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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.06.2004
Aktenzeichen: VIII ZR 86/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
Bedient sich der Prozeßbevollmächtigte einer Partei bei der Bearbeitung eines Rechtsstreits eines nichtanwaltlichen, voll juristisch ausgebildeten freien Mitarbeiters, so muß sich die Partei dessen Verschulden wie eigenes zurechnen lassen, wenn ihm der Rechtsstreit vom Prozeßbevollmächtigten zur selbständigen Bearbeitung übergeben worden ist.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZR 86/04

vom

9. Juni 2004

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Leimert, Wiechers, und Dr. Wolst sowie die Richterin Hermanns

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 13. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 30. Januar 2004 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 33.578,38 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bezahlung für gelieferte Holzkohle und Briketts. Die Beklagte verlangt Schadensersatz, den sie aufrechnungsweise und im Wege der Widerklage geltend macht, sowie darüber hinaus die Herausgabe von Verpackungsmaterial.

Das Landgericht hat sowohl der Klage als auch der Widerklage teilweise stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluß zurückgewiesen worden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen und der Widerklage in vollem Umfang stattgegeben. Dem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ist das Berufungsurteil am 11. Februar 2004 zugestellt worden. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil hat die Klägerin mit einem am 25. März 2004 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Klägerin glaubhaft gemacht:

Rechtsanwalt B. , ihr zweitinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter, öffne die eingehende Post ausnahmslos selbst. Er versehe eingehende Urteile und mit ihnen übersandte Empfangsbekenntnisse mit dem Eingangsstempel. Rechtsanwalt B. trage auch die Vorfristen und Fristen in den Fristenkalender ein und notiere die Eintragung auf den Schriftstücken, deren Zustellung den Fristablauf jeweils in Gang setze. Anders verfahre Rechtsanwalt B. aber in den Fällen, die Assessor F. bearbeite. Assessor F. sei seit Sommer 2001 als freier Mitarbeiter bei Rechtsanwalt B. beschäftigt. Er bearbeite die ihm übertragenen Sachen innerhalb der Kanzlei selbständig, trete aber vor Gericht nicht auf und unterzeichne auch keine Schriftsätze oder Schreiben. In den Assessor F. übertragenen Sachen überlasse Rechtsanwalt B. Assessor F. auch die Arbeiten, die er in "eigenen" Sachen selbst durchführe. Im vorliegenden Fall habe Rechtsanwalt B. das Urteil des Berufungsgerichts, das er ebenso wie das Empfangsbekenntnis mit einem Stempel versehen habe, Assessor F. mit der Anweisung zukommen lassen, die Frist zu berechnen und persönlich in den Fristenkalender einzutragen. Diese Anweisung habe Assessor F. am 11. Februar 2004 erreicht. Assessor F. habe sich bei der Berechnung um genau eine Woche vertan. Deswegen habe er als Tag des Ablaufs der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde den 18. März 2004 und als Vorfrist den 15. März 2004 eingetragen. Dementsprechend sei die Akte Assessor F. am 15. März 2004 und damit nach Ablauf der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde vorgelegt worden.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.

Nach § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO muß die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Berufungsurteils eingelegt werden. Die Frist ist vorliegend nicht gewahrt, weil das Berufungsurteil bereits am 11. Februar 2004 zugestellt wurde, die Beschwerde jedoch erst am 25. März 2004 bei dem Revisionsgericht eingegangen ist. Gegen die Versäumung dieser Notfrist kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Der hierauf gerichtete Antrag der Klägerin ist zwar zulässig, bleibt aber in der Sache selbst ohne Erfolg.

Nach § 233 ZPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur bei unverschuldeter Fristversäumung eröffnet. An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die Versäumung der Beschwerdefrist beruht auf dem Verschulden von Assessor F. , der bei dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin als freier Mitarbeiter beschäftigt ist. Assessor F. verrechnete sich bezüglich des Ablaufs der Beschwerdefrist um eine Woche. Deswegen wurde ihm die Akte erst nach Fristablauf am 15. März 2004 wiedervorgelegt. Das Verschulden von Assessor F. steht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Klägerin gleich.

Bedient sich der Prozeßbevollmächtigte einer Partei bei der Bearbeitung eines Rechtsstreits eines angestellten Rechtsanwalts, so muß sich die Partei dessen Verschulden wie eigenes zurechnen lassen, wenn ihm der Rechtsstreit vom Prozeßbevollmächtigten zur selbständigen Bearbeitung übergeben worden ist. Denn in diesem Fall gilt der angestellte Rechtsanwalt als Vertreter des Prozeßbevollmächtigten und damit der Partei selbst. Bestand dagegen seine Aufgabe nur aus vorbereitenden und unselbständigen Tätigkeiten, kann sein Verschulden dem Prozeßbevollmächtigten bzw. der Partei ebensowenig zugerechnet werden wie das von Büropersonal (BGH, Urteil vom 1. April 1992 - XII ZB 21/92, NJW-RR 1992, 1019 unter II 1; BGH, Urteil vom 28. Mai 1974 - VI ZR 145/73, NJW 1974, 1511). Für einen nichtanwaltlichen, voll juristisch ausgebildeten (freien) Mitarbeiter des Bevollmächtigten gilt nichts anderes (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 85 Rdnr. 19; Musielak/Weth, ZPO, 3. Aufl., § 85 Rdnr. 13). Der Grundsatz, daß das Verschulden eines Vertreters der Partei ohne Entlastungsmöglichkeit wie eigenes zuzurechnen ist, würde ausgehöhlt, wenn es der Prozeßbevollmächtigte in der Hand hätte, die selbständige Bearbeitung der Sache einem anderen zu übertragen und damit sich und seine Partei weitgehend aus der Verantwortung für Versäumnisse zu ziehen (BGH, Beschluß vom 9. Juli 1973 - II ZB 4/73, VersR 1973, 1070).

Assessor F. hat die ihm übertragene Sache der Klägerin innerhalb der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin - wie üblich - selbständig bearbeitet. Ihm sind auch die Arbeiten überlassen worden, die der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin sonst selbst durchführt. Dementsprechend hat Assessor F. die Schriftsätze der Klägerin verfaßt und die Fristen des Verfahrens berechnet und notiert. In den Verhandlungen vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht ist Assessor F. jeweils zusammen mit dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin aufgetreten. Bei den Assessor F. übertragenen Aufgaben handelt es sich mithin um einen wesentlichen Teil des anwaltlichen Pflichtenkreises. Assessor F. ist deshalb als Unterbevollmächtigter und damit als Bevollmächtigter im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO anzusehen (vgl. BGH, Beschluß vom 19. Dezember 1983 - II ZB 6/83, VersR 1984, 239).

Ende der Entscheidung

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