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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 04.04.2001
Aktenzeichen: VIII ZR 33/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 123
BGB §§ 459 ff
ZPO § 286
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VIII ZR 33/00

Verkündet am: 4. April 2001

Kirchgeßner, Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 2001 durch die Richter Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Dr. Leimert, Wiechers und Dr. Wolst

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenates des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 12. Januar 2000 aufgehoben.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Mühlhausen vom 26. Februar 1998 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger begehren vom Beklagten Freistellung von Ansprüchen einer Sparkasse auf Rückzahlung von Darlehen sowie Freistellung von Ansprüchen aus selbstschuldnerischen Bürgschaften, die sie zugunsten der BKD B. -, R. - und S. GmbH (im folgenden: BKD GmbH oder GmbH) übernommen hatten. Der Beklagte macht mit der Widerklage Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf von Geschäftsanteilen der BKD GmbH geltend.

Gesellschafter der GmbH waren zunächst der Kläger zu 1, sein Bruder V. B. und der Zeuge K. . Am 8. September 1993 schied V. B. aus der Gesellschaft aus, nachdem er seine Geschäftsanteile an den Mitgesellschafter K. verkauft und übertragen hatte; er blieb jedoch der GmbH - wie bisher - als Steuerberater verbunden und arbeitete, insbesondere durch die Erledigung sämtlicher Buchführungsarbeiten, mit seinem Bruder und der GmbH weiterhin eng zusammen. Die Geschäftsführung teilten die beiden verbliebenen Gesellschafter dergestalt unter sich auf, daß der Kläger zu 1 als "Hauptgeschäftsführer" für den kaufmännischen Bereich und der Zeuge K. für den technischen Bereich zuständig sein sollte. Die wirtschaftliche Situation der BKD GmbH war bereits spätestens seit dem Sommer 1993 angespannt.

Ende September/Anfang Oktober 1993 lernten der Kläger zu 1 und sein Bruder den Beklagten kennen und nahmen Verhandlungen über den Erwerb der vom Kläger zu 1 gehaltenen Geschäftsanteile durch den Beklagten auf. Am 9. November fand zwischen dem Kläger zu 1, dem Zeugen K. und dem Beklagten eine Besprechung statt, bei der die Übernahme sämtlicher Geschäftsanteile des Klägers zu 1 mit einem Nennbetrag von insgesamt 12.300 DM sowie von zwei Geschäftsanteilen des Zeugen K. in Höhe von insgesamt 7.800 DM durch den Beklagten vereinbart wurde; die von K. gehaltenen restlichen Geschäftsanteile im Nennbetrag von 30.000 DM sollten weiterhin bei diesem verbleiben. Außerdem vereinbarten die Beteiligten, daß der Beklagte der Gesellschaft eine "Liquiditätshilfe" von 100.000 DM als Darlehen gewähren sollte, die zur Bezahlung der anstehenden Löhne und Gehälter bestimmt war. Der Betrag wurde am 11. November 1993 vom Beklagten überwiesen und am folgenden Tag der GmbH gutgeschrieben.

Entsprechend der Vereinbarung vom 9. November 1993 erwarb der Beklagte durch notariellen Vertrag vom 22. November 1993 die Geschäftsanteile des Klägers zu 1 zum Nennwert von 12.300 DM sowie zwei Anteile des Zeugen K. - ebenfalls zum Nennwert - für 7.800 DM. Hinsichtlich der finanziellen Entlastung der Kläger durch den Beklagten war unter Ziffer III.5 des Vertrages folgendes vereinbart:

"Sämtliche Kredite, Sicherheiten und Bürgschaften, die auf die Namen J. B. und M. B. zu Gunsten der BKD GmbH getätigt wurden, sind durch schriftliche Entlastung der Kreditgeber aus allen in diesem Zusammenhang entstandenen Rechten und Pflichten zu entlasten. Sie erhalten hierfür keinen Ausgleich. Herr R. W. verpflichtet sich, diese Verpflichtung gegenüber der Kreissparkasse S. in vollem Umfang zu übernehmen oder abzulösen."

Mit Anwaltsschreiben vom 11. April 1994 forderten die Kläger den Beklagten erfolglos auf, sie bis zum 20. April 1994 von den Verbindlichkeiten gegenüber der K. sparkasse S. freizustellen.

