetzlicher Weise, sei erfüllt. Ersteres hält der rechtlichen Überprüfung stand, letzteres nicht.

1. Die Frage, ob bei einer Klagerücknahme nach einem Versäumnisurteil gegen den Beklagten der Kläger die gesamten Kosten des Rechtsstreits trägt (§ 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO) oder ob dem Beklagten die durch seine Versäumnis veranlaßten Kosten (§ 344 ZPO) aufzuerlegen sind, ist seit langem in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

a) Die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bisher überwiegende Auffassung spricht sich für einen Vorrang des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO (§ 271 Abs. 3 Satz 2 ZPO a.F., § 234 Abs. 3 Satz 1 CPO) aus, der eine Kostentrennung in direkter oder analoger Anwendung des § 344 ZPO (§ 309 CPO) verbiete (OLG Dresden, SächsArch 3 (1893), 636, 640; OLG Hamburg, SeuffArch 52 (1897), 217, 219 f.; OLGRspr 35, 66 f.; OLG Frankfurt, HRR 1931, 1966; MDR 1979, 1029 f.; OLG Düsseldorf, JMBl. NRW 1955, 209; OLGZ 89, 250 f.; KG, NJW 1970, 1799; OLG Stuttgart, MDR 1976, 51; HansOLG Bremen, NJW 1976, 632; OLG Hamm, MDR 1977, 233; GRUR 1990, 642; OLG Oldenburg, NdsRpfl 1977, 276; OLG München, MDR 1981, 940; OLG Nürnberg, JurBüro 1984, 1586; OLG Karlsruhe NJW-RR 1995, 955; OLG Rostock, NJW-RR 1996, 832; OLG Schleswig, NJW-RR 1998, 1151 f.; OLG Naumburg, OLGR 1999, 62 ff.; OLG Brandenburg, NJW-RR 1999, 871; aus der Literatur: Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 271 Anm. C I c 1; AltKomm-ZPO/Wassermann, 1987, § 269 Rdn. 8; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 269 Rdn. 63; MünchKomm-ZPO/Prütting, 2. Aufl., § 344 Rdn. 13; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., § 130 III 2 a; Anders/Gehle, Antrag und Entscheidung im Zivilprozeß, 3. Aufl., Teil B, Rdn. 514; Schneider, MDR 1961, 545, 549 f.). Diese Ansicht wurde zum Teil auf die bis zum Inkrafttreten des Kindesunterhaltsgesetzes vom 6. April 1998 (BGBl. I S. 666) geltende Gesetzesfassung gestützt, wonach eine Abweichung von der vollen Kostentragungspflicht nach Klagerücknahme nur zugelassen wurde, soweit über die Kosten bereits rechtskräftig erkannt war. Bei einer Klagerücknahme fehle es jedoch an einer Entscheidung über die Säumniskosten. Im übrigen liege keine abändernde Entscheidung in der Sache vor, die § 344 ZPO voraussetze. § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO stelle einen selbständigen und von den anderen Kostenregelungen unabhängigen Tatbestand der Kostenpflicht des Klägers dar, die als zwingende Folge der Klagerücknahme von Gesetzes wegen eintrete. Die auf Antrag des Beklagten ergehende Kostenentscheidung habe daher lediglich feststellenden Charakter, während § 344 rechtsgestaltende Wirkung entfalte. Für eine analoge Anwendung des § 344 ZPO fehle es an einer Regelungslücke, weil es kein zwingendes Gebot materieller Kostengerechtigkeit sei, daß der Beklagte die von ihm verursachten Säumniskosten auch im Falle der Klagerücknahme tragen müsse. Diese Kosten habe der Kläger durch seine Klageerhebung mittelbar verursacht.

