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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 10.11.1998
Aktenzeichen: X ZR 137/94
Rechtsgebiete: PatG


Vorschriften:

PatG 1981 § 3 Abs. 1
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am: 10. November 1998

Schanz Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

X ZR 137/94

in der Patentnichtigkeitssache

Herzklappenprothese

PatG 1981 § 3 Abs. 1

Bei gewerblicher Entwicklungs- oder Erprobungstätigkeit, bei der ein betriebliches Interesse daran besteht, die dabei entstehenden Kenntnisse nicht nach außen dringen zu lassen, ist im Regelfall und ohne Hinzutreten besonderer Umstände öffentliche Zugänglichkeit der gewonnenen Kenntnisse zu verneinen. Das gilt jedenfalls solange, wie die Kenntnisse nur solchen Personen zugänglich sind, die an dieser Entwicklungs- und Erprobungstätigkeit beteiligt sind. Besteht ein solches Interesse, gilt Entsprechendes bei einer Übertragung der Herstellung oder einzelner Herstellungsschritte auf Dritte.

BGH, Urt. v. 10. November 1998 - X ZR 137/94 - Bundespatentgericht


Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 1998 durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Dr. Jestaedt, Dipl.-Ing. Frhr. v. Maltzahn, Scharen und Keukenschrijver

für Recht erkannt:

Die Berufung gegen das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats II) des Bundespatentgerichts vom 28. Juni 1994 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 24. Oktober 1978 unter Inanspruchnahme der Unionspriorität einer Voranmeldung in den Vereinigten Staaten von Amerika vom 2. November 1977 angemeldeten, inzwischen infolge Ablaufs der Schutzdauer erloschenen deutschen Patents 28 46 299 (Streitpatents), das eine "Herzklappenprothese" betrifft und vier Patentansprüche umfaßt. Diese lauten wie folgt:

"1. Herzklappenprothese mit einem ringförmigen Grundelement und mindestens einer über eine am Grundelement angeordnete Gelenkanordnung schwenkbar gelagerten, plattenförmigen Ventilklappe, mit in der Gelenkanordnung vorgesehenen Ausnehmungen und in diese Ausnehmungen eingreifenden Ventilklappenteilen, dadurch gekennzeichnet, daß als Ventilklappenteile vom Umfang der Ventilklappe (11, 12) seitlich vorspringende kreisbogenförmige Ansätze (31) mit jeweils als Rotationsfläche ausgebildetem Ende (32) vorgesehen sind, daß die Ausnehmungen (21) als Rotationsflächen gestaltete Lagerflächen (28) mit einem dem Krümmungsradius der Enden (32) eng angepaßten Krümmungsradius aufweisen und daß Anschläge (24 bis 27) vorgesehen sind.

2. Herzklappenprothese nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Lagerflächen (28) und die Enden der vorspringenden Absätze (31) kugelförmig ausgebildet sind.

3. Herzklappenprothese nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß die Anschläge (24 bis 27) von Seitenwänden der Ausnehmungen (21) gebildet sind.

4. Herzklappenprothese nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß das Grundelement (10) einander gegenüberliegende, stromaufwärts vorstehende Vorsprünge (14) mit flachen Innenseiten (16) aufweist, und daß die Ausnehmungen (21) in den Innenseiten angeordnet sind."

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber den ursprünglichen Unterlagen unzulässig erweitert. Er sei auch nicht patentfähig, weil er vor dem Prioritätszeitpunkt von der Beklagten offenkundig vorbenutzt und durch den Stand der Technik, wie er sich insbesondere aus der französischen Patentschrift 2 331 997 und aus der US-Patentschrift 3 476 143 und einem zugehörigen Fachaufsatz ergebe, für den Fachmann zumindest nahegelegt gewesen sei. Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent für nichtig zu erklären. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das Bundespatentgericht hat die Klage abgewiesen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Nichtigerklärung weiter; sie stützt sich im Berufungsverfahren nurmehr auf den Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit. Die Beklagte tritt der Klage weiterhin entgegen.

Als gerichtlich bestellter Sachverständiger hat Professor Dr. B. J. Messmer, Direktor der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, ein schriftliches Gutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung näher erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:

Die vorliegend auch nach Erlöschen des Streitpatents weiterhin zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Senat kann nicht feststellen, daß ein Nichtigkeitsgrund vorliegt.

