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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 19.01.2000
Aktenzeichen: VIII ZR 67/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 346
BGB § 347 Satz 2
BGB § 987 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VIII ZR 67/99

Verkündet am: 19. Januar 2000

Mayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2000 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Ball, Dr. Leimert und Wiechers

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 5. November 1998 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Gera vom 18. Juli 1997 teilweise geändert und wie folgt neu gefaßt:

Das Versäumnisurteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Gera vom 19. November 1996 wird unter Aufhebung des Versäumnisurteils desselben Gerichts vom 8. April 1997 mit der Maßgabe aufrechterhalten, daß die Beklagten als Gesamtschuldner an den Kläger 78.974,30 DM nebst 8,6 % Zinsen aus jeweils 1.025,70 DM für die Zeit vom 15. April 1995 bis 19. Oktober 1995, für die Zeit vom 6. Mai 1995 bis 19. Oktober 1995, für die Zeit vom 6. Juni 1995 bis 14. Juni 1995, für die Zeit vom 6. Juli 1995 bis 19. Oktober 1995, für die Zeit vom 6. August 1995 bis 19. Oktober 1995, für die Zeit vom 6. September 1995 bis 19. Oktober 1995, für die Zeit vom 6. Oktober 1995 bis 19. Oktober 1995 sowie aus 78.974,30 DM für die Zeit vom 20. Oktober 1995 bis 15. Januar 1996 und in Höhe von 8,35 % Zinsen seit dem 16. Januar 1996 zu zahlen haben.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszugs haben - mit Ausnahme der durch die Säumnis des Klägers im Termin vom 8. April 1997 entstandenen Kosten, die diesem zur Last fallen - die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.

Die Kosten der Rechtsmittelzüge werden den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger war bis zum 14. April 1995 Mieter von im Hause S. , B. , gelegenen Wohn- und Gaststättenräumen. Er verkaufte durch "Übernahmevereinbarung" (ohne Datum) die dort befindliche Gaststätteneinrichtung, die noch an die Sparkasse A. sicherungsübereignet war, an die Beklagten zum Preis von 80.000 DM, zahlbar in monatlichen Raten von je 1.025,70 DM ab 15. April 1995.

In der Vereinbarung war unter anderem folgendes bestimmt:

"§ 6 Verzugsfolgen

Kommen die Vertragspartner zu 2) [Beklagte] mit der Verpflichtung zur Zahlung auch nur einer Rate in Verzug, wird der gesamte Restbetrag sofort zur Zahlung fällig.

§ 7 Rücktrittsrecht

Kommt die Aufhebung des Mietvertrages des Vertragspartners zu 1) [Kläger] mit der Stadt S. nicht zustande, so steht den Parteien ein Rücktrittsrecht hinsichtlich des vorliegenden Vertrages zu.

§ 8 Anspruchsverzicht

Kommt der Vertrag aus Gründen, die die Vertragspartner zu 2) zu vertreten haben, nicht zur vollständigen Erfüllung oder zur Abwicklung, so sind die Parteien sich einig, daß die von den Vertragspartnern zu 2) geleisteten Zahlungen weder herausgegeben werden müssen, noch sonst Ansprüche der Vertragspartner zu 2) gegen den Vertragspartner zu 1), gleich aus welchem Rechtsgrund, bestehen. Die geleisteten Zahlungen dienen in diesem Falle der Abgeltung der Vertragsablösung sowie als Nutzungsentschädigung für die erfolgte Nutzung der bei Vertragsunterzeichnung übergebenen Gegenstände."

Auf den Kaufpreis zahlten die Beklagten lediglich die erste Rate von 1.025,70 DM verspätet am 5. Juni 1995. Mit Schreiben vom 5. Oktober 1995 stellte die Prozeßbevollmächtigte des Klägers unter Hinweis auf § 6 des Vertrages die restliche Kaufpreisforderung in Höhe von 78.974,30 DM fällig. Nachdem den Beklagten seitens der Stadt S. als Vermieter wegen Zahlungsverzuges zum 31. Januar 1996 gekündigt worden war, sind diese am 19. Februar 1996 unter Zurücklassung des Inventars aus den Mieträumen ausgezogen.

