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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 07.11.2006
Aktenzeichen: VI ZR 206/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1 Dd
Der Chefarzt, der die Risikoaufklärung eines Patienten einem nachgeordneten Arzt überträgt, muss darlegen, welche organisatorischen Maßnahmen er ergriffen hat, um eine ordnungsgemäße Aufklärung sicherzustellen und zu kontrollieren
BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

VI ZR 206/05

Verkündet am: 7. November 2006

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. November 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 2. September 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten nach einer Divertikeloperation am Zwölffingerdarm auf Ersatz immateriellen Schadens in Anspruch.

Die Klägerin stellte sich am 22. Januar 2002 wegen Oberbauchbeschwerden in der chirurgischen Klinik E. vor, deren Chefarzt der Beklagte ist. Am folgenden Tag wurde sie stationär aufgenommen, über das Wochenende vorübergehend entlassen und am 6. Februar 2002 von dem Beklagten operiert. Infolge einer Nahtinsuffizienz kam es danach zu einer schweren Bauchfellentzündung und einer eitrigen Bauchspeicheldrüsenentzündung. Die Klägerin musste 49 Tage auf der Intensivstation behandelt werden, davon etwa drei Wochen in einem künstlichen Koma unter Offenhaltung des Bauchraums. Sie wurde fünf weitere Male operiert. Nach der Entlassung am 19. Juni 2002 trat sie eine Reha-Maßnahme an. Als Folge des langen Liegens auf der Intensivstation leidet sie unter einer Critical Illness Polyneuropathie am linken Unterschenkel und am Fuß.

Vor der Operation führte der Stationsarzt Dr. S. zwei Gespräche mit der Klägerin. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dabei eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung erfolgte. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten - nunmehr nur noch gestützt auf den Vorwurf unzureichender Aufklärung - ein angemessenes Schmerzensgeld in der Größenordnung von 75.000 €.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob vor dem Eingriff über das Risiko einer Bauchspeicheldrüsenentzündung aufzuklären war und die Klägerin vor der Operation ordnungsgemäß über eingriffsspezifische Risiken aufgeklärt worden ist. Es hat auch dahinstehen lassen, ob sich der Beklagte gegebenenfalls auf eine hypothetische Einwilligung der Klägerin berufen kann. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, ein etwaiger Aufklärungsfehler sei dem Beklagten jedenfalls nicht zuzurechnen, denn dieser habe die Aufklärung in zulässiger Weise dem Stationsarzt Dr. S. übertragen, der als Facharzt hierfür ausreichend qualifiziert und mit den medizinischen Gegebenheiten vertraut gewesen sei. Anhaltspunkte dafür, dass es an einer hinreichenden Kontrolle gefehlt oder der Beklagte konkreten Anlass zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit des Stationsarztes gehabt habe oder hätte haben müssen, seien nicht erkennbar.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision nicht stand. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann eine Haftung des Beklagten nicht mit der Begründung verneint werden, ein etwaiger Aufklärungsfehler sei ihm nicht zurechenbar. Das verkennt die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur ärztlichen Zusammenarbeit.

1. Im Ansatz zutreffend nimmt das Berufungsgericht allerdings an, dass ein Arzt grundsätzlich für alle den Gesundheitszustand des Patienten betreffenden nachteiligen Folgen haftet, wenn der ärztliche Eingriff nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gedeckt und damit rechtswidrig ist. Indessen setzt eine wirksame Einwilligung des Patienten dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraus. Diese kann nicht durch die irrige Annahme des Operateurs, der Patient sei ordnungsgemäß aufgeklärt worden, ersetzt werden. Auch dann, wenn der behandelnde Arzt irrig von einer ordnungsgemäßen Aufklärung und damit irrig von einer wirksamen Einwilligung des Patienten ausgeht, bleibt die Behandlung insgesamt rechtswidrig. Jeder behandelnde Arzt ist verpflichtet, den Patienten hinsichtlich der von ihm übernommenen Behandlungsaufgabe aufzuklären. Die Erfüllung dieser Aufklärungspflicht kann er zwar einem anderen Arzt übertragen, den dann die Haftung für Aufklärungsversäumnisse in erster Linie trifft (Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl., Rn. 424 f.). Jedoch entlastet das den behandelnden Arzt nicht von der vertraglichen (§ 278 BGB) und nicht ohne weiteres von der deliktischen (§ 831 Abs. 1 Satz 2 BGB) Haftung.