I. 1. Das Streitpatent betrifft eine Herzklappenprothese (künstliche Herzklappe). Im menschlichen Herz gewährleisten vier Herzklappen, nämlich je eine Einlaßklappe und eine Auslaßklappe an der rechten und der linken Herzkammer, einen gerichteten Blutstrom. Die Klappen können im technischen Sinn als Einlaß- und Auslaßventile bezeichnet werden; strömungstechnisch wirken sie als einfache Rückschlagventile. 1960 wurde erstmals eine Aortenklappe (Auslaßklappe der linken Herzkammer zur Körperschlagader) beim Menschen durch ein Kugelventil ersetzt, 1961 ebenso eine Mitralklappe (linksseitige Einlaßklappe). In der Folgezeit wurden verschiedene andere Herzklappenprothesen bekannt, so u.a. aus der schweizerischen Patentschrift 457 712 (Wada), der deutschen Offenlegungsschrift 22 12 551 (Child) und aus der deutschen Offenlegungsschrift 1 916 787 (Bokros); diese Veröffentlichungen sind in der sonst nicht auf die Entwicklung der Herzklappenprothesen eingehenden Beschreibungseinleitung des Streitpatents genannt. Alle diese Prothesen weisen nach der Beschreibung des Streitpatents ein Grundelement und eine schwenkbare Ventilklappe auf. An der Prothese nach der schweizerischen Patentschrift bemängelt das Streitpatent, daß das Grundelement und die Ventilklappe im Verlauf der Klappenschwenkbewegung nur über sehr kleine Lagerflächen miteinander in Eingriff stünden, was eine mangelhafte Führung der Klappe zur Folge habe, wodurch die Gefahr von Verkantungen und eines Verklemmens der Klappe bestehe. Zudem träten in der Gelenkanordnung hohe Flächenpressungen auf, so daß mit relativ starker Abnutzung gerechnet werden müsse. An der Prothese nach der deutschen Offenlegungsschrift 22 12 551, bei der von der Innenwand eines ringförmigen Grundelements nach innen vorspringende Ansätze vorstünden, in die eine kreisrunde, halbkreisförmig gewölbte Ventilklappe frei schwimmend eingesetzt sei, bestehe wegen dieser Lagerung die Gefahr, daß die Klappe unkontrollierte Bewegungen ausführe; durch das Erfordernis zusätzlicher Rückhaltearme werde die Ausgestaltung kompliziert, und es könne zu Zonen unerwünschter Blutstagnation kommen.

2. Durch das Streitpatent soll eine verhältnismäßig einfach aufgebaute, robuste, haltbare und funktionssichere Herzklappenprothese zur Verfügung gestellt werden, bei der Blutstagnationen vermieden werden (vgl. Beschreibung Sp. 2 Z. 24-31).

3. Hierzu schlägt das Streitpatent in seinem Patentanspruch 1 eine Herzklappenprothese mit folgenden Merkmalen vor:

(1) einem ringförmigen Grundelement

(2) (mindestens) einer plattenförmigen Ventilklappe,

(3) wobei die Ventilklappe(n) über eine am Grundelement angeordnete Gelenkanordnung mittels folgender Elemente schwenkbar gelagert ist (sind):

(3.1) in der Gelenkanordnung vorgesehene Ausnehmungen,

(3.1.1) die Lagerflächen aufweisen,

(3.1.1.1) die als Rotationsflächen

(3.1.1.1.1) mit einem dem Krümmungsradius der Enden der Ventilklappenteile (Merkmal 3.2) eng angepaßten Krümmungsradius gestaltet sind,

(3.2) in diese Ausnehmungen eingreifende Ventilklappenteile

(3.2.1) in Form von vom Umfang der Ventilklappe seitlich vorspringenden kreisbogenförmigen Ansätzen

(3.2.1.1) mit jeweils als Rotationsfläche ausgebildetem Ende,

(4) und wobei weiter Anschläge vorgesehen sind.

4. Die Beschreibung des Streitpatents gibt hierzu weiter an, mit der patentgemäßen Ausbildung lasse sich im Bereich der Gelenkanordnung ein relativ großflächiger Kontakt erzielen, wodurch die Gelenkbeanspruchungen klein blieben, während die Ventilklappe sicher gehaltert und ein Verklemmen praktisch ausgeschlossen sei. Die Enden der vorspringenden Ansätze überstrichen bei Schwenkbewegungen der Ventilklappe die von den Ausnehmungen gebildeten Lagerflächen und wischten dabei Blut weg, das in den Ausnehmungen zu stagnieren suchen könne.

