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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.06.2001
Aktenzeichen: V ZR 56/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 326
BGB § 346
BGB § 327
BGB § 326 Abs. 1
BGB § 320
BGB § 478
BGB § 459 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 56/00

Verkündet am: 22. Juni 2001

Riegel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Schneider, Dr. Klein und Dr. Lemke

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 13. Januar 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Mit notariellem Vertrag vom 27. August 1992 verkaufte die Klägerin (damals noch Gemeinde W.) dem Beklagten ein im Außenbereich belegenes, etwa 2.000 qm großes, Grundstück zu einem Kaufpreis von 55.000 DM unter Ausschluß jeder Gewährleistung. Die Klägerin übernahm aber in Ziff. V 3 des Vertrages Gewähr dafür, daß die Bebauung des Grundstücks mit zwei Einfamilienhäusern mit ausbaufähigem Dachgeschoß nach vorherigem Abriß der bei Vertragsabschluß vorhandenen Gebäude zulässig ist. Der Kaufpreis sollte innerhalb von vier Wochen nach Mitteilung des Notars, daß ein Bauvorbescheid in Fassung und Umfang der durch die Klägerin übernommenen Gewährleistung vorliegt, fällig sein. Nach Zahlung sollte der Besitz auf den Käufer übergehen.

Der Beklagte veräußerte am 24. Februar 1993 eine 1.000 qm große Teilfläche des Grundstücks zu einem Kaufpreis von 100.000 DM an einen Dritten. Nach Vorliegen eines ablehnenden Bauvorbescheids vom 9. Juli 1993, mit dem nur ein Einfamilienhaus als genehmigungsfähig erklärt wurde, trat der Beklagte von diesem Kaufvertrag zurück. Am 2. März 1994 verkaufte er das gesamte Grundstück zu einem beurkundeten Kaufpreis von 100.000 DM an Dritte. Daraufhin forderte die Klägerin den Beklagten am 2. Juni 1994 auf, den Kaufpreis innerhalb von drei Monaten bei dem Notar zu hinterlegen. Der Beklagte verlangte am 18. Juli 1994 von der Klägerin Schadensersatz wegen Nichterfüllung mangels vertragsgemäßer Bebaubarkeit. Nach erneuter Fristsetzung unter Ankündigung einer Rückabwicklung des Kaufvertrages bei fruchtlosem Fristablauf im September 1994 erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 26. Oktober 1994 den Rücktritt vom Kaufvertrag. Der Beklagte hinterlegte im November 1996 den Kaufpreis und wurde am 18. Juni 1997 im Grundbuch als Eigentümer eingetragen.

Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage Berichtigung des Grundbuchs, hilfsweise Rückübertragung des Grundstücks Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das Urteil abgeändert und dem Hilfsantrag stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten, deren Zurückweisung die Klägerin begehrt.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat es offen gelassen, ob der Beklagte wegen Sittenwidrigkeit des Kaufvertrages zur Rückauflassung verpflichtet ist. Selbst bei Wirksamkeit des Vertrages schulde er nämlich die Rückübertragung des Grundstücks unter dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß § 326 BGB. Da die Parteien bei ihrer Fälligkeitsabrede nicht an die Möglichkeit gedacht hätten, daß der Antrag auf Erlaß eines Bauvorbescheids abschlägig beschieden werden könne, sei diese im Wege ergänzender Vertragsauslegung so zu verstehen, daß der Kaufpreis mit Weiterverkauf des Grundstücks am 2. März 1994 unabhängig von der Wirksamkeit dieses Vertrages zur Hinterlegung auf No-taranderkonto fällig geworden sei. Der Beklagte sei durch Mahnung der Klägerin in Zahlungsverzug gesetzt worden. Dahinstehen könne, ob dem Beklagten wegen der hinter dem Vertrag zurückbleibenden Bebauungsmöglichkeit Gewährleistungsrechte zustünden. Denn ein darauf beruhendes Zurückbehaltungsrecht habe den durch Zugang der Mahnung eingetretenen Verzug nicht verhindern können, weil es nicht vor oder bei Eintritt der Verzugsvoraussetzungen geltend gemacht worden sei.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

II.

