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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 03.05.2001
Aktenzeichen: V ZB 7/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 62
ZPO § 234 Abs. 1
ZPO § 139
ZPO § 97 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

V ZB 7/01

vom

3. Mai 2001

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 3. Mai 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Schneider, Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein und Dr. Gaier

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 30. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, vom 20. Dezember 2000 wird auf Kosten der Beklagten zu 1 und 2 zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Verfahren der sofortigen Beschwerde beträgt 354.524,16 DM.

Gründe:

I.

Durch die Vermittlung des Beklagten zu 3 kauften die Kläger von den Beklagten zu 1 und 2, verbunden in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, eine Eigentumswohnung. Sie verlangen wegen unzutreffender Angaben über die Wirtschaftlichkeit des Objekts von allen drei Beklagten Schadensersatz in Höhe von 354.524,16 DM nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Herausgabe des mittelbaren Besitzes an der Eigentumswohnung.

Das der Klage stattgebende Urteil des Landgerichts wurde den Beklagten zu 1 und 2 zu Händen ihres damaligen Prozeßbevollmächtigten am 11. August 2000 zugestellt. Während der Beklagte zu 3, dem das Urteil zu Händen seines Prozeßbevollmächtigten am 14. August 2000 zugestellt worden war, rechtzeitig Berufung einlegte, gingen die Berufungsschriftsätze der Beklagten zu 1 und 2, verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungsfrist, erst am 11. Oktober 2000 bei dem Oberlandesgericht ein.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Beklagte zu 1 vorgetragen, er habe sich Anfang August 2000 auf eine ca. einjährige Auslandsreise begeben. Sein Vater sei mit der Entgegennahme der eingehenden Post beauftragt gewesen, habe mangels Sachkenntnis aber keine Entscheidung über die Frage einer Berufungseinlegung treffen können. Daher habe er den Geschäftsführer der Beklagten zu 2 gebeten, die weitere Prozeßabwicklung, insbesondere auch die Durchführung eines möglichen Berufungsverfahrens, in die Hand zu nehmen. Im übrigen hat er sich die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags der Beklagten zu 2 zu eigen gemacht.

Diese hat vorgetragen und durch eidesstattliche Versicherung der Sekretärin ihres Geschäftsführers glaubhaft gemacht, daß es der Sekretärin obgelegen habe, die eingehende Post zu ordnen und für den Geschäftsführer vorzubereiten. So sei diese auch am 21. August 2000 verfahren, dem Tag, an dem der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte das landgerichtliche Urteil übersandt und um Mitteilung gebeten habe, ob dagegen Berufung eingelegt werden solle. Wegen Umbauarbeiten in den Büroräumen und weil der Geschäftsführer abwesend und sein Büro verschlossen gewesen sei, habe sie die Post auf einem Sideboard abgelegt, welches dann aber im Zuge der Bauarbeiten abgedeckt worden sei, so daß die Post aus dem Blick und in Vergessenheit geraten sei. Erst am 28. September 2000 sei das Schreiben beim Wiedereinräumen des Büros wiedergefunden worden.

Die Beklagten zu 1 und 2 haben sich ferner auf den Standpunkt gestellt, sie bildeten zusammen mit dem Beklagten zu 3 eine notwendige Streitgenossenschaft, so daß ihnen dessen rechtzeitige Berufungseinlegung zugute komme.

Das Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzungsanträge zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten zu 1 und 2 als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 1 und 2, deren Zurückweisung die Kläger beantragen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten zu 1 und 2 ist nicht begründet.

Das Berufungsgericht hat die Berufungen der Beklagten zu 1 und 2 zu Recht als unzulässig verworfen (§ 519 b Abs. 1 Satz 2 ZPO), weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist (§ 516 ZPO) seit Zustellung des angefochtenen Urteils bei Gericht eingegangen sind.

1. Den Beklagten zu 1 und 2 kommt die rechtzeitige Berufungseinlegung des Beklagten zu 3 nicht zugute. Dies wäre nur unter den Voraussetzungen des § 62 ZPO der Fall, die hier jedoch - wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat - nicht vorliegen. Der Umstand, daß die Beklagten zum Schadensersatz Zug um Zug gegen Herausgabe des mittelbaren Besitzes verurteilt worden sind, führt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Zug-um-Zug-Verurteilung hat nur Bedeutung für denjenigen Beklagten, der zum Schadensersatz verurteilt worden ist, bedingt aber nicht eine einheitliche Entscheidung gegenüber allen Beklagten.

