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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.05.2007
Aktenzeichen: VI ZB 59/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 238
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
ZPO § 574 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VI ZB 59/05

vom 22. Mai 2007

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Mai 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 22. Juni 2005 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 8.686,84 €

Gründe:

I.

Der Beklagte hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 17. März 2005 zugestellte Urteil des Landgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist lief am 17. Mai 2005, dem Dienstag nach Pfingsten, ab. Am 13. Mai 2005, dem Freitag vor dem Pfingstwochenende, um 10.30 Uhr, gab der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufungsbegründungsschrift im Zusammenhang mit der Wahrnehmung eines anderen Gerichtstermins beim Amtsgericht Bergheim ab im Vertrauen darauf, dass der Schriftsatz durch den Kurierdienst des Anwaltsvereins Köln rechtzeitig an das Oberlandesgericht weitergeleitet werde. Die Berufungsbegründung ging jedoch erst am 18. Mai 2005 beim Oberlandesgericht Köln ein.

Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 22. Juni 2005 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln als unzulässig verworfen und seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Es meint, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe sich - ohne vorherige Nachfrage bei den zuständigen Mitarbeitern des Amtsgerichts bzw. des Kurierdienstes - im Hinblick auf die bevorstehenden Pfingstfeiertage nicht ohne weiteres darauf verlassen dürfen, dass die am 13. Mai 2005 beim Amtsgericht Bergheim abgegebene Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig bis zum 17. Mai 2005 vom Kurierdienst an das Oberlandesgericht weitergeleitet werde. Selbst wenn der Kurierdienst in der Regel täglich Fahrten von den jeweiligen Amtsgerichten zu den übergeordneten Gerichten durchführe, hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten berücksichtigen müssen, dass es auch in diesem Bereich gerade vor oder nach Feiertagen zu Unregelmäßigkeiten kommen könne. Der Kurierdienst gebe auch keine Garantie für die fristgerechte bzw. sofortige Weiterleitung von Schriftsätzen noch am selben Tag bzw. am Folgetage, sondern weise ausdrücklich darauf hin, dass keine fristgebundenen Schriftsätze, deren Frist am Tag der Abholung oder am darauf folgenden Tag ablaufe, über den Kurierdienst versendet werden dürften, sondern in diesen Fällen der Schriftsatz vorab per Telefax übermittelt werden müsse. Letzteres hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten sicherheitshalber am 13. Mai 2005 tun können. Zumindest hätte es ihm aber oblegen, am 17. Mai 2005, dem Tag des Fristablaufes, beim Oberlandesgericht nachzufragen, ob die Berufungsbegründungsschrift dort vorliege, so dass er bei negativer Auskunft diese noch rechtzeitig per Telefax hätte übersenden können. Da der Prozessbevollmächtigte des Beklagten diese Sorgfaltsanforderungen nicht befolgt und statt dessen auf die rechtzeitige Weiterleitung der Berufungsbegründungsschrift trotz deren zeitlich sehr kurzfristigen Abgabe beim Amtsgericht vertraut habe, obwohl ihm das Risiko einer infolge der Pfingstfeiertage verzögerten Weiterleitung an das Oberlandesgericht durch den Kurierdienst hätte bekannt sein müssen, treffe ihn ein Verschuldensvorwurf, welcher der Gewährung einer Wiedereinsetzung entgegenstehe.

II.

Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde des Beklagten ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238, 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (vgl. §§ 574 ff. ZPO). Sie ist auch begründet und führt zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht (§ 577 Abs. 4 ZPO).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BVerfG NJW 2000, 2657; VersR 2000, 118; Senatsbeschluss vom 30. September 2003 - VI ZB 60/02 - VersR 2004, 354, 355 jeweils m.w.N.) dürfen dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung durch die Deutsche Bundespost oder sonstige Kurierdienste nicht als Verschulden angerechnet werden, wenn das zu befördernde Schriftstück den jeweils geltenden Bestimmungen des Beförderers entsprechend und so rechtzeitig aufgegeben wird, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen des jeweiligen Beförderungsdienstes bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreicht.

Dementsprechend hätte sich das Oberlandesgericht mit dem Vorbringen des Beklagten befassen müssen, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge könne man sich darauf verlassen, dass Schriftsätze vom Kurierdienst des Anwaltsvereins Köln spätestens am darauf folgenden Werktag bei den Empfängergerichten eingingen. Die darüber hinausgehenden Überlegungen, die das Oberlandesgericht in diesem Zusammenhang anstellt, sind dagegen unerheblich. Auch wenn der Kurierdienst keine Garantie für die fristgemäße Weiterleitung von Schriftsätzen übernimmt, ergibt sich daraus noch kein Verschulden eines Rechtsanwalts, der auf die üblichen Laufzeiten vertraut. Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - im Hinblick auf das bevorstehende Pfingstwochenende. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass Differenzierungen danach, ob eine eingetretene Verzögerung auf einer zeitweise besonders starken Beanspruchung der Leistungsfähigkeit der Post (etwa vor Feiertagen), auf einer verminderten Dienstleistung der Post (beispielsweise an Wochenenden) oder auf der Nachlässigkeit eines Bediensteten beruht, unzulässig sind und die Gerichte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mit der Begründung versagen dürfen, der Betroffene habe "nach Sachlage" oder "erfahrungsgemäß" mit einer Verzögerung der Sendung rechnen müssen (BVerfG NJW 2001, 1566, 1567).

Ist nach den üblichen Postlaufzeiten mit einem fristgerechten Eingang zu rechnen, gereicht es dem Absender auch nicht zum Verschulden, weitere Sicherheitsmaßnahmen unterlassen zu haben, etwa durch Vorabübersendung des Schriftsatzes per Telefax oder durch Einholung von Erkundigungen bei dem Briefbeförderer oder dem Empfänger des Schriftsatzes (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 30. September 2003 - VI ZB 60/02 - aaO, m.w.N.).

Das Berufungsgericht wird mithin im Rahmen seiner erneuten Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu prüfen haben, ob dessen Prozessbevollmächtigter nach den normalen Postlaufzeiten des Kurierdienstes mit dem fristgerechten Eingang der Berufungsbegründungsschrift beim Oberlandesgericht rechnen konnte.

Ende der Entscheidung

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