II. Auf den in erster Instanz geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung ist die Klägerin im Berufungsverfahren nicht zurückgekommen. Der Nichtigkeitsgrund liegt nicht vor. Der Senat tritt insoweit der sachlich zutreffenden Begründung im Urteil des Bundespatentgerichts bei.

III. Der Senat kann nicht feststellen, daß der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig ist (§ 22 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG entsprechend § 13 Abs. 1 Nr. 1 PatG 1978).

1. Der Gegenstand des Streitpatents ist durch die an dessen Prioritätstag sonst bekannten Herzklappenprothesen weder neuheitsschädlich getroffen noch für den Fachmann, einen medizintechnisch spezialisierten Maschinenbauingenieur, der eng mit einem erfahrenen Herzchirurgen zusammenarbeitet, derart nahegelegt worden, daß es keiner erfinderischen Tätigkeit mehr bedurft hätte, ihn zu entwickeln.

a) Gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik, der andere als Herzklappenprothesen entsprechend dem Gegenstand des Streitpatents betrifft, ist der Gegenstand nach Patentanspruch 1 des Streitpatents neu, weil dort nirgends eine Ausbildung der Gelenkanordnung entsprechend der Merkmalsgruppe (3) offenbart ist. Dies wird auch von den Parteien nicht in Zweifel gezogen.

b) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents beruht gegenüber diesem vorbekannten Stand der Technik auf erfinderischer Tätigkeit. Die bis dahin bekannten Herzklappenprothesen und die einschlägige Literatur konnten den Fachmann bei einer Herzklappenprothese mit einer oder mehreren Ventilklappen nicht zur Ausbildung der Gelenkanordnung entsprechend der Merkmalsgruppe (3) hinführen.

Zwar handelt es sich bei dieser Ausbildung, wie der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Messmer in seinem schriftlichen Gutachten überzeugend erläutert hat, um eine Abwandlung eines einfachen Kugelgelenks, wie es auch in der Natur u.a. im menschlichen Hüft- und Ellbogengelenk vorkommt. Der gerichtliche Sachverständige hat diese Ausbildung als "ebenso einfach wie genial" bezeichnet. Vorbilder oder Anregungen, derartige an sich bekannte Gelenkanordnungen im besonders sensiblen Bereich von Herzklappenprothesen einzusetzen, sind nicht ersichtlich. Dem Senat sind auch keine Hinweise darauf bekannt geworden, daß derartige Gelenkanordnungen sonst im Bereich von Strömungsventilen eingesetzt worden wären. Allein dies steht einer Verneinung des Vorliegens erfinderischer Tätigkeit entgegen.

Für die Patentfähigkeit des Gegenstands nach Patentanspruch 1 des Streitpatents spricht zudem, daß die Verwendung solcher Gelenkanordnungen erhebliche Vorteile mit sich bringt und bei bestimmten Ausgestaltungen, die allerdings nicht Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents, sondern insbesondere erst des Patentanspruchs 3 sind, weitere Vorteile ermöglicht. Durch die patentgemäße Ausgestaltung ergibt sich ein ständiges Auswischen im Bereich der Gelenk- bzw. Rotationsfläche, das die Gefahr von Thrombosebildungen verringert, sowie die Möglichkeit des Verzichts auf besondere Anschläge außerhalb der Gelenkanordnung.

Dabei kann dahinstehen, ob - wie es das sachkundig besetzte Bundespatentgericht angenommen hat - die französische Patentschrift 2 331 997 deshalb vom Gegenstand des Streitpatents wegführt, weil durch die dort vorgesehene sowohl rotatorische als auch translatorische Bewegung des Zapfens die Gelenkanordnung einem hohen Verschleiß unterliege, was das Streitpatent gerade zu vermeiden suche. Daß die Kaster-Lillehei-Klappe entsprechend der US-Patentschrift 3 476 143 keine Anregung für die Gelenkanordnung nach dem Streitpatent liefern kann, hat das Bundespatentgericht zutreffend ausgeführt; der Senat tritt insoweit seiner Beurteilung bei. Entsprechendes gilt für eine zusammenfassende Betrachtung dieser Entgegenhaltungen. Der sonst genannte Stand der Technik liegt weiter ab und spielt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit keine Rolle.