b) Die Gegenmeinung (RG, JW 1887, 311 f.; KG, OLGRspr 17, 320 f.; KGBl. 1920, 40, 41; KGR 2001, 371; OLG Dresden, SächsAnn 30 (1909), 494, 495; OLG Düsseldorf, MDR 1972, 1043; NJW 1975, 1569, 1570; OLG Hamm, OLGZ 89, 464 f.; OLG Köln, AnwBl. 1992, 332 f.; VersR 1993, 722 f.; MDR 1990, 256; OLG München, OLGR 1993, 15; JurBüro 1997, 95; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1996, 383; Hans-OLG Bremen, OLGR 2001, 34; MünchKomm-ZPO/Lüke, 2. Aufl., § 269 Rdn. 41 u. 42; Zimmermann, ZPO, 6. Aufl., § 269 Rdn. 13a; Schneider, Die Kostenentscheidung im Zivilurteil, 2. Aufl., S. 181 f.; Coester-Waltjen, DRiZ 1976, 240 ff.; Brammsen/Leible, JuS 1997, 54, 58; Habel, NJW 1997, 2357, 2359 f.; Schneider, abl. Anm. zu OLG Hamm, MDR 1977, 233 ff.) sieht weder im Wortlaut noch in der Systematik des Gesetzes einen Hinderungsgrund für eine entsprechende Anwendung des § 344 ZPO. § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO a.F. habe die Aussonderung anderer Kosten nicht ausgeschlossen. § 91 ZPO ordne ausnahmslos die Kostentragungspflicht des Unterliegenden an, gleichwohl werde die Anordnung durch andere Kostenvorschriften, wie z.B. auch § 344 ZPO, durchbrochen. Sowohl § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO als auch § 344 ZPO seien Ausprägungen des Veranlassungsprinzips, die nebeneinander anwendbar seien. Seit der Neufassung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO durch das am 1. Juli 1998 in Kraft getretene Kindesunterhaltsgesetz habe die entsprechende Anwendung des § 344 ZPO im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage (OLG München NJW-RR 2001, 1150; 1151; NJW-RR 2002, 142 f.; Musielak/Stadler, ZPO, 3. Aufl., § 344 Rdn. 1; Habel, aaO, 2360). Eine endgültige Klarstellung habe die seit dem 1. Januar 2002 geltende Ergänzung durch das Zivilprozeßreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) bewirkt, wonach die Kostentragungspflicht des Klägers ausscheidet, wenn die Kosten dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind (OLG Schleswig, MDR 2002, 1274, 1275; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl, § 269 Rdn. 34; Hannich/Meyer-Seitz/Engers, ZPO-Reform 2002, § 269 Rdn. 8; Musielak/Foerster, ZPO, 3. Aufl., § 269 Rdn. 12; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 24. Aufl., § 269 Rdn. 15; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 269 Rdn. 18a; Zöller/Herget, § 91 Rdn. 13 "Klagerücknahme" u. § 344 Rdn. 2; Bonifacio, MDR 2002, 499; Schneider, JurBüro 2002, 509).

2. Der Senat schließt sich der unter 1. b) dargestellten Ansicht an. Danach sind der beklagten Partei im Rahmen der Kostenentscheidung nach Klagerücknahme (§ 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO) die durch ihre Säumnis veranlaßten Kosten in entsprechender Anwendung des § 344 ZPO aufzuerlegen.

