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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.03.2002
Aktenzeichen: V ZR 41/01
Rechtsgebiete: EGBGB, BGB, ZPO


Vorschriften:

EGBGB § 5
BGB § 275 Abs. 1 a.F.
BGB § 323 Abs. 3
BGB § 818 a.F.
ZPO § 278 Abs. 3 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 41/01

Verkündet am: 22. März 2002

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Schneider, Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein und Dr. Gaier

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 27. Dezember 2000 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Eltern des Beklagten zu 1, W. und D. H. (Erblasserin), waren Eigentümer eines Einfamilienhausgrundstücks (Reichsheimstätte) in B. Durch Vertrag vom 14. Mai 1976 übertrugen sie das Grundstück dem Beklagten zu 1, ihrem jüngsten Sohn, der das Obergeschoß des Hauses bewohnte. Als Gegenleistung verpflichtete er sich unter anderem zur Bestellung eines Wohnrechts zugunsten der Übertragenden und zu ihrer lebenslänglichen Pflege. Nach dem Vertrag waren die Übertragenden "ohne weiteres" zum Rücktritt berechtigt, sofern der Beklagte zu 1 seiner Verpflichtung "trotz erfolgter einmaliger Aufforderung" nicht nachkäme.

W. H. verstarb 1979. Später heiratete der Beklagte zu 1 die Beklagte zu 2. Sie zog mit in das Haus ein und leistete die Pflege der Erblasserin, für die seit September 1996 Leistungen nach Stufe 1 der Pflegeversicherung erbracht wurden.

1998 verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Erblasserin. Im März 1999 wurde sie stationär behandelt, anschließend wurde sie zur Kurzzeitpflege in das "Haus F." aufgenommen. Am 6. Mai 1999 wurde für sie Betreuung zur Sorge für ihre Gesundheit angeordnet, weil sie die Einwilligung in eine notwendige Blasenoperation selbst nicht wirksam erteilen konnte. Nach dieser Operation kehrte sie am 17. Mai 1999 in das "Haus F." zurück. Von dort aus wurde am 2. Juni 1999 ein Antrag auf Höherstufung in der Pflegeversicherung gestellt. Am 7. Juli 1999 nahm die Klägerin, eine Schwester des Beklagten zu 1, die Erblasserin in ihr Haus auf, wo sie im Hinblick auf den Antrag vom 2. Juni 1999 am 15. September 1999 untersucht wurde.

Mit Schreiben eines Bevollmächtigten vom 28. Juli 1999 verlangte die Erblasserin, in ihre Wohnung zurückzukehren. Dies lehnte der Beklagte zu 1 ab, weil der mit der Rückkehr der Erblasserin verbundene Pflegeaufwand so groß sei, daß er ihm nicht zugemutet werden könne. Die Erblasserin setzte daraufhin Nachfrist von acht Tagen und erklärte nach Ablauf dieser Frist mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 20. August 1999, von dem Vertrag vom 14. Mai 1976 zurückzutreten. Bis zu ihrem Tod am 3. November 1999 verblieb sie im Hause der Klägerin, wo sie von der Klägerin und deren Ehemann gepflegt wurde.

Die Klägerin ist Miterbin nach der Verstorbenen. Mit der Klage hat sie beantragt, den Beklagten zu 1 zur Auflassung des Grundstücks an die Erben und beide Beklagten zur Räumung und Herausgabe des Hauses an die Erben zu verurteilen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin durch Versäumnisurteil zurückgewiesen und dieses nach Einspruch der Klägerin aufrecht erhalten. Mit der Revision verfolgt sie ihre Anträge weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hält den Rücktritt der Erblasserin vom Vertrag für unwirksam. Es meint, der im Namen der Erblasserin erklärte Rücktritt scheitere schon daran, daß der Beklagte zu 1 seit dem Sommer 1999 nicht mehr zur Pflege der Erblasserin verpflichtet gewesen sei, weil sich ihr Gesundheitszustand so weit verschlechtert gehabt habe, daß dem Beklagten zu 1 ihre Pflege nicht mehr zuzumuten gewesen sei. Dies ergebe sich aus dem Attest ihres behandelnden Arztes und aus den Angaben der Klägerin anläßlich der Untersuchung der Erblasserin zur Höherstufung in der Pflegeversicherung und dem dort festgestellten Befund. Das habe die Klägerin in der Berufungsbegründung nicht substantiiert in Abrede gestellt. Die Ergänzung ihres Vorbringens hierzu in der Begründung des Einspruchs gegen das zurückweisende Versäumnisurteil sei verspätet. Eine Rückkehr in ihre Wohnung ohne eine Wiederaufnahme der Pflege durch den Beklagten zu 1 habe die Erblasserin nicht verlangt.

Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Rechtsstreit ist nicht zur Entscheidung reif.

II.

Auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien findet gemäß Art. 229 § 5 EGBGB das Bürgerliche Gesetzbuch in seiner bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung Anwendung.

1. Das Berufungsgericht geht in Übereinstimmung mit den Parteien davon aus, daß das im Vertrag vom 14. Mai 1976 vereinbarte Rücktrittsrecht seit dem Tod von W. H. der Erblasserin allein zustand und daß sie bei wirksamer Ausübung dieses Rechts die Übertragung des Grundstücks auf sich verlangen konnte. Diese Auslegung des Vertrags nimmt die Revision als der Klägerin günstig hin. Sie ist möglich und läßt keinen Fehler erkennen.

2. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht dagegen darin, daß die von den Beklagten behauptete Verschlechterung des Gesundheitszustands der Erblasserin sie von der Pflege entbunden habe.

