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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 07.03.2002
Aktenzeichen: VII ZR 41/01
Rechtsgebiete: AGBG, BGB, EGBGB


Vorschriften:

AGBG § 9 BF
AGBG § 9 Ch
BGB § 284
BGB § 286
EGBGB Art. 299 § 5 Satz 1
Eine Vertragsstrafenklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, nach welcher der Auftragnehmer für jeden Arbeitstag der Verspätung eine Vertragsstrafe von 0,5 % zu zahlen hat, übt einen wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Druck auf den Auftragnehmer aus. Sie ist ungeachtet einer Obergrenze unwirksam.

Zu der Frage, ob der Abschluß eines Vergleichs in einem Parallelprozeß den Zurechnungszusammenhang unterbricht, wenn eine nicht wirksam vereinbarte Vertragsstrafe als Verzugsschaden geltend gemacht wird.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VII ZR 41/01

Verkündet am: 7. März 2002

in dem Rechtsstreit

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Prof. Dr. Thode, Dr. Haß, Dr. Kuffer und Prof. Dr. Kniffka

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Dezember 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben als hinsichtlich eines 63.412,63 DM übersteigenden Betrages zuzüglich 5 % Zinsen hieraus zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Im Revisionsverfahren geht der Streit der Parteien nur noch darum, ob die Beklagte gegen eine zuerkannte Restwerklohnforderung der Klägerin von 135.503,78 DM mit einer Vertragsstrafe in Höhe von 57.212,50 DM aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag und mit einem Schadensersatzanspruch aus Verzug aus dem Vertrag der Beklagten mit ihrer Auftraggeberin in Höhe von 72.091,15 DM aufrechnen kann.

Die Klägerin war von der Beklagten mit Montagearbeiten an einem Heizkraftwerk in D. zum Vertragspreis von 995.000 DM beauftragt. Die Beklagte ihrerseits war Subunternehmerin der H. M. Bau-AG (nachfolgend: HMB), die als Hauptunternehmerin beauftragt war. Vertragsgrundlage war jeweils unter anderem die VOB/B. Zwischen der Beklagten und der HMB war in den der Beklagten gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Vertragsstrafe für die Überschreitung des Endtermins in Höhe von 10.000 DM pro Tag der Fristüberschreitung bei einem Vertragspreis von 1,97 Mio. DM vereinbart.

Die Parteien untereinander vereinbarten als Fertigstellungstermin "vier Wochen nach Übergabe der Montagepläne". Die Arbeiten hätten danach am 15. Juli 1994 fertiggestellt sein müssen. Sie wurden erst am 5. Dezember 1994 fertiggestellt aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig sind. Zwischen den Parteien war für die Überschreitung des Fertigstellungstermins in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten eine Vertragsstrafe von 7.000 DM pro Werktag vereinbart.

Die Beklagte rechnet wegen der Überschreitung des Fertigstellungstermins durch die Klägerin mit einem Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 72.091,15 DM auf. Sie habe in einem Prozeß zwischen ihr und ihrer Auftraggeberin (HMB) im Wege des Vergleichs einen Abschlag von 60.000 DM auf den Werklohn als Vertragsstrafe wegen der durch die Klägerin veranlaßten Verzögerung hingenommen. In Höhe dieses Abschlags zuzüglich der darauf entfallenden Kosten des Vorprozesses von 12.091,05 DM sei sie zur Aufrechnung berechtigt.

Aus ihrem eigenen Vertrag mit der Klägerin stehe ihr wegen der Überschreitung des Fertigstellungstermins ein Vertragsstrafenanspruch in Höhe von 57.212,50 DM zu.

Das Berufungsgericht hat der Klägerin Restwerklohn in Höhe von 135.503,78 DM zuerkannt. Die Revision der Beklagten richtet sich dagegen, daß das Berufungsgericht der Beklagten die Aufrechnung hiergegen versagt hat, also in Höhe eines 63.412,63 DM übersteigenden Betrages zu ihrem Nachteil erkannt ist.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis der Parteien findet das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).

I.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Beklagte könne mit einer etwaigen Vertragsstrafe aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag in Höhe von 57.212,50 DM nicht aufrechnen. Diese Vertragsstrafenklausel sei ebenso wie die Vertragsstrafenvereinbarung zwischen der Beklagten und der HMB verschuldensunabhängig angelegt, da sie ohne weiteren Hinweis auf § 11 VOB/B vereinbart sei. Sie sei trotz der ergänzenden Geltung der VOB/B unwirksam.