a) Diese Auslegung, die bereits während der bis zum 30. Juni 1998 geltenden Fassung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO gerechtfertigt war (nachstehend b-d), hat nunmehr in dem seit 1. Januar 2002 geltenden Gesetzestext, wonach von der Kostentragungspflicht des Klägers auch Kosten ausgenommen werden, die dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind, eine gesicherte Grundlage. Durch das Kindesunterhaltsgesetz war bereits dokumentiert worden, daß über den Fall der rechtskräftigen (Teil-)Kostenentscheidung hinaus eine Kostenbelastung des Beklagten möglich ist. Wenn auch die Gesetzesbegründung als einzigen Anwendungsfall den neu eingeführten § 93 d ZPO nannte (BT-Drucks. 7338, S. 33), der eine Kostentragungspflicht des Beklagten wegen Verletzung der unterhaltsrechtlichen Auskunftspflicht vorsieht, schloß die gewählte Formulierung auch andere gesetzlich vorgesehene Kostenaussonderungen nicht aus. Durch den Zusatz "aus einem anderen Grund", der durch das Zivilprozeßreformgesetz eingefügt worden ist, wird die generelle Öffnung für gesetzlich geregelte Ausnahmen von der Kostentragungspflicht des Klägers zum Ausdruck gebracht. Hierzu zählt auch die Berücksichtigung des § 344 ZPO im Rahmen des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO (Bonifacio, aaO; Schneider, JurBüro 2002, 509). Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 14/4772, S. 80) nimmt auf die durch das Kindesunterhaltsgesetz geschaffene Öffnung für eine Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten Bezug. Die mit dem Zivilprozeßreformgesetz vorgenommene Ergänzung "aus einem anderen Grund" stelle klar, daß den Kläger die Kostenlast nicht treffe, wenn einer der schon bisher von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle vorliege. Zwar nennt die Gesetzesbegründung bei der Aufzählung der Beispiele den Fall der Klagerücknahme nach Versäumnisurteil nicht eigens, sie verweist aber auf die Literatur, die ihrerseits als Ausnahme von der generellen Kostentragungspflicht des Klägers ein vorausgegangenes Versäumnisurteil gegen den Beklagten mit entsprechender Belastung des Säumigen gemäß § 344 ZPO anführt (Hinweis auf Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 269 Rdn. 18a). Dies zeigt, daß dem Gesetzgeber die Fallkonstellation bekannt war und er sie in seinen Willen aufgenommen hat (zutr. OLG Schleswig, MDR 2002, 1275).

b) Die gesonderte Belastung des Beklagten nach Klagerücknahme mit den von ihm zuvor verursachten Säumniskosten ordnet sich in die Systematik des Gesetzes ein.

Es trifft zwar zu, daß § 344 ZPO als Ausnahme zu den allgemeinen Kostenregelungen nach §§ 91 ff. ZPO einen Prozeßabschluß durch gerichtliche Entscheidung voraussetzt, während die Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO an eine Prozeßbeendigung durch Parteierklärung anknüpft. Daraus kann aber nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, der in § 344 ZPO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Kostentrennung sei nicht analogiefähig. Denn abgesehen davon, daß auch die allgemeinen kostenrechtlichen Regelungen der §§ 91a und 98 ZPO Fälle der Prozeßbeendigung durch Parteierklärung behandeln, setzt § 344 ZPO nur deshalb eine gerichtliche Entscheidung als Abschluß des Verfahrens voraus, weil sich die Frage der gesonderten Auferlegung der Säumniskosten dann stellen kann, wenn das Versäumnisurteil abgeändert wird. § 344 kann jedenfalls nicht entnommen werden, daß nur in diesem Fall eine Kostenentscheidung zu Lasten eines säumigen Beklagten zulässig ist (zutr. OLG München, NJW-RR 2001, 1150 f.; OLG Schleswig, aaO).

Durch die Fiktion des § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO, wonach der Rechtsstreit bei Klagerücknahme als nicht anhängig geworden anzusehen ist, und demzufolge ein bereits ergangenes, noch nicht rechtskräftiges Urteil wirkungslos wird, entfallen zwar rückwirkend die Rechtshängigkeit und grundsätzlich auch die materiell-rechtliche Wirkung der Verjährungshemmung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Aber, wie die Einräumung der sofortigen Beschwerde in § 269 Abs 5 Satz 1 ZPO zeigt, bleibt der Rechtsstreit wegen der Kosten anhängig, so daß die kostenverursachenden Kriterien so zu berücksichtigen sind, wie sie im Verlauf des Rechtsstreits auch tatsächlich eingetreten sind (OLG München, aaO.) In bezug auf die Kostenentscheidung entfaltet die gesetzliche Fiktion daher keine Wirkung. Andernfalls gäbe es weder eine prozeßrechtliche Kostenpflicht noch Kostenentstehungstatbestände bei der Klagerücknahme (Coester-Waltjen, DRiZ 1976, 240).