Die Klägerin kann vom Beklagten mangels eines Rücktrittsrechts gemäß §§ 346, 327, 326 Abs. 1 BGB nicht Rückauflassung des Grundstücks verlangen.

1. Nicht zu beanstanden ist allerdings entgegen der Rüge der Revision die ergänzende Auslegung der im Falle eines ablehnenden Bauvorbescheids lückenhaften Fälligkeitsvereinbarung durch das Berufungsgericht dahingehend, daß der Kaufpreis mit dem Weiterverkauf des Grundstücks am 2. März 1994 unabhängig von der Wirksamkeit dieses Vertrages fällig wurde. Die ergänzende Auslegung einer Individualvereinbarung gehört zum Bereich der tatrichterlichen Feststellung und ist vom Revisionsgericht nur beschränkt überprüfbar. Sie bindet das Revisionsgericht nur dann nicht, wenn sie unter Verletzung der gesetzlichen Auslegungsregeln und der aus ihnen entwickelten allgemeinen Auslegungsgrundsätze vorgenommen worden ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder den unterbreiteten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt hat (Senat, BGHZ 111, 110, 115; BGH, Urt. v. 29. September 1999, VIII ZR 232/98, NJW-RR 2000, 273, 274). Solche Rechtsfehler liegen hier nicht vor. Insbesondere verstößt die Vertragsauslegung nicht gegen den Grundsatz einer möglichst nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (vgl. Senat, BGHZ 115, 1, 5; Senat, Urt. v. 27. September 1991, V ZR 191/90, NJW-RR 1992, 182; BGH, Urt. v. 8. Juni 1994, VIII ZR 103/93, NJW 1994, 2228, 2229). Die Interessen des Beklagten sind ausreichend berücksichtigt. Ihm stand es frei, das von der Klägerin erworbene Grundstück weiterzuveräußern. Entgegen der Ansicht der Revision werden dem Beklagten zustehende Gewährleistungsansprüche durch einen Weiterverkauf unabhängig von dessen Wirksamkeit nicht berührt (vgl. Senat, Beschl. v. 10. Juni 1998, V ZR 324/97, NJW 1998, 2905). Auch der Grundsatz der Vertragsklarheit ist beachtet, weil die Auslegung an einen konkreten Akt des Weiterverkaufs, mag dieser auch rechtlich unwirksam sein, anknüpft und nicht, wie dies die Revision vorträgt, an eine nur beiläufig geäußerte Weiterverkaufsabsicht.

Soweit das Berufungsgericht zur Begründung seiner ergänzenden Vertragsauslegung ausgeführt hat, die Fälligkeit des Kaufpreises sei mit Weiterverkauf des Grundstücks unabhängig davon eingetreten, ob zu diesem Zeitpunkt die Frage der vertraglich vereinbarten Bebaubarkeit geklärt gewesen sei, ist dem nicht zu entnehmen, daß es dem Beklagten die Geltendmachung ihm wegen einer fehlenden Bebaubarkeit zustehender Gegenrechte verwehren wollte. Wollte das Berufungsgericht das gleichwohl zum Inhalt seiner Auslegung machen, würde das der Interessenlage des Beklagten nicht gerecht und wäre mithin für den Senat nicht bindend.

