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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 02.10.1998
Aktenzeichen: V ZR 301/97
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1018
BGB § 1018

Eine wechselseitig zugunsten und zu Lasten der Eigentümer verschiedener Grundstücke bestellte Wegedienstbarkeit zur Sicherung einer ungehinderten Verbindung zur öffentlichen Straße gibt einem Teileigentümer des herrschenden Grundstücks nicht das Recht, das dienende Nachbargrundstück in Anspruch zu nehmen, um die öffentliche Straße auf einem Umweg zu erreichen, wenn die herrschende Eigentümergemeinschaft sich die unmittelbare Zufahrt auf ihrem Grundstück nachträglich verbaut hat.

BGH, Urt. v. 2. Oktober 1998 - V ZR 301/97 - OLG München LG München I


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 301/97

Verkündet am: 2. Oktober 1998

Kanik Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

(Seiten 2 bis 5: anonymisierte Revisionskläger)

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. Oktober 1998 durch die Richter Dr. Vogt, Dr. Wenzel, Tropf, Schneider und Dr. Klein

für Recht erkannt:

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 1. Juli 1997 aufgehoben und das Urteil des Landgerichts München I vom 22. September 1994 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger ist Mitglied der Eigentümergemeinschaft R. Straße , M. (Flurstück 12944/3), und zwar Eigentümer einer Teileigentumseinheit, nämlich einer Halle, die im südlichen Bereich der auf demselben Grundstück befindlichen mehrgeschossigen Tiefgarage - Ebene 1 - an der Grenze zum Grundstück der Beklagten liegt. Die Beklagten sind die Wohnungseigentümer eines auf den benachbarten Flurstücken 12944/4, 12944/5, 12944/6 und 12944/7 errichteten Seniorenheims. Sämtliche Grundstücke gehörten ehemals Herrn G. H.. Dieser räumte 1962 zugunsten und zu Lasten der jeweiligen Eigentümer jedes einzelnen Flurstücks an allen jeweils anderen Grundstücken wechselseitig das Recht ein, über die einzelnen dienenden Grundstücke jederzeit zu gehen und zu fahren und dies auch Dritten zu gestatten. In der notariellen Urkunde über die Bestellung der Dienstbarkeit heißt es weiterhin: "Diese gegenseitigen Geh- und Fahrtrechte sind auszuüben auf erst anzulegenden privaten Ein- und Ausfahrtswegen. Ein solcher Fahrtweg soll auf den Flurstücken Nr. 12944/4, 12944/5, 12944/6 und 12944/7 (G. Straße,und) ungefähr parallel zu deren nordwestlicher Begrenzungslinie verlaufen, und zwar westlich der auf diesen Grundstücken zu errichtenden Gebäude; zwei weitere Wege sollen auf dem Flurstück 12944/3 (R. Straße) je nördlich und südlich eines auf diesem Grundstück etwa zentral zu errichtenden sog. Punktwohnblocks angelegt werden. Diese Wege sollen zusammen für die jeweiligen Eigentümer des jeweils herrschenden Grundstücks die ungehinderte Verbindung zur R. Straße und zurück gewährleisten, welche nordwestlich aller Grundstücke verläuft".

Die Halle des Klägers war zunächst unmittelbar über die Ebene 1 der Tiefgarage zu erreichen. Anfang der 80er Jahre wurde diese Zufahrt zugemauert, um Tiefgaragenplätze zu schaffen. Seither nimmt der Fahrzeugverkehr den Weg durch die Tiefgarage hindurch zu der auf dem Gelände der Beklagten befindlichen schachtartigen Lieferantenzufahrt für das Seniorenheim, um später wieder in die Tiefgarage einzubiegen und durch ein grünes Flügeltor zur Halle abzubiegen. Unmittelbar neben dem Fahrgraben befinden sich der Speisesaal und die Aufenthaltsräume, im Stockwerk darüber die Pflegestation des Seniorenwohnheims. Wegen der durch den verstärkten Lkw-Verkehr verursachten Lärm- und Abgasbelästigungen erwirkten die Beklagten gegen den damaligen Mieter der Halle in dem Verfahren 3 O vor dem Landgericht München ein rechtskräftiges Unterlassungsurteil.

Der Kläger hat Feststellung beantragt, daß er berechtigt sei, den Zugang und die Zufahrt zu den ihm gehörigen Hallenflächen durch das grüne Flügeltor im südlichen Tiefgaragenbereich und auf dem entlang des Wohngebäudes G. Straße verlaufenden Fahrtweg aufgrund der am 23. Januar 1962 bestellten Grunddienstbarkeit zu benutzen. Hilfsweise hat er beantragt, die Beklagten zu verurteilen, die Benutzung der Tiefgaragenabfahrt von der R. Straße aus zu ihrem Grundstück G. Straße , rückwärtiger Teil, zu unterlassen.

