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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.10.2000
Aktenzeichen: Wp St (R) 1/00
Rechtsgebiete: WPO


Vorschriften:

WPO § 38 Abs. 1 Nr. 1 lit. d
WPO § 38 Abs. 1 Nr. 1 lit. e
WPO § 44b Abs. 4 Satz 1
WPO § 38 Abs. 1 Nr. 1 lit. d und e, § 44b Abs. 4 Satz 1

Die "Scheinsozietät" eines Wirtschaftsprüfers ist keine Sozietät im Sinne von § 38 Abs. 1 Nr. 1 lit. d und e, § 44b Abs. 4 Satz 1 WPO.

BGH, Urt. v. 12. Oktober 2000 - Wp St (R) 1/00 Kammergericht-


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Wp St (R) 1/00

vom

12. Oktober 2000

in dem berufsgerichtlichen Verfahren

gegen

den Wirtschaftsprüfer

wegen Berufspflichtverletzung

Der Senat für Wirtschaftsprüfersachen beim Bundesgerichtshof hat in der Sitzung vom 12. Oktober 2000, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin Harms, Richter Häger, Richter Nack als beisitzende Richter,

Rechtsanwalt und vereidigter Buchprüfer Dr. Sauter,

Wirtschaftsprüfer Pfizenmayer als beisitzende ehrenamtliche Richter,

Bundesanwalt ,

Vorsitzender Richter am Landgericht als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizhautpsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Wirtschaftsprüfers wird das Urteil des Senats für Wirtschaftsprüfersachen bei dem Kammergericht vom 8. März 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.

Der Wirtschaftsprüfer wird freigesprochen.

Die Wirtschaftsprüferkammer trägt die Auslagen nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes und die dem Wirtschaftsprüfer entstandenen notwendigen Auslagen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

Die Kammer für Wirtschaftsprüfersachen des Landgerichts Berlin hat dem Wirtschaftsprüfer wegen eines Verstoßes gegen seine Berufspflichten eine Warnung erteilt. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft und unter Verwerfung der Berufung des Wirtschaftsprüfers hat der Senat für Wirtschaftsprüfersachen bei dem Kammergericht das Urteil dahin geändert, daß dem Wirtschaftsprüfer ein Verweis erteilt wird. Das Kammergericht hat die Revision gem. § 107 Abs. 2 WPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der - von ihm bejahten - Frage zugelassen, ob die sozietätsbezogenen Berufspflichten des Wirtschaftsprüfers gem. § 38 Abs. 1 Nr. 1 lit. d und e, § 40 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 und § 44b Abs. 4 Satz 1 und 2 WPO auch beim Vorliegen einer "Scheinsozietät" bestehen. Die zulässige (§ 107 Abs. 1 Nr. 3 WPO) Revision des Wirtschaftsprüfers hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

Das Kammergericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Beschwerdeführer betreibt seit dem Jahre 1981 eine selbstständige Praxis als Rechtsanwalt und Steuerberater, seit dem Jahre 1990 auch als Wirtschaftsprüfer. Mindestens seit 1992 sind in der genannten Praxis auch der Rechtsanwalt P und die Steuerberaterin F tätig, mit denen nach Angaben des Wirtschaftsprüfers jedoch kein ausdrücklicher, insbesondere kein schriftlicher Sozietätsvertrag geschlossen worden ist. Der Wirtschaftsprüfer verwendet im Geschäftsverkehr einen Briefbogen, in dem er selbst mit dem Zusatz "Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer", P mit dem Zusatz "Rechtsanwalt" und F mit dem Zusatz "Steuerberater" im Briefkopf aufgeführt sind. Weitere Zusätze enthält der Briefkopf nicht. Für den Rechtsanwalt und die Steuerberaterin bestehen Berufshaftpflichtversicherungen, die bis Ende 1998 einen Vermögensschaden von 500.000,00 DM, seitdem von 2 Millionen DM abdecken. In Bezug auf die genannten Umstände stellte der Wirtschaftsprüfer weder einen Antrag auf Eintragung einer Sozietät in das Berufsregister, noch teilte er den für den Rechtsanwalt und die Steuerberaterin bestehenden Versicherungsschutz der Wirtschaftsprüferkammer mit. Die Nachweise über die Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts und der Steuerberaterin erbrachte der Wirtschaftsprüfer erst im Rahmen des gegen ihn anhängigen berufsgerichtlichen Verfahrens.