2. Dem Streitpatent stehen auch Handlungen, die auf die Patentinhaberin zurückgehen, Gegenstände betreffen, die unter die Lehre des Streitpatents fallen und vor dem Prioritätstag des Streitpatents vorgenommen wurden, nicht patenthindernd entgegen. Es handelt sich insoweit um Werbe-, Versuchs- und Benutzungshandlungen, die nach dem Vortrag der Parteien an sich nicht streitig sind und bei denen sich lediglich die Frage stellt, ob durch sie die in den dabei verwendeten Herzklappenprothesen verkörperte Lehre des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Dies kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat nicht festgestellt werden.

a) Die maßgebliche, mit dem geltenden Recht (§ 3 PatG 1981) übereinstimmende Vorschrift des § 2a PatG 1978 rechnet zu dem für die Neuheitsprüfung zu berücksichtigenden Stand der Technik alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Die Bestimmung grenzt somit eine Sphäre des öffentlich Zugänglichen von einer anderen, für die Neuheitsprüfung nicht relevanten Sphäre des nicht öffentlich Zugänglichen ab. Der "formelle" Charakter des Neuheitsbegriffs (vgl. Bernhardt/Kraßer, Lehrbuch des Patentrechts 4. Aufl. 1986, § 17 I 1. S. 150; Benkard/Ullmann, Patentgesetz und Gebrauchsmustergesetz 9. Aufl. 1993, § 3 PatG Rdn. 4) führt auch nach geltendem Recht notwendig zu einer gewissen Starrheit, die Einzelfallwertungen zurückdrängt (Bernhardt/Kraßer aaO S. 152; vgl. zum früheren Recht BGHZ 50, 213, 217 - Schwenkverschraubung) und eine typisierende Betrachtung der in Betracht kommenden Sachverhalte erfordert. Der Bereich der Öffentlichkeit muß dabei von dem Bereich abgegrenzt werden, in dem Öffentlichkeit nicht gegeben ist. Das ist insbesondere der Bereich, der dem Urheber der maßgeblichen Kenntnisse zuzurechnen ist und in dem nur dieser und ein überschaubarer, mit ihm tatsächlich in besonderer Weise in Verbindung stehender Personenkreis zu den Kenntnissen Zugang hat, nicht aber ein Kreis, der wegen seiner Größe und Zusammensetzung für den Urheber der Kenntnisse nicht mehr kontrollierbar ist (vgl. Bernhardt/Kraßer aaO § 16 IV 2. S. 143). Im vorliegenden Fall handelt es sich um Entwicklungs- oder Erprobungstätigkeit bei gewerblicher Betätigung. Bei solcher Tätigkeit besteht im Hinblick auf beabsichtigte oder durchgeführte nachfolgende Schutzrechtsanmeldungen, aber z.B. auch schon im Hinblick auf die Entwicklung von betriebsgeheimem Know-how, ein typischerweise allen Beteiligten ohne weiteres einsichtiges und von ihnen respektiertes betriebliches Interesse daran, die entstehenden Kenntnisse nicht nach außen dringen zu lassen. Deshalb ist jedenfalls im Regelfall und ohne Hinzutreten besonderer Umstände die Sphäre der Öffentlichkeit nicht erreicht und somit öffentliche Zugänglichkeit der gewonnenen Kenntnisse im Sinne des Gesetzes zu verneinen, solange die Kenntnisse nur solchen Personen zugänglich sind, die an dieser Entwicklungs- und Erprobungstätigkeit beteiligt sind. Besteht ein solches Interesse, so gilt Entsprechendes bei einer Übertragung der Herstellung oder einzelner Herstellungsschritte auf Dritte. Dies entspricht jedenfalls im Grundsatz der Rechtsprechung zum früheren deutschen Recht ebenso wie auch der Praxis des Europäischen Patentamts zu der dem geltenden deutschen Recht entsprechenden Regelung des Art. 54 Abs. 2 EPÜ. Dem erkennenden Senat ist auch keine abweichende ausländische Rechtsprechung zum harmonisierten geltenden europäischen Patentrecht bekannt.

b) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs können weder die Beschichtung der Elemente der Herzklappenprothese durch ein Drittunternehmen noch die Erprobung der Herzklappenprothesen der Beklagten im Rahmen von Tierversuchen im Rechtssinn als geeignet angesehen werden, der Öffentlichkeit die in den Herzklappenprothesen verkörperten Kenntnisse zu vermitteln. Gesichtspunkte, die insoweit gleichwohl für eine Vermittlung öffentlicher Zugänglichkeit sprechen könnten, treten nicht hervor. Insbesondere genügt es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, daß der Entwicklungsleiter des Drittunternehmens vor der Prioritätsanmeldung ein auch die Prothese entsprechend dem Streitpatent betreffendes Manuskript für einen Aufsatz bei einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift eingereicht hat. Dieser Aufsatz betraf nur einen Teilaspekt, nämlich die Beschichtung, und vermittelte keinerlei Kenntnisse über die nähere Ausbildung der Gelenkanordnung entsprechend der Merkmalsgruppe (3). Schon deshalb können aus der Einreichung des Aufsatzes keine Folgerungen darauf abgeleitet werden, daß auf Grund der Beschichtung bei dem Drittunternehmen Kenntnisse über diese Ausbildung öffentlich zugänglich geworden wären.

c) Der Senat kann auch nicht feststellen, daß Kenntnisse über die Ausbildung der Gelenkanordnung bei von der Beklagten gefertigten Herzklappenprothesen entsprechend der Merkmalsgruppe (3) vor dem Prioritätstag des Streitpatents sonstwie öffentlich zugänglich geworden wären.

aa) Dem Bundespatentgericht ist darin beizutreten, daß auch die Informationen, die der Journalist Delmont von der Beklagten erhalten hat und die der Veröffentlichung eines Berichts in der Zeitung "The Saint Paul Dispatch" vom 12. September 1977 zugrunde liegen, nicht zur öffentlichen Zugänglichkeit der Lehre des Streitpatents geführt haben. Der Bericht vermittelt, wie das Bundespatentgericht zutreffend ausgeführt hat, keinerlei Hinweise auf die konkrete Ausgestaltung der Lagerung der Ventilklappen; sie führt mit dem Vergleich mit "schwingenden Bartüren" ("which operate much like swinging barroom doors") vielmehr von der Erfindung weg.

bb) Soweit sich die Klägerin darauf stützt, daß seit Frühjahr 1977 Vertriebsaktivitäten über die P. Inc. und deren Präsidenten J. S. stattgefunden hätten, die zunächst zu Tierversuchen bei der M.-Klinik in R. und später zu Vereinbarungen mit Ärzten über die klinische Erprobung der Prothesen geführt hätten, hat die Vernehmung des Zeugen S. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ergeben, daß dabei eine Offenbarung der Ausbildung der Gelenkanordnung gegenüber Dritten nicht erfolgt ist. Der Zeuge hat bei seiner Befragung angegeben, die Gelenkanordnung sei ein geschütztes Geheimnis gewesen. Der Zeuge ist auch auf wiederholte, eingehende Befragung bei seiner Aussage geblieben, daß er den von ihm angesprochenen Interessenten den Gelenkmechanismus nicht gezeigt oder mitgeteilt habe. Auch wenn Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen insoweit nicht ganz von der Hand zu weisen sind, kann mit ihr der Nachweis einer Offenbarung der Gelenkanordnung nicht geführt werden.

Konkrete weitere Behauptungen darüber, daß die Beklagte bei ihren Vertriebsaktivitäten vor dem Prioritätstag des Streitpatents Dritten dessen Gegenstand offenbart hätte, stellt die Klägerin nicht auf. Ihre Argumentation, es sei angesichts der umfangreichen Vertriebsaktivitäten der Beklagten weltfremd anzunehmen, daß eine Offenbarung nicht erfolgt sei, kann die Feststellung eines Sachverhalts, aus dem sich die naheliegende Möglichkeit eines Offenkundigwerdens ergibt, nicht ersetzen. Der Vortrag der Klägerin bietet auch keinen Ansatzpunkt, auf Grund dessen der Senat in der Lage wäre, solche Feststellungen zu treffen. Der Auffassung der Klägerin, daß es Sache der Beklagten gewesen sei, im einzelnen vorzutragen und unter Beweis zu stellen, daß sie die notwendigen Geheimhaltungsmaßnahmen getroffen habe, vermag der Senat nicht beizutreten. Das widerspricht dem in ständiger Rechtsprechung anerkannten Grundsatz, daß es zu Lasten des Nichtigkeitsklägers geht, wenn im Streitfall nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt werden kann, ob ein Nichtigkeitsgrund vorliegt; die materielle Beweislast für das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes trifft denjenigen, der sich darauf beruft (vgl. Senat, Urt. v. 22.12.1983 - X ZR 45/82, GRUR 1984, 339, 340 - Überlappungsnaht; Urt. v. 19.6.1990 - X ZR 43/89, BlPMZ 1991, 159, 161 - Haftverband; Urt. v. 23.1.1990 - X ZR 75/87, GRUR 1991, 522 - Feuerschutzabschluß).

