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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 08.06.1999
Aktenzeichen: VI ZR 220/98
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 379
ZPO § 379

Bei Benennung eines Zeugen oder Sachverständigen durch beide Parteien ist diejenige Partei Schuldner des Vorschusses zur Deckung der Auslagen, die die Beweislast trägt.

BGH, Urteil vom 8. Juni 1999 - VI ZR 220/98 - OLG Frankfurt am Main LG Gießen


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VI ZR 220/98

Verkündet am: 8. Juni 1999

Böhringer-Mangold, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juni 1999 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler und Dr. Greiner

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. Dezember 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Erstbeklagte wegen der Folgen einer ärztlichen Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch.

Nachdem die Klägerin seit vielen Jahren an starken Schmerzen im Lendenbereich sowie an Blasenentleerungsstörungen gelitten hatte und diese Beschwerden schon mehrere ärztliche Behandlungen und operative Eingriffe erforderlich gemacht hatten, wurde sie am 8. Februar 1990 zur diagnostischen Abklärung in die neurologische Klinik der Erstbeklagten aufgenommen. Zur Beurteilung des Ausmaßes einer Nervenwurzelschädigung wurde durch den bei der Erstbeklagten als Radiologen angestellten Zweitbeklagten eine Myelographie (Darstellung des Rückenmarks) vorgenommen. Während des Rücktransports im Krankenwagen erlitt die Klägerin einen generalisierten Krampfanfall, der u.a. zu einem Verrenkungs-Trümmerbruch der rechten Schulter führte. Sie leidet seither an einer inkompletten neurogenen Schädigung verschiedener Muskeln und schmerzhaften passiven Bewegungseinschränkungen.

Die Klägerin hat mit dem Vorwurf, daß sie nicht vollständig über die mit einer Myelographie verbundenen Risiken aufgeklärt und der Bruch nicht ordnungsgemäß versorgt worden sei, von den Beklagten als Gesamtschuldnern Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 150.000 DM bis 200.000 DM sowie Ersatz materiellen Schadens in Höhe von 29.290,50 DM verlangt und daneben beantragt, die Ersatzpflicht der Beklagten für alle Schäden aus dem Krampfanfall festzustellen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat mit Teilurteil vom 5. Juli 1994 die Berufung zurückgewiesen, soweit die Klage gegen den Zweitbeklagten abgewiesen worden ist. Dieses Urteil ist durch das Urteil des erkennenden Senats vom 14. November 1995 (VI ZR 359/94 - VersR 1996, 195 ff.), auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, aufgehoben worden, weil es mangels Hinweises auf das Risiko einer Querschnittlähmung an der erforderlichen Grundaufklärung als Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung gefehlt habe. Deshalb seien noch tatsächliche Feststellungen zu der Behauptung der Beklagten zu treffen, daß die Klägerin auch bei hinreichender Aufklärung eingewilligt hätte. Im weiteren Verfahren vor dem Berufungsgericht haben die Beklagten geltend gemacht, daß im Fall einer lumbalen Myelographie unter Einsatz moderner, nicht ionischer Kontrastmittel, wie sie bei der Klägerin vorgenommen worden sei, das Risiko einer Querschnittlähmung nicht bestehe. Nach Vernehmung von Zeugen hat das Berufungsgericht mit einem weiteren - inzwischen rechtskräftigen - Teilurteil vom 17. Dezember 1996 erneut die Klage gegen den Zweitbeklagten abgewiesen, weil dieser nach dem Beweisergebnis eine Aufklärung über das Risiko einer Querschnittlähmung für entbehrlich habe halten dürfen, so daß es jedenfalls an seinem Verschulden als Voraussetzung einer deliktischen Haftung fehle. Mit Beweisbeschluß vom gleichen Tag hat das Berufungsgericht die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu der Frage angeordnet, ob auch bei einer Punktion unterhalb des Rückenmarks im lumbalen Bereich zur Durchführung einer Myelographie das Risiko einer Querschnittlähmung bestehe, und hat die Beauftragung des Sachverständigen davon abhängig gemacht, daß die Klägerin binnen eines Monats einen Auslagenvorschuß von 1.500 DM einzahle. Nach Ausbleiben des Vorschusses hat das Berufungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Schlußurteil ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage auch gegen die Erstbeklagte abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht führt aus, daß der Verrenkungsbruch ordnungsgemäß versorgt worden sei. Aufgrund der Zeugenaussagen müsse auch davon ausgegangen werden, daß die Aufklärung der Klägerin über Indikation und Risiken einer Myelographie rechtzeitig und vollständig erfolgt sei. Soweit die Klägerin geltend mache, nicht über das Risiko einer Querschnittlähmung aufgeklärt worden zu sein, bestehe dieses Risiko nach dem nunmehrigen, durch die Stellungnahme eines Neuroradiologen untermauerten Vortrag der Erstbeklagten nicht, wenn die Punktion wie bei der Klägerin im lumbalen Bereich und unter Einsatz moderner Kontrastmittel erfolge. Die beachtlichen Argumente der Klägerin gegen diese Auffassung führten nicht dazu, daß es Sache der Erstbeklagten sei, darzulegen und zu beweisen, daß die Querschnittlähmung als ein Risiko, das sich unstreitig im konkreten Fall nicht verwirklicht habe, nicht zu den möglichen Komplikationen gehöre und daher nicht in die Aufklärung einzubeziehen sei. Zwar stelle die umfassende Aufklärung durch den Arzt die Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung dar, die für den Arzt einen Rechtfertigungsgrund abgebe und daher grundsätzlich von ihm darzulegen und zu beweisen sei. Demgegenüber handele es sich beim Vorwurf der Klägerin, bei dem Aufklärungsgespräch sei das Risiko der ärztlichen Behandlung unterschätzt und ihr deshalb nicht in der vollen Tragweite vor Augen geführt worden, im Kern um die Behauptung fehlerhaften ärztlichen Verhaltens, für das der Patient darlegungs- und beweispflichtig sei. Deshalb liege es nahe, dem Patienten die Darlegungs- und Beweislast auch für den Umfang der Grundaufklärung aufzubürden. Folglich sei es Sache der Klägerin gewesen, den gemäß §§ 402, 379 Satz 1 ZPO von ihr geforderten Auslagenvorschuß für das schriftliche Sachverständigengutachten einzuzahlen. Weil dies nicht geschehen sei, habe gemäß § 379 Satz 2 ZPO von der Beauftragung eines Sachverständigen abgesehen werden müssen.

