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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 10.11.2006
Aktenzeichen: V ZR 46/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1004 Abs. 2
Das Recht der Mieter von Wohn- oder Geschäftsräumen auf Mitbenutzung der Gemeinschaftsflächen eines Hauses steht dem Recht des Eigentümers entgegen, einem Dritten die Ablage für die Mieter bestimmter Sendungen auf den Gemeinschaftsflächen zu verbieten, soweit von den abgelegten Gegenständen keine Belästigung oder Gefährdung ausgeht.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 46/06

Verkündet am: 10. November 2006

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Klein und Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Roth

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil der 30. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 15. Dezember 2005 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Testamentsvollstrecker nach Dr. H. H. . Zum Nachlass gehören mit Miethäusern bebaute Grundstücke in T. und M. . Die Beklagte gibt das Branchenbuch "D. M. " heraus, in dem kostenfreie und kostenpflichtige Einträge Gewerbetreibender und die Telefonnummern von Behörden, Stadtpläne und Straßenverzeichnisse enthalten sind. Das DIN A 4 große Buch ist etwa 3,5 cm dick und kann daher in der Regel nicht in Hausbriefkästen eingeworfen werden. Die Beklagte vertreibt die jährlich erscheinende Neuauflage dadurch, dass sie die Bücher im Eingangsbereich der Häuser ablegen lässt, von wo aus die Bewohner der Häuser sie mitnehmen können. Nicht abgeholte Bücher lässt die Beklagte alsbald wieder einsammeln.

Mit Schreiben seiner Hausverwaltung vom 5. Dezember 2003 und 27. Januar 2004 verbot der Erblasser der Beklagten erfolglos die Ablage des Branchenbuches in seinen Häusern.

Mit der Klage hat er verlangt, die Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, die Bücher vor oder in Hauseingängen, Fluren, Treppenhäusern und Stufen seiner Häuser abzulegen. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Der Erblasser ist während des Berufungsverfahrens verstorben. Der Kläger setzt den Rechtsstreit als Testamentsvollstrecker fort. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat sich die Beklagte in strafbewehrter Form verpflichtet, es zu unterlassen, die Bücher auf Treppenstufen, Treppenpodesten, dem unmittelbaren Zutrittsbereich zu Stufen und Podesten und vor den Hauseingangstüren der zum Nachlass gehörenden Häuser abzulegen. In diesem Umfang haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Landgericht hat die verbleibende Klage abgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils, soweit das Verfahren noch anhängig ist.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht verneint den geltend gemachten Anspruch. Es meint, der Kläger habe die von der Beklagten praktizierte Ablage der Bücher zu dulden. Eine Gefahr gehe hiervon nicht aus. Soweit der Kläger trotzdem Unterlassung verlange, scheitere der Anspruch daran, dass die Mieter zum Mitgebrauch der Gemeinschaftsflächen der Häuser berechtigt seien und von der oder den jeweiligen Ablagestellen die Bücher mitnehmen könnten. Ihr Interesse, die Bücher zu erhalten, übersteige das Unterlassungsinteresse des Klägers. Soweit einzelne Exemplare der Bücher von den Mietern nicht mitgenommen würden, gewährleiste die Verteilungspraxis der Beklagten, dass diese kurzfristig entfernt würden.

Das hält der Nachprüfung stand.

II.

Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte, die praktizierte Verteilung der Bücher in dem noch streitigen Umfang zu unterlassen, besteht nicht.

1. Das Berufungsgericht hat den von dem Kläger noch verfolgten Antrag dahin ausgelegt, dass er die Verteilung der Bücher in den zum Nachlass gehörenden Häusern generell verbieten will. Diese von dem Senat in vollem Umfang nachprüfbare Auslegung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Die Auslegung führt dazu, dass die Klage abzuweisen ist, weil kein konkretes Verhalten der Beklagten als minus aus dem zur Entscheidung gestellten Unterlassungsverlangen abgespalten werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 3. Dezember 1998, I ZR 74/96, NJW 1999, 2193; v. 14. Dezember 1998, I ZR 141/96, WM 1999, 691, 693) und der von dem Kläger allgemein geltend gemachte Anspruch nicht besteht.