2. Nicht zu beanstanden ist auch, daß das Berufungsgericht den Beklagten zu 1 und 2 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist versagt hat. Die geltend gemachten Gründe schließen ein Verschulden an der Fristversäumung nicht aus (§ 233 ZPO).

a) Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu 1

Der Beschwerde ist zuzugeben, daß es dem Beklagten zu 1 nicht zum Nachteil gereicht, daß er vor Antritt seiner längeren Auslandsreise nicht vorsorglich Auftrag zur Einlegung der Berufung gegen ein möglicherweise für ihn nachteiliges Urteil erteilt hat. Schon aus Kostengründen muß es der Partei vorbehalten bleiben, über die Einlegung der Berufung erst nach Zustellung des vollständigen Urteils zu entscheiden. Erst dann kann sie sich vernünftigerweise über die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels schlüssig werden.

Der Beklagte zu 1 hat aber ein Verschulden an der Fristversäumung deshalb nicht ausgeräumt, weil er nicht dargelegt und glaubhaft gemacht hat, daß er zumutbare Vorkehrungen getroffen hat um sicherzustellen, daß während seines langen Auslandsaufenthaltes eine sachgerechte und gegebenenfalls fristwahrende Reaktion auf die zu erwartende Entscheidung in dem anhängigen Rechtsstreit in die Wege geleitet würde (vgl. Senat, Beschl. v. 2. April 1998, V ZB 29/97, Umdruck S. 4, unveröffentlicht; BVerfG NJW 1993, 847). Der Beklagte zu 1 wußte aufgrund seiner Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 2000, daß das Landgericht am 21. Juli 2000 eine Entscheidung verkünden würde. Er mußte damit rechnen, daß diese zu seinen Ungunsten ausgehen könnte, so daß sich die Frage nach der Einlegung eines Rechtsmittels stellen würde, und zwar zu einem Zeitpunkt, da er sich bereits im Ausland aufhalten würde. In dieser Situation muß von einer, zumal rechtlich nicht unerfahrenen, Partei verlangt werden, daß sie zum Schutze der eigenen Interessen naheliegende und zumutbare Anstrengungen unternimmt, um zu vermeiden, daß sie durch ihre Abwesenheit Rechtsnachteile erleidet (vgl. Senat aaO; BGH, Beschl. v. 24. Juli 2000, II ZB 22/99, NJW 2000, 3143).

Der Vortrag des Beklagten zu 1 läßt nicht erkennen, daß die von ihm getroffenen Vorkehrungen den Anforderungen genügten. In der Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs hat er lediglich angegeben, er habe den Geschäftsführer der Beklagten zu 2 gebeten, sich im gemeinsamen Interesse um die Berufungseinlegung zu kümmern. Dies läßt offen, ob der Geschäftsführer Vollmacht hatte, frei zu entscheiden, ob er gegebenenfalls auch für ihn Berufung einlegen sollte oder ob er mit ihm zuvor Kontakt aufnehmen und die Frage besprechen sollte. Daß auf diese Weise sichergestellt war, daß für ihn rechtzeitig Berufung eingelegt würde, kann dem Vortrag nicht entnommen werden. Zudem fehlt es an einer Glaubhaftmachung.

In einem späteren Schriftsatz - nach Anwaltswechsel - hat er darüber hinaus vortragen lassen, er habe seinen Vater gebeten, die eingehende Post entgegenzunehmen. Dieser sei aber mangels jeglicher Sachkenntnis nicht in der Lage gewesen, über die Frage der Berufungseinlegung eine Entscheidung zu treffen. Abgesehen davon, daß dieser neue Vortrag nach Ablauf der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gebracht worden und daher grundsätzlich nur zu berücksichtigen ist, wenn man darin eine Erläuterung oder Vervollständigung des bisherigen Vorbringens erblicken kann (vgl. BGH, Beschl. v. 20. Mai 1992, XII ZB 43/92, BGHR ZPO § 234 Abs. 1, Begründung 6), so wird nicht erkennbar, inwieweit dies für eine Fristwahrung hätte bedeutsam werden können. Möglicherweise soll diese Darstellung die Angaben des Geschäftsführers der Beklagten zu 2 relativieren, der unter Versicherung an Eides Statt erklärt hat, er würde hinsichtlich der Einlegung eines Rechtsmittels statt des Beklagten zu 1 dessen Vater konsultiert haben, den jener nämlich mit einer Generalvollmacht versehen habe. Das deckt sich gleichwohl nicht mit dem Vortrag des Beklagten zu 1, der seinem Vater solche Entscheidungen gerade nicht zugetraut haben will. Berücksichtigt man diese zum Teil differierenden Angaben, so wird noch deutlicher, daß der Beklagte zu 1 keine klare Regelung für die Zeit seiner Abwesenheit getroffen hat, die geeignet gewesen wäre, Rechtsnachteile zu vermeiden. Soweit die Beschwerde nunmehr versucht, die widersprüchlichen Angaben dadurch zu glätten, daß sie darlegt, der Vater des Beklagten zu 1 habe zwar keine Sachkenntnis gehabt, sei aber, beraten durch den Geschäftsführer der Beklagten zu 2, befugt gewesen, der Einlegung eines Rechtsmittels zuzustimmen, rechtfertigt dies keine andere Bewertung, verstärkt vielmehr die Zweifel an der Richtigkeit des Vortrags insgesamt.

b) Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zu 2

Die Beklagte zu 2 war ebenfalls nicht ohne ihr Verschulden verhindert, die Berufungsfrist einzuhalten (§ 233 ZPO).