c) Dem Beklagten die Säumniskosten auch bei Klagerücknahme aufzuerlegen, entspricht dem Leitgedanken des prozessualen Kostenrechts, dem Veranlassungsprinzip. Danach soll derjenige, dessen Verhalten zur Entstehung von Kosten Anlaß gegeben hat, diese auch tragen. Dies gilt ohne weiteres in den gesetzlich geregelten Grundfällen, daß jemand einen nicht bestehenden Anspruch behauptet oder sich unberechtigt gegen seine Inanspruchnahme wehrt (§ 91 ZPO), daß er das Verfahren unnötig verzögert (§§ 95, 96, 344, 380, 409 ZPO) oder die Durchführung eines von ihm eingeleiteten Verfahrens abbricht (§§ 269, 494a, 516, 565 ZPO). Die vorliegende Konstellation ist dadurch gekennzeichnet, daß zwei Folgen des Veranlassungsprinzips aufeinander treffen. Für die Klagerücknahme gilt, daß derjenige, der zurücknimmt, zahlen soll und wegen des vorangegangenen Versäumnisurteils gilt der Grundsatz, daß der Säumige die Kosten der Säumnis trägt. Beide Postulate schließen sich aber nicht gegenseitig aus, haben vielmehr nebeneinander Geltung und sind in ein und derselben Kostenentscheidung sachgerecht zu verwirklichen. Denn die Säumnis ist nicht durch die Klageerhebung veranlaßt.

d) Schließlich sprechen angesichts des geltenden Kostenrechts auch prozeßökonomische Gesichtspunkte für eine im Sinne des § 344 ZPO differenzierte Kostenverteilung bei der Klagerücknahme. Seit Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 vom 24. Juni 1994 (BGBl. I, 1325) wäre die Klagerücknahme ohne Aussonderung der Säumniskosten teurer als ein klageabweisendes Urteil, so daß der gebührenrechtliche Anreiz zur freiwilligen Prozeßbeendigung mit Entlastungswirkung für das Gericht ausbliebe.

Bis zum Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 am 1. Juli 1994 fiel bei Klagerücknahme nach mündlicher Verhandlung lediglich eine Gerichtsgebühr an, und für das echte Versäumnisurteil entstand keine zusätzliche Gebühr. Daher war die Klagerücknahme auch dann der kostengünstigere Weg der Erledigung gegenüber dem streitigen Endurteil, wenn dem Kläger gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO - unter Außerachtlassung der Säumnis des Beklagten - sämtliche Kosten des Rechtsstreits auferlegt wurden, weil er zwei Urteilsgebühren sparte.

Seit der Geltung des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 gibt es für den Fall eines vorangegangenen Versäumnisurteils keine gebührenrechtliche Privilegierung der Klagerücknahme gegenüber der streitigen Entscheidung mehr, weil die zu Beginn nach Nr. 1210 KV GKG (Nr. 1201 KV GKG a.F.) angefallene dreifache Verfahrensgebühr wegen des vorausgegangenen (Versäumnis)Urteils trotz Klagerücknahme nicht gemäß Nr. 1211 a) KV GKG (Nr. 1202 a) KV GKG a.F.) reduziert wird (LG Berlin, JurBüro 1995, 430 f.; HansOLG Hamburg, JurBüro 1996, 488; OLG Hamm, OLGR 1996, 72; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 638 f.; OLG München, MDR 1996, 968; JurBüro 1997, 95 f.; Hans-OLG Bremen, OLGR 2001, 34). Würden den Kläger auch noch die Säumniskosten treffen, wie etwa die halbe Verhandlungsgebühr seines Rechtsanwalts für die Beantragung des Versäumnisurteils (§§ 11, 33 Abs. 1 Satz 1 BRAGO), die gemäß § 38 Abs. 2 BRAGO nicht auf die im Einspruchstermin angefallene Verhandlungs- oder Erörterungsgebühr angerechnet wird, zuzüglich Mehrwertsteuer (§ 25 Abs. 2 BRAGO), evtl. Reisekosten zur Wahrnehmung des Einspruchstermins, Kosten für eine zusätzliche oder nochmalige Ladung von Zeugen sowie deren Verdienstausfall, würde die kostenmäßige Begünstigung der Klagerücknahme vollständig entfallen und der Klagerücknahme in der Praxis eine Grundlage entzogen (HansOLG Bremen, OLGR 2001, 34).

