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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 30.05.2000
Aktenzeichen: VI ZB 34/99
Rechtsgebiete: RVO, SGB VII, GVG, SVO, RentenVO, ZPO


Vorschriften:

RVO § 640
RVO § 1150 Abs. 2 Satz 1
SGB VII § 110 Abs. 1
GVG § 17 a Abs. 4 Satz 4
SVO § 101
RentenVO § 80
ZPO § 97 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VI ZB 34/99

vom

30. Mai 2000

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. von Gerlach, Dr. Müller, Dr. Dressler und Wellner

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des 2. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 7. Oktober 1999 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 47.818,54 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die klagende Berufsgenossenschaft verlangt von der Beklagten (als Trägerin des Bundeseisenbahnvermögens) Ersatz von Aufwendungen, die ihr durch Sozialleistungen an zwei frühere Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn in der DDR in den Jahren 1995-1997 entstanden sind. Die Empfänger der Sozialleistungen hatten während des Bestehens der DDR eine Berufskrankheit bzw. einen Arbeitsunfall erlitten und Leistungen seitens des damals zuständigen Sozialversicherungsträgers erhalten, an den die Deutsche Reichsbahn entsprechende Ausgleichszahlungen entrichtete. Nach der Wiedervereinigung und dem Eintritt der Klägerin als zuständiger Unfallversicherungsträger hatte die Beklagte zunächst dieser gegenüber Ersatzleistungen erbracht, ihre Zahlungen jedoch im Laufe des Jahres 1995 eingestellt.

Die Klägerin hält die Beklagte weiterhin für erstattungspflichtig. Ob insoweit eine Rechtsgrundlage, etwa aus der Fortwirkung arbeits- oder sozialrechtlicher Regelungen des DDR-Rechts oder aus einer Heranziehung von Normen des Unfallversicherungsrechts nach den Vorschriften der RVO oder des SGB VII gegeben und ob für den Rechtsstreit der ordentliche Rechtsweg zulässig ist, ist zwischen den Parteien streitig.

Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht B. verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Kammergericht festgestellt, daß der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, die mit der Klage geltend gemachten Erstattungsansprüche könnten unter Berücksichtigung der übergangsrechtlichen Regelungen im Einigungsvertrag nunmehr nur noch auf eine Anwendung des § 640 RVO bzw. § 110 Abs. 1 SGB VII gestützt werden; dies könne nur vor den ordentlichen Gerichten geschehen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die (zugelassene) sofortige weitere Beschwerde der Beklagten, mit welcher sie die Wiederherstellung der Entscheidung des Landgerichts begehrt.

II.

Die weitere Beschwerde ist gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG statthaft und zulässig; sie ist in der Sache jedoch nicht begründet. Das Kammergericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zu Recht für gegeben erachtet. Die Einwendungen hiergegen im Beschwerdevorbringen der Beklagten greifen nicht durch.

1. Ob eine Streitigkeit dem bürgerlichen Recht zuzuordnen und damit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist, hängt, wenn es - wie hier - an einer ausdrücklichen Rechtswegzuweisung fehlt, von der Natur des Rechtsverhältnisses ab, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es nicht auf die Bewertung durch die klagende Partei, sondern darauf an, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist (st. Rspr.; vgl. z.B. BGHZ 97, 312, 313 f.; 106, 134, 135 f.; 114, 1, 5; 121, 368, 372 f.; 133, 240, 243).

2. Das Kammergericht hat angesichts des von der Klägerin zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalts zutreffend ausgeführt, daß vorliegend die Regelung des § 640 RVO als Anspruchsgrundlage für die geltend gemachten Erstattungsforderungen in Betracht kommt. Ein hierauf gegründeter Anspruch ist - was auch von den Parteien nicht in Zweifel gezogen wird - vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen (st. Rspr. seit BGH, Urteile vom 7. November 1967 - VI ZR 79/66 - VersR 1968, 64 f. und vom 9. Januar 1968 -VI ZR 77/66 - VersR 1968, 373, 374; vgl. auch BGHZ 57, 96, 99 f.).

a) Im Recht der DDR konnten Ansprüche, wie sie Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind, in erster Linie auf die Vorschriften in § 101 der Verordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten der DDR vom 17. November 1977 (GBl. I 373 - künftig: SVO) und in § 80 Abs. 2 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung vom 23. November 1979 (GBl. I 401 - künftig: RentenVO) gestützt werden. Die Regelungen dieser Verordnungen sind zum 31. Dezember 1991 außer Kraft getreten (Einigungsvertrag Anl. II Kap. VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nrn. 3 und 6). Nach § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO (in der Fassung des Art. 8 Nr. 14 des Rentenüberleitungsgesetzes vom 25. Juli 1991, BGBl. I 1606) gelten nunmehr Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetreten waren, als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der RVO (grundsätzlich mit allen hieraus resultierenden Rechtsfolgen nach den Vorschriften der Unfallversicherung).