cc) Bei den Bemühungen der Beklagten um Beschaffung von Eigenkapital sind ersichtlich keine Kenntnisse über die Ausbildung der Gelenkanordnung der Herzklappenprothese offenbart worden.

dd) Soweit sich die Klägerin auf bei menschlichen Patienten vor dem Prioritätstag durchgeführte Implantationen am 3. und 25. Oktober 1977 beruft, leitet sie eine öffentliche Zugänglichkeit daraus ab, daß den Patienten nach dem maßgeblichen amerikanischen Recht ausführliche Aufklärung über die verwendeten Herzklappenprothesen habe erteilt werden müssen. Dies habe eine genaue Erläuterung der Gelenkanordnung erfordert. Es sei auch nach der Lebenserfahrung anzunehmen, daß die Patienten ihr Wissen nicht für sich behielten. Diese Argumentation bewegt sich weitgehend im Spekulativen; sie gestattet nicht die Feststellung von Tatsachen, aus denen sich die naheliegende Möglichkeit eines Zugänglichwerdens für die Öffentlichkeit ergibt. Mangels konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte für das Gegenteil kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Patienten auch über technische Einzelheiten der Ausbildung der Gelenkanordnung informiert worden sind.

ee) Die Klägerin stützt sich schließlich darauf, daß der italienische Chirurg Dr. D. M. die Kenntnisse, die er von Mai bis September 1977 als Stipendiat an der M. Klinik erlangt habe, im Juli/August 1977 an die italienischen Chirurgen Dr. I. M. , Prof. Dr. F. F. und Dr. A. C. weitergegeben habe. Die Beweisaufnahme hat hierzu ergeben, daß Dr. M. die Herzklappenprothese bei dieser Gelegenheit tatsächlich kennengelernt hat. Dr. M. konnte als Zeuge jedoch nicht mit Sicherheit angeben, ob auch über die Gelenklagerung gesprochen wurde. In demontiertem Zustand hat er die Herzklappenprothese nicht gesehen. Er wußte zwar, daß es sich bei der Gelenkanordnung nicht um eine einfache Spindel handelte, konnte aber auch auf intensives Befragen keine eindeutigen und widerspruchsfreien Angaben über deren Ausbildung machen, insbesondere nicht über die Ausgestaltung der Anschläge bei den von der Beklagten gefertigten Herzklappenprothesen. Der Senat ist auf Grund der Aussage des Zeugen schon nicht davon überzeugt, daß dieser vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents eine zutreffende Vorstellung über den Gelenkmechanismus der Herzklappenprothese hatte. Aus den von ihm bestätigten Gesprächen mit Ärzten in Italien und im Vereinigten Königreich folgt schon deshalb nicht, daß dabei eine Weitergabe technisch zutreffender Kenntnisse über die Gelenkausbildung überhaupt möglich war, geschweige denn, daß sie tatsächlich erfolgt ist, nachdem der Zeuge keine in Einzelheiten gehenden Angaben darüber machen konnte, was er diesen Ärzten über die Lagerung mitgeteilt hat. Dem Zeugen kam es, wie er bei seiner Vernehmung angegeben hat, in erster Linie um eine Einführung der Prothese in Italien und weniger auf Einzelheiten der Lagerung der Gelenke an.

ff) Dafür, daß ein Verkauf von Herzklappenprothesen vor dem Prioritätszeitpunkt zu einer öffentlichen Zugänglichkeit von Kenntnissen über die Gelenkausbildung geführt hätte, sind keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich. Aus der bloßen Tatsache des Verkaufs ergibt sich die Zugänglichkeit nicht. Denkbare weitere Überlegungen bewegen sich ohne nähere Anknüpfungstatsachen im rein spekulativen Bereich und sind für einen Nachweis öffentlicher Zugänglichkeit nicht geeignet.

IV. Die Unteransprüche 2 bis 4 werden jedenfalls durch ihre Rückbeziehung auf Patentanspruch 1, den sie weiter ausbilden, mitgetragen.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf dem nach der Übergangsregelung in Art. 29 Abs. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze (2. PatGÄndG) übergangsweise weiterhin anwendbaren § 110 Abs. 3 Satz 1, 2 PatG in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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