Wenn der behandelnde Arzt entschuldbar eine wirksame Einwilligung des Patienten angenommen hat, kann zwar seine Haftung für nachteilige Folgen der Behandlung nicht wegen fehlender Rechtswidrigkeit seines Verhaltens, möglicherweise aber mangels Verschuldens entfallen (vgl. Senatsurteile vom 23. September 1975 - VI ZR 232/73 - NJW 1976, 41, 42; vom 26. Mai 1987 - VI ZR 157/86 - VersR 1987, 1133). Voraussetzung dafür ist, dass der Irrtum des Behandlers nicht auf Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2 BGB) beruht. Diese wird bei einer Übertragung der Aufklärung auf einen anderen Arzt nur dann zu verneinen sein, wenn der nicht selbst aufklärende Arzt durch geeignete organisatorische Maßnahmen und Kontrollen sichergestellt hat, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung durch den damit betrauten Arzt gewährleistet ist.

2. Das Berufungsgericht verkennt die Bedeutung und den Umfang der bei einer ärztlichen Arbeitsteilung bestehenden Kontroll- und Überwachungspflichten. Seine Auffassung, eine Haftung des die Aufklärung delegierenden Operateurs für Aufklärungsfehler komme nur dann in Betracht, wenn es zum einen an einer hinreichenden Kontrolle fehle und der Operateur zum anderen konkreten Anlass zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit des Stationsarztes hatte oder hätte haben müssen, berücksichtigt nicht in ausreichendem Maße die im Streitfall erfolgte Form der ärztlichen Zusammenarbeit zwischen Operateur und aufklärendem Arzt. Das Berufungsgericht stellt allein darauf ab, dass der Operateur, wie der Stationsarzt Dr. S. als Zeuge bekundet habe, vor einem Eingriff üblicherweise die Behandlungsunterlagen durchsehe und sich auf diese Weise über das Vorliegen einer schriftlichen Einwilligung mit entsprechenden Hinweisen über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken vergewissere; zudem habe wegen der zehnjährigen besonders im Aufklärungsbereich beanstandungsfreien Zusammenarbeit zwischen dem Beklagten und dem Zeugen Dr. S. kein Anhaltspunkt dafür vorgelegen, an dessen Zuverlässigkeit zu zweifeln. An die Kontrollpflicht des behandelnden Arztes, der einem anderen Arzt die Aufklärung überträgt, sind strenge Anforderungen zu stellen. Da dem behandelnden Arzt die Aufklärung des Patienten als eigene ärztliche Aufgabe obliegt, die darauf gerichtet ist, die Einwilligung des Patienten als Voraussetzung einer rechtmäßigen Behandlung zu erlangen, muss er bei Übertragung dieser Aufgabe auf einen anderen Arzt deren ordnungsgemäße Erfüllung sicherstellen und im Arzthaftungsprozess darlegen, was er hierfür getan hat. Dazu gehört die Angabe, ob er sich etwa in einem Gespräch mit dem Patienten über dessen ordnungsgemäße Aufklärung und/oder durch einen Blick in die Krankenakte vom Vorhandensein einer von Patient und aufklärendem Arzt unterzeichneten Einverständniserklärung vergewissert hat, dass eine für einen medizinischen Laien verständliche Aufklärung unter Hinweis auf die spezifischen Risiken des vorgesehenen Eingriffs erfolgt ist.

