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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 11.07.2001
Aktenzeichen: VIII ZR 119/00
Rechtsgebiete: HGB, BGB


Vorschriften:

HGB § 128
BGB § 459
BGB § 462
BGB § 460
BGB § 273
BGB § 433 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VIII ZR 119/00

Verkündet am: 11. Juli 2001

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Wiechers, Dr. Wolst und Dr. Frellesen

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 30. März 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin hatte unter der Bezeichnung "die Kugel" ein elektronisches System zur Automatisierung des Hauses entwickelt. Die Beklagte zu 1) (im folgenden: Beklagte), deren persönlich haftende Gesellschafterin die Beklagte zu 2) ist, vertreibt unter anderem elektronische Geräte. Anfang Oktober 1996 kaufte die Beklagte von der Klägerin zunächst zwecks Erprobung zwei Basispakete mit je einer Kugel sowie zwei weitere Kugeln. Am 14. Oktober bzw. 4. November 1996 unterzeichneten die Beklagte und die Klägerin eine Vertriebsvereinbarung, in der die Klägerin der Beklagten das Alleinvertriebsrecht in bestimmten Bundesländern einräumte. Am 15. Oktober 1996 bestellte die Beklagte bei der Klägerin 200 Basispakete sowie 150 zusätzliche Kugeln zum Preis von insgesamt 137.840 DM. Bei Abschluß der Verträge war der Beklagten bekannt, daß die von ihr gekauften Kugeln lediglich eine Schaltfunktion ausführen konnten und daß Kugeln mit anderen Funktionen (Licht- und Temperatursensor, Dimmer, Feuchtigkeitsmesser, Bewegungsmelder) noch nicht zur Verfügung standen. Die erste Teillieferung wurde von der Beklagten bezahlt. Die Rechnungen für weitere Teillieferungen beglich die Beklagte nicht.

Am 24. Januar 1997 verhandelten die Klägerin und die Beklagte über die Entwicklung einer neuen, kostengünstigeren Kugel, die die bisher fehlenden Funktionen der alten Kugel enthalten und mit dieser kompatibel sein sollte. Mit Schreiben vom 1. und 17. April 1997 mahnte die Klägerin die Bezahlung der offenen Rechnungen an und wies unter anderem darauf hin, daß bei Ausbleiben des Geldes die Entwicklung der neuen Kugel in Gefahr sei. Als die Beklagte nicht zahlte, stellte die Klägerin die Entwicklungsarbeiten aus Geldmangel ein. Mit Anwaltsschreiben vom 6. Juni 1997 ließ die Beklagte die Wandelung des mit der Klägerin geschlossenen Kaufvertrages erklären, weil die gelieferten Kugeln wegen der fehlenden Funktionen mangelhaft seien.

In dem vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin von den Beklagten als Gesamtschuldnern Zahlung des ausstehenden Restkaufpreises in Höhe von 83.624,32 DM nebst Zinsen. Die Beklagten, die klargestellt haben, daß die gelieferten Kugeln selbst mangelfrei sind, machen geltend, daß das System wegen der fehlenden Funktionen mangelhaft sei. Sie behaupten, die Klägerin habe vor Vertragsschluß ausdrücklich zugesagt, daß Kugeln mit weiteren Funktionen spätestens Anfang 1997 lieferbar seien. Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe seinerzeit erklärt, die am 15. Oktober 1996 bestellten Kugeln im Weihnachtsgeschäft absetzen zu wollen.