Fernliegend sind die von der Beschwerde angestellten Überlegungen, die Beklagte zu 2 habe, auch ohne einen ausdrücklichen Auftrag erteilt zu haben, davon ausgehen dürfen, daß ihr Prozeßbevollmächtigter von sich aus gegen das Urteil Berufung einlegen werde. Sie teilt auch nicht einmal mit, ob er hierzu überhaupt bevollmächtigt gewesen wäre.

Ohne Erfolg wendet sie sich ferner gegen die Bejahung eines Organisationsverschuldens der Beklagten zu 2. Angesichts der von der Sekretärin des Geschäftsführers der Beklagten zu 2 geschilderten Umstände des Umbaus in den Büroräumen war der (zeitweilige) Verlust wichtiger Post nahezu vorprogrammiert. Jedenfalls bestand die naheliegende Gefahr, der der Geschäftsführer der Beklagten zu 2 nicht Rechnung getragen hat. Das Büro der Sekretärin wurde vergrößert, eine Wand wurde versetzt. Sie konnte das Zimmer nicht voll nutzen, teilweise nicht einmal betreten. Ferner war sie während der Abwesenheit des Geschäftsführers zusätzlich mit der Organisation des Umbaus betraut und mußte Probleme mit Handwerkern klären. Daß infolgedessen eine geordnete Arbeit nicht möglich war, lag auf der Hand. Angesichts dessen hätte es einer klaren Anweisung bedurft, wie mit eingehender Post zu verfahren sei, insbesondere mit solcher, deren Bearbeitung fristgebunden war. Daran fehlte es.

In der Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs werden Anweisungen des Geschäftsführers nicht dargelegt. Die Begründung nimmt vielmehr Bezug auf die eidesstattliche Versicherung der Sekretärin des Geschäftsführers zu 2, die anschaulich schildert, daß am Empfang aufgrund von herumstehenden Möbeln aus den ausgeräumten Büros kein Platz zum Öffnen der Post gewesen sei und daß sie deshalb die Post in ihr eigenes Büro mitgenommen habe (das sie aber zeitweilig gar nicht nutzen konnte). Eine Verteilung der Post war auch nicht regelmäßig möglich, weil der Geschäftsführer nicht ständig im Hause und während seiner Abwesenheit sein Büro nicht zugänglich war. Für eine Zwischenablage gab es offensichtlich keine rechte Möglichkeit, so daß ein Sideboard auf dem Gang hierzu dienen mußte, das aber auch von den Umbaumaßnahmen in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Erstmals in einem Schriftsatz vom 13. November 2000, und damit verspätet (§ 234 Abs. 1 ZPO), trägt die Beklagte zu 2 vor, der Geschäftsführer habe seiner Sekretärin die Anweisung gegeben, die Post "zunächst während seiner Abwesenheit in ihrem Büro zu ordnen und ihm dann persönlich während seiner Anwesenheit auszuhändigen". Abgesehen davon, daß dieser neue Vortrag keine Berücksichtigung finden kann (vgl. nur BGH, Beschl. v. 20. Mai 1992, XII ZB 43/92, BGHR ZPO § 234 Abs. 1, Begründung 6; Beschl. v. 8. April 1997, VI ZB 8/97, BGHR ZPO § 234 Abs. 1, Begründung 7; Beschl. v. 27. Februar 1997, I ZB 50/96, BGHR ZPO § 234 Abs. 1, Begründung 8), da es sich hierbei nicht um eine bloße Klarstellung oder Vervollständigung bislang lückenhaften und der Aufklärung nach § 139 ZPO bedürftigen Vortrags gehandelt hat (dazu BGH, Beschl. v. 6. Mai 1999, VII ZB 6/99, BGHR ZPO § 234 Abs. 1, Begründung 10 m.w.N.), ist er auch nicht glaubhaft gemacht. Weder die Sekretärin noch der Geschäftsführer selbst erwähnen eine dahingehende Anweisung; die Schilderung der Sekretärin steht ihr - wie dargestellt - sogar entgegen. Im übrigen wäre eine solche Anweisung angesichts der besonderen Umstände auch nicht ausreichend gewesen, weil sie der Sekretärin letztlich nichts Verläßliches an die Hand gegeben hätte, um in der bestehenden Unordnung die Übersicht zu behalten.

III.

Die Kostentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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