Das Landgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Beklagten nach einer im Wege der Anschlußberufung erfolgten Klageänderung verurteilt zu dulden, daß der Kläger den Zugang und die Zufahrt durch das derzeit grüne Flügeltor zu den ihm gehörenden Hallenflächen an der südlichen Grundstücksgrenze der Tiefgarage benutzt und Dritten diese Nutzung gestattet. Hiergegen richtet sich die Revision.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, das durch die Grunddienstbarkeit gesicherte Geh- und Fahrtrecht erstrecke sich auf alle vorhandenen ober- und unterirdischen Wege auf beiden Grundstücken. Die in der Bestellungsurkunde beschriebenen, erst anzulegenden Ein- und Ausfahrtswege seien nur beispielhaft erwähnt und enthielten keine örtliche Beschränkung. Denn es sei lebensfremd anzunehmen, daß sich der frühere Grundstückseigentümer für die Verwertung seiner Grundstücke Selbstbeschränkungen auferlegen und von der Möglichkeit einer umfassenden Belastung des Grundstücks zugunsten des jeweiligen anderen zum Zwecke einer optimalen Verwertung keinen Gebrauch machen wollte. Daher komme es nicht darauf an, ob sich die Eigentümer des Grundstücks R. Straße die ursprünglich bestehende Zufahrt zur Halle des Klägers durch die Tiefgarage hindurch selbst verbaut haben. Dies hält der Revision nicht stand.

II.

1. Zu Recht vertritt das Berufungsgericht allerdings die Auffassung, daß der Kläger den geltend gemachten Anspruch ohne Mitwirkung der übrigen Wohnungs- und Teileigentümer geltend machen kann. Denn der Abwehranspruch nach § 1027 i.V.m. § 1004 Abs. 1 BGB steht jedem einzelnen der aus der Dienstbarkeit berechtigten Miteigentümer zu. Demgemäß besteht auch kein Zwang zu gemeinsamer Prozeßführung (BGHZ 92, 351; Senatsurt. v. 25. Oktober 1991, V ZR 196/90, NJW 1992, 1101). Der Kläger ist nach Aufteilung des herrschenden Grundstücks in Wohnungs- bzw. Teileigentumsrechte als Miteigentümer berechtigt, weil die Grunddienstbarkeit für die einzelnen Teile grundsätzlich fortbesteht (§ 1025 Satz 1 BGB). Dabei kann offenbleiben, ob durch die Teilung kraft Gesetzes mehrere Einzelgrunddienstbarkeiten (so Staudinger/Ring, BGB, 12. Aufl., § 1025 Rdn. 3) oder eine Gesamtgrunddienstbarkeit entstanden ist (Staudinger/Ring (1994) § 1025 Rdn. 3; MünchKomm-BGB/Heickenberg, § 1025 Rdn. 2 jew. m.w.N.). Denn auch bei Annahme einer Gesamtgrunddienstbarkeit kann jeder neue Miteigentümer des herrschenden Grundstücks von dem Eigentümer des dienenden Grundstücks Unterlassung und Beseitigung der Störung des bestehenden Rechts allein verlangen (vgl. BGHZ 46, 253, 259 zum Wohnungsrecht). Der Miteigentümer macht dann nicht einen (gemeinschaftlichen) Anspruch auch der anderen Miteigentümer im Wege der Prozeßstandschaft (§ 1011 BGB) geltend, sondern ein Recht aus seinem Eigentumsbruchteil (MünchKomm-BGB/Schmidt, 3. Aufl., § 1011 Rdn. 1).

2. Nicht gefolgt werden kann dagegen der Auffassung des Berufungsgerichts, das Klagebegehren werde von der Grunddienstbarkeit gedeckt. Bei der vom Senat selbst vorzunehmenden Auslegung des Grundbuchinhalts (BGHZ 37, 147, 149; Senatsurt. v. 3. Juli 1992, V ZR 218/91, NJW 1992, 2885, 2886; Senatsurt. v. 30. September 1994, V ZR 1/94, NJW-RR 1995, 15, 16) ist vorrangig auf Wortlaut und Sinn der Grundbucheintragung und der dazu in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung abzustellen, wie es sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt. Umstände außerhalb dieser Urkunde dürfen nur dann mit herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (BGHZ 92, 351, 355; Senatsurteile v. 3. Juli 1992, V ZR 218/91, aaO; v. 30. September 1994, V ZR 1/94, aaO).