Die Beklagte könne auch die in ihrem Vergleich gegenüber der HMB berücksichtigte Vertragsstrafe wegen verzögerter Bauwerkserstellung nicht an die Klägerin als Verzugsschaden nach §§ 284, 286 BGB weiterreichen. Da die Vertragsstrafenklausel unwirksam sei, fehle es an einem zurechenbaren ersatzfähigen, konkreten Vermögensschaden. Diese Vertragsstrafe sei daher der Klägerin als Schaden ebensowenig zurechenbar wie die auf sie angefallenen anteiligen Prozeßkosten in Höhe von 12.091,05 DM.

II.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nur teilweise stand.

Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht der Beklagten die Aufrechnung mit der Vertragsstrafe aus ihrem Vertrag mit der Klägerin in Höhe von 57.212,50 DM versagt (1.). Zu Recht beanstandet sie indes, daß auch die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens in Höhe von 72.091,15 DM abgelehnt wird (2.).

1. Im Ergebnis zutreffend lehnt das Berufungsgericht die Aufrechnung der Beklagten mit der Vertragsstrafe ab, die mit der Klägerin vereinbart worden ist.

a) Verfehlt ist die Ansicht des Berufungsgerichts, die Vertragsstrafenklausel in den von der Beklagten gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei deswegen unwirksam, weil sie verschuldensunabhängig ausgestaltet sei. Die Parteien haben mit Einbeziehung der VOB/B eine verschuldensabhängige Vertragsstrafe vereinbart. Ergibt sich aus dem Vertrag nichts Gegenteiliges, ergänzt die Regelung des § 11 Nr. 2 VOB/B nach ihrem Sinn und Zweck die im Vertrag an anderer Stelle getroffene Vereinbarung. Es ist nicht erforderlich, daß § 11 Nr. 2 VOB/B in der die Vertragsstrafe selbst regelnden Vertragsklausel aufgeführt wird, sondern es genügt, daß die VOB/B in den Vertrag einbezogen wird. Die Vertragsstrafe wird gemäß § 11 Nr. 2 VOB/B nur fällig, wenn der Auftragnehmer in Verzug kommt. Sie ist damit verschuldensabhängig (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2001 - VII ZR 432/00; zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).

Nach diesen Grundsätzen ist es ohne Belang, daß § 6 des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages nicht auf § 11 VOB/B Bezug nimmt. Es reicht, daß die Parteien die ergänzende Geltung der VOB/B vereinbart haben.

b) Die Vertragsstrafenklausel ist jedoch deswegen unwirksam, weil die Höhe des Tagessatzes die Klägerin unangemessen benachteiligt, § 9 Abs. 1 AGBG. Eine Vertragsstrafenklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, nach welcher der Auftragnehmer für jeden Arbeitstag der Verspätung eine Vertragsstrafe von 0,5 % zu zahlen hat, ist ungeachtet einer Obergrenze unangemessen im Sinne des § 9 Abs. 1 AGBG (BGH, Urteil vom 20. Januar 2000 - VII ZR 46/98, BauR 2000, 1049, 1050 = ZfBR 2000, 331 = NJW 2000, 2106). Der Tagessatz von 0,5 % der Auftragssumme übt einen wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Druck auf den Auftragnehmer aus. Allein die Verwirkung dieses Vertragsstrafensatzes an wenigen Tagen schöpft in unangemessener Höhe einen erheblichen Teil des typischerweise zu erwartenden Gewinns ab (BGH, Urteil vom 17. Januar 2002 - VII ZR 198/00, zur Veröffentlichung bestimmt).

Der hier vereinbarte Tagesatz von 7.000 DM pro Werktag bei einem Vertragspreis von 995.000 DM entspricht einem Tagessatz von 0,70 %. Er ist demnach deutlich überhöht und daher unwirksam.

2. Mit Recht beanstandet die Revision, daß das Berufungsgericht der Beklagten auch die Aufrechnung mit einem Ersatzanspruch gemäß §§ 284, 286 BGB versagt.

Das Berufungsgericht geht im Ergebnis, nicht aber in der Begründung zutreffend davon aus, daß die zwischen der Beklagten und der HMB vereinbarte Vertragsstrafe unwirksam ist (a).