3. Dies muss erst recht gelten, wenn der Operateur als Chefarzt Vorgesetzter des aufklärenden Arztes und diesem gegenüber überwachungspflichtig und weisungsberechtigt ist. Zu den Pflichten eines Chefarztes gehört es nämlich, für eine ordnungsgemäße Aufklärung der Patienten seiner Klinik zu sorgen (Senatsurteile BGHZ 116, 379, 386 und vom 14. Juli 1957 - VI ZR 45/54 - VersR 1954, 496, 497; Senatsbeschluss vom 29. Januar 1985 - VI ZR 92/84 - VersR 1985, 598, 599; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., Rn. 108 f., Steffen/Pauge, aaO, Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rn. 196). Hat er im Rahmen seiner Organisationspflicht die Aufklärung einem nachgeordneten Arzt übertragen, darf er sich auf deren ordnungsgemäße Durchführung und insbesondere die Vollständigkeit der Aufklärung nur dann verlassen, wenn er hierfür ausreichende Anweisungen erteilt hat, die er gegebenenfalls im Arzthaftungsprozess darlegen muss. Dazu gehört zum einen die Angabe, welche Maßnahmen organisatorischer Art er getroffen hat, um eine ordnungsgemäße Aufklärung durch den nichtoperierenden Arzt sicherzustellen, und zum anderen die Darlegung, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen er ergriffen hat, um die ordnungsgemäße Umsetzung der von ihm erteilten Aufklärungsanweisungen zu überwachen.

Im Streitfall fehlt es an Feststellungen des Berufungsgerichts zu Umständen, die für den Beklagten einen solchen Vertrauensschutz begründen könnten. Das Berufungsgericht führt nicht aus, welche Organisationsanweisungen zur Aufklärung erteilt worden sind (vgl. OLG Bamberg, VersR 1998, 1025, 1026 mit NA-Beschluss des Senats vom 3. Februar 1998 - VI ZR 226/97; OLG Celle, AHRS 0920/8 mit NA-Beschluss des Senats vom 11. Dezember 1984 - VI ZR 132/83). Es finden sich auch keine Feststellungen dazu, in welcher Form deren Einhaltung überwacht worden ist. Das Berufungsgericht hätte zudem berücksichtigen müssen, dass es sich bei dem Eingriff nach der Aussage des Stationsarztes Dr. S. um eine sehr seltene, vom Zeugen selbst - trotz langjähriger Berufserfahrung - noch nie durchgeführte Operation handelte, über deren Risiken dieser sich durch ein Studium der Fachliteratur informieren musste. Ob für solch seltene Operationen stets eine ausdrückliche Organisationsanweisung zur Aufklärung bestehen muss, kann offen bleiben; ist die Operation mit besonderen Risiken verbunden, wäre die Regelung der Aufklärungspflicht durch eine allgemeine Organisationsanweisung, die hierauf keine Rücksicht nimmt, jedenfalls nicht ausreichend. Zwar mag es nicht grundsätzlich geboten sein, dass bei schwierigen und seltenen Eingriffen die Risikoaufklärung nur von dem Operateur selbst vorgenommen wird (vgl. aber Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 66 Rn. 1), doch ist es erforderlich, dass für solche Eingriffe entweder eine spezielle Aufklärungsanweisung existiert oder jedenfalls gewährleistet ist, dass sich der Operateur auf andere Weise wie z. B. in einem Vorgespräch mit dem aufklärenden Arzt vergewissert, dass dieser den Eingriff in seiner Gesamtheit erfasst hat und dem Patienten die erforderlichen Entscheidungshilfen im Rahmen der Aufklärung geben kann (vgl. OLG Bamberg, aaO). Nur wenn eine solchermaßen zureichende Organisation der Aufklärung sichergestellt ist und überwacht wird, darf sich der Chefarzt darauf verlassen, dass der aufklärende Arzt sich an die allgemein oder im Einzelgespräch erteilten Organisationsanweisungen hält.

4. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die fehlenden Feststellungen zur Organisation der Aufklärung in der von dem Beklagten geleiteten Klinik nachzuholen. Dabei werden - worauf die Revisionserwiderung zu Recht hinweist - auch der Inhalt der Zeugenaussage des Stationsarztes Dr. S. zu berücksichtigen und erforderlichenfalls auch Feststellungen zum Umfang der erforderlichen Aufklärung sowie zur hypothetischen Einwilligung der Klägerin zu treffen sein.



Ende der Entscheidung

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