Das Landgericht hat der Klage antragsgemäß stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten hin abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Der Klägerin stünden weitere Kaufpreisansprüche nicht zu. Sie sei der Beklagten wegen Verletzung nachvertraglicher Nebenpflichten zum Schadensersatz verpflichtet. Die Beklagte könne deswegen zumindest Freistellung von der restlichen Kaufpreisforderung der Klägerin verlangen. Ob schon das Unterlassen der Weiterentwicklung der Kugel eine Vertragsverletzung der Klägerin darstelle, könne offen bleiben. Jedenfalls habe sich die Klägerin deshalb schadensersatzpflichtig gemacht, weil sie die Beklagte nicht unmißverständlich darauf hingewiesen habe, daß sie die Weiterentwicklung der Kugel ohne Zahlung des Restkaufpreises mangels ausreichenden Eigenkapitals einstellen müsse. Zu einem solchen Hinweis sei die Klägerin angesichts der grundlegenden Bedeutung der Weiterentwicklung für die Verwertbarkeit der bereits gelieferten Kugeln und für die Zusammenarbeit der Parteien im Rahmen der Vertriebsvereinbarung verpflichtet gewesen. Dieser Verpflichtung habe die Klägerin durch den in ihrem Schreiben vom 17. April 1997 enthaltenen Hinweis darauf, daß die Entwicklung in Gefahr sei, nicht genügt.

II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Nach den bisher getroffenen Feststellungen hat das Berufungsgericht den der Höhe nach unstreitigen Restkaufpreisanspruch der Klägerin aus § 433 Abs. 2 BGB gegen die Beklagte zu 1), für den die Beklagte zu 2) gemäß § 128 HGB haftet, zu Unrecht verneint.

Mit Erfolg wendet sich die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht eine zum Schadensersatz verpflichtende Verletzung nachvertraglicher Nebenpflichten der Klägerin angenommen hat, weil diese die Beklagte nicht unmißverständlich darauf hingewiesen habe, daß sie die Weiterentwicklung der Kugel ohne die Zahlung des Restkaufpreises mangels ausreichenden Eigenkapitals einstellen müsse.

1. Dem Berufungsgericht kann bereits insoweit nicht gefolgt werden, als es eine vertragliche Nebenpflicht der Klägerin, die Beklagte auf die drohende Einstellung der Weiterentwicklung der Kugel hinzuweisen, aus der "grundlegenden Bedeutung" hergeleitet hat, "die die Entwicklung der Zusatzkomponenten für die Verwertbarkeit der bereits gelieferten Ware und für die Zusammenarbeit der Parteien im Rahmen der Vertriebsvereinbarung hatte". Offenbleiben kann, ob und gegebenenfalls welche Bedeutung die Weiterentwicklung für die Vertriebsvereinbarung der Parteien hatte. Hier geht es nicht um diese Vereinbarung, sondern allein um den Kaufvertrag über die Lieferung von Kugeln, aus dem noch ein Restkaufpreis offen ist. Insoweit kommt der Weiterentwicklung der Kugeln nach dem zugrunde zu legenden Sachverhalt keine Bedeutung zu. In der Revisionsinstanz ist nämlich mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts gemäß der unter Zeugenbeweis gestellten Behauptung der Klägerin davon auszugehen, daß die Beklagte die unter dem 15. Oktober 1996 bestellten Kugeln schon im Weihnachtsgeschäft 1996 absetzen wollte. Dabei war ihr unstreitig bekannt, daß die Kugeln lediglich eine Schaltfunktion ausführen konnten und daß Kugeln mit anderen Funktionen noch nicht zur Verfügung standen. Die Beklagten haben zwar behauptet, die Klägerin habe vor Vertragsschluß ausdrücklich zugesichert, daß Zusatzkugeln mit weiteren Funktionen spätestens Anfang 1997 lieferbar sein würden. Feststellungen dazu hat das Berufungsgericht jedoch nicht getroffen. Danach spielten die Zusatzfunktionen für die Kugeln, um deren Bezahlung es hier geht, nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt keine Rolle.

2. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, die Klägerin habe der Beklagten die Bedeutung der Zahlung des Restkaufpreises für die Weiterentwicklung der Kugel durch ihr Schreiben vom 17. April 1997 nicht unmißverständlich klargemacht. Die tatrichterliche Auslegung von Individualerklärungen ist zwar revisionsrechtlich nur beschränkt auf die Verletzung von Auslegungsregeln, Denkgesetzen, Erfahrungssätzen und Verfahrensvorschriften überprüfbar (st.Rspr. des BGH, z.B. Urteil vom 14. Juni 2000 - VIII ZR 73/99, WM 2000, 2309 unter B I 1 b m.w.Nachw.). Ein solcher Fehler liegt hier aber vor, weil das Berufungsgericht das Schreiben der Klägerin vom 17. April 1997 nur unvollständig gewürdigt hat. Darin heißt es zunächst:

"Wir müssen heute mit der dringlichen Bitte an Sie herantreten, die offenen Rechnungen ... innerhalb der nächsten zehn Tage ohne weiteren Aufschub zu begleichen.