Mit seiner Klage nimmt der Kläger die Beklagten auf Zahlung des restlichen Kaufpreises von 78.974,30 DM nebst Zinsen in Anspruch. Nachdem zunächst am 19. November 1996 gegen die Beklagten entsprechend dem Klageantrag Versäumnisurteil ergangen, dieses sodann auf den Einspruch der Beklagten durch Versäumnisurteil vom 8. April 1997 aufgehoben und die Klage abgewiesen worden war, hat das Landgericht durch Urteil vom 18. Juli 1997 unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 8. April 1997 die Beklagten zur Zahlung der Klageforderung unter Abweisung eines Teils der Zinsforderung Zug um Zug gegen Verschaffung des Eigentums an dem verkauften Inventar verurteilt.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 19. November 1996 - unter Abänderung des Urteils vom 18. Juli 1997 und Aufhebung des Versäumnisurteils vom 8. April 1997 - mit der Maßgabe aufrechterhalten, daß die Beklagten als Gesamtschuldner an den Kläger einen Betrag von 9.231,30 DM nebst Zinsen zu zahlen haben. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen.

Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Der zwischen den Parteien zustande gekommene und weder durch Aufhebung noch Rücktritt "aufgelöste" Vertrag sei dadurch beendet worden und damit als Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten restlichen Kaufpreis entfallen, daß den Beklagten seitens des Vermieters wegen Zahlungsverzuges zum 31. Januar 1996 gekündigt worden sei und die Beklagten die Räumlichkeiten zum 19. Februar 1996 verlassen und herausgegeben hätten. Die §§ 7 und 8 des Vertrages seien dahin zu verstehen und ergänzend auszulegen, daß der Vertrag für den hier eingetretenen Fall durch Rücktritt beendbar und beendet sei, daß die Mieter (Beklagte) den Besitz der Gaststätte nicht erhielten oder nachträglich verlören. Dem mit § 7 angesprochenen Fall sei der nicht ausdrücklich erwähnte Fall gleichzustellen, daß es zwar zu einer Aufhebung des Kontrakts Kläger/S. , nicht aber zum Abschluß einer neuen Vereinbarung Beklagte/S. komme, da bei der einen wie der anderen Variante die Beklagten nicht in den Besitz der Einrichtungsgegenstände kommen könnten und damit nicht zahlungspflichtig sein sollten. Nicht anders aber sei die Situation dann, wenn die Mieter den Besitz zwar zunächst erlangten, später aber - wie hier zum Beispiel infolge einer Kündigung - wieder aufgeben müßten. Daß den Beklagten eine von ihnen zu vertretende nicht vollständige Erfüllung oder Rückabwicklung nicht zum Nachteil gereichen solle, ergebe sich eindeutig aus § 8 des Vertrages. Zwar dürften die §§ 7 und 8 dahin einzuschränken sein, daß den Mietern die Möglichkeit der Vertragsaufhebung bzw. des Rücktritts dann nicht zustehen solle, wenn sie selbst gekündigt hätten und ausgezogen seien, ohne daß der Vermieter einen triftigen Grund hierzu gegeben habe, oder daß sie die Kündigung des Vermieters durch rechtswidriges Verhalten verschuldet hätten. Das kündigungsursächliche Unvermögen zur Mietzahlung stehe aber einer durch den Mieter verschuldeten Vertragsauflösung grundsätzlich nicht gleich. Wenn § 8 demgegenüber so verstanden werde, daß hierdurch im Falle eines aus anderen Gründen (als denen in §§ 7, 8 genannten) gegebenen Rücktrittsrechts nur die Rückforderung der bis dahin geleisteten Zahlungen ausgeschlossen sein solle, handele es sich um eine leerlaufende, überflüssige Regelung, da die gezogenen Nutzungsvorteile und verursachten Abnutzungen bereits kraft Gesetzes zu entschädigen seien, hierfür geleistete Zahlungen also ohnehin nicht rückverlangt werden könnten. Durch die so verstandene Regelung werde die unbefriedigende Situation vermieden, daß die Mieter den Kaufpreis für übernommene Einrichtungsgegenstände zahlen müßten, obwohl sie den Besitz der Sachen wegen Beendigung des Mietvertrages und Räumung der Gaststätte nicht erlangen könnten bzw. aufgeben müßten. Dieser Auslegung der §§ 7 und 8 stehe auch die in § 6 des Vertrages getroffene Regelung nicht entgegen, da die §§ 7 und 8 des Vertrages eine der allgemeinen Vorschrift des § 6 vorgehende Sonderregelung darstellten.