Nachdem am 10. Juni 1994 das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der BKD GmbH eröffnet worden war, erklärte der Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 14. Juni 1994 die Anfechtung des notariellen Vertrages vom 22. November 1993 wegen arglistiger Täuschung über die wirtschaftlichen Verhältnisse der BKD GmbH durch den Kläger zu 1. Mit weiterem Schreiben vom 18. Juli 1994 forderte der Beklagte den Kläger zu 1 auf, einer Rückübertragung der Geschäftsanteile der BKD GmbH zuzustimmen und zu erklären, daß er keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einleiten werde. Dies lehnte der Kläger zu 1 mit Schreiben seines Anwalts vom 21. Juli 1994 ab.

Die Kläger haben behauptet, für den Kläger zu 1 sei im September 1993 nicht erkennbar gewesen, daß die Gesellschaft konkursreif gewesen sei; jedoch hätten er und sein Bruder den Beklagten auf die äußerst angespannte wirtschaftliche Situation der Gesellschaft aufmerksam gemacht. Dem Beklagten sei die finanzielle Situation der BKD GmbH auch deshalb bekannt gewesen, weil er ein Unternehmenskonzept sowie einen Finanzplan erstellt habe. Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat behauptet, der Kläger zu 1 habe ihn bei den Vertragsverhandlungen über entscheidende Umstände, insbesondere über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft getäuscht, zumindest aber fahrlässig seine ihm insoweit obliegenden Hinweispflichten verletzt. Die wirtschaftliche und finanzielle Lage habe er als günstig und positiv dargestellt und monatliche Umsätze von 500.000 DM als möglich bezeichnet. Tatsächlich sei die GmbH jedoch bereits im Oktober/ November 1993 nahezu konkursreif gewesen, was sich u.a. aus einer rückständigen Forderung der Sozialversicherungsträger und der vom Kläger zu 1 hierfür übernommenen persönlichen Bürgschaft ergeben habe.

Mit seiner Widerklage erstrebt der Beklagte die Rückabwicklung des Anteilskaufvertrages vom 22. November 1993 sowie die Feststellung, daß er nicht zur Ablösung des vom Kläger zu 1 der GmbH gewährten Darlehens verpflichtet sei und daß der Kläger ihn von allen Verpflichtungen freizustellen habe, die sich aus der Inhaberschaft der von ihm gehaltenen Geschäftsanteile an der BKD GmbH derzeit oder zukünftig ergeben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, der Widerklage hat es im wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht der Klage überwiegend stattgegeben, im übrigen die Hauptsache für erledigt erklärt und die Widerklage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im wesentlichen ausgeführt:

Der Beklagte habe den Vertrag vom 22. November 1993 nicht wirksam angefochten, da er nicht bewiesen habe, daß er vom Kläger zu 1 oder dessen Bruder in arglistiger Weise über solche Aspekte getäuscht worden sei, die für seinen Entschluß zum Erwerb der Geschäftsanteile erheblich gewesen seien.

Ohne Erfolg berufe sich der Beklagte auch auf Ansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluß. Zwar sei der Kläger zu 1 verpflichtet gewesen, den Beklagten über alle für ihn wesentlichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß aufzuklären; dies gelte insbesondere für solche Umstände, die geeignet gewesen seien, den Vertragszweck - Beteiligung des Beklagten an einer lebensfähigen Gesellschaft - zu vereiteln, wie etwa eine desolate wirtschaftliche Lage oder die Konkursreife der Gesellschaft. Insoweit sei dem Kläger zu 1 ohne weiteres auch ein schuldhaftes Verhalten seines Bruders V. B. zuzurechnen, der maßgeblich an den Vertragsverhandlungen beteiligt und insgesamt in enger Art und Weise mit der BKD GmbH verflochten gewesen sei.

Die vom Beklagten behauptete desolate wirtschaftliche Situation der Gesellschaft bis hin zur Konkursreife sei jedoch nicht bewiesen. Nach den Aussagen der im Parallelverfahren hierzu vernommenen Zeugen J. und O. sei es allerdings im Zeitraum Juli bis Oktober 1993 zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen verschiedener Gläubiger, u.a. der Berufsgenossenschaft und der Zusatzversorgungskasse, zu Rückholversuchen von Leasingfirmen, Rückbuchungen von Lastschriften und Rückholung von unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren gekommen; die Sperrung der Telefonleitung und der Stromleitung sei zwar angedroht worden, es sei aber nicht feststellbar, ob sie auch durchgeführt worden sei. Ebenso unerheblich sei auch die Tatsache, daß der Beklagte zu 1 im Oktober 1993 eine persönliche Bürgschaft wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge übernommen habe. Alle diese Umstände ließen weder für sich genommen noch im Zusammenhang mit anderen Indizien den zwingenden Schluß auf eine dauernde Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu.