a) Aus der in der Bewilligung in Bezug genommenen Dienstbarkeitsbestellung ergibt sich, daß die Dienstbarkeit die "ungehinderte Verbindung zur R. Straße und zurück" im Hinblick auf die in Aussicht genommene Bebauung des Grundstücks R. Straße mit einem Punktwohnblock und die Wohngebäude an der G. Straße gewährleisten sollte. Von der Errichtung einer mehrstöckingen Tiefgarage mit Gewerberäumen zwischen diesen Gebäuden ist selbst andeutungsweise ebensowenig die Rede, wie davon, daß der beschriebene Verlauf der noch anzulegenden Wege nur beispielhafte Bedeutung haben sollte. Beides war für einen verständigen Dritten auch sonst nicht ohne weiteres erkennbar. Maßgebend hierfür ist der Zeitpunkt der Eintragung. Eine spätere für den unbefangenen Betrachter nicht voraussehbare tatsächliche Veränderung des Grundstücks kann der Grunddienstbarkeit keinen anderen Inhalt geben. Soweit das Berufungsgericht meint, es sei lebensfremd anzunehmen, daß sich der als Bauträger bekannte Grundstückseigentümer für die Verwertung seiner Grundstücke Selbstbeschränkungen auferlegen und nur die oberirdischen Zufahrten schaffen wollte, kann offenbleiben, ob es einen entsprechenden Erfahrungssatz tatsächlich gibt. Jedenfalls hat sich der Grundstückseigentümer bei der Bestellung der Dienstbarkeit von ihm nicht erkennbar leiten lassen. Gerade weil er als Bauträger bekannt war, mußte ein verständiger Dritter annehmen, daß er die Grunddienstbarkeit im Hinblick auf ein fertiges Bebauungskonzept bestellt hat und der Verlauf der noch anzulegenden Wege nicht nur beispielhaft beschrieben war. Sonst hätte es nahegelegen, weder die Zahl noch die Lage der oberirdisch anzulegenden Wege auch nur zu erwähnen. Nachdem zwischen den Gebäuden ein nicht vorgesehenes unterirdisches mehrstöckiges Zwischengebäude errichtet worden ist, das eine Ausübung der Dienstbarkeit auf den dafür bei Bestellung vorgesehenen oberirdischen Wegen nicht mehr ermöglicht, kann offenbleiben, ob und ggf. wie die Dienstbarkeit auf den Grundstücken überhaupt noch ausgeübt werden kann. Jedenfalls gibt sie dem Kläger nicht das Recht, den auf dem Grundstück der Beklagten befindlichen Fahrschacht zu benutzen.

b) Fehlerfrei nimmt das Berufungsgericht allerdings an, daß der Umfang einer Dienstbarkeit mit dem Bedürfnis des herrschenden Grundstücks wachsen kann, wenn sich die Bedarfssteigerung in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung dieses Grundstücks hält und nicht auf eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht vorhersehbare oder willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen ist (st. Rspr., BGHZ 44, 171, 172 ff; Senatsurt. v. 30. September 1994, V ZR 1/94, NJW-RR 1995, 15, 16). Dies führt die Klage jedoch nicht zum Erfolg.

Geht man davon aus, daß die Grunddienstbarkeit auch den Eigentümern des Grundstücks R. Straße ein Geh- und Fahrtrecht über die Grundstücke G. Straße einräumt, und sieht man in der Errichtung des unterirdischen mehrstöckingen Zwischengebäudes noch keine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung unvorhersehbare oder willkürliche Benutzungsänderung des herrschenden Grundstücks R. Straße, scheitert die Inanspruchnahme des streitigen Fahrgrabens jedenfalls daran, daß der entsprechende Bedarf für die von dem Kläger beanspruchte Zufahrt erst dadurch entstanden ist, daß die bis dahin mögliche Zufahrt zur Halle durch die Tiefgarage verbaut wurde, um zusätzliche Pkw-Stellplätze zu schaffen. Daß die Eigentümergemeinschaft R. Straße die Zufahrt zu Teilen ihres Grundstücks, die noch dazu gewerblich genutzt werden, selbst verbauen und die betroffenen Teileigentümer auf eine Umfahrung über das Grundstück der Beklagten vorbei an dem Speisesaal und der Pflegestation des Seniorenwohnheims verweisen würde, ist eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht vorhersehbare, willkürliche Benutzungsänderung. Der hierauf beruhende Bedarf auf Inanspruchnahme des auf dem Nachbargrundstück lastenden Wegerechts wird daher von dem Umfang der Grunddienstbarkeit nicht mehr gedeckt.

Insgesamt hat das angefochtene Urteil keinen Bestand und ist die Klage als unschlüssig abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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