Die Beklagten hätten daher lediglich für die Zeit ihres Besitzes (15. April 1995 bis Mitte Februar 1996) die Kaufpreisraten zu entrichten; dies ergebe für rund zehn Monate einen Betrag von 10.257 DM, der um die im Juni 1995 gezahlte Monatsrate auf 9.231,30 DM zu kürzen sei.

II. Gegen diese Ausführungen des Berufungsgerichts wendet sich die Revision mit Erfolg. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, daß der Vertrag für den gegebenen Fall eine Lücke aufweist, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach dem hypothetischen Willen der Vertragspartner durch die Gewährung eines Rücktrittsrechts für die Beklagten und durch deren Entlastung von der Verpflichtung zur weiteren Kaufpreiszahlung zu schließen ist.

1. Die vom Berufungsgericht vorgenommene ergänzende Auslegung der §§ 7 und 8 der zwischen den Parteien geschlossenen "Übernahmevereinbarung" unterliegt der revisionsgerichtlichen Nachprüfung dahingehend, ob Auslegungs- oder Ergänzungsregeln, Denk- oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände unbeachtet geblieben sind (BGHZ 111, 110, 115). Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht wesentlichen Auslegungsstoff übergangen und eine nach beiden Seiten hin interessengerechte Auslegung (vgl. Senatsurteil vom 9. Juni 1993 - VIII ZR 205/92, NJW-RR 1993, 1203 unter I 3 b; Senatsurteil vom 8. Juni 1994 - VIII ZR 103/93, WM 1994, 1720 = NJW 1994, 2228 unter II 2 b; BGH, Urteil vom 11. Mai 1995 - VII ZR 116/94, WM 1995, 1545 unter II 2) unterlassen hat. Der erkennende Senat ist deshalb an die Auslegung des Berufungsgerichts nicht gebunden und kann, da weitere tatsächliche Feststellungen nicht geboten sind, die fraglichen Vertragsbestimmungen selbst (ergänzend) auslegen (Senatsurteil vom 9. Juni 1993 aaO).

a) § 7 des Vertrages räumt beiden Parteien für den Fall, daß der seinerzeit zwischen dem Kläger und der Stadt S. bestehende Mietvertrag nicht aufgehoben werden würde, ein Rücktrittsrecht ein. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, daß die Aufhebung des Mietvertrages des Klägers noch nicht feststand, und es sollte für den Fall des Scheiterns des beabsichtigten Mieterwechsels eine vertragliche Bindung beider Parteien ausgeschlossen werden.

b) Ob dem die in § 7 nicht erwähnte Fallgestaltung gleichzustellen ist, daß es zwar zu einer Aufhebung des Mietvertrages des Klägers mit der Stadt S. , nicht aber zum Abschluß eines neuen Mietvertrages der Beklagten mit dem Vermieter kommen würde, kann offenbleiben. Jedenfalls für den hier vorliegenden Fall, daß die Beklagten die Beendigung des mit der Stadt S. abgeschlossenen Mietvertrages zu vertreten haben und sie den Mietbesitz infolge einer Kündigung des Vermieters wegen Zahlungsverzuges wieder aufgeben müssen, stand den Beklagten ein Recht zur Vertragsauflösung nicht zu. Daß der Kläger auch dieses Risiko übernommen hätte, das entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts der Sphäre der Beklagten zuzuordnen ist (vgl. BGHZ 83, 293, 300), kann nicht angenommen werden. Hiergegen spricht, worauf die Revision zu Recht hinweist, bereits die Tatsache, daß der Kläger sich durch seine Zustimmung zur Auflösung seines mit der Stadt S. abgeschlossenen Mietvertrages der Möglichkeit begeben hatte, das Gaststätteninventar seinerseits zu nutzen, er andererseits aber gegenüber seiner finanzierenden Bank weiterhin zur Tilgung des aufgenommenen Darlehens verpflichtet blieb. Auf diese Interessenlage des Klägers weist auch die Aussage des Zeugen P. hin, der Kläger habe sich für den Fall absichern wollen, daß das Lokal vorzeitig aufgegeben werde, und zwar dahingehend, daß er seine monatlichen Raten bekomme.