2. Rechtsfehlerhaft ist aber die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte sei durch die Zahlungsaufforderung der Klägerin vom 2. Juni 1994 in Verzug gesetzt worden.

a) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, wenn er sich auf eine Einrede stützen kann, die ihm ein dauerndes oder wenigstens zeitweiliges Leistungsverweigerungsrecht gewährt (Senat, BGHZ 113, 232, 236 m.w.N.). Solche zur dauernden Leistungsverweigerung berechtigenden Einreden sind sowohl die Einrede des nicht erfüllten Vertrages nach § 320 BGB als auch die Mängeleinrede nach § 478 BGB. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann der Käufer bei Mangelhaftigkeit der Kaufsache Gewährleistungsansprüche (§§ 459 ff BGB) aber grundsätzlich erst nach Gefahrübergang geltend machen; vor Gefahrübergang bestimmen sich seine Rechte nach den allgemeinen Vorschriften (BGHZ 138, 195, 207). Im vorliegenden Fall ist der Besitz des Grundstücks gemäß IV Ziff. 1 des Vertrages erst nach Zahlung des Kaufpreises im Jahr 1996 auf den Beklagten übergegangen. Bis dahin richteten sich die Rechte des Beklagten, was die Revision übersieht, nach den allgemeinen Vorschriften.

b) Revisionsrechtlich stand dem Beklagten im Zeitpunkt der Nachfristsetzung ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 320 BGB zu. Denn der Käufer kann schon vor Gefahrübergang die Annahme einer mangelhaften Sache als nicht vertragsgemäße Leistung ablehnen und die Zahlung des Kaufpreises verweigern (Senat, BGHZ 129, 103, 106; Staudinger/Honsell, BGB (1995) Vorbem. zu §§ 459 ff Rdn. 24; Erman/Grunewald, BGB, 10. Aufl., vor § 459 Rdn. 6; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., Einf. vor § 320 Rdn. 18). Daß die tatsächliche Bebauungsmöglichkeit hinter den vertraglichen Vereinbarungen zurückbleibt, hat das Berufungsgericht unterstellt.

c) Es kann offenbleiben, ob die Erklärung der Klägerin, die Gewährleistung für die Bebauung des Vertragsgrundstücks mit zwei Einfamilienhäusern mit ausbaufähigem Dachgeschoß zu übernehmen, Gegenstand einer vertraglichen Beschaffenheitsangabe (§ 459 Abs. 1 BGB) oder die Zusicherung einer Eigenschaft (§ 459 Abs. 2 BGB; vgl. Senat BGHZ 117, 159, 162) ist. Selbst wenn darin nur eine vertragliche Beschaffenheitsangabe liegt, begründet dies ein Leistungsverweigerungsrecht des Beklagten. Dem steht der zwischen den Parteien vereinbarte Gewährleistungsausschluß nicht entgegen. Denn für die Zeit vor Gefahrübergang schränkt ein Gewährleistungsausschluß den Umfang der Leistungspflicht des Verkäufers nicht ein (Senat, BGHZ 129, 103, 104 f). Das bloße Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechts hinderte den Eintritt des Schuldnerverzuges (BGHZ 84, 42, 44; 116, 244, 249; BGH, Urt. v. 7. Oktober 1998, VIII ZR 100/97, NJW 1999, 53). Darauf, ob der Beklagte es geltend gemacht hat, kommt es nicht an.

3. Nach alldem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht hat zum Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechts bisher keine Feststellungen getroffen. Es wird zu klären haben, ob das Grundstück infolge eingeschränkter Bebaubarkeit einen Sachmangel aufweist. Das ist nicht bereits aufgrund des ablehnenden Bauvorbescheids vom 9. Juli 1993 zu bejahen. Denn die Frage, ob aus dem materiellen Baurecht ein Sachmangel folgt, kann von den Verwaltungsbehörden nicht mit bindender Wirkung für die Zivilgerichte entschieden werden (Senat, BGHZ 117, 159, 166; 122, 1, 5). Gegebenenfalls wird sich das Berufungsgericht außerdem mit der bisher offen gelassenen Frage zu befassen haben, ob der Kaufvertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten unwirksam ist (§ 138 Abs. 1 BGB).



Ende der Entscheidung

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