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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.02.2002
Aktenzeichen: X ARZ 334/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 32
Voraussetzung für eine Zuständigkeit nach § 32 ZPO ist, daß der Kläger eine unerlaubte Handlung darlegt.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

X ARZ 334/01

vom

19. Februar 2002

in Sachen

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 19. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die Richter Prof. Dr. Jestaedt und Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck

beschlossen:

Tenor:

Als zuständiges Gericht wird das Landgericht Konstanz bestimmt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die Erstattung der sonstigen Kosten richtet sich nach der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe:

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen fehlerhafter Beratung beim Abschluß von Anlagegeschäften in Anspruch.

Die Beklagte zu 1 bietet bundesweit Finanzprodukte an. Die Beklagte zu 2 ist eine ihrer Beteiligungsgesellschaften. Der Beklagte zu 3 war als selbständiger Anlageberater für die Beklagte zu 1 tätig.

Am 23. Oktober 1995 schloß die Klägerin, von Beruf Kindergärtnerin, nach einem Gespräch mit dem Beklagten zu 3 zwei Verträge ab, in denen sie sich als stille Gesellschafterin am Geschäftsbetrieb einer Aktiengesellschaft beteiligte. Diese Aktiengesellschaft ist mittlerweile auf die Beklagte zu 1 verschmolzen worden.

Zugleich unterzeichnete die Klägerin eine Vollmacht, die die Beklagte zu 1 ermächtigte, ähnliche Beteiligungsverträge mit anderen Gesellschaften abzuschließen. Aufgrund dieser Vollmacht schloß die Beklagte zu 1 am 1. Januar 1998 im Namen der Klägerin einen weiteren Beteiligungsvertrag mit der Beklagten zu 2.

Die Klägerin behauptete, der Beklagte zu 3 habe die Verträge als sichere und rentable Altersversorgung angepriesen. Er habe mündlich zugesichert, daß ein garantierter Gewinn zu erwarten sei. Auf Risiken habe er nicht hingewiesen. Den Emissionsprospekt, der unter anderem eine umfangreiche Risikobelehrung enthält, habe der Beklagte zu 3 erst nach der Unterschrift ausgehändigt; dies gehöre zu der eingeschulten Vorgehensweise im Betrieb der Beklagten zu 1.

Die Klägerin hat vor dem Landgericht Konstanz zunächst die in G. ansässigen Beklagten zu 1 und 2 auf Rückzahlung aller geleisteten Einlagen verklagt. Später hat sie die Klage auf den im Landgerichtsbezirk Konstanz wohnhaften Beklagten zu 3 erweitert. Sie verlangt nunmehr auch entgangenen Gewinn.

Die Beklagten zu 1 und 2 haben die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Konstanz gerügt. Nach einem entsprechenden Hinweis des Landgerichts hat die Klägerin beantragt, für die Beklagten gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO einen gemeinsamen Gerichtsstand zu bestimmen.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat den Antrag dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist der Antrag zurückzuweisen, weil für alle Beklagten auch hinsichtlich konkurrierender vertraglicher Ansprüche der gemeinsame Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) gegeben sei.

II. Die Vorlage ist zulässig.

Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein Oberlandesgericht, das nach § 36 Abs. 2 ZPO anstelle des Bundesgerichtshofs mit der Zuständigkeitsbestimmung befaßt ist, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Das vorlegende Oberlandesgericht will seiner Entscheidung die Auffassung zugrunde legen, daß im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) nicht nur über Ansprüche aus Delikt entschieden werden darf, sondern auch über konkurrierende Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung. Damit würde es von einer Rechtsauffassung abweichen, die bislang in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof vertreten wurde (vgl. BGH, Urt. v. 6.11.1973 - VI ZR 199/71, NJW 1974, 410, 411; Urt. v. 11.2.1980 - II ZR 259/78, VersR 1980, 846, 847; Beschl. v. 3.3.1983 - I ARZ 682/82, NJW 1983, 1799; Urt. v. 4.2.1986 - VI ZR 220/84, NJW 1986, 2436, 2437 und Urt. v. 17.10.1986 - V ZR 169/85, BGHZ 98, 362, 368) und die auch in neuerer Zeit von verschiedenen Oberlandesgerichten geteilt wird (KG KGR 1995, 202; OLG Hamburg OLGR Hamburg 1996, 347, 348; OLG Karlsruhe TranspR 1997, 166; OLG Köln MDR 2000, 170; a. A. BayObLG NJW-RR 1996, 508, 509; OLG Koblenz ZMR 1997, 77; OLG Frankfurt NJW-RR 1996, 1341; OLG Hamburg MDR 1997, 884; OLG Köln NJW-RR 1999, 1081, 1082; OLG Hamm NJW-RR 2000, 727 f.; KG MDR 2000, 413).

Daß es - wie noch auszuführen sein wird - auf diese Rechtsfrage im Ergebnis nicht ankommt, steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. Sinn des § 36 ZPO ist es, jedem langwierigen Streit der Gerichte untereinander über die Grenzen ihrer Zuständigkeit ein Ende zu machen (BGHZ 17, 168, 170) und eine Ausweitung von solchen Streitigkeiten tunlichst zu vermeiden (BGHZ 44, 14, 15). Angesichts dessen muß es für die Zulässigkeit einer Vorlage gemäß § 36 Abs. 3 ZPO ausreichen, wenn die Rechtsfrage, die zur Vorlage an den Bundesgerichtshof führt, nach Auffassung des vorlegenden Gerichts entscheidungserheblich ist und wenn dies in den Gründen des Vorlagebeschlusses nachvollziehbar dargelegt wird.