Im übrigen würde auch nur die Nichterfüllung des Miet- bzw. Pachtvertrages ohne Verschulden des Käufers des Gaststätteninventars zur Einräumung eines Rücktrittsrechts wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage führen (Senatsurteil vom 7. Februar 1968 - VIII ZR 172/65, LM § 242 (B b) BGB Nr. 54 unter III 2 c).

c) Etwas anderes ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht der in § 8 des Vertrages getroffenen Regelung zu entnehmen. Danach sollte dem Kläger für den Fall, daß der Vertrag aus von den Beklagten zu vertretenden Gründen nicht voll erfüllt oder rückabgewickelt werden sollte, die bisher geleisteten Zahlungen der Beklagten verbleiben sowie diesen keine Ansprüche gegen den Kläger zustehen. Dadurch wurde festgelegt, daß im Fall eines berechtigten Rücktritts des Klägers, in welchem nach § 346 BGB die gegenseitigen Leistungen zurückzugewähren waren, dem Kläger die erbrachten Kaufpreisraten als Abgeltung der Vertragsablösung sowie als Ersatz für die gezogenen Nutzungen (§§ 347 Satz 2, 987 Abs. 1 BGB) verbleiben sollten; hierdurch sollten diese Fragen dem Streit der Parteien entzogen werden, so daß es sich insoweit nicht, wie das Berufungsgericht meint, um eine leerlaufende, überflüssige Regelung handelt. Eine weitergehende Regelung für den Fall einer vorzeitigen, von den Beklagten zu vertretenden Beendigung des Mietvertrages ist in dem - insoweit unvollständigen - § 8 des Vertrages nicht getroffen worden.

d) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Vertragsauslegung stünde auch im Widerspruch zu § 6 des Vertrages, wonach bei Zahlungsverzug der Beklagten der gesamte Restbetrag sofort zur Zahlung fällig wird. Daß diese - hier mit Schreiben der Klägervertreterin vom 5. Oktober 1995 herbeigeführte - Rechtsfolge wieder entfallen sollte, wenn die Beklagten nachfolgend an der Nutzung des Inventars aus von ihnen zu vertretenden Gründen gehindert waren, ist in Anbetracht der Interessenlage des Klägers nicht anzunehmen. Dafür, daß die in § 7 und 8 des Vertrages eine der Vorschrift des § 6 vorgehende Sonderregelung darstellt, ist ebenfalls nichts ersichtlich.

2. Ist der Vertrag somit nicht durch einen Rücktritt der Beklagten beendet worden, steht dem Kläger der mit Schreiben vom 5. Oktober 1995 gemäß § 6 fällig gestellte Restkaufpreis von 78.974,30 DM zu.

Der Zinsausspruch war auf der Grundlage der Bescheinigung der Sparkasse A. vom 1. April 1997 dahin abzuändern, daß der Betrag von 78.974,30 DM für die Zeit ab 20. Oktober 1995 bis 15. Januar 1996 mit 8,6 % und ab 16. Januar 1996 mit 8,35 % zu verzinsen ist.

Die im Urteil des Landgerichts Gera vom 18. Juli 1997 ausgesprochene Zug-um Zug-Verurteilung hat zu entfallen, da die Beklagten nach § 5 der Übernahmevereinbarung vorleistungspflichtig sind.



Ende der Entscheidung

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