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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.10.1998
Aktenzeichen: VII ZR 82/97
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 528 Abs. 2
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VII ZR 82/97

Verkündet am: 22. Oktober 1998

Seelinger-Schardt Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

ZPO § 528 Abs. 2

a) Das Gericht hat im Rahmen seiner Prozeßförderungspflicht darauf zu achten, daß in der zur Verfügung stehenden Zeit dem Vorbringen der Parteien Rechnung getragen werden kann.

b) Gründe, weshalb ein Sachverständiger nicht herangezogen werden kann, ohne den Termin zur mündlichen Verhandlung hinauszuschieben und damit die Erledigung des Rechtsstreit zu verzögern, müssen im Urteil konkret und unmißverständlich niedergelegt werden. Allgemein gehaltene Erwägungen genügen nicht.

BGH, Urteil vom 22. Oktober 1998 - VII ZR 82/97 - OLG Frankfurt/Main LG Darmstadt


Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 1998 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Hausmann, Dr. Wiebel, Dr. Kuffer und Dr. Kniffka

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, 12. Zivilsenat in Darmstadt, vom 30. Januar 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt restlichen Werklohn für Heizungs- und Sanitärarbeiten. Der Beklagte hat die Forderung zum größten Teil bereits ausgeglichen. Von den danach noch geltend gemachten 77.086,03 DM hat das Berufungsgericht in nur geringfügiger Abweichung vom Landgericht 69.950,63 DM zugesprochen. Die Revision des Beklagten, mit der weiterhin Klageabweisung insgesamt begehrt wird, wendet sich vorrangig gegen die Zurückweisung von neuem Vortrag im Berufungsverfahren.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet.

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts war der gesamte über die entschiedenen Streitpunkte - Aktivlegitimation, Fälligkeit des Werklohns, Beauftragung der Klägerin mit Zusatzarbeiten - hinausgehende Vortrag des Beklagten jedenfalls wegen Verspätung nicht zu berücksichtigen. Er sei neu und aus grober Nachlässigkeit im Verfahren vor dem Landgericht unterblieben; seine Berücksichtigung hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, weil dann zumindest ein Sachverständigengutachten hätte eingeholt werden müssen. Das wäre in den gut sieben Monaten zwischen dem Eingang der Berufungserwiderung am 15. März 1996 und der mündlichen Verhandlung am 24. Oktober 1996 nach den langjährigen Erfahrungen des Senats nicht möglich gewesen. Dazu sei zu berücksichtigen, daß vor Eingang der Berufungserwiderung nicht über die Notwendigkeit einer Begutachtung habe befunden werden können, daß ferner einige Wochen Vorbereitungszeit für einen Beweisbeschluß zu veranschlagen seien, daß eine Frist von vier bis sechs Wochen zur Zahlung des Vorschusses für den Sachverständigen hätte eingeräumt werden müssen und daß die verbleibende Zeit für ein Sachverständigengutachten nicht ausgereicht hätte, zumal die Bearbeitungszeit größtenteils in die Sommerurlaubszeit gefallen wäre.

II. Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht eine Verzögerung für den Fall angenommen, daß das für erforderlich gehaltene Sachverständigengutachten eingeholt würde.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muß ein Gericht eine Verspätung von Parteivortrag durch zumutbare vorbereitende Maßnahmen ausgleichen (Senatsurteil vom 12. Juli 1979 - VII ZR 284/78, BGHZ 75, 138, 142; BGH, Urteil vom 27. Februar 1980 - VIII ZR 54/79, BGHZ 76, 173, 178; vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 21. Februar 1990 - 1 BvR 1117/89, BVerfGE 81, 264, 270). Diese Rechtsprechung hat ihren Grund darin, daß die Bestimmungen über die Präklusion keine Strafnormen sind, sondern lediglich bestimmte Verzögerungen verhindern sollen. Läßt sich eine eingetretene Verspätung durch prozeßleitende Maßnahmen auffangen, so kommt die Zurückweisung des verspäteten Vortrags nicht in Betracht (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 21. März 1991 - III ZR 118/89, NJW 1991, 2759 = VersR 1991, 1172).

2. Das Berufungsgericht hätte im Rahmen seiner Prozeßförderungspflicht darauf achten müssen, daß in der zur Verfügung stehenden Zeit das Vorbringen des Beklagten nach Möglichkeit berücksichtigt werden konnte. Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen nicht erkennen, daß es dieser Aufgabe gerecht geworden ist.

Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Gründe benannt, weshalb die von ihm als maßgeblich angesehene Zeitspanne von etwas mehr als sieben Monaten seiner Ansicht nach nicht ausgereicht hätte. Konkrete Bemühungen, rechtzeitig einen Sachverständigen heranzuziehen, sind dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen. Ferner ist nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich, daß etwa wegen Vielfalt und Schwierigkeit der anstehenden Beweisfragen eine Klärung innerhalb dieser Zeit ausgeschlossen gewesen wäre. Ebensowenig ist ausgeführt, daß Erfordernisse des Verfahrensablaufs entgegengestanden hätten. Die allgemeinen Bemerkungen zu den Erfahrungen des Berufungsgerichts und zur sommerlichen Urlaubszeit genügen nicht. Die Annahme des Berufungsgerichts, von den etwa sieben Monaten würden schon mehrere Monate allein für den Beweisbeschluß und den Kostenvorschuß verbraucht, ist nicht gerechtfertigt. Es ist nicht zu erkennen, weshalb für den Beweisbeschluß mehrere Wochen und für die Anforderung des Kostenvorschusses von der beweisbelasteten Partei für das Sachverständigengutachten gar 1 1/2 Monate nötig sein sollten. Wenn ohne besondere und im Urteil kenntlich gemachte Gründe Zeitspannen solchen Umfangs angesetzt werden, dann ist die Unmöglichkeit, in der bis zum Termin verbleibenden Zeit ein Sachverständigengutachten zu bekommen, nicht mehr auf eine Verspätung des Parteivorbringens zurückzuführen, sondern auf die Verfahrensgestaltung durch das Gericht. Dann liegt eine Verzögerung im Sinne der Präklusionsvorschriften nicht vor.

2. Danach ist nicht mehr entscheidend, ob das Berufungsgericht bei der Festsetzung des Termins zur mündlichen Verhandlung die seiner Ansicht nach durch die Verspätung entstandene Zeitknappheit hätte berücksichtigen und gegebenenfalls einen späteren Termin ansetzen müssen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine solche Maßnahme zum Ausgleich einer Verspätung grundsätzlich nicht erforderlich (Senatsurteil vom 23. Oktober 1980 - VII ZR 307/79, NJW 1981, 286 = BauR 1981, 92). Allerdings hat das Berufungsgericht den Verhandlungstermin unabhängig vom Verhalten der Parteien wegen seiner eigenen Geschäftsbelastung erst mehr als ein Jahr nach Eingang der Berufung und mehr als sieben Monate nach Eingang der Berufungserwiderung angesetzt. Unter solchen Umständen hätte der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch noch die Prüfung verlangt, ob nicht durch eine angesichts der ohnehin vorgegebenen Daten geringfügig weitere Terminierung etwa im November oder Anfang Dezember 1996 selbst aus der Sicht des Berufungsgerichts die Verspätung des Beklagten hätte aufgefangen werden können und dann auch hätte aufgefangen werden müssen.

III.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Vortrag des Beklagten insgesamt substantiiert. Das Urteil ist danach aufzuheben. Da dem Vortrag des Beklagten nunmehr nachzugehen ist, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.



Ende der Entscheidung

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