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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.05.2001
Aktenzeichen: VI ZR 74/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 288
ZPO § 288

Zur revisionsrechtlichen Nachprüfbarkeit eines gerichtlichen Geständnisses.

BGH, Urteil vom 22. Mai 2001 - VI ZR 74/00 - Saarländisches OLG LG Saarbrücken


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VI ZR 74/00

Verkündet am: 22. Mai 2001

Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Mai 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, die Richter Dr. Dressler und Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und den Richter Pauge

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 11. Januar 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger erlitt am 4. Februar 1993 einen Verkehrsunfall, bei dem sein von ihm geführter Pkw leicht beschädigt wurde. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners, dessen alleiniges Verschulden unstreitig ist. Sie ersetzte den Fahrzeugschaden und zahlte an den Kläger wegen einer HWS-Distorsion ein Schmerzensgeld von 3.500 DM. Der Kläger macht geltend, er habe ein Schleudertrauma erlitten und sei deswegen arbeitsunfähig. Mit der Klage begehrt er Ersatz von Verdienstausfall, Fahrtkosten aus Anlaß medizinischer Versorgung sowie ein weiteres Schmerzensgeld. Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgewiesen. Das Berufungsgericht hat dieses Urteil nebst dem zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zurückverwiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat gemeint, das landgerichtliche Urteil beruhe auf einem Verfahrensfehler (§ 539 ZPO), weil das Erstgericht über die Frage der haftungsbegründenden Kausalität Beweis erhoben habe. Das sei unzulässig gewesen, denn die Beklagte habe zugestanden, daß der Kläger bei dem Unfall ein Halswirbelsäulentrauma erlitten habe. Soweit das Landgericht die Klageabweisung hilfsweise darauf gestützt habe, der Verdienstausfallschaden sei der Höhe nach nicht schlüssig dargelegt, habe es seine Hinweispflichten gemäß §§ 139 Abs. 1-2, 278 Abs. 2 ZPO verletzt.

II.

Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen von § 539 ZPO zu Unrecht bejaht.

1. Entgegen der Auffassung der Revision erweist sich die Berufung nicht teilweise als unzulässig. Die Berufungsbegründung genügt insgesamt den Anforderungen von § 519 Abs. 3 ZPO. Hat das Erstgericht - wie hier - den Anspruchsgrund verneint und - hilfsweise - auch Höhepositionen aberkannt, muß der Rechtsmittelführer allerdings nicht nur zum Grund, sondern auch zur Höhe Stellung nehmen, denn die Berufungsbegründung muß geeignet sein, das Urteil insgesamt in Frage zu stellen. Ist die Klageabweisung hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs auf zwei voneinander unabhängige Erwägungen gestützt, muß deshalb für jede der beiden Erwägungen dargelegt werden, warum sie die Entscheidung nicht trägt (BGH, Beschluß vom 25. Januar 1990 - IX ZB 89/89, VersR 1990, 543 = NJW 1990, 1184; Beschluß vom 10. Januar 1996 - IV ZB 29/95 - NJW-RR 1996, 572; Urteil vom 18. Juni 1998 - IX ZR 389/97, NJW 1998, 3126). Diesen Erfordernissen genügt die Berufungsbegründung hier, denn der Kläger hat nicht nur zum Haftungsgrund vorgetragen, sondern auch geltend gemacht, das Landgericht habe seinen Vortrag zur Anspruchshöhe zu Unrecht als unschlüssig angesehen.

2. Da das Berufungsgericht nicht in der Sache entschieden hat, kann mit der Revision nur geltend gemacht werden, die ausgesprochene Aufhebung und Zurückverweisung verstoße gegen das Gesetz (BGH, Urteil vom 24. Februar 1983 - IX ZR 35/82, NJW 1984, 495 m.w.N.). Dafür müssen gemäß § 554 Nr. 3 b ZPO grundsätzlich die Tatsachen, die den Verfahrensmangel ergeben sollen, in den wesentlichen Punkten genau und bestimmt angegeben werden (BGHZ 14, 205, 209; BGH aaO). Die Revision zeigt nicht auf, daß das Berufungsgericht zu Unrecht von einem Geständnis der Beklagten ausgegangen sei und die Beweisbedürftigkeit der haftungsbegründenden Kausalität mit dieser Begründung nicht habe verneinen dürfen. Eine Rüge zu § 539 ZPO kann zulässigerweise aber auch so lauten, daß die nach dieser Vorschrift ausgesprochene Aufhebung und Zurückverweisung (verfahrens-)fehlerhaft sei, weil das Berufungsgericht bei korrekter Anwendung des materiellen Rechts selbst in der Sache hätte entscheiden müssen, mithin für ein Vorgehen nach § 539 ZPO mangels Entscheidungserheblichkeit des angenommenen Verfahrensverstoßes überhaupt kein Raum bestanden habe (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - XI ZR 317/95, NJW 1997, 1710). So liegt der Fall hier, denn die Revision trägt vor, das Landgericht habe die Klage zu Recht mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe den Beweis für die behaupteten unfallursächlichen Verletzungsfolgen nicht erbracht.