II.

In dem dem Wirtschaftsprüfer vorgeworfenen Verhalten liegt kein Verstoß gegen seine Berufspflichten, so daß der Wirtschaftsprüfer freizusprechen ist.

1. Das Kammergericht nimmt an, der Wirtschaftsprüfer habe zum einen gegen eine Pflicht zur Antragstellung auf Eintragung beim Berufsregister für Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfergesellschaften und zum anderen gegen eine Pflicht zum Nachweis bestimmten Versicherungsschutzes verstoßen. So habe der Wirtschaftsprüfer vorsätzlich zum einen die Berufspflicht, gem. § 38 Abs. 1 Nr. 1 lit. d und e, § 40 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 WPO Veränderungen in der Art der Berufstätigkeit sowie Namen, Vornamen, Berufe oder Firma und die Anschriften der beruflichen Niederlassungen der Sozietätspartner, Namen der Sozietät und alle Veränderungen unverzüglich zum Eintrag in das Berufsregister anzumelden, sowie zum anderen die Berufspflicht, gem. § 44b Abs. 4 Satz 1 und 2 WPO bei Bestehen einer Sozietät den Berufshaftpflichtversicherungsschutz für die Partner, der den Anforderungen entsprechen muß, die für Wirtschaftsprüfer gelten, unverzüglich gegenüber der Wirtschaftsprüferkammer nachzuweisen, verletzt. Alledem liegt die Rechtsansicht zugrunde, die genannten Vorschriften, die an das Bestehen einer Sozietät anknüpfen, seien auch dann anzuwenden, wenn eine "Scheinsozietät" vorliegt.

a) Zu Recht geht das Kammergericht aufgrund der getroffenen Feststellungen und der Angaben des Wirtschaftsprüfers, Rechtsanwalt P und Steuerberaterin F seien "seine Angestellten bzw. freie Mitarbeiter" (UA S. 8), davon aus, daß zwischen den drei Personen keine Sozietät, wohl aber eine Konstellation bestand, die den Anschein des Bestehens einer Sozietät erweckte.

aa) Der Begriff der Sozietät eines Wirtschaftsprüfers wird für eine inländische Sozietät in § 44b Abs. 1 WPO definiert (vgl. BTDrucks. 12/5685 S. 26). Danach darf ein Wirtschaftsprüfer seinen Beruf - soweit es hier interessiert - mit einem Rechtsanwalt und einem Steuerberater in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Sozietät) seinen Beruf gemeinsam ausüben. Eine solche Sozietät lag angesichts einer Anstellung oder freien Mitarbeiterschaft des Rechtsanwaltes P und der Steuerberaterin F nicht vor (vgl. zur entsprechenden Fallgestaltung nach dem Berufsrecht der Rechtsanwälte Hartung in Henssler/Prütting, BRAO 1997 § 59a Rdn. 94 bis 98; Jessnitzer/Blumberg, BRAO 9. Aufl. § 59a Rdn. 20 und nach dem Berufsrecht der Steuerberater Kühls/Meurers/Maxl/Schäfer/Goez, StBerG 1995 § 56 Rdn. 32).

