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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.10.2000
Aktenzeichen: X ZB 25/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 519 b Abs. 2
ZPO § 547
ZPO § 569 Abs. 1
ZPO § 577
ZPO § 97 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

X ZB 25/99

vom

17. Oktober 2000

in der Beschwerdesache

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 17. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Dr. Jestaedt, Dr. Melullis, Scharen und Keukenschrijver

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 10. September 1999 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Wert des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens wird auf 138.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

I. Die Beklagten sind durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18. Februar 1999 als Gesamtschuldner zur Zahlung von 138.000,-- DM nebst Zinsen aufgrund eines Patentlizenzvertrages an die Klägerin verurteilt worden. Gegen dieses Urteil haben sie form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist nicht innerhalb der bis zum 17. Mai 1999 verlängerten Berufungsbegründungsfrist, sondern erst am 18. Mai 1999 bei Gericht eingegangen. Wegen der Fristversäumung haben die Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt; das Berufungsgericht hat den Antrag als rechtzeitig eingegangen und auch im übrigen als zulässig, jedoch als unbegründet angesehen und ihn deshalb zurückgewiesen und die Berufung durch Beschluß als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten, mit der diese beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Die Klägerin tritt dem Antrag entgegen.

II. Die gemäß §§ 519 b Abs. 2, 547, 569 Abs. 1, 577 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß die Beklagten die Berufungsbegründungsfrist nicht ohne ihr Verschulden versäumt haben, weil ihnen ein Organisationsverschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten zuzurechnen sei. Die Ausgangskontrolle für schriftwahrende Schriftsätze sei bei den Prozeßbevollmächtigten nicht ausreichend zuverlässig gewesen. Es hat dabei den Vortrag der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zugrunde gelegt, Fristen würden von Hilfspersonal in einem zentralen Fristenkalender eingetragen; die Frist werde vom zuständigen Rechtsanwalt nach Erledigung bzw. nach Sicherstellung der Erledigung abgezeichnet. Ein Bürobote hole die im Ausgangsfach im Postraum der Kanzlei für Gerichtspost befindlichen Schriftstücke dreimal täglich (gegen 10.00 Uhr, 11.30 Uhr und nach 14.30 Uhr) ab und bringe sie zur gemeinsamen Annahmestelle des Amtsgerichts Hamburg. Fristsachen seien anweisungsgemäß mit einem pinkfarbenen Hinweiszettel versehen. Die Schreibkräfte seien angewiesen, dem Empfang mitzuteilen, ob eine Fristsache vorhanden sei, die noch am selben Tag zu Gericht müsse. Der Bote gehe beim Kommen und Gehen regelmäßig am Empfang vorbei; das Empfangssekretariat habe die Aufgabe, den Boten auf die Fristsachen hinzuweisen. Das Ausgangsfach werde stichprobenartig von einem Mitarbeiter und von Mitgliedern der Sozietät überwacht.

Am Morgen des 17. Mai 1999 habe der Berufungsbegründungsschriftsatz dem Prozeßbevollmächtigten zur Endkontrolle und Unterschrift vorgelegen. Dieser habe die Schreibkräfte P. und H. gebeten, einen fehlenden Absatz einzufügen, und darauf verwiesen, daß die Berufungsbegründungsfrist am selben Tag ablaufe. Gegen 12.30 Uhr habe der Prozeßbevollmächtigte im Sekretariat in Gegenwart dieser Schreibkräfte den Schriftsatz unterschrieben und erneut auf den Fristablauf hingewiesen. Frau H. habe erklärt, sie werde sich um den fristgerechten Ausgang zuverlässig kümmern und diesen zur Zentrale bringen; der Bote gehe ohnehin noch zu Gericht. Gegen 13.00 Uhr habe sich der Prozeßbevollmächtigte bei Frau H. erkundigt, ob die Berufungsbegründung zu Gericht gelangt sei; diese habe erklärt, dies nicht genau beantworten zu können, es sei aber alles so organisiert, daß der Schriftsatz vom Boten zuverlässig zu Gericht gebracht werde. Daraufhin habe der Prozeßbevollmächtigte die Frist im zentralen Fristenkalender abgezeichnet. Frau H. habe gegen 12.30 Uhr den Schriftsatz zum Empfang gebracht und dort der Empfangssekretärin, Frau T., erklärt, der Schriftsatz müsse noch am selben Tag vom Boten zu Gericht gebracht werden. Frau T. habe Frau H. gebeten, den Schriftsatz in das Ausgangsfach zu legen, und erklärt, der Bote werde diesen bei seinem weiteren Gerichtsgang am selben Tag entnehmen. Der Schriftsatz sei an diesem Tag nicht mehr zum Gericht gebracht worden. Der Bote habe an diesem Wochentag den Gang zum Gericht ausfallen lassen, ohne daß dafür ein Grund ersichtlich sei.