II. Diese Erwägungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Es kann dahinstehen, ob der Kläger zu 1, der sich das mitwirkende Verhalten seines Bruders auch insoweit zurechnen lassen muß (vgl. dazu BGH, Urteile vom 1. Juni 1989 - III ZR 261/87, WM 1989, 1364 unter II 2 = BGHR BGB § 123 Abs. 2 Dritter 1; vom 8. Dezember 1989 - V ZR 259/87, WM 1990, 479 unter II = BGHR aaO Dritter 2; vom 9. April 1992 - IX ZR 145/91, WM 1992, 1016 unter I 1= BGHR aaO Dritter 4 und vom 20. November 1995 - II ZR 209/94, WM 1996, 201 unter 3 = BGHR aaO Dritter 5), den Beklagten bei den Vertragsverhandlungen durch Übergabe einer falschen betriebswirtschaftlichen Auswertung zum 30. September 1993 und durch die angeblichen Manipulationen im Zusammenhang mit dem Verkauf des Betriebsteils "Baustoffcenter" arglistig getäuscht hat und der Beklagte deshalb den notariellen Vertrag vom 22. November 1993 wirksam gemäß § 123 BGB angefochten hat. Der Beklagte kann jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes für Verschulden bei Vertragsverhandlungen die Rückabwicklung des notariellen Vertrages und Freistellung von allen darin übernommenen Verpflichtungen verlangen, weil der Kläger zu 1 ihn bei den Verhandlungen pflichtwidrig nicht über wesentliche Umstände, die für die Kaufentscheidung des Beklagten von Bedeutung waren, aufgeklärt hat.

a) Eine Anwendung der Grundsätze der Haftung für vorvertragliches Verschulden scheitert hier - mangels Vorliegens eines Unternehmenskaufs (vgl. insoweit BGHZ 65, 246, 251 f; 138, 195, 204 m.w.Nachw.) - nicht an dem Vorrang der Sachmängelhaftung gemäß §§ 459 ff BGB. Das hat das Berufungsgericht zwar nicht ausdrücklich erörtert, aber jedenfalls im Ergebnis zu Recht - stillschweigend - angenommen. Eine derartige Haftung kommt mithin im vorliegenden Fall selbst dann in Betracht, wenn dem Kläger zu 1 auch unter Berücksichtigung des ihm zuzurechnenden Verschuldens seines Bruders kein arglistiges Verhalten, sondern lediglich eine fahrlässige Verletzung der ihm obliegenden Aufklärungspflichten anzulasten ist.

b) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, von der auch das Berufungsgericht ausgeht, besteht auch bei Vertragsverhandlungen, in denen die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgen, für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck (des anderen) vereiteln können und daher für seinen Entschluß von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten konnte (BGH, Urteil vom 6. Dezember 1995 - VIII ZR 192/94, NJW-RR 1996, 429 unter II 2 m.w.Nachw.; vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 1987 - V ZR 170/86, NJW RR 1988, 394 unter 2).

Beim Kauf eines Unternehmens oder von GmbH-Geschäftsanteilen ist im Hinblick auf den für den Kaufpreis im Regelfall erheblichen Ertragswert insbesondere zu berücksichtigen, daß der Kaufinteressent - für den Verkäufer erkennbar - sich ein einigermaßen zutreffendes Bild von den wertbildenden Faktoren in erster Linie nur an Hand der Bilanzen, der laufenden betriebswirtschaftlichen Auswertungen, sonstiger Buchführungsunterlagen und ergänzender Auskünfte des Inhabers oder Geschäftsführers machen kann. Diese Erschwerung der Bewertung des Kaufobjekts durch einen außenstehenden Interessenten, die auch durch dessen möglicherweise vorhandene Sachkunde nicht ausgeglichen wird, und seine besondere Abhängigkeit von der Vollständigkeit und Richtigkeit der ihm erteilten Informationen vor allem zur Umsatz- und Ertragslage des Unternehmens sowie die regelmäßig weitreichenden wirtschaftlichen Folgen der Kaufentscheidung rechtfertigen es, dem Verkäufer eine gesteigerte Aufklärungspflicht aufzuerlegen und an die hierbei anzuwendende Sorgfalt einen strengen Maßstab anzulegen. Geht es um die Beteiligung des Erwerbers an einem lebensfähigen Unternehmen, dann erstreckt sich die Aufklärungspflicht des Verkäufers namentlich auch auf alle Umstände, welche die Überlebensfähigkeit ernsthaft gefährden, insbesondere also drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung.

