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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.01.2001
Aktenzeichen: VIII ZB 26/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233 B
ZPO § 233 Fb
ZPO § 233 Fc
ZPO § 233 Fd
ZPO § 233 B, Fb, Fc, Fd

Das Fristenwesen in einer Rechtsanwaltskanzlei muß so organisiert sein, daß bei Einlegung einer Berufung das mutmaßliche Ende der Berufungsbegründungsfrist bei oder alsbald nach Absendung der Berufungsschrift im Fristenkalender notiert wird. Ein insoweit gegebenes Organisationsverschulden bleibt nicht deswegen folgenlos, weil der Anwalt nach Mitteilung des Eingangsdatums der Berufung zur Notierung der endgültig berechneten Frist eine Einzelanweisung erteilt hat, deren Befolgung die durch das Organisationsverschulden geschaffene Gefahrenlage noch rechtzeitig beseitigt hätte.

BGH, Beschluß vom 9. Januar 2001 - VIII ZB 26/00 - OLG Karlsruhe LG Offenburg


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZB 26/00

vom

9. Januar 2001

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Januar 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Ball, Wiechers und Dr. Wolst

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe, Zivilsenate in Freiburg, vom 26. Juli 2000 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Wert des Beschwerdegegenstandes: 50.000 DM.

Gründe:

I. Der in erster Instanz unterlegene Beklagte hat gegen das ihm am 7. Januar 2000 zugestellte Urteil des Landgerichts durch seine Prozeßbevollmächtigten am 7. Februar 2000 per Telefax Berufung eingelegt. Die Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts bestätigte den Eingang der Berufungsschrift am 9. Februar 2000. Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist teilte der Vorsitzende des Berufungssenats den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten mit, es sei beabsichtigt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Auf dieses, am 16. März 2000 hinausgegangene Schreiben hin begründete Rechtsanwalt K. für den Beklagten die Berufung mit einem am 31. März 2000 eingegangenen Schriftsatz und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Berufungsbegründungsfrist sei allein deshalb versäumt worden, weil die in seiner Kanzlei beschäftigte, geschulte und zuverlässige Rechtsanwaltsfachgehilfin R. entgegen einer ihr schriftlich und mündlich erteilten Einzelanweisung Rechtsanwalts K. versehentlich weder die Berufungsbegründungsfrist zum 7. März 2000 noch die Vorfrist zum 1. März 2000 eingetragen habe.

II. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht, daß die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht auf einem Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten beruhe. Zwar habe der Beklagte ursprünglich - in seinem Wiedereinsetzungsgesuch vom 29. März 2000 - einen Sachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht, nach dem die Fristversäumung lediglich auf ein Kanzleiversehen zurückzuführen sei. Danach habe die Rechtsanwaltsgehilfin R. gemäß allgemeiner Anordnung einen vorläufigen Vermerk des Fristablaufs zum 7. März 2000 und eine einwöchige Sekretariatsvorlage notiert. Nach Erhalt der Eingangsbestätigung des Oberlandesgerichts vom 9. Februar 2000 habe Rechtsanwalt K. am 15. Februar 2000, dem Tag des Eingangs der Bestätigung, Frau R. schriftliche und mündliche Einzelanweisung erteilt, die Berufungsbegründungsfrist zum 7. März 2000 und die Vorfrist zum 1. März 2000 im Fristenkalender einzutragen. Diese Einzelanweisung, durch die sich der vorläufige Fristenvermerk erledigt habe, sei von Frau R. versehentlich nicht ausgeführt worden.

Diese Darstellung habe der Beklagte indessen mit einem weiteren Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 8. Mai 2000 dahin korrigiert, die versehentlich nicht ausgeführte schriftliche und mündliche Einzelanweisung sei bereits am 7. Februar 2000 erteilt worden. Von dieser korrigierten Darstellung sei auszugehen, da der Beklagte mit ihr zu erkennen gegeben habe, daß er an seiner ursprünglichen Version vom 29. März 2000 nicht mehr festhalte.

Nach dem hiernach maßgeblichen Vortrag treffe den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ein eigenes Verschulden, weil er es versäumt habe, bei der Wiedervorlage der Akte am 15. Februar 2000 zu überprüfen, ob seine Anweisung vom 7. Februar 2000 zur Eintragung der Berufungsbegründungsfrist und einer Vorfrist ordnungsgemäß ausgeführt worden sei.

III. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Beklagten, mit der er unter Vorlage entsprechender eidesstattlicher Versicherungen der Rechtsanwaltsfachgehilfin R. im wesentlichen geltend macht, bei den Datumsangaben im Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 8. Mai 2000 handele es sich um ein offensichtliches Versehen; chronologisch richtig sei die ursprüngliche Darstellung vom 29. März 2000.

IV. Das zulässige Rechtsmittel bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, daß die Berufungsbegründungsfrist ohne ein ihm zuzurechnendes (§ 85 Abs. 2 ZPO) Verschulden seiner Prozeßbevollmächtigten versäumt worden ist.