Das Berufungsgericht hat in dieser Büroorganisation einen Organisationsmangel in erster Linie deshalb gesehen, weil die Frist im Fristenkalender bereits gestrichen worden sei, obwohl nicht festgestanden habe, ob der Schriftsatz zu diesem Zeitpunkt bereits im Ausgangsfach gelegen habe. Es hat weiter bemängelt, daß - obgleich die Frist bereits vor Absendung des Schriftsatzes gestrichen worden sei - keine sichere Vorsorge dahin getroffen worden sei, daß der Schriftsatz tatsächlich hinausgehe bzw. der einleitende Vorgang zuverlässig zum Abschluß der fristwahrenden Maßnahme führe. Die Anweisung an den Boten, dreimal täglich das Ausgangsfach zu leeren und die Schriftsätze zu Gericht zu bringen, reiche bei nur gelegentlichen Stichproben betreffend das Ausgangsfach selbst nicht aus.

2. Die Beschwerdeführer machen demgegenüber geltend, ein Verschulden der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten liege nicht vor. Die Frist dürfe bereits gelöscht werden, sobald der fertiggestellte Schriftsatz zur Mitnahme bereitgelegt sei; dies sei bei Löschung der Frist der Fall gewesen. Es überspanne die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts, wolle man von ihm die Kontrolle verlangen, daß das Schriftstück in das Botenausgangsfach gelangt sei. Es laufe auch auf eine Überspannung der Sorgfaltsanforderungen hinaus, wenn die Kontrolle des Ausgangsfachs am Ende eines jeden Arbeitstages verlangt werde. Auf die ordnungsgemäße Erledigung von Botenaufgaben dürfe sich ein Rechtsanwalt verlassen; eine nochmalige Kontrolle des Abgangs sei deshalb nicht erforderlich.

3. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer genügt die von ihrem Prozeßbevollmächtigten dargelegte Organisation der Ausgangskontrolle nicht in jeder Hinsicht den zu stellenden Anforderungen. Das darin liegende Organisationsverschulden auf seiten der Prozeßbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO).

a) Allerdings können die maßgebenden Fristen im Kalender bei Bereitstellung für die Mitnahme zur Post gelöscht werden (BGH, Beschl. v. 10.03.1987 - VI ZB 14/86, VersR 1987, 769 f. = BGHR ZPO § 233 - Fristenkontrolle 4; Beschl. v. 27.11.1996 - XII ZB 177/96, NJW 1977, 312 f. = BGHR ZPO § 233 - Ausgangskontrolle 8). Nach dem Vortrag der Prozeßbevollmächtigten ist im vorliegenden Fall die Löschung bereits zu einem Zeitpunkt erfolgt, als noch nicht feststand, daß die Berufungsbegründungsschrift in das Postausgangsfach eingelegt war. Der hierin liegende Fehler ist indessen für die Fristversäumung nicht ursächlich geworden, weil der Schriftsatz tatsächlich jedenfalls zu einem Zeitpunkt, zu dem nach den organisatorischen Maßnahmen sicher mit einer Weiterleitung an die Eingangsstelle des Gerichts zu rechnen war, in das Postausgangsfach gelangt ist.

b) Daß der Bote es unterlassen hat, den für den fraglichen Zeitpunkt vorgesehenen weiteren Botengang durchzuführen, stellt zunächst kein den Beklagten zuzurechnendes Vertreterverschulden dar (vgl. statt aller Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 233 Rdn. 20 sowie BGH, Beschl. v. 19.06.1996 - XII ZR 279/95, BGHR ZPO § 233 - Büropersonal 9). An die Qualifikation des für derartige Tätigkeiten eingesetzten Hilfspersonals können auch keine besonders hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 22.09.1977 - IV ZB 14/77, VersR 1977, 1099; Beschl. v. 13.01.1988 - IVa ZB 13/87, NJW 1988, 2045 f. = BGHR ZPO § 233 - Büropersonal 1; Beschl. v. 03.07.1992 - V ZB 11/92, NJW-RR 1992, 1278 f. = BGHR ZPO § 233 - Büropersonal 5).

c) Die Beklagten haben aber die Möglichkeit eines Verschuldens ihres Prozeßbevollmächtigten deshalb nicht ausgeräumt, weil es an einen über formelhafte Wendungen hinausgehenden ("er durfte davon ausgehen, daß das geschulte und zuverlässige Personal die geschilderten und im Detail gegebenen Anweisungen beachten würde, zumal es auch über eigene entsprechende Sachkenntnis verfügte") Vortrag darüber fehlt, ob der Bote B., über dessen Beschäftigungsdauer nichts vorgetragen ist, zuverlässig und ausreichend eingewiesen war. Der bloße Hinweis auf stichprobenartige Überwachung durch einen angestellten Büromanager und zwei Partner der Sozietät ist nicht geeignet, eine ausreichende Einweisung und Überwachung darzulegen (vgl. zum Überwachungserfordernis bei Büropersonal BGH, Beschl. v. 01.04.1993 - III ZB 33/92, VersR 1994, 369 ff. = BGHR ZPO § 233 - Büropersonal 6; insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von den im Beschl. v. 17.12.1997 (IV ZR 93/97, NJW-RR 1998, 1140 = BGHR ZPO § 233 - Büropersonal 12). Damit ist auch eine ausreichende Sicherung der regelmäßigen Leerung des Postausgangsfachs noch am Nachmittag eines jeden Tages und insbesondere am 17. Mai 1999 nicht dargetan. Die fehlende Darlegung geht zu Lasten des Beklagten.

III. Da Wiedereinsetzung mithin nicht zu gewähren ist, hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel zu Recht als unzulässig verworfen (§§ 519 b, 519 Abs. 2 ZPO).

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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