c) Gemessen an diesen Grundsätzen und auf der Grundlage des festgestellten und unstreitigen Sachverhalts kann der Auffassung des Berufungsgerichts, dem Kläger zu 1 sei nicht einmal fahrlässiges Verhalten anzulasten, nicht gefolgt werden.

aa) Zu Recht beanstandet die Revision, daß das Berufungsgericht die desolate wirtschaftliche Situation der Gesellschaft "bis hin zur Konkursreife" als nicht bewiesen angesehen hat. Schon die - unstreitige - Häufung von zahlreichen gewichtigen Indizien für eine anhaltende Krise der Gesellschaft ab Juni 1993 zeigt, daß sich die GmbH bereits seit geraumer Zeit auf den Zustand der Zahlungsunfähigkeit zubewegte. In den Monaten Juni und Juli wurde in mehreren Fällen Ware im Wert von jeweils etwa 20.000 bis 30.000 DM, die unter Eigentumsvorbehalt geliefert worden war, von der Lieferantin wegen Nichtbezahlung der Rechnungen wieder abgeholt. Im Juli und August kam es zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen verschiedener Gläubiger. In der ersten Hälfte des vierten Quartals hatten die rückständigen Raten für geleaste Kraftfahrzeuge einen solchen Umfang angenommen, daß die betroffenen Leasingfirmen Maßnahmen zur Rückholung von Fahrzeugen ergriffen. Ab Oktober wurden mehrfach Lastschriften zurückgebucht und Schecks nicht eingelöst. Wegen Zahlungsrückständen wurde überdies die Sperrung der Telefon- und Stromleitungen angedroht. Bei der zuständigen Berufsgenossenschaft befand sich die BKD GmbH mit Beiträgen in Höhe von etwa 50.000 DM in Verzug, so daß sich der Kläger zu 1 im Oktober 1993 auf Drängen der Berufsgenossenschaft veranlaßt sah, eine entsprechende persönliche Bürgschaft zu übernehmen. Daß der Zeuge B. als Steuerberater und damaliger Gesellschafter der GmbH die wirtschaftliche Situation des Unternehmens nicht anders sah, belegt sein Mahnschreiben an die Gesellschaft vom 15. Juli 1993, in welchem er auf die Dringlichkeit der Tilgung von Forderungen der Krankenkassen und Finanzämter hinwies. Dieses Schreiben - ein wichtiges Indiz für die negative Einschätzung der wirtschaftlichen Lage der GmbH durch den Kläger zu 1 und seinen Bruder - hat das Berufungsgericht mit Stillschweigen übergangen, was die Revision zutreffend als Verstoß gegen § 286 ZPO rügt. Angesichts einer solchen Häufung deutlicher Anzeichen für eine bereits eingetretene oder unmittelbar bevorstehende Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft spätestens im Herbst 1993 erweist sich die zusammenfassende Wertung des Berufungsgerichts, es hätte "wesentlich stärkerer Indizien bedurft", als formelhafte Wendung und Überspannung der Beweisanforderungen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 18. Juni 1998 - IX ZR 311/95, WM 1998, 1689 unter C II 2 a = BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Beweismaß 2).

Sofern der Kläger zu 1 als der für die kaufmännischen Angelegenheiten zuständige "Hauptgeschäftsführer" der GmbH über diese Vorgänge nicht in vollem Umfang unterrichtet war, entlastet ihn das nicht; denn dann müßte er sich das Verhalten seines als Verhandlungsgehilfen hinzugezogenen Bruders V. B. zurechnen lassen (§ 278 BGB), der, wie den Aussagen der Zeugen J. und O. zu entnehmen ist, umfassend informiert war.

bb) Auf Grund der unstreitigen gewichtigen Anzeichen für eine anhaltende Krise der Gesellschaft war für den Kläger zu 1 und seinen Bruder erkennbar, daß die GmbH im Herbst 1993 entweder bereits zahlungsunfähig war oder der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zumindest drohte. Damit war der vom Beklagten mit dem Erwerb eines Geschäftsanteils verfolgte Vertragszweck der Beteiligung an einer lebensfähigen Gesellschaft ernsthaft gefährdet. Der Kläger zu 1 war daher verpflichtet, den Beklagten - auch ungefragt - über diese Vorkommnisse umfassend und wahrheitsgemäß zu unterrichten; dieser Verpflichtung ist er unstreitig nicht nachgekommen. Darin liegt eine mindestens fahrlässige Verletzung der ihm gegenüber dem Beklagten obliegenden Aufklärungspflicht, die ihn nach den Grundsätzen der Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen zum Schadensersatz verpflichtet.