bb) Daneben besteht die Rechtsfigur der "Scheinsozietät". Diese ist vom Bundesgerichtshof zunächst für die Berufsgruppe der Rechtsanwälte entwickelt worden. Danach gilt folgendes: Wenn mehrere Rechtsanwälte, zwischen denen keine Sozietät, sondern etwa nur ein Anstellungsverhältnis besteht, nach außen hin durch gemeinsames Praxisschild, Briefbögen, Stempel usw. den Anschein einer Sozietät erwecken, so erzeugen sie gegenüber dem Rechtsverkehr den Anschein, daß der einzelne handelnde Rechtsanwalt sie sämtlich vertritt. An diesem von ihnen gesetzten Rechtsschein müssen sich deshalb alle Rechtsanwälte festhalten lassen. Dies ergibt sich aus den von der Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätzen zur sogenannten Duldungs- und Anscheinsvollmacht (BGHZ 70, 247, 249; BGH NJW 1971, 1801, 1802; 1991, 1225; 1999, 3040, 3041; BGH NJW-RR 1988, 1299, 1300). Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof auf die Berufsgruppe der Steuerberater übertragen (BGH NJW 1990, 827, 828 f.). Das Oberlandesgericht München hat diese Prinzipien auch für das Vorliegen der "Scheinsozietät" eines Wirtschaftsprüfers mit Rechtsanwälten und Steuerberatern für anwendbar erklärt (WPK-Mitt. 1999, 159). Wegen allseits gleicher Problem- und Interessenlage kann kein Zweifel daran bestehen, daß die genannten drei Berufsgruppen in identischer Weise zu behandeln sind.

Zutreffend nimmt das Kammergericht daher an, daß der Wirtschaftsprüfer mit der Verwendung des genannten Briefbogens den Anschein einer Sozietät hervorgerufen hat, so daß er haftungsrechtlich die für die "Scheinsozietät" bestehenden Grundsätze gegen sich gelten lassen muß.

b) Indes kann aus den Grundsätzen zur haftungsrechtlichen Behandlung einer "Scheinsozietät" nicht - wie das Kammergericht und der Generalbundesanwalt argumentieren - hergeleitet werden, daß die "Scheinsozietät" eines Wirtschaftsprüfers auch unter den Gesichtspunkten des Berufsregisterrechts (§§ 37 bis 40 WPO) und unter dem Aspekt der Pflicht zum Nachweis des Versicherungsschutzes (§ 44b Abs. 4 Satz 1 und 2 WPO) wie eine Sozietät zu behandeln sei.

Hinter dem Begriff der "Scheinsozietät" verbirgt sich nicht etwa eine Sonder- oder Parallelform der Sozietät, vielmehr dient dieser Terminus allein der schlagwortartigen Bezeichnung einer bestimmten, eine Haftung auslösenden Konstellation. Die mit diesem Schlagwort abgerufene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs findet sich einzig darin, daß im Interesse der Mandantschaft um deren Vertrauensschutzes willen unter Haftungsgesichtspunkten allein auf den erweckten Anschein abgestellt wird, während die wahren Rechtsverhältnisse in die Bedeutungslosigkeit verwiesen werden (vgl. Hartung in Henssler/Prütting, BRAO 1997 § 59a Rdn. 17).

aa) Dagegen hat das Berufsregister für Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nach §§ 37 bis 40 WPO eine andere Aufgabe. Es hat über die wesentlichen Daten der Berufsangehörigen umfassend Auskunft zu geben (BTDrucks. 12/5685 S. 26). Das kann nur heißen, daß es die wahren Daten wiederzugeben hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Berufsregister, das nach § 37 Abs. 3 Satz 1 WPO öffentlich ist, etwa auch am Schutz der öffentlichen Register im Sinne von § 271 Abs. 1, § 348 Abs. 1 StGB teilnimmt. Durch die Eintragung einer "Scheinsozietät" als einer vermeintlichen Sozietät würde das Register gar unrichtig.