II.

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Die Revision macht geltend, daß das Berufungsgericht die Beweislast für den Umfang der Aufklärungspflicht zu Unrecht bei der Klägerin gesehen und diese für beweisfällig erachtet habe. Hiermit hat sie Erfolg.

a) Zwar hat das Berufungsgericht nicht verkannt, daß die Frage, ob das Risiko einer Querschnittlähmung auch bei einer lumbalen Myelographie unter Einsatz moderner, nicht ionischer Kontrastmittel eingriffspezifisch ist, unter den Umständen des Streitfalls nur durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens geklärt werden kann. Das Berufungsgericht hat nämlich nicht etwa, wie die Revision nahelegen will, angenommen, daß die entsprechende Behauptung der Erstbeklagten bereits durch das von dieser vorgelegte Privatgutachten bewiesen sei, sondern die Einholung eines Sachverständigengutachtens für erforderlich gehalten. Von dessen Notwendigkeit geht mit Recht auch die Revision aus.

aa) Der erkennende Senat hat in dem zurückverweisenden Urteil vom 14. November 1995 (aaO) ausgeführt, der Patient müsse vor Durchführung einer Myelographie darüber aufgeklärt werden, daß diese Untersuchung Lähmungserscheinungen bis hin zur Querschnittlähmung zur Folge haben könne. Der Hinweis auf das Risiko einer Querschnittlähmung als das schwerste eingriffsspezifische Risiko gehöre zur erforderlichen Grundaufklärung, so daß die Behandlungsseite bei nicht ausreichender Grundaufklärung für einen aus dem nicht durch eine wirksame Einwilligung gerechtfertigten Eingriff herrührenden Gesundheitsschaden auch dann einstehen müsse, wenn dieser durch die Verwirklichung eines nicht vorhersehbaren und deshalb nicht aufklärungspflichtigen Risikos wie vorliegend den Krampfanfall herbeigeführt worden sei. Hierbei konnte sich der Senat für den Grundsatz, daß vor Durchführung einer Myelographie über das Risiko einer Querschnittlähmung als das schwerste eingriffspezifische Risiko aufzuklären sei, auf sein Urteil vom 4. April 1995 (VI ZR 95/94 - VersR 1995, 1055 ff.) stützen.

bb) Das Berufungsgericht war an einer abweichenden Beurteilung dieses Punktes nicht bereits unter dem Blickpunkt der Bindungswirkung nach § 565 Abs. 2 ZPO gehindert, weil es sich bei der Frage, ob bei einer Myelographie die Querschnittlähmung auch im konkreten Fall als eingriffspezifisches Risiko anzusehen war, um eine tatsächliche Voraussetzung der ärztlichen Haftung handelt.