d) Das Verschweigen der auf eine Zahlungsunfähigkeit der GmbH hindeutenden Anzeichen war ursächlich für den Kaufentschluß des Beklagten. Das Berufungsgericht hat dies - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft. Soweit es in anderem Zusammenhang Zweifel an der Kausalität der Handlungsweise des Klägers zu 1 und des Zeugen K. äußert, verkennt es, daß sich in Fällen der vorliegenden Art die Darlegungs- und Beweislast umkehrt: Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist, derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt, beweispflichtig dafür, daß der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre, der Geschädigte also den Hinweis - hier: auf die eindeutigen Anzeichen für eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit im Sommer und Herbst 1993 - unbeachtet gelassen und auch bei wahrheitsgemäßen Angaben den Kaufvertrag so wie geschehen abgeschlossen hätte (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 18. Juni 1996 - VI ZR 121/95 = NJW 1996, 2503 unter II; Urteil vom 20. September 1996 - V ZR 173/95 = NJW-RR 1997, 144 unter II 2 b bb). Anhaltspunkte für ein solches - hypothetisches - Verhalten des Beklagten sind weder von den Klägern vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere trifft es nicht zu, daß dem Beklagten, wie die Kläger unter Hinweis auf das von ihm erstellte Unternehmenskonzept behaupten, die "äußerst angespannte wirtschaftliche Situation" der Gesellschaft bekannt gewesen sei. Jenes - allerdings undatierte - Sanierungskonzept kann der Beklagte frühestens am 9. Dezember 1993, mithin mehr als zwei Wochen nach dem Abschluß des Anteilskaufvertrages, erstellt haben. Das ergibt sich aus dem einleitenden Satz des Konzepts: "Eine BWA ... liegt für den Monat Oktober seit dem 09.12. 1993 vor (Anhang)." Unter diesen Umständen läßt die unstreitige Tatsache, daß der Beklagte ein Sanierungs- bzw. Unternehmenskonzept erstellt hat, keinerlei Rückschlüsse auf seinen Kenntnisstand bei Abschluß des notariellen Vertrages am 22. November 1993 und etwaige Schlußfolgerungen hinsichtlich einer mangelnden Kausalität der Pflichtverletzungen des Klägers zu 1 zu.

2. Der in seinem Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben seines Vertragspartners Enttäuschte ist so zu stellen, wie er bei richtiger Offenbarung der für seinen Kaufentschluß erheblichen Umstände stünde. Er kann daher entweder am Vertrag festhalten und lediglich zusätzlich Schadensersatz beanspruchen oder aber Rückgängigmachung des Vertrages verlangen (BGHZ 69, 53, 56 und BGHZ 111, 75, 82). Wählt er - wie der Beklagte im vorliegenden Fall - die letztere Möglichkeit, dann kann er Zug um Zug gegen (Rück-) Abtretung des erworbenen Geschäftsanteils den Kaufpreis zurückfordern und zugleich verlangen, von allen Verbindlichkeiten befreit zu werden, die er im Vertrag zusätzlich übernommen hat.

3. Diesen Grundsätzen entspricht das landgerichtliche Urteil mit seiner Entscheidung zu Klage und Widerklage. Der Senat hat daher, da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind und die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), ausgesprochen, daß die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 26. Februar 1998 zurückgewiesen wird.

Mit der Rückabwicklung des notariellen Vertrages vom 22. November 1993 entfällt zugleich der Anspruch der Kläger auf Freistellung von den Darlehensrückzahlungs- und Bürgschaftsverpflichtungen gegenüber der K. sparkasse S. , die der Beklagte von den Klägern übernommen hatte. Hinsichtlich des mit dem Klageantrag Ziffer 2) ursprünglich geltend gemachten Anspruchs auf Freistellung von den Verpflichtungen aus dem Eigenkapitalhilfedarlehen der Deutschen Ausgleichsbank, den die Kläger in der Berufungsinstanz in der Hauptsache einseitig für erledigt erklärt haben, bezieht sich der wiederhergestellte landgerichtliche Ausspruch über die Abweisung der Klage nunmehr auf den zuletzt gestellten Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache (Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 91 a Rnr. 45).

Ende der Entscheidung

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