3. Das Verfahren des ersten Rechtszuges leidet nicht an einem wesentlichen Mangel. Eine Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 539 ZPO darf nur dann erfolgen, wenn das Verfahren an einem so erheblichen und eindeutigen Mangel leidet, daß es keine ordnungsgemäße Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1993 - II ZR 141/92, NJW 1993, 2318 f.). Eine kassatorische Entscheidung durch das Berufungsgericht kann nicht darauf gestützt werden, daß das erstinstanzliche Gericht einen materiell-rechtlichen Gesichtspunkt verkannt hat (BGH, Urteil vom 6. November 2000 - II ZR 67/99, MDR 2001, 469). Soweit das Berufungsgericht seine Entscheidung darauf gestützt hat, das Erstgericht hätte über die Frage der haftungsbegründenden Kausalität nicht Beweis erheben dürfen, liegt ein Verfahrensfehler nicht vor. Das Landgericht hat die Beweisaufnahme angeordnet, weil es - anders als das Berufungsgericht - insoweit kein Geständnis der Beklagten (§ 288 ZPO) angenommen hat. Die Frage, ob ein Geständnis gemäß §§ 288 Abs. 1, 289 Abs. 2 ZPO vorliegt, ist revisionsrechtlich uneingeschränkt nachprüfbar (BGH, Urteil vom 14. April 1999 - IV ZR 289/97, VersR 1999, 838, 839 = NJW-RR 1999, 1113 m.w.N.). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann nicht angenommen werden, die Beklagte habe die haftungsbegründende Kausalität des Verkehrsunfalls für das vom Kläger behauptete Halswirbelsäulentrauma zugestanden. Eine ausdrückliche Erklärung der Beklagten, die Ursächlichkeit des Unfalls für die vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht bestreiten zu wollen, fehlt. Richtig ist, daß sich ein gerichtliches Geständnis auch aus dem Prozeßvortrag ergeben kann (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1998 - II ZR 266/97, NJW 1999, 579, 580 m.w.N.; BVerfG NJW 2001, 1565). Das ist hier aber nicht der Fall. Die Beklagte hat zwar in der Klageerwiderung vorgetragen, sie wolle "nicht in Abrede stellen, daß das Schleudertrauma des Klägers durch den Unfall vom 4. Februar 1993 nicht dem üblichen, leichten HWS-Trauma entsprach". Diese vom Berufungsgericht als Geständnis gewertete Erklärung ist jedoch im Zusammenhang zu lesen mit den weiteren Ausführungen in der Klageerwiderung. Diese lassen erkennen, daß die Beklagte die Ansprüche des Klägers für unbegründet hält, weil es sich um einen Bagatellunfall gehandelt habe, der die behaupteten Unfallverletzungen nicht herbeigeführt haben könne. Dieses Vorbringen steht im Einklang mit der vorausgegangenen Stellungnahme der Beklagten (Schriftsatz vom 14. Februar 1996) zum Prozeßkostenhilfegesuch des Klägers. Einen Geständniswillen läßt dieser Vortrag nicht erkennen.

4. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 539 ZPO waren auch nicht hinsichtlich des mit der Klage verfolgten Verdienstausfallschadens erfüllt. Das Landgericht war nicht verpflichtet, den Kläger auf mangelnde Schlüssigkeit hinzuweisen. Die dem Gericht gemäß §§ 139 Abs. 1-2, 278 Abs. 3 ZPO obliegende Hinweispflicht entfällt, wenn schon der Prozeßgegner die anwaltlich vertretene Partei konkret auf Mängel ihres Vortrags hingewiesen hat (BGH, Urteil vom 9. November 1983 - VIII ZR 349/82, NJW 1984, 310, 311). Das war hier der Fall, denn die Beklagte hat bereits mit der Klageerwiderung eingehend die Unschlüssigkeit des geltend gemachten Verdienstausfallschadens gerügt.



Ende der Entscheidung

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