b) Mit Recht beanstandet die Revision jedoch, daß das Berufungsgericht von der Einholung des durch den nunmehrigen Vortrag der Erstbeklagten erforderlich gewordenen Sachverständigengutachtens unter Hinweis auf § 379 Satz 2 ZPO mit der Begründung abgesehen hat, daß die Klägerin den von ihr geforderten Vorschuß nicht eingezahlt habe, und den Umstand, daß demzufolge die Beweisfrage ungeklärt blieb, der Klägerin angelastet hat.

aa) Zwar konnte das Berufungsgericht die Einholung des schriftlichen Sachverständigengutachtens nach §§ 402, 379 Satz 1 ZPO davon abhängig machen, daß der Beweisführer einen hinreichenden Vorschuß zur Deckung der Sachverständigenkosten einzahlen würde, weil die Vorschrift über den Vorschuß (§ 379 ZPO) auch beim schriftlichen Gutachten nach § 411 Abs. 1 ZPO gilt (BGH, Urteil vom 8. Januar 1964 - VIII ZR 123/62 - NJW 1964, 658). Insofern konnten beide Parteien als Beweisführer im Sinne von § 379 Satz 1 ZPO angesehen werden, weil sich beide hinsichtlich der streitigen medizinischen Frage auf ein Sachverständigengutachten berufen hatten. Gleichwohl durfte das Berufungsgericht den Vorschuß für dieses Gutachten nicht bei der Klägerin anfordern und erst recht nicht zu ihren Lasten gemäß § 379 Satz 2 ZPO von der Einholung des Gutachtens absehen, weil sie entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts für die durch das Sachverständigengutachten zu klärende Frage nicht beweisbelastet war.

bb) Der erkennende Senat schließt sich der herrschenden Auffassung darin an, daß bei Benennung eines Zeugen bzw. Sachverständigen durch beide Parteien diejenige Partei Schuldner der Vorauszahlung ist, die die Beweislast trägt (KG JW 1932, 666; Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl., § 379 Rdn. 2; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl. § 379 Anm. A IV; MüKo/Damrau, ZPO, § 379 Rdn. 3; Baumbach/Hartmann, ZPO, 57. Aufl., § 379 Rdn. 4; Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 379 Rdn. 4; Schneider, ZZP 76, 188, 194, 199; Schmid, MDR 1982, 94, 96). Die abweichende Auffassung (vgl. Musielak/Huber, ZPO, § 379 Rdn. 4; Thomas/Putzo, ZPO, 21. Aufl., § 379 Rdn. 2 sowie Bachmann, DRiZ 1984, 401, 402), nach der die Vorschußpflicht den formellen Beweisführer und damit bei beiderseitiger Berufung auf das gleiche Beweismittel beide Parteien ohne Rücksicht auf die Beweislast trifft, erscheint wenig praktikabel und berücksichtigt insbesondere nicht, daß die Nichterhebung des Beweises bei Unterbleiben des Vorschusses nach materiellen Beweislastgrundsätzen ausschließlich zu Lasten derjenigen Partei geht, die die Beweislast trägt (vgl. insoweit auch BVerfG, Beschluß vom 6. Oktober 1981 - 2 BvR 1290/80 - NJW 1982, 983).

2. Nach diesen Grundsätzen können unter den Umständen des Streitfalls die Zuweisung der Beweislast an die Klägerin und die daran anknüpfende Entscheidung zu ihren Lasten in dem angefochtenen Urteil keinen Bestand haben. Hierfür bedarf es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht einer grundsätzlichen Klärung der Frage, ob für den Umfang der dem Patienten geschuldeten Aufklärung dieser oder der Arzt beweispflichtig ist. Für den vorliegenden Fall war nämlich auf der Grundlage des bisherigen, dem zurückverweisenden Urteil vom 14. November 1995 zugrundeliegenden medizinischen Kenntnisstandes davon auszugehen, daß die Querschnittlähmung bei einem Eingriff der vorliegenden Art grundsätzlich ein aufklärungspflichtiges Risiko darstellt. Wenn demgegenüber die Beklagtenseite auf neue medizinische Erkenntnisse hinweist, wonach dieses Risiko im konkreten Fall nicht bestanden habe, macht sie damit eine Ausnahme geltend, deren tatsächliche Voraussetzungen sie bereits nach allgemeinen Grundsätzen zu beweisen hat.

III.

Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird nunmehr durch Einholung des erforderlichen Sachverständigengutachtens die Frage zu klären haben, ob die Querschnittlähmung ein spezifisches Risiko der an der Klägerin vorgenommenen Untersuchung darstellt. Sollte dies entgegen der Behauptung der Erstbeklagten der Fall sein, wird es weiterhin auf die bereits im Senatsurteil vom 14. November 1995 (aaO) angeschnittene Frage ankommen, ob die Klägerin auch bei vollständiger Aufklärung in die Durchführung der Untersuchung eingewilligt hätte.

Ende der Entscheidung

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