3. Eine Aussonderung der durch den Beklagten verursachten Säumniskosten scheidet indessen im Streitfalle aus, weil die Voraussetzungen des § 344 ZPO entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht erfüllt sind.

a) § 344 ZPO greift nur ein, wenn das Versäumnisurteil nach §§ 330 ff. ZPO in gesetzlicher Weise ergangen ist. Der Beklagte ist vom Gericht zwar mit der vorgesehenen Belehrung aufgefordert worden, seine Verteidigungsabsicht anzuzeigen (§ 276 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Die Klägerin hat auch einen Antrag auf Erlaß eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren nach § 331 Abs. 3 ZPO gestellt. Aber der Erlaß des Versäumnisurteils verstößt gegen die Vorschrift des § 337 S. 1 ZPO, die auf die beklagte Partei, die im schriftlichen Vorverfahren keine Verteidigungsanzeige macht, entsprechend anzuwenden ist (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl. 2003, § 337 Rdn. 4). Denn die Säumnis des Beklagten ist unverschuldet. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das fehlende Verschulden des Beklagten am Erscheinen für das Gericht, woran es hier fehlte, erkennbar war. Maßgeblich ist allein die objektive Rechtslage (BGH NJW 1961, 2207; statt aller: Musielak/Stadler aaO, § 344 Rdn. 2).

b) Für den Begriff des Verschuldens im Sinne des § 337 Satz 1 ZPO ist die Rechtsprechung zum Wiedereinsetzungsgrund nach § 233 ZPO heranzuziehen (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 337 Rdn. 3; Musielak/Stadler aaO, § 337 Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO, § 344 Rdn. 4). Danach muß eine Partei, die nicht bereits in einen Prozeß verwickelt ist und auch nicht mit dem Beginn eines Verfahrens rechnen muß, keine allgemeinen Vorkehrungen für eine mögliche Fristwahrung treffen (RGZ 78, 121, 125; BGH, Beschl. v. 7. Mai 1986, VIII ZB 16/86, NJW 1986, 2958; Stein/Jonas/Roth aaO, § 233 Rdn. 64 "Abwesenheit" a); Musielak/Grandel aaO, § 233 Rdn. 6). Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung (BVerfGE 34, 154, 156 f.; NJW 1976, 1537; NJW 1993, 847 m. w. N.) bei einer Urlaubsabwesenheit von "längstens etwa sechs Wochen" die Zumutbarkeit besonderer Vorkehrungen wegen der möglichen, aber zeitlich ungewissen Zustellung - in jenen Fällen eines Bußgeldbescheids oder Strafbefehls - sogar dann verneint, wenn der Betroffene vorher zu der Beschuldigung polizeilich vernommen worden war (BVerfGE 34, 156). Hier handelt es sich um eine Urlaubsabwesenheit von einem Monat. Der Beklagte hatte auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß ihm während seiner Abwesenheit eine Räumungsklage zugestellt würde. Es war im Gegenteil ungewiß, ob die Klägerin ihren Anspruch weiterverfolgen und wenn ja, ob und wann sie ein gerichtliches Verfahren gegen den Beklagten einleiten würde. Denn die von der Klägerin bis zum 31. Mai 2002 gesetzte Räumungsfrist lag zum Zeitpunkt des Urlaubsreiseantritts des Beklagten bereits zweieinhalb Monate zurück und die Klägerin hatte weder bei der Fristsetzung noch nach deren fruchtlosem Ablauf gerichtliche Schritte angekündigt.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren folgt aus §§ 25 Abs. 2 Satz 1, 14 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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