Bildet die Verpflichtung zur Pflege die Gegenleistung für die Übertragung eines Grundstücks und weigert sich der Übernehmende, den Übertragenden weiter zu pflegen, weil der Umfang der zur Versorgung des Übertragenden nötigen Pflege zugenommen hat, ist zunächst festzustellen, in welchem Umfang sich der Übernehmende zur Pflege des Übertragenden verpflichtet hat. Ergibt diese Feststellung, daß der Übernehmende zur Pflege des Übertragenden nur in dem Umfang verpflichtet ist, wie er sie neben seiner Berufstätigkeit leisten kann, und reicht eine häusliche Pflege in diesem Umfang zur Versorgung des Übertragenden nicht aus, führt dies nicht dazu, daß der Übernehmende von der Verpflichtung zur Pflege des Übertragenden nach § 275 Abs. 1 BGB a.F. frei wird und das als Gegenleistung übertragene Grundstück gemäß §§ 323 Abs. 3, 818 BGB a.F. zurückzugeben hat. In ergänzender Auslegung des Vertrages ist vielmehr zu prüfen, welche Rechtsfolge die Vertragsparteien vereinbart hätten, sofern sie eine solche Entwicklung bedacht hätten. Entsprechendes gilt, wenn bei uneingeschränkter Pflegeverpflichtung des Übernehmenden der Gesundheitszustand des Übertragenden sich so weit verschlechtert, daß seine häusliche Pflege durch den Übernehmenden nicht mehr in Betracht kommt. Die ergänzende Auslegung der Vereinbarungen im Übertragungsvertrag wird in einem solchen Fall regelmäßig dazu führen, daß der Übernehmende den Übertragenden zwar nicht mehr zu pflegen, sich jedoch an den Kosten seiner Pflege zu beteiligen hat (vgl. Senatsurt. 21. September 2001, V ZR 14/91, NJW 2002, 440, 441; ferner Senatsurt. v. 20. März 1981, V ZR 152/79, WM 1981, 657, 658; u. v. 23. September 1994, V ZR 113/93, WM 1994, 2166, 2167 u. v.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 326, 327; 1994, 201, 202).

3. Auch wenn sich der Gesundheitszustand der Erblasserin so weit verschlechtert hatte, daß ihre Pflege durch den Beklagten zu 1 ausschied, führte dies nicht dazu, daß der Beklagte zu 1 der Erblasserin die Rückkehr in ihre Wohnung verweigern durfte. Es war vielmehr Sache der Erblasserin, für eine anderweitige Pflege in ihrer Wohnung Sorge zu tragen. Die Weigerung des Beklagten zu 1, die Erblasserin in ihre Wohnung zurückkehren zu lassen, konnte jedoch nur dann das Recht zum Rücktritt vom Vertrag begründen, wenn die Erblasserin die Rückkehr ohne eine Wiederaufnahme ihrer Pflege vom Beklagten zu 1 verlangt hatte. Das ist aber nicht der Fall. Die Feststellung des Berufungsgerichts, die Erblasserin habe ein solches Verlangen nicht gestellt, hält dem Angriff der Revision stand. Die Schreiben des Bevollmächtigten der Erblasserin enthalten eine solche Einschränkung nicht. Nach dem Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 7. November 2000 "hätten" sich die Klägerin und ihr Ehemann bereit gefunden, mit der Erblasserin in deren Wohnung umzuziehen, um sie dort (anstelle des Beklagten zu 1) zu pflegen. Daß die Klägerin oder ihr Ehemann den Beklagten zu 1 namens der Erblasserin aufgefordert haben, die Erblasserin ohne ein Verlangen nach Pflege wieder in ihre Wohnung aufzunehmen, ist dem Schriftsatz vom 18. Dezember 2000 nicht zu entnehmen.

4. Die Feststellung, die Erblasserin sei seit Sommer 1999 so hinfällig gewesen, daß der Beklagte zu 1 zu ihrer Pflege nicht mehr verpflichtet gewesen sei, ist jedoch, wie die Revision zutreffend geltend macht, nicht rechtsfehlerfrei getroffen.

Das Landgericht hat gemeint, der Beklagte zu 1 sei zur Pflege der Erblasserin verpflichtet geblieben. Das Vorbringen der Beklagten, die Pflege der Erblasserin sei dem Beklagten zu 1 nicht mehr zuzumuten gewesen, sei nicht hinreichend substantiiert. Trotzdem habe die für die Erblasserin abgegebene Erklärung, vom Vertrag zurückzutreten, dessen Bestand unberührt gelassen, weil der Beklagte zu 1 erhebliche Aufwendungen zur Erhaltung des Hauses gemacht, die Erblasserin über Jahrzehnte mit ihm zusammengelebt und die Beklagte zu 2 sie ab Herbst 1996 gepflegt habe. Hiergegen hat sich die Klägerin mit der Berufung gewandt. Ein Anlaß zu Ausführungen zum Gesundheitszustand der Erblasserin bestand für sie nicht, zumal sie die Behauptung der Beklagten, die Erblasserin sei schon im Sommer 1999 so hinfällig gewesen, daß ihre Pflege von dem Beklagten zu 1 nicht mehr geschuldet gewesen sei, schon im ersten Rechtszug unter Antritt von Gegenbeweis bestritten hatte. Wenn das Berufungsgericht den Vortrag der Beklagten zum Gesundheitszustand der Erblasserin für erheblich hielt, war der Gegenbeweis zu erheben.

5. Das Berufungsgericht durfte den Vortrag der Klägerin zum Gesundheitszustand der Erblasserin auch nicht als verspätet zurückweisen. Es mußte die Klägerin auf seine vom Landgericht abweichende Rechtsauffassung gemäß § 278 Abs. 3 ZPO a.F. hinweisen und ihr Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vortrags geben. Das schloß es aus, die auf den Hinweis erfolgte Ergänzung als verspätet zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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