Diesen Anforderungen wird der Vorlagebeschluß - noch - gerecht. Das Oberlandesgericht geht in seiner knappen Begründung davon aus, daß der Gerichtsstand des § 32 ZPO im Streitfall grundsätzlich gegeben ist. Von diesem Standpunkt aus ist die Frage, ob in diesem Gerichtsstand auch konkurrierende vertragliche Ansprüche geprüft werden dürfen, entscheidungserheblich.

III. Der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung ist zulässig und begründet.

1. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

a) Die Beklagten zu 1 und 2 und der Beklagte zu 3 haben keinen gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand.

b) Entgegen der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts ist für den Rechtsstreit kein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet.

Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob an der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach im Gerichtsstand des § 32 ZPO nur Ansprüche aus unerlaubter Handlung geprüft werden dürfen, trotz der seit 1. Januar 1991 geltenden Neufassung des § 17a Abs. 2 GVG festzuhalten ist (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.1997 - VI ZR 408/96, NJW 1998, 988, wo die Frage ebenfalls offengelassen wurde; zur internationalen Zuständigkeit siehe BGHZ 132, 105, 111 ff.). In der Literatur haben sich für eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung ausgesprochen: MünchKommZPO/Lüke, 2. Aufl., vor § 253 Rdn. 39 u. § 261 Rdn. 59; Zimmermann, ZPO, 5. Aufl., § 32 Rdn. 5; Zöller/Vollkommer, 22. Aufl., § 12 Rdn. 21 u. § 32 Rdn. 20; Rosenberg/Schwab/Gottwald, 15. Aufl., § 36 VI 2, S. 181; Schwab, Festschrift Zeuner, 1994, S. 499, 505 ff.; Hoffmann, ZZP 107 (1994), 3, 11 ff.; Geimer, LM § 29 ZPO Nr. 8; Gottwald, JZ 1997, 92, 93; U. Wolf, ZZPInt 2 (1997), 125, 134 f.; Windel, ZZP 111 (1998), 3, 13 f.; Vollkommer, Festschrift Deutsch, 1999, S. 385, 395 ff.; a. A. MünchKommZPO/Patzina, 2. Aufl., § 32 Rdn. 19; Musielak/Smid, 2. Aufl., § 12 Rdn. 10 u. § 32 Rdn. 10; Stein/Jonas/Schumann, 21. Aufl., § 32 Rdn. 17; Jauernig, Zivilprozeßrecht, 26. Aufl., § 12 II, S. 42; Würthwein, ZZP 106 (1993), 51, 75 f.; Hager, Festschrift Kissel, 1994, S. 327, 340 mit Fn. 51; Banniza von Bazan, Der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs im EuGVÜ, dem Lugano-Abkommen und im deutschen Recht, 1995, S. 152 ff. (mit dem Vorschlag, das Gesetz zu ändern); Spickhoff, ZZP 109 (1996), 493, 495 ff.; Mankowski, IPRax 1997, 173, 178; Peglau, MDR 2000, 723.

Voraussetzung für eine Zuständigkeit nach § 32 ZPO ist jedenfalls, daß der Kläger eine unerlaubte Handlung darlegt (BGHZ 132, 105, 110; BGHZ 124, 237, 240 f. m.w.N.). Daran fehlt es hier hinsichtlich der Beklagten zu 1 und 2.

Die Klägerin bringt keine hinreichenden Umstände vor, aus denen eine deliktische Haftung der Beklagten zu 1 und 2 für das behauptete betrügerische Verhalten des Beklagten zu 3 resultieren könnte.

c) Ein gemeinsamer Gerichtsstand ergibt sich auch nicht aus § 7 HWiG. Die Beklagten haben unwidersprochen vorgetragen, daß beim Abschluß des Vertrages mit der Beklagten zu 2 eine Haustürsituation im Sinne von § 1 Abs. 1 HWiG nicht bestanden hat. Daß die Klägerin die Vollmacht zum Abschluß dieses Geschäfts möglicherweise in einer solchen Situation abgegeben hat, reicht für die Anwendbarkeit des Haustür-Widerrufsgesetzes grundsätzlich nicht aus (BGHZ 144, 223, 226 ff.).

2. Nach allem war gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO antragsgemäß ein gemeinsamer Gerichtsstand zu bestimmen. Hierbei erschien es dem Senat zweckmäßig, die Zuständigkeit des Landgerichts Konstanz zu begründen.

Zwar ist in diesem Gerichtsbezirk nur der Beklagte zu 3 ansässig. Dieser hat aber die engsten Beziehungen zu dem Geschehen, aus dem die Klageansprüche hergeleitet werden. Zudem haben die Handlungen, aus denen die Klageansprüche hergeleitet werden, ihren Schwerpunkt im Landgerichtsbezirk Konstanz. Dies läßt es zweckmäßig erscheinen, den Rechtsstreit in Konstanz zu führen.

Ende der Entscheidung

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