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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.04.1999
Aktenzeichen: V ZR 57/98
Rechtsgebiete: EGBGB, SachenRBerG, SchuldRAnpG, BGB, ZGB


Vorschriften:

EGBGB Art. 233 § 2 a Abs. 1
SachenRBerG § 4
SachenRBerG § 5
SachenRBerG § 12
SchuldRAnpG § 7
BGB § 273
ZGB § 356
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 57/98

Verkündet am: 16. April 1999

Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Dr. Vogt, Dr. Lambert-Lang, Schneider und Dr. Klein

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 8. Januar 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Kläger sind die Erben des im Jahr 1985 verstorbenen F. K. D. , der als Eigentümer eines Grundstücks in R. im Grundbuch eingetragen ist. Er war Mitglied der LPG "V. K. " F. . Bei seinem Ausscheiden überließ er dieser gemäß Vereinbarung vom 18. März 1970 das mit einem Wohnhaus, Holzstall und Scheune bebaute Grundstück zur weiteren Nutzung. Die LPG war berechtigt, nach ihrem Ermessen die Gebäude Dritten zu überlassen oder abzubrechen. Am 22. September 1971 schloß der Erblasser mit dem Rat des Kreises G. einen Kreispachtvertrag über das Grundstück und die Gebäude. Die LPG wies das Grundstück den bei ihr beschäftigten Beklagten zu Wohnzwecken zu mit der Maßgabe, es selbst nutzbar zu machen. Die Beklagten setzten das Haus in Eigen- und Fremdarbeit instand. Zur Finanzierung nahmen sie einen Kredit in Höhe von ca. 23.000 DDR-Mark auf.

Die Kläger verlangen Herausgabe des Grundstückes. Die Beklagten berufen sich auf das Besitzmoratorium. Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, den Beklagten stünde ein Besitzrecht nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz zu. Das Oberlandesgericht hat die Beklagten verurteilt, das Grundstück an die Kläger herauszugeben. Hiergegen richtet sich die Revision.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hält die Kläger für aktivlegitimiert und meint, den Beklagten stünde kein Besitzrecht aus Art. 233 § 2 a Abs. 1 EGBGB zu, weil die Instandsetzungsarbeiten nach ihrem Umfang und Aufwand keiner Neuerrichtung im Sinne von § 12 Abs. 1 SachenRBerG entsprochen hätten, den Beklagten also mangels Vorliegens eines Bereinigungstatbestandes ein etwaiger Moratoriumsbesitz nicht mehr zustehe. Ein Vertragsverhältnis im übrigen sei weder ersichtlich noch behauptet. Ein Leihverhältnis habe jederzeit beendet werden können.

Dies hält der Revision nicht stand.

II.

1. Fehlerfrei verneint das Berufungsgericht allerdings ein Besitzrecht nach Art. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 3 EGBGB i.V.m. §§ 4, 5, 12 SachenRBerG. Nach der in § 12 Abs. 1 SachenRBerG erfolgten Legaldefinition der Bebauung ist dieser Tatbestand nur dann gegeben, wenn an dem den Beklagten zugewiesenen Gebäude schwere Bauschäden vorlagen und die Nutzbarkeit des Gebäudes durch bauliche Maßnahmen, die nach ihrem Umfang und Aufwand einer Neuerrichtung entsprechen, wiederhergestellt wurde. Ob dies der Fall ist, unterliegt der tatrichterlichen Würdigung. Diese ist im vorliegenden Fall revisionsrechtlich fehlerfrei.

Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt, daß für die Annahme einer Rekonstruktion im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 1 SachenRBerG die baulichen Maßnahmen vom technischen Umfang und wirtschaftlichen Aufwand einer Neuerrichtung entsprechen müssen, so daß durch die Maßnahme ein im wesentlichen neues Gebäude entstanden ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetz und entspricht herrschender Meinung (vgl. BT-Drucks. 12/5992 S. 110; MünchKomm-BGB/Wendtland, 3. Aufl., § 12 SachenRBerG Rdn. 4; Vossius, SachenRBerG, 2. Aufl., § 12 Rdn. 11). Ob hierzu tragende Gebäudeteile wieder hergestellt sein müssen, läßt sich nicht allgemein, sondern nur anhand der Umstände des Einzelfalles beurteilen. Auch die Überlegungen der Revision, ob es sich bei dem Gebäude um eine "nicht mehr nutzbare Ruine" gehandelt hat, sind unerheblich, weil das Berufungsgericht fehlerfrei festgestellt hat, daß die durchgeführten baulichen Maßnahmen jedenfalls nicht einer Neuerrichtung entsprechen. Die hierzu erhobenen Rügen sind unbegründet. Vor allem die Rüge, daß das Berufungsgericht nicht das von den Beklagten vorgelegte Privatgutachten verwertet habe, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Zwar ist es richtig, daß das Berufungsurteil hierauf nicht ausdrücklich Bezug nimmt, wohl aber der Sache nach. Denn gerade der in dem Gutachten festgehaltene Bautenstand vor der Rekonstruktion und die aufgeführten Rekonstruktionsmaßnahmen belegen, daß die tatrichterliche Würdigung fehlerfrei ist. Danach bestand die Rekonstruktion aus einer Reparatur der Decken, der teilweisen Erneuerung des Deckenputzes, Ausbesserungen des Außenmauerwerks in Verbindung mit dem Einsetzen neuer Fenster und der Haustür, Ausbesserungen des Außenputzes, der Innenwände und des Bodenbelages, Reparaturen des Dachstuhls mit einer Neudeckung des Daches, Reparatur der vorhandenen Installation und der Öfen sowie dem Einsetzen neuer Fenster und Türen. Diese Arbeiten erfüllen aber nicht den Tatbestand des § 12 SachenRBerG.

Darauf, was ein Neubau zur damaligen Zeit gekostet hätte, und ob das Berufungsgericht dies ohne Sachverständigengutachten selbst nicht beurteilen konnte, kommt es daher nicht mehr an.

2. Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht jedoch darin, daß den Beklagten nicht aus einem anderen Rechtsgrund ein Recht zum Besitz zusteht. Nicht geprüft hat das Berufungsgericht insbesondere, ob durch die Zuweisung des Grundstücks an die Beklagten nicht, wie die Revision geltend macht, ein "sonstiger Nutzungsvertrag" im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 SchuldRAnpG zustande gekommen ist. Denn dieser Begriff ist vom Zweck des Gesetzes her, Nutzungsrechte zu überführen, die nicht durch dingliche Positionen abgesichert werden konnten und auch nicht von vornherein in die Systematik des bürgerlichen Rechts einzufügen waren, weit auszulegen. Er soll als Oberbegriff einer irgendwie gearteten Einengung schuldrechtlicher Beziehung vorbeugen und erfaßt jeden ausdrücklich oder konkludent zustande gekommenen Vertrag, der zur Nutzung berechtigte (Senat, BGHZ 134, 50, 56). Ist ein (sonstiger) Nutzungsvertrag hier zustande gekommen, wäre eine nach Ablauf des 2. Oktober 1990 ausgesprochene Kündigung nach § 7 SchuldRAnpG unwirksam, wenn die Beklagten nach Art. 233 § 2 a Abs. 1 EGBGB zum Besitz berechtigt waren, wie es das Berufungsgericht für möglich gehalten hat. Wäre ein Vertragsverhältnis dagegen nicht zustande gekommen oder in der Zwischenzeit wirksam beendet worden, stünde dem Beklagten möglicherweise gemäß § 273 BGB ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Anspruchs auf Wertersatz nach § 356 ZGB zu (Senatsurt. v. 31. Januar 1997, V ZR 209/95, WM 1997, 781).

Das angefochtene Urteil hat daher im Ergebnis keinen Bestand. Die Sache ist vielmehr zwecks weiterer Feststellungen über das Bestehen eines Nutzungsverhältnisses oder eines Zurückbehaltungsrechts wegen bestehender Wertersatzansprüche an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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