Dahinstehen kann, ob das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, der Beklagte habe seine ursprüngliche Darstellung des zeitlichen Ablaufs der für die Wiedereinsetzung maßgeblichen Ereignisse durch seine spätere Darstellung vom 8. Mai 2000 korrigiert und halte dementsprechend seine ursprüngliche Version nicht mehr aufrecht. Denn auch die ursprüngliche Darstellung vom 29. März 2000 ist nicht geeignet, ein eigenes Verschulden der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten in Gestalt eines Organisationsverschuldens auszuschließen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muß das mutmaßliche Ende der Berufungsbegründungsfrist schon bei oder alsbald nach Absendung der Berufungsschrift im Fristenkalender notiert werden; dieser Vermerk ist zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, wenn das Gericht das Datum des Eingangs der Berufungsschrift mitgeteilt hat (BGH, Beschluß vom 6. Mai 1997 - VI ZB 12/97, VersR 1997, 118 unter 1 m.w.Nachw.). Der vorläufige Eintrag des mutmaßlichen Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist dient dem Zweck, die Wahrung der Begründungsfrist auch für den Fall sicherzustellen, daß eine Mitteilung des Gerichts über das Datum des Eingangs der Berufungsschrift ausbleibt. Das Fristenwesen in einer Rechtsanwaltskanzlei muß mithin so organisiert sein, daß in jedem Fall bei Einlegung einer Berufung das mutmaßliche Ende der Berufungsbegründungsfrist bei oder alsbald nach Absendung der Berufungsschrift im Fristenkalender notiert wird.

Dem Vorbringen des Beklagten ist nicht zu entnehmen, daß in der Kanzlei seiner Prozeßbevollmächtigten hierfür ausreichend Vorsorge getroffen ist. Im Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten (GA 27) und in den später eingereichten Schriftsätzen sowie den jeweils beigefügten eidesstattlichen Versicherungen der Rechtsanwaltsfachgehilfin R. ist zwar stets die Rede davon, daß gleichzeitig mit der Berufungseinlegung am 7. Februar 2000 entsprechend einer allgemeinen Anordnung ein vorläufiger Vermerk des Fristablaufs zum 7. März 2000 "stattfand" bzw. "notiert wurde". Nirgendwo ist indessen vorgetragen, daß das mutmaßliche Ende der vorläufig berechneten Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender eingetragen worden sei; im Wiedereinsetzungsgesuch ist vielmehr von einem vorläufigen "Aktenfristenvermerk" und einer "Sekretariatswiedervorlage" die Rede. Ebensowenig ist der Darstellung des Beklagten zu entnehmen, daß in der Kanzlei seiner Prozeßbevollmächtigten eine allgemeine Anordnung oder Anweisung bestanden habe, auch vorläufig berechnete Fristen bereits im Fristenkalender und nicht etwa - unzureichend (BGH, Beschluß vom 6. Mai 1997 aaO unter 1 b) - nur in der Handakte zu notieren.

Daß eine dahingehende allgemeine Anweisung bestand und regelmäßig praktiziert wurde, ist nach dem vom Beklagten glaubhaft gemachten Sachverhalt auch nicht anzunehmen. Wäre nämlich der vorläufige Vermerk über den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist mit dem Datum 7. März 2000 im Fristenkalender eingetragen worden, so hätte dieser Eintrag am 7. März 2000 zur Vorlage der Akte an den für die Bearbeitung der Sache zuständigen Rechtsanwalt führen müssen. Der Beklagte hat nichts dazu vorgetragen, aus welchen Gründen es zu einer solchen Wiedervorlage der Akte nicht gekommen ist. Er hat insbesondere nicht geltend gemacht, daß auch die Nichtbeachtung eines solchen Eintrags im Fristenkalender, sofern er vorhanden sein sollte, auf einem Versehen des Kanzleipersonals beruhe, an welchem seine Prozeßbevollmächtigten kein Verschulden treffe. Bei dieser Sachlage läßt sich dem Vortrag des Beklagten nicht mit der für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erforderlichen Eindeutigkeit (BGH, Beschluß vom 6. Mai 1997 aaO unter 1 a) entnehmen, daß die Erfassung und Überwachung der Berufungsbegründungsfrist in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten in der gebotenen, Fehler nach Möglichkeit ausschließenden Weise organisiert ist.

Unter diesen Umständen kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Das in bezug auf die Erfassung und Überwachung der vorläufig berechneten Berufungsbegründungsfrist nicht ausgeräumte Organisationsverschulden der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten bleibt nicht etwa deswegen folgenlos, weil Rechtsanwalt K. nach der ursprünglichen Darstellung des Beklagten am 15. Februar 2000 eine Einzelweisung erteilt hat, deren Befolgung zur Notierung der Berufungsbegründungsfrist (nebst Vorfrist) im Fristenkalender geführt und so die durch das Organisationsverschulden geschaffene Gefahrenlage noch rechtzeitig beseitigt hätte. Trifft die Partei oder ihren Anwalt ein Verschulden im Sinne des § 233 ZPO, so kann Wiedereinsetzung nur dann gewährt werden, wenn glaubhaft gemacht ist, daß es sich nicht auf die Fristversäumung ausgewirkt haben kann (BGH, Beschluß vom 21. September 2000 - IX ZB 67/00, NJW 2000, 3649 unter II 2). Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Vielmehr wäre, wie dargelegt, die Handakte dem für die Bearbeitung der Sache zuständigen Rechtsanwalt noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt worden, wenn die Erfassung und Überwachung der vorläufig berechneten Berufungsbegründungsfrist in der gebotenen Weise organisatorisch sichergestellt gewesen wäre.

Ende der Entscheidung

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