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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.09.1998
Aktenzeichen: X ZR 15/97
Rechtsgebiete: Patentnichtigkeitssache


Vorschriften:

keine
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am: 22. September 1998

Schanz Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

X ZR 15/97

in der Patentnichtigkeitssache

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 1998 durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Dr. Jestaedt, Dr. Melullis, Scharen und Keukenschrijver

für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats III) des Bundespatentgerichts vom 29. August 1996 abgeändert.

Das deutsche Patent 29 32 585 wird dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß Patentanspruch 1 - auch für die Rückbeziehung in den Patentansprüchen 2, 3 sowie 7 und 10, soweit diese angegriffen sind - folgende Fassung erhält:

Vakuum-Abwasserkanalisationssystem, bei dem eine Abwasserabgabe von einer Abwasser erzeugenden Einheit mittels Teilvakuum über ein Abgabeventil in eine unter Teilvakuum stehende Abwasserleitung gefördert wird, welches Vakuum-Abwasserkanalisationssystem

a) nur wenige Abwasser erzeugende Einheiten (1),

b) eine an diese Einheiten (1) angeschlossene Abwasserleitung (2),

c) die zu einer Sammelkammer (13) führt, und

d) Betriebseinrichtungen (5, 25) zur Erzeugung eines Teilvakuums in der Abwasserleitung (2) und in der Sammelkammer (13) aufweist,

dadurch gekennzeichnet, daß

e) die Betriebseinrichtungen (5, 25) so ausgelegt sind, daß in der Abwasserleitung (2) und in der mit ihr in Strömungsverbindung stehenden Sammelkammer (13) nur für diejenige Zeit das Teilvakuum vorhanden ist, die zum Fördern jeder einzelnen Abwasserabgabe von den Abwasser erzeugenden Einheiten (1) zur Sammelkammer (13) erforderlich ist.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 10. August 1979 angemeldeten deutschen Patents 29 32 585 (Streitpatents), für das die Priorität der Anmeldung in Finnland vom 25. August 1978 in Anspruch genommen worden ist. Das Streitpatent betrifft ein Vakuum-Abwasserkanalisationssystem und umfaßt 11 Patentansprüche.

Patentanspruch 1 lautet:

"Vakuum-Abwasserkanalisationssystem mit einer an nur wenige Abwasser erzeugende Einheiten (1) angeschlossenen und zu einer Sammelkammer (13) führenden Abwasserleitung (2) und Betriebseinrichtungen (5, 25) zur Erzeugung eines Teilvakuums in der Abwasserleitung (2) und der Sammelkammer (13), dadurch gekennzeichnet,

daß die Betriebseinrichtungen (5, 25) so auslegbar sind, daß in der Abwasserleitung (2) und in der mit ihr in Strömungsverbindung stehenden Sammelkammer (13) nur für diejenige Zeit das Teilvakuum vorhanden ist, die zum Fördern jeder einzelnen Abwasserabgabe von den Abwasser erzeugenden Einheiten (1) zur Sammelkammer (13) erforderlich ist."

Wegen der auf den Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 11 wird auf die Patentschrift verwiesen.

Die Klägerin hat Nichtigkeitsklage erhoben und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei hinsichtlich der Patentansprüche 1, 2, 3, 7 und 10 nicht patentfähig; er beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Die Beklagte hat Patentanspruch 1 nur noch in folgender Fassung verteidigt:

"Vakuum-Abwasserkanalisationssystem, bei dem eine Abwasserabgabe von einer Abwasser erzeugenden Einheit mittels Teilvakuum über ein Abgabeventil in eine unter Teilvakuum stehende Abwasserleitung gefördert wird, welches Vakuum-Abwasserkanalisationssystem

a) nur wenige Abwasser erzeugende Einheiten (1),

b) eine an diese Einheiten (1) angeschlossene Abwasserleitung (2),

c) die zu einer Sammelkammer (13) führt, und

d) Betriebseinrichtungen (5, 25) zur Erzeugung eines Teilvakuums in der Abwasserleitung (2) und in der Sammelkammer (13) aufweist,

dadurch gekennzeichnet,

e) daß die Betriebseinrichtungen (5, 25) so ausgelegt sind, daß in der Abwasserleitung (2) und in der mit ihr in Strömungsverbindung stehenden Sammelkammer (13) nur für diejenige Zeit das Teilvakuum vorhanden ist, die zum Fördern jeder einzelnen Abwasserabgabe von den Abwasser erzeugenden Einheiten (1) zur Sammelkammer (13) erforderlich ist."

