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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.06.2006
Aktenzeichen: VI ZB 14/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 574 Abs. 2
ZPO § 329 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 225 Abs. 3
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 520 Abs. 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

VI ZB 14/06

vom 20. Juni 2006

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juni 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der Zivilkammer 6 des Landgerichts Berlin vom 26. Januar 2006 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 4.166,38 €.

Gründe:

I.

Der Beklagte hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 13. Juni 2005 zugestellte Urteil des Amtsgerichts am 29. Juni 2005 Berufung eingelegt. Mit dem am Montag, dem 15. August 2005, eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten den Antrag gestellt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern. Der Vorsitzende der Zivilkammer 6 des Landgerichts hat am 19. August 2005 die Verlängerung bis einschließlich 13. September 2005 verfügt. Die Berufungsbegründung ist am 15. September 2005 eingegangen. Auf den Hinweis des Gerichts vom 26. September 2005, dass die Berufung erst nach Ablauf der Frist begründet worden sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2005 erklärt, ihm sei die Verfügung vom 19. August 2005 nicht zugestellt worden. Er habe im Hinblick auf die bei allen Kammern des Landgerichts bestehende Bewilligungspraxis darauf vertrauen können, dass dem begründeten Verlängerungsantrag ohne Einschränkung stattgegeben würde. Aus diesem Grunde sei der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist in den Fristenkalender seines Büros auf den 15. September 2005 und als Vorfrist der 8. September 2005 eingetragen worden. Zur Glaubhaftmachung für den Nichtzugang der Verlängerungsverfügung vom 19. August 2005 hat sich der Prozessbevollmächtigte auf die eidesstattlichen Versicherungen zweier Mitarbeiterinnen berufen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen, weil der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt habe und dieses Verschulden dem Beklagten zuzurechnen sei. Es hat sodann die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Beklagte, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Berufungsbegründung zu gewähren.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu Recht zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen.

a) Die Berufungsbegründungsfrist lief mit dem 13. September 2005 ab. An der Wirksamkeit der Verlängerung bis zu diesem Zeitpunkt bestehen keine Zweifel, da die Verfügung vom 19. August 2005 kein gerichtsinterner Vorgang geblieben ist. Jedenfalls dem Klägervertreter ist die richterliche Verfügung am 24. August 2005 zugestellt worden. Die Verlängerung bedurfte, auch soweit sie hinter dem Antrag des Beklagtenvertreters zurückblieb, keiner förmlichen Zustellung, weil sie keine Frist in Lauf setzte (BGHZ 93, 300, 305), so dass nach § 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO die formlose Mitteilung genügt. Die Teilablehnung der Fristverlängerung kann außerdem nach § 225 Abs. 3 ZPO nicht angefochten werden.

b) Entgegen der Auffassung des Rechtsbeschwerdeführers sind keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Unter den gegebenen Umständen liegt ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten vor, das ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

Zwar kann dem Beklagten kein Verschulden seines Prozessvertreters insoweit angelastet werden, als dieser auf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist in der beantragten Weise vertraute, nachdem er einen ersten Verlängerungsantrag unter Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestellt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 2004 - IX ZB 121/03 - VersR 2004, 1288 und Beschluss vom 11. November 1998 - VIII ZB 24/98 - VersR 1999, 1559, 1560). Dies zieht auch das Berufungsgericht nicht in Zweifel. Mit Recht nimmt es jedoch an, dass die Fristversäumnis durch die mangelhafte Organisation der Fristenkontrolle durch den Prozessbevollmächtigten des Beklagten verschuldet worden ist.

Für die Kontrolle von Fristen bei Fristverlängerungsanträgen gelten grundsätzlich entsprechende Voraussetzungen, wie sie nach früherem Recht (§ 519 ZPO a.F.) für die unmittelbare Fristenkontrolle von Berufung und Berufungsbegründung bestanden haben (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99 - NJW-RR 1999, 1663; Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 233 Rn. 23 - Fristverlängerung; Musielak/Grandl ZPO 4. Aufl. § 233 Rn. 29). Danach ist es erforderlich, dass das mutmaßliche Ende einer Berufungsbegründungsfrist bei oder alsbald nach Einreichung einer Berufungsschrift im Fristenkalender eingetragen wird. Anhand der gerichtlichen Eingangsbestätigung muss diese Eintragung später überprüft werden, damit sichergestellt ist, dass keine hypothetische, sondern die wirkliche Frist eingetragen wird (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99 - aaO, m.w.N.). Denn die Eintragung nur vorläufig berechneter bzw. hypothetischer Fristen birgt eine Gefahrenquelle, da sie leicht darüber hinwegtäuschen kann, dass das wirkliche Fristende auf einen anderen Tag als angenommen fällt. Dementsprechend darf eine beantragte Fristverlängerung nicht in der Weise vorgemerkt werden, dass schon mit der Antragstellung der Endpunkt der Frist im Kalender eingetragen wird, als ob sie bereits zu diesem Zeitpunkt bewilligt worden sei. Auch hierbei handelt es sich nämlich zunächst um eine hypothetische Frist, da der Vorsitzende die Frist auch auf einen kürzeren Zeitraum als beantragt bewilligen kann. Der Eintrag des endgültigen Fristablaufs ist deshalb erst dann zulässig, wenn die Verlängerung tatsächlich gewährt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 1984 - IVa ZB 11/83 - VersR 1984, 336 f.). Der Fristenkalender muss auch Tag für Tag durchgesehen werden. In jedem Fall ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass vor dem beantragten Fristablauf das wirkliche Ende der Frist - ggf. durch Rückfrage bei Gericht - festgestellt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2001 - VII ZB 19/01 - und Beschluss vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99 - jeweils aaO).

Demzufolge hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten spätestens bei der Wiedervorlage des Vorgangs am 8. September 2005 überprüfen müssen, ob seinem Fristverlängerungsantrag entsprochen worden ist, nachdem ihm eine gerichtliche Verfügung nicht zugegangen war. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde durfte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten auf die Gewährung der beantragten Fristverlängerung nicht so lange vertrauen, wie er keine anders lautende Nachricht von dem Gericht erhielt. Er hatte sich rechtzeitig über das wirkliche Ende der Frist ggf. durch Rückfrage bei Gericht Gewissheit zu verschaffen, nachdem keine entsprechende Verfügung zugegangen war.

Beruht die Fristversäumung auf der pflichtwidrigen Nachlässigkeit des Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 8. September 2005, kommt es nicht darauf an, weshalb ihm die Verfügung vom 19. August 2005 nicht zugegangen ist. Dies ist nicht der entscheidende Grund für die Fristversäumnis. Bei Durchführung einer sorgfältigen Fristenkontrolle hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten jedenfalls rechtzeitig Kenntnis vom Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erlangt und deren Versäumung verhindern können. Im Übrigen scheidet eine Wiedereinsetzung auch dann aus, wenn zu der Fristversäumung neben dem Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten auch ein Mitverschulden des Gerichts beigetragen haben sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2004 - II ZB 6/03 - BRAK-Mitteilungen 2004, 161).

Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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