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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.03.2005
Aktenzeichen: VI ZB 83/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 520 Abs. 2
Die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erfordert nicht die Feststellung, daß die Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VI ZB 83/04

vom 15. März 2005

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß der 58. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 1. November 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 2.817,45 €.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten aus einem Verkehrsunfall vom 2. November 1998 aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Tochter A. auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 11. Mai 2004 abgewiesen. Dieses Urteil ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 14. Mai 2004 zugestellt worden. Der Kläger hat am 14. Juni 2004 Berufung eingelegt und am 14. Juli 2004 um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gebeten. Am 16. Juli 2004 teilte die Richterin K.-W. der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten des Klägers telefonisch mit, es sei unklar, wann das amtsgerichtliche Urteil zugestellt worden sei. Ein Empfangsbekenntnis liege nicht vor. Darauf erklärte die Büroangestellte S., sie könne derzeit keine Auskunft über das Zustellungsdatum geben, weil die Akte für sie nicht greifbar sei; sie werde jedoch noch am selben Tage das Empfangsbekenntnis per Fax direkt an das Landgericht übermitteln. Mit Schreiben vom 22. Juli 2004, abgesandt am 23. Juli 2004, wiederholte die Richterin ihren Hinweis. Gleichzeitig wies sie darauf hin, daß über den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht entschieden werden könne, solange die Rechtzeitigkeit der Berufungseinlegung nicht geklärt sei. Mit Schreiben vom 2. August 2004, abgesandt am 4. August 2004, teilte der Richter W. der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten mit, bisher sei weder die gerichtliche Anfrage vom 16. Juli 2004 noch das Schreiben vom 22. Juli 2004 beantwortet worden. Deswegen könne die beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden. Die Kammer beabsichtige, die Berufung durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen. Am 13. August 2004 ging die Berufungsbegründung beim Landgericht ein. Am 16. August 2004 wurde das Empfangsbekenntnis vom 14. Mai 2004 per Telefax übermittelt. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2004 wies der Vorsitzende der Zivilkammer den Prozeßbevollmächtigten des Klägers darauf hin, eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei aus den am 16. Juli 2004 telefonisch sowie mit Schreiben vom 22. Juli und 2. August 2004 mitgeteilten Gründen nicht gewährt worden. Da das Empfangsbekenntnis erst am 16. August 2004 und somit nach Ablauf der beantragten zu verlängernden Frist eingegangen sei, sei auch eine nachträgliche Fristverlängerung nicht in Betracht gekommen.

Mit Beschluß vom 1. November 2004, dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 11. November 2004, hat das Landgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei. Die Berufungsbegründungsfrist habe am 14. Juli 2004 geendet. Dem stehe der am 14. Juli 2004 gestellte Verlängerungsantrag nicht entgegen. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers sei darauf hingewiesen worden, daß eine Verlängerung nicht in Betracht komme, weil die Rechtzeitigkeit der Berufung nicht überprüft werden könne. Der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist sei durch Verfügung der stellvertretenden Vorsitzenden vom 2. August 2004, spätestens mit der Verfügung des Vorsitzenden der Kammer vom 7. Oktober 2004 abgelehnt worden. Ohne Darlegung des Zeitpunkts der Urteilszustellung durch den Kläger sei eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht in Betracht gekommen, da die Möglichkeit bestanden habe, daß die Frist zur Einlegung der Berufung nicht eingehalten worden sei. Aufgrund der erteilten richterlichen Hinweise und der am 7. Oktober 2004 erfolgten Ablehnung habe der Kläger auch nicht auf eine Fristverlängerung vertrauen dürfen. Ob sein Vortrag zutreffe, das Empfangsbekenntnis sei am 23. Juli 2004 per Telefax übermittelt worden, könne dahinstehen, denn aufgrund des Schreibens vom 2. August 2004 habe er gewußt, daß es jedenfalls nicht zur Akte gelangt sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil der Kläger einen solchen Antrag nicht gestellt habe. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluß verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz aufgrund von Anforderungen zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Partei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen mußte (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f. = NJW 1989, 1147; BVerfGE 88, 118, 123 f. = NJW 1993, 1635; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004, 1005).

1. Das Berufungsgericht hat die Berufung verfahrensfehlerhaft als unzulässig verworfen. Wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hätte die Berufung nur dann verworfen werden dürfen, wenn der Antrag des Klägers auf Verlängerung dieser Frist abgelehnt gewesen wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 1982 - II ZB 7/81 - VersR 1982, 1191, 1192; vom 3. Februar 1988 - IV b ZB 19/88 - NJW-RR 1988, 581 und vom 5. April 2001 - VII ZB 37/00 - VersR 2003, 222). Das war hier nicht der Fall. Über die beantragte Fristverlängerung hat gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO der Vorsitzende zu entscheiden. Daran fehlt es. Die telefonische Mitteilung des Gerichts vom 16. Juli 2004 und die Schreiben vom 22. Juli und 2. August 2004 lassen schon nicht erkennen, daß sie von dem Vorsitzenden oder seinem Vertreter herrühren. Zudem handelt es sich inhaltlich nicht um Entscheidungen, sondern um gerichtliche Hinweise, denn es wird lediglich mitgeteilt, daß über den Verlängerungsantrag nicht entschieden werden könne, weil das Empfangsbekenntnis nicht vorliege. Auch das Schreiben des Vorsitzenden vom 7. Oktober 2004 enthält keine Entscheidung über die beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Dieses Schreiben enthält einen Hinweis darauf, daß und weshalb dem Antrag nicht entsprochen worden sei. Eine Ablehnung der begehrten Fristverlängerung liegt darin schon deswegen nicht, weil dem Kläger noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird und eine Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist grundsätzlich auch noch nach deren Ablauf ergehen kann, sofern der Antrag rechtzeitig gestellt worden ist (BGHZ [GSZ] 83, 217; vgl. auch BGHZ 102, 37, 38).

2. Die noch ausstehende Entscheidung über die Fristverlängerung muß im Streitfall nachgeholt werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts erfordert die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht die Feststellung, daß die Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist. Es bedarf dazu auch keiner Darlegung durch den Rechtsmittelführer. Die Frage der Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels stellt sich erst, wenn über dessen Zulässigkeit zu entscheiden ist. Stellt sich dabei heraus, daß die Frist zur Einlegung der Berufung nicht gewahrt ist, ist diese unabhängig davon, ob die Begründungsfrist verlängert worden ist, als unzulässig zu verwerfen.

3. Sollte eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13. August 2004 im Streitfall abgelehnt werden, würde sich die Frage einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen, die gemäß § 236 Abs. 2 ZPO gegebenenfalls auch von Amts wegen zu gewähren sein kann (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 236, Rdnr. 5). Dabei wäre zu berücksichtigen, daß das Empfangsbekenntnis vom 14. Mai 2004 entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht erst am 16. August 2004, sondern bereits am 23. Juli 2004 per Telefax bei Gericht eingegangen ist. Es war, wie sich aus Blatt 74 in Verbindung mit Blatt 118 der Gerichtsakte ergibt, zwar an das Amtsgericht adressiert, aber so, wie mit der Richterin K.-W. am 16. Juli 2004 telefonisch besprochen, an das Landgericht unter dessen Faxnummer übermittelt worden. Bei dieser Sachlage durfte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers darauf vertrauen, daß seinem rechtzeitig gestellten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen werden würde (vgl. BVerfGE 79, 372 = NJW 1989, 1147; BGH, Beschluß vom 11. November 1998 - VIII ZB 24/98 - NJW 1999, 430 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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