Von Rechtsirrtum beeinflußt ist die Ansicht des Berufungsgerichts, ein zurechenbarer Verzögerungsschaden liege deswegen nicht vor, weil bei Vergleichsabschluß der Vertragsstrafenanspruch dem Grunde nach nicht bestanden habe (b).

a) Die zwischen der Beklagten und der HMB vereinbarte Vertragsstrafe ist nicht deswegen unwirksam, weil sie verschuldensunabhängig gestaltet ist. Das Berufungsgericht nimmt auch hier rechtsfehlerhaft an, daß eine verschuldensunabhängige Vertragsstrafe vereinbart ist. In den von der HMB der Beklagten gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird ergänzend auf die VOB/B Bezug genommen. Die Vertragsstrafe ist aus den vorstehend aufgeführten Gründen auch in diesem Vertragsverhältnis verschuldensabhängig gestaltet, auch wenn dies in Ziffer 10 des Verhandlungsprotokolls vom 7. März 1994 nicht zum Ausdruck gebracht wird.

Die Vertragsstrafenklausel ist jedoch unwirksam, weil der vereinbarte Tagessatz die Beklagte unangemessen benachteiligt, § 9 Abs. 1 AGBG.

Nach den oben ausgeführten Grundsätzen ist der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der HMB vereinbarte Tagessatz von 10.000 DM pro Tag für die nicht fristgerechte Fertigstellung bei einem Vertragspreis von 1,95 Mio. DM unwirksam, weil die unangemessene Grenze von 0,5 % der Auftragssumme überschritten ist.

b) Die Revision weist indes zu Recht darauf hin, daß ein von der Klägerin zu ersetzender Verzugsschaden auch vorliegen kann, obwohl die Vertragsstrafe zwischen der Beklagten und der HMB nicht wirksam vereinbart worden, jedoch bei dem Vergleich zu Lasten der Beklagten berücksichtigt worden ist.

aa) Für die revisionsrechtliche Beurteilung ist von der Unterstellung des Berufungsgerichts auszugehen, daß die Klägerin sich mit der Fertigstellung der Vertragsleistung in Verzug befand.

bb) Durch die nicht fristgerechte Fertigstellung der Klägerin befand sich die Beklagte nach ihrer Behauptung im Verzug mit ihrer Vertragsleistung gegenüber der HMB. Die Geltendmachung der Vertragsstrafe durch die HMB beruhte demnach auf der Bauverzögerung durch die Klägerin.

cc) Da die Vertragsstrafenklausel unwirksam ist und von der Beklagten demnach nicht geschuldet ist, ist nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs in Erwägung zieht; denn der erforderliche haftungsrechtliche Zusammenhang kann fehlen, wenn der Geschädigte selbst in völlig ungewöhnlicher oder unsachgemäßer Weise in den schadensträchtigen Geschehensablauf eingreift und eine weitere Ursache setzt, die den Schaden endgültig herbeiführt. Voraussetzung der Haftung des Schädigers ist dann, daß für die Zweithandlung des Geschädigten ein rechtfertigender Anlaß bestand oder, daß diese durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert wurde und eine nicht ungewöhnliche Reaktion auf dieses Ereignis darstellt. Ob der Abschluß eines Vergleichs, der den Schaden erst herbeiführt, den rechtlichen Zusammenhang unterbricht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es sind die Erfolgsaussichten des Geschädigten im Falle einer gerichtlichen Entscheidung und sein Interesse an einer raschen Streitbeendigung zu berücksichtigen (BGH, Urteile vom 19. Mai 1988 - III ZR 32/87, NJW 1989, 99, vom 7. Januar 1993 - IX ZR 199/91, NJW 1993, 1587).

Das Berufungsgericht beurteilt die Unterbrechung des Haftungszusammenhangs allein nach der angenommenen Unwirksamkeit der Vertragsstrafe und läßt weitere wesentliche Umstände außer Acht. Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe sich auf den Vergleichsschluß eingelassen, weil das Gericht zum Ausdruck gebracht habe, die Vertragsstrafenregelung könne als rechtsbeständig angesehen werden. Die Revision weist weiter darauf hin, sämtliche Zeugen hätten diese Behauptung bestätigt. Der Vorsitzende habe im Vorprozeß erklärt, an der Vertragsstrafe könne "etwas dran" sein. Auf dieser Grundlage kann der Zurechnungszusammenhang nicht verneint werden.

III.

Da das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang keine Feststellungen getroffen hat, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Das Urteil ist aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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