2. Nach § 1004 Abs. 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks zwar grundsätzlich verlangen, dass ein Dritter es unterlässt, auf dem Grundstück etwas abzulegen. Der Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, soweit der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist, § 1004 Abs. 2 BGB. So verhält es sich nicht nur, wenn dem Dritten ein Recht zusteht, das den Anspruch des Eigentümers ausschließt, sondern in entsprechender Anwendung von § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB auch dann, wenn einem anderen ein solches Recht gegenüber dem Eigentümer zusteht und der Dritte mit dessen Einverständnis handelt (Senat, Urt. v. 17. September 1958, V ZR 63/58, NJW 1958, 2061, 2062; BGHZ 110, 313, 315; MünchKomm-BGB/Medicus, 4. Aufl., § 1004 Rdn. 69; Staudinger/Gursky, BGB [2006], § 1004, Rdn. 200; Medicus, SchlHAnz 1963, 269, 270). Das Einverständnis muss weder ausdrücklich erklärt sein noch muss es sich auf den konkreten Einzelfall beziehen. Zum Ausschluss des Anspruchs des Eigentümers reicht es vielmehr aus, dass das Einverständnis des gegenüber dem Eigentümer Berechtigten mit dem Handeln des Dritten allgemein gegeben ist. Daran scheitert der geltend gemachte Anspruch.

Vermietet der Eigentümer Wohnungen oder Geschäftsräume in seinem Haus, erstreckt sich das Recht des Mieters zur Benutzung der gemieteten Räume auf das Recht zur Mitbenutzung der Gemeinschaftsflächen des Hauses (Bub/Treier/Krämer, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., Teil III 3 Rdn. 1171; Schmidt/Harsch, Kompaktkommentar Mietrecht, § 535 BGB Rdn. 75 f; Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 8. Aufl., § 535 BGB Rdn. 26, 287; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 8. Aufl., Rdn. 179). Sind keine besonderen Vereinbarungen getroffen, umfasst es die übliche Benutzung (vgl. LG Berlin WuM 1987, 212, spielende Kinder im Hof) und deckt alle mit dem Wohnen und der Benutzung von Geschäftsräumen typischerweise verbundenen Umstände (vgl. AG München NJW-RR 1986, 1144 f, Belieferung mit einer Tageszeitung). Ein Mieter ist daher berechtigt, einen Kinderwagen oder einen Rollstuhl im Hausflur abzustellen, wenn er hierauf angewiesen ist und die Größe des Hausflurs das Abstellen zulässt (AG Hanau, WuM 1989, 360 f; LG Bielefeld WuM 1993, 37; Schmidt-Futterer/Eisenschmid, aaO, Rdn. 288). Dasselbe gilt für die Besucher und Lieferanten des Mieters. Das Recht des Mieters zur Benutzung seiner Wohnung oder der von ihm gemieteten Geschäftsräume hindert den Vermieter, unter Berufung auf sein Eigentum den Besuchern des Mieters das Betreten seines Hauses zu verbieten (vgl. LG Münster MDR 1961, 234 f), selbst wenn der Besuch von dem Mieter nicht erwartet wird. Ebenso erstreckt sich das Recht der Mieter zur Mitbenutzung darauf, Sendungen, die nicht in den Briefkasten passen, dadurch entgegenzunehmen, dass diese im Hausflur abgelegt werden, von wo aus die Mieter sie mitnehmen können. Das gilt auch dann, wenn die Sendungen nicht individuell adressiert und für mehrere oder alle Mieter eines Hauses bestimmt sind, solange von der Ablage keine Belästigungen, wie eine Vermüllung, und keine Gefährdungen ausgehen. So verhält es sich mit den von der Beklagten verteilten Branchenbüchern, soweit die Parteien noch über deren Verteilung streiten. Die Verteilung der Bücher ist von der Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts so organisiert, dass von den Mietern nicht mitgenommene Exemplare innerhalb kurzer Frist von der Beklagten wieder eingesammelt und zurückgenommen werden. Damit aber überschreitet sie nicht das Maß desjenigen, was der Kläger aufgrund der Vermietung der Wohnungen und Geschäftsräume in den zu dem Nachlass gehörenden Häusern hinzunehmen hat. Das ist auch im Hinblick auf die von der Revision hervorgehobene Gefahr einer Nachahmung nicht anders zu beurteilen. Es fehlt nämlich an konkreten Anhaltspunkten für eine solche Gefahr. Die Revision zeigt selbst nicht auf, dass es in der Vergangenheit trotz der langjährigen Verteilungspraxis der Beklagten zu Unzuträglichkeiten gekommen wäre.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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