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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.12.2003
Aktenzeichen: X ZB 14/03
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 128
Erledigt sich das Verfahren vor der Vergabekammer ohne Entscheidung zur Sache, hat der Antragsteller die für die Tätigkeit der Vergabekammer entstandenen Kosten zu tragen und findet eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten nicht statt. Auf die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags kommt es für die Kostenentscheidung daher nicht an.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

X ZB 14/03

vom 9. Dezember 2003

in der Vergabesache

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 9. Dezember 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Scharen, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. Meier-Beck und Asendorf beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluß der Vergabekammer vom 29. Oktober 2001 unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde im übrigen im Kostenpunkt abgeändert.

Die vor der Vergabekammer entstandenen Kosten trägt die Antragstellerin. Die ihnen entstandenen Auslagen tragen die Beteiligten jeweils selbst.

2. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegnerin 3/4 und die Antragstellerin 1/4.

3. Wert für das Beschwerdeverfahren: € 14.853,03

Gründe:

I. Die Antragstellerin hat sich als Bieterin in einem von der Antragsgegnerin durchgeführten Ausschreibungsverfahren beteiligt. Sie hat Nachprüfungsanträge gestellt.

Die Vergabekammer hat das Nachprüfungsverfahren eingestellt, weil die Hauptsache erledigt sei, und die Kosten dieses Nachprüfungsverfahrens den Beteiligten jeweils zur Hälfte auferlegt; nach diesem Beschluß tragen die Beteiligten die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Kosten jeweils selbst. Dieser Kostenentscheidung lag die Erwägung zugrunde, daß die Nachprüfungsanträge der Antragstellerin bis zur Erledigung teilweise begründet gewesen seien.

Gegen diese Kostenentscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin mit dem Antrag, die Kosten des Verfahrens - auch für das Verfahren vor der Vergabekammer - ausschließlich der Antragstellerin aufzuerlegen und festzustellen, daß die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich war.

Die Antragstellerin beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Nach Auffassung des vorlegenden Oberlandesgericht Bremen muß die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer allein tragen. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten soll nicht stattfinden, weil eine entsprechende Anwendung derjenigen Vorschriften, welche die Kostenentscheidung bei Erledigung des Rechtsstreits vor den ordentlichen Gerichten oder den Verwaltungsgerichten zum Gegenstand haben, nicht möglich sei.

Das Oberlandesgericht Bremen sieht sich jedoch bei der von ihm beabsichtigten Entscheidung in Widerspruch zu einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt (BauR 2000, 1595). Dieses hat in einem vergleichbaren Fall § 91a Abs. 1 ZPO und § 161 Abs. 2 VwGO analog angewandt und dementsprechend bei seiner Kostenentscheidung den bisherigen Sach- und Streitstand berücksichtigt. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung wären nach Ansicht des Oberlandesgerichts Bremen im vorliegenden Fall die gesamten Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen, weil die von dieser im Nachprüfungsverfahren gestellten Anträge von vornherein unbegründet gewesen seien. Das Oberlandesgericht hat dem Bundesgerichtshof die Sache zur Entscheidung folgender Frage vorgelegt: "Ist bei einer Erledigung des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer über die Kosten des Nachprüfungsverfahrens in entsprechender Anwendung von § 91a Abs. 1 ZPO, § 161 Abs. 2 VwGO zu entscheiden oder ist die in § 128 Abs. 3 und 4 GWB getroffene Kostenregelung abschließend mit der Folge, daß die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG vom Antragsteller zu tragen sind und eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht stattfindet?"

II. Die Vorlage führt zu einer Abänderung der angefochtenen Kostenentscheidung.

1. Die Vorlage ist gemäß § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB zulässig. Das vorlegende Oberlandesgericht will in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts (OLG Frankfurt aaO) abweichen.

2. Der Senat hat auf die Vorlage hin nicht lediglich eine vom vorlegenden Oberlandesgericht formulierte Frage zu beantworten, sondern entscheidet gemäß § 124 Abs. 2 Satz 2 GWB grundsätzlich selbst über die sofortige Beschwerde (Senat, BGHZ 146, 202, 205).