Es kommt folgendes hinzu: Das Gesetz spricht in § 38 Abs. 1 Nr. 1 lit. d und e WPO allein von der Sozietät, ohne daß der Gesetzgeber - in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur "Scheinsozietät" - Gelegenheit genommen hätte, die letztgenannte Rechtsfigur in das Gesetz aufzunehmen. Dabei zeigt ein Vergleich mit der gesetzlichen Überschrift des § 56 StBerG - "Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Sozietät oder Bürogemeinschaft)" - die Offenkundigkeit der Unterscheidung. Durch Auslegung der Vorschriften des § 38 Abs. 1 Nr. 1 lit d und e WPO ist also nicht das Ergebnis zu erreichen, daß die "Scheinsozietät" unter diese Normen subsumiert würde. Eine analoge Anwendung des Gesetzes zum Nachteil des Berufsangehörigen scheidet angesichts des Charakters berufsgerichtlicher Ahndung von Berufspflichtverletzungen aus.

Dies bedeutet, daß dem Wirtschaftsprüfer nicht etwa die Berufspflicht oblag, einen Antrag auf Eintragung einer "Scheinsozietät" beim Berufsregister zu beantragen.

bb) Nichts anderes gilt im Ergebnis für die Pflicht zum etwaigen Nachweis des Versicherungsschutzes.

Die Vorschriften des § 44b Abs. 4 Satz 1 und 2 WPO knüpfen an das Bestehen einer Sozietät an. Dafür, daß diese Regelungen auch dann anzuwenden wären, wenn eine mit dem Begriff "Scheinsozietät" zu beschreibende Haftungsgrundlage vorliegt, gibt das Gesetz nichts her.

Insoweit traf den Wirtschaftsprüfer also auch keine Nachweispflicht.

2. Schließlich hat der Senat das dem Wirtschaftsprüfer vorgeworfene Verhalten in umfassender Kognition zu würdigen (§ 264 StPO i.V.m. § 127 WPO). Auch die Überprüfung des dem Wirtschaftsprüfer vorgeworfenen Verhaltens unter allen anderen etwa in Betracht kommenden Gesichtspunkten ergibt keinen Verstoß gegen Berufspflichten. Insbesondere begründet die Verwendung des genannten Briefkopfes keinen solchen Verstoß.

a) So wird vorliegend dem (für Sozietäten geltenden) Gebot aus Nr. VIII 1 b Abs. 1 der Richtlinien für die Berufsausübung der Wirtschaftsprüfer und vereidigten Buchprüfer (WPK) dadurch Rechnung getragen, daß in dem Briefkopf jeder Person ihre Berufsbezeichnung unmittelbar zugeordnet ist. Weitere hier etwa relevante Anforderungen werden durch die WPK nicht aufgestellt, insbesondere nicht in den die Geschäftsbriefbogen betreffenden Regelungen in Nr. VIII 8 WPK.

b) Schließlich ergibt ein Vergleich mit den für Rechtsanwälte und Steuerberater geltenden Regeln folgendes: Ein Rechtsanwalt, der nur Angestellter oder freier Mitarbeiter ist, darf im Briefkopf der Rechtsanwaltspraxis aufgeführt werden (Odersky AnwBl. 1991, 238, 242; Hartung in Henssler/Pütting, BRAO 1997 § 59a Rdn. 97). Nach § 16 Abs. 7 Satz 1 Berufsordnung der Bundessteuerberaterkammer (BOStB) dürfen auf Briefbogen auch Angestellte und freie Mitarbeiter, die überwiegend beschäftigt werden, aufgeführt werden. Dies wird von der Steuerberaterkammer mit dem Argument begrüßt, daß dem in der Praxis verbreitenden Bedürfnis Rechnung getragen werde, auch Angestellte und Mitarbeiter in die Geschäftsbriefbogen aufzunehmen und damit Auftraggebern wie auch potentiellen Mandanten einen Überblick über die in der Kanzlei, Sozietät oder Steuerberatungsgesellschaft tätigen Steuerberater und Befugnisträger nach § 3 StBerG zu geben (Mitteilungen der Steuerberaterkammer Stuttgart 1998, 9). Dahinter kann auch das Berufsrecht der Wirtschaftsprüfer nicht zurückbleiben.



Ende der Entscheidung

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