Wir wären von unserer Seite gerne bereit, Ihnen den o.g. Betrag weiterhin zu stunden, leider läßt unsere finanzielle Lage das nicht zu. Des weiteren hat uns unser Lieferant per Anwaltsschreiben für die an Sie gelieferten Kugeln eine letzte Frist gesetzt und wir können und wollen uns eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht erlauben ... ."

Daran schließt sich dann der vom Berufungsgericht angeführte Hinweis an:

"Bitte halten Sie v.g. Termin unbedingt ein, ansonsten wäre auch unsere eigene Entwicklung für die Version 2 in Gefahr".

Angesichts dieses eindringlichen Hinweises der Klägerin auf ihre finanzielle Notsituation konnte die Beklagte nicht im Zweifel darüber sein, daß ihre beharrliche Zahlungsverweigerung das Ende der Weiterentwicklung der Kugel bedeutete, zumal die Klägerin ihr bereits mit Schreiben vom 1. April 1997 mitgeteilt hatte:

"Wir haben durch Ihre erste Teilzahlung einige Lieferanten zum Stillhalten bewegen können, sind aber nun so weit, daß wir dringend die Restzahlung benötigen, um unsere Verbindlichkeiten abzudecken."

Gegenteiliges haben im übrigen die Beklagten selbst nicht geltend gemacht.

3. Wie die Revision weiter zu Recht beanstandet, hat das Berufungsgericht auch nicht bedacht, daß sich die Beklagte zuerst selbst vertragsuntreu verhalten hat, indem sie den ausstehenden Restkaufpreis nicht bezahlt hat. Angesichts dessen ist es den Beklagten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) versagt, der Klägerin die vom Berufungsgericht zur Last gelegte Verletzung nachvertraglicher Pflichten entgegenzuhalten. Bezeichnenderweise haben dies die Beklagten selbst in den Vorinstanzen auch nicht getan.

III. Das Berufungsurteil stellt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO).

1. Insbesondere war die Beklagte nicht nach §§ 459, 462 BGB zur Wandelung des mit der Klägerin geschlossenen Kaufvertrages berechtigt. Die gelieferten Kugeln sind für sich genommen selbst nach Ansicht der Beklagten mangelfrei. Das Kugel-System mag gemäß der Behauptung der Beklagten ohne die Zusatzfunktionen mangelhaft sein. Der Beklagten war jedoch - ungeachtet der Angaben auf der Verpackung - bei Abschluß des Kaufvertrages unstreitig bekannt, daß die von ihr gekauften Kugeln lediglich eine Schaltfunktion ausführen konnten und daß Kugeln mit anderen Funktionen noch nicht zur Verfügung standen. Gemäß § 460 BGB können sich die Beklagten daher auf diesen etwaigen Mangel nicht berufen. Zu der von ihnen behaupteten ausdrücklichen Zusicherung der Klägerin vor Abschluß des Kaufvertrages, daß Zusatzkugeln mit weiteren Funktionen spätestens Anfang 1997 zur Verfügung stünden, hat das Berufungsgericht bislang keine Feststellungen getroffen.

2. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich offen gelassen, ob schon die Einstellung der Weiterentwicklung der Kugel eine positive Vertragsverletzung darstellt. Insoweit fehlt es auch an Feststellungen dazu, woraus sich die Verpflichtung der Klägerin zur Weiterentwicklung der Kugel ergeben soll. Davon abgesehen stand der Klägerin wegen der Zahlungsverweigerung der Beklagten jedenfalls ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB zu.

IV. Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, da es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf. Daher waren das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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