3. Die sofortige Beschwerde ist begründet, soweit sie sich gegen die Teilung der vor der Vergabekammer entstandenen Kosten richtet; sie ist unbegründet, soweit sie sich dagegen richtet, daß nach der angegriffenen Entscheidung der Vergabekammer die Beteiligten ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Kosten selbst zu tragen haben.

a) Die Antragstellerin hat die für die Tätigkeit der Vergabekammer anfallenden Kosten (Gebühren und Auslagen) allein zu tragen. Kostenschuldner ist gemäß § 128 Abs. 1 Satz 2 GWB i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG derjenige, der durch Stellung eines Nachprüfungsantrags das Verfahren in Gang gesetzt hat.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach sind Kosten in Abweichung von § 128 Abs. 1 Satz 2 GWB i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG nicht dem Antragsteller, sondern einem anderen Verfahrensbeteiligten aufzuerlegen, soweit dieser im Verfahren unterliegt. Zu einer je hälftigen Kostentragungspflicht beider Beteiligter würde man danach nur gelangen, wenn die Antragsgegnerin in dem Nachprüfungsverfahren zur Hälfte unterlegen wäre. Dies trifft hier aber schon deshalb nicht zu, weil das Verfahren nicht durch eine sachliche Vergabekammerentscheidung über die Nachprüfungsanträge, sondern durch Einstellung aufgrund eines erledigenden Ereignisses seinen Abschluß gefunden hat.

b) Aus § 128 GWB ergibt sich kein Anspruch der Antragsgegnerin auf Erstattung ihrer Aufwendungen. Die Anrufung der Vergabekammer war weder erfolgreich, noch hat es eine abhelfende Entscheidung einer Vergabeprüfstelle gegeben, wie § 128 Abs. 4 Satz 1 GWB dies voraussetzt. Nach § 128 Abs. 4 Satz 2 GWB hat ein Beteiligter die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendigen Auslagen seines Gegners zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt. Auch dies ist hier nicht der Fall. Ob von einem Unterliegen auch dann gesprochen werden kann, wenn der Antragsteller seinen Nachprüfungsantrag zurücknimmt und sich dadurch in die Position des Unterlegenen begibt (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 29. Mai 2001 - 1 Verg 5/01, veröffentlicht in Juris; OLG Celle, OLGR 2002, 184; OLG Düsseldorf, VergabeR 2002, 197 f.), kann vorliegend dahingestellt bleiben.

Die Antragsgegnerin kann ihren Erstattungsantrag schließlich auch nicht auf die in § 128 Abs. 4 Satz 3 GWB für entsprechend anwendbar erklärten Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder stützen (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 128 Rdn. 50). In dem hier maßgeblichen § 80 BremVwVfG ist nämlich eine Kostenauferlegung für den Fall der anderweitigen Erledigung ebenfalls nicht vorgesehen.

c) Für die Kostenentscheidung kommt es mithin auf die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags vor dessen Erledigung nicht an. Eine entsprechende Anwendung prozessualer Vorschriften über die Kostenentscheidung bei Erledigung der Hauptsache (§ 91a Abs. 1 ZPO, § 161 Abs. 2 VwGO) kommt nicht in Betracht (entgegen KG, IBR 2000, 213).

(1) Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften setzt eine planwidrige Gesetzeslücke voraus. Aus § 128 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GWB ist zu ersehen, daß der Gesetzgeber den Fall der Verfahrensbeendigung durch Rücknahme oder anderweitige Erledigung gesehen hat. Gleichwohl hat er darauf verzichtet, für diesen Fall eine den § 91a Abs. 1 ZPO, § 161 Abs. 2 VwGO entsprechende Regelung zu treffen, und hat sich statt dessen - wie der Verweisung in § 128 Abs. 4 Satz 3 VwVfG, aber auch der Begründung des Regierungsentwurfs eines Vergaberechtsänderungsgesetzes zu entnehmen ist (BT-Drucks. 13/9340, S. 23, zu § 137) - an der Kostenregelung für das verwaltungsrechtliche Widerspruchsverfahren orientiert. Eine Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendigen Aufwendungen des Widerspruchsführers bzw. der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, ist danach nur für Fälle vorgesehen, in denen sich der Widerspruch als erfolgreich bzw. als erfolglos erweist (§ 80 Abs. 1 VwVfG). Dies setzt eine behördliche Entscheidung voraus, sei es eine Abhilfeentscheidung der Ausgangsbehörde (§ 72 VwGO), sei es eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde (§ 73 VwGO). Erledigt sich das Widerspruchsverfahren durch Rücknahme des Widerspruchs oder auf andere Weise, kommt eine Kostenerstattung dagegen - jedenfalls bei Anwendung von § 80 VwVfG oder gleichlautender landesrechtlicher Vorschriften - nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Betracht (vgl. BVerwGE 62, 201; 101, 64; BVerwG, Beschl. v. 1. September 1989 - 4 B 17/89, NVwZ 1990, 59; so auch Stelkens/Bonk/Sachs/Kallerhoff, VwVfG, 6. Aufl., § 80 Rdn. 31; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 73 Rdn. 17; Haurand/Vahle, Verwaltungsrundschau 1997, 12, 13 f.).