b) Das Kammergericht geht mit Recht davon aus, daß daher auch die Vorschrift des § 640 RVO zur Anwendung kommen kann, allerdings nur, soweit es um einen auf Arbeitsunfall oder Berufskrankheit beruhenden Ersatzanspruch geht, dessen tatbestandliche Voraussetzungen nicht bereits vor dem 1. Januar 1992 vollständig vorgelegen hatten; für letzteren Fall müßte es - entsprechend Art. 232 § 1 EGBGB - bei der Anwendung des maßgeblichen Rechts der DDR, hier also des § 101 SVO und des § 80 RentenVO verbleiben. Ein derartiger Sachverhalt lag aber hier deswegen nicht vor, weil es ausschließlich um seitens der Klägerin in den Jahren 1995 bis 1997 erbrachte Leistungen geht, die erst in diesem Zeitraum bei ihr den Schaden herbeigeführt haben, dessen Erstattung begehrt wird; die Voraussetzungen der aus § 101 SVO und § 80 RentenVO resultierenden Ansprüche konnten aber - wie im angefochtenen Beschluß zutreffend dargelegt ist - nach den Grundsätzen des Schadensrechts der DDR erst in dem Zeitpunkt erfüllt werden, in welchem die Leistungen des Sozialversicherungsträgers an den versicherten Arbeitnehmer erbracht wurden.

c) Daß sich die Klägerin auf die in Betracht kommende Anspruchsgrundlage des § 640 RVO zunächst in der Klage nicht gestützt hat, weil sie insoweit weiterhin u.a. auf die Anspruchsnormen der §§ 101 SVO und 80 RentenVO abstellte, ist nicht von Relevanz. Zum einen kommt es - wie bereits erwähnt - auf die von der Klägerseite vorgenommene rechtliche Qualifizierung für die Bestimmung des Rechtswegs nicht entscheidend an; zum andern hat die Klägerin im weiteren Verlauf des Rechtsstreits deutlich gemacht, daß sie ihr Begehren auf alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen stützen will.

d) Ob die Voraussetzungen eines demnach in Betracht kommenden Anspruchs nach § 640 RVO vorliegend tatsächlich gegeben sind, ist im Rahmen der Prüfung des Rechtsweges nicht zu untersuchen. Materielle Anspruchsgrundlagen sind insoweit nur dann außer Betracht zu lassen, wenn sie nach dem vorgetragenen Sachverhalt offensichtlich nicht gegeben sind (vgl. BGHZ 121, 367, 375; 128, 204, 209).

e) Im übrigen würde sich selbst dann, wenn man die Heranziehung der Regelung in § 640 RVO auf derartige "Altfälle" als bedenklich erachten und diese als abschließend den Regelungen des früheren DDR-Rechts unterworfen ansehen wollte, nichts daran ändern, daß der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist. Denn die sich dann stellende Frage, ob die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche weiterhin auf die Vorschriften des § 101 SVO und des § 80 Abs. 2 RentenVO gestützt werden können, müßte ebenfalls von den Zivilgerichten entschieden werden. Insoweit weist das Kammergericht zu Recht darauf hin, daß die genannten, aus dem DDR-Recht resultierenden Erstattungsansprüche ihrer Rechtsnatur nach in entsprechender Weise wie der Ersatzanspruch nach § 640 RVO einzuordnen und dem Zivilrechtsweg zuzuweisen wären; daß das Recht der DDR für diese Fälle die Inanspruchnahme eines gerichtlichen Klageweges überhaupt nicht vorsah, könnte im Hinblick auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG bei einer derartigen Fallgestaltung, wie sie hier - im Hinblick auf Leistungen der Klägerin nach der Wiedervereinigung - gegeben ist, nicht von entscheidender Bedeutung sein.

3. Ob auch ein auf arbeitsrechtliche Regelungen des DDR-Rechts (§§ 267 ff. Arbeitsgesetzbuch-DDR) gegründeter, auf die Klägerin übergegangener Ersatzanspruch in Betracht käme, auf den sich die Klägerin zunächst berufen und auf welchen das Landgericht in seinem Verweisungsbeschluß an das Arbeitsgericht B. abgestellt hat, kann letztlich offen bleiben. Denn nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG hat das Zivilgericht, da - wie ausgeführt - jedenfalls auch eine den ordentlichen Rechtsweg begründende Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, über evtl. weitere, anderen Rechtsgebieten entstammende Anspruchsgrundlagen mit zu entscheiden (vgl. BGHZ 114, 1).

4. Die weitere Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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