(2) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt (BauR 2000, 1595, 1596) ist die entsprechende Anwendung der § 91a Abs. 1 ZPO, § 161 Abs. 2 VwGO auch nicht wegen eines allgemeinen kostenrechtlichen Grundsatzes geboten, wonach bei Erledigung des Verfahrens ohne Entscheidung in der Hauptsache stets der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen sei. Ein solcher allgemeiner kostenrechtlicher Grundsatz besteht nicht (vgl. BVerfGE 74, 78, 91). Die Frage nach der Kostentragung in Fällen, in denen ein Verfahren anders beendet wird als durch Entscheidung in der Hauptsache, wird für die Verfahren vor Gerichten und Verwaltungsbehörden mit unterschiedlichem Gehalt beantwortet. Dies zeigt sich in einer Reihe von Vorschriften, denen zufolge (auch im Erledigungsfall) die Erstattung der Kosten eines Beteiligten angeordnet werden kann, falls dies der Billigkeit entspricht (vgl. etwa § 78 GWB für das kartellrechtliche Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren, sowie § 13a Abs. 1 FGG, § 80 Abs. 1 PatG, § 63 Abs. 1 MarkenG). Die Erfolgsaussichten eines eingelegten Rechtsmittels können im Rahmen der Billigkeitsentscheidung zwar berücksichtigt werden; sie bilden für diese aber nicht die einzige Richtschnur (vgl. zum kartellrechtlichen Beschwerdeverfahren BGH, Beschl. v. 16. November 1999 - KVR 10/98, BB 2000, 482 f.; Immenga/Mestmäcker/Sauter, GWB, 3. Aufl., § 78 Rdn. 15 ff.; zu § 13a FGG BGH, Beschl. v. 29. Juli 1991 - NotZ 27/90, BGHR FGG § 13a Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelrücknahme 1; Keidel/Kuntze/Winkler/Zimmermann, FGG, 14. Aufl. 1999, § 13a Rdn. 44; zu § 80 PatG BGH, Beschl. v. 3.3.1972 - I ZB 7/70, GRUR 1972, 600, 601 - Lewapur; Schulte, PatG, 6. Aufl., § 80 Rdn. 11 f.).

(3) Es gibt auch keinen sachlich zwingenden Grund, die Kostenfolge bei Erledigung der Hauptsache in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren ebenso wie in § 91a Abs. 1 ZPO, § 161 Abs. 2 VwGO zu behandeln. Das Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern soll zwar den Rechtsschutz in einem gerichtsähnlichen Verfahren gewährleisten (Immenga/Mestmäcker/Stockmann aaO § 102 Rdn. 13); dennoch ist es einem gerichtlichen Verfahren nicht gleichzusetzen. Auch wenn die Vergabekammern ihre Tätigkeit unabhängig und in eigener Verantwortung ausüben (§ 105 Abs. 1 GWB), handelt es sich bei ihnen organisatorisch um Einrichtungen innerhalb der Verwaltung. So ist die Vergabekammer der Freien Hansestadt Bremen beim Senator für Bau- und Umwelt angesiedelt (§ 106 Abs. 2 GWB i.V.m. § 3 der Bekanntmachung des Senats über die Zuständigkeit in Nachprüfungsverfahren bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vom 8. Juni 1999, ABl. S. 489). Das Verfahren vor der Vergabekammer zielt nicht auf die bloße Überprüfung eines abgeschlossenen Vergabeverfahrens auf seine Rechtmäßigkeit, sondern auf den Erlaß eines Verwaltungsakts in dem noch laufenden Vergabeverfahren. Die Vergabekammern sind an die gestellten Anträge nicht gebunden und können auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken (§ 114 Abs. 1 Satz 2 GWB). Trotz seiner gerichtsähnlichen Ausgestaltung handelt es sich demnach bei dem Verfahren vor der Vergabekammer um ein Verwaltungsverfahren. Es erscheint daher nicht sachwidrig, wenn Entscheidungen über die Kostentragung in diesem Verfahren in Anlehnung an Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes getroffen werden, auch wenn sich insoweit ein Unterschied zu Kostenentscheidungen in prozessualen Streitverfahren ergibt. Aus diesem Grund ist es auch nicht systemwidrig, bei der Auslegung des § 128 GWB andere Maßstäbe zugrunde zu legen als etwa bei der Kostenentscheidung im kartellrechtlichen Beschwerdeverfahren (§ 78 GWB), bei dem es sich der Sache nach um ein echtes Verwaltungsstreitverfahren handelt (BVerfGE 74, 78, 92; Ipsen, BB 1976, 954, 957 ff.).

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 97 ZPO (Senat, BGHZ 146, 202, 216).



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