Die Klägerin hat beantragt,

das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1, 2, 3, 7 - soweit dieser auf die Patentansprüche 1, 2 oder 3 zurückbezogen ist - und 10 - soweit dieser auf die Patentansprüche 1, 2, 3 oder 7 in der vorgenannten Rückbeziehung zurückbezogen ist - für nichtig zu erklären.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent im verteidigten Umfang richtet.

Das Bundespatentgericht hat der Teilnichtigkeitsklage stattgegeben.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent im verteidigten Umfang richtet.

Die Klägerin bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.

Prof. Dr.-Ing. Rainer Feiertag, Wuppertal, hat als gerichtlicher Sachverständiger ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat zur Stützung ihres Vortrags ein Gutachten von Prof. ir. J.B.M. Wiggers, Hoevelaken, Niederlande, vorgelegt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der gegenüber der erteilten Fassung nunmehr eingeschränkte Patentanspruch 1 ist zulässig, weil er über die Offenbarung in den ursprünglichen Unterlagen nicht hinausgeht und weder der Gegenstand noch der Schutzbereich des Streitpatents erweitert worden ist.

I. 1. Das Streitpatent betrifft ein Vakuum-Abwasserkanalisationssystem, bei dem das Abwasser mittels eines Unterdrucks ("Teilvakuums") gefördert wird. Solche Systeme werden eingesetzt, wo es auf geringen Wasserverbrauch, kleine Leitungsabmessungen und darauf ankommt, das Abwasser aus einem oder mehreren tiefgelegenen Toiletten- oder Waschbecken in einen höhergelegenen Behälter zu fördern.

Bei dem in der Streitpatentschrift (Sp. 1 Z. 13 ff.) genannten, beispielsweise aus der GB-PS 1 486 940 bekannten System wird ständig ein Unterdruck in der Abwasserleitung aufrechterhalten. Wenn der Druck in der Abwasserleitung gemäß der Anzeige eines Drucksensors zu sehr ansteigt, wird eine Vakuumpumpe gestartet, um den Unterdruck auf das notwendige Maß zurückzuführen. Die Aufrechterhaltung eines ständigen Teilvakuums in der Abwasserleitung ist möglich, da diese von dem das Abwasser aufnehmenden Sammelbehälter durch eine Rückschlagklappe abgetrennt ist. Die Streitpatentschrift (Sp. 1 Z. 30-35) bemängelt, daß die für die Erzeugung und Aufrechterhaltung des Teilvakuums im gesamten Abwasserleitungsnetz erforderliche Ausrüstung relativ teuer sei, so daß es sich bisher nicht lohne, Vakuum-Abwasserkanalisationssysteme für nur wenige Wasserklosetts oder entsprechende Abwasser erzeugende Einheiten einzusetzen.

2. Durch die Erfindung soll ein Vakuum-Abwasserkanalisationssystem zur Verfügung gestellt werden, das einfach und kostengünstig zu betreiben und bei dem die erforderliche Ausrüstung billig ist.

Hierzu schlägt das Streitpatent in der verteidigten Fassung vor, ein

Vakuum-Abwasserkanalisationssystem,

1. bei dem eine Abwasserabgabe von einer Abwasser erzeugenden Einheit mittels Teilvakuum über ein Abgabeventil in eine unter Teilvakuum stehende Abwasserleitung gefördert wird,

2. das nur wenige Abwasser erzeugende Einheiten (1),

3. eine an diese Einheiten (1) angeschlossene Abwasserleitung (2),

3.1 die zu einer Sammelkammer (13) führt, und

4. Betriebseinrichtungen (5, 25) zur Erzeugung eines Teilvakuums in der Abwasserleitung (2) und der Sammelkammer (13) aufweist.

5. Die Betriebseinrichtungen (5, 25) sind so ausgelegt, daß

5.1 in der Abwasserleitung (2) und

5.2 in der mit ihr in Strömungsverbindung stehenden Sammelkammer (13)

5.3 nur für diejenige Zeit das Teilvakuum vorhanden ist,

5.4 die zum Fördern jeder einzelnen Abwasserabgabe von den Abwasser erzeugenden Einheiten (1) zur Sammelkammer (13) erforderlich ist.

Die in der Streitpatentschrift beschriebene und in Figur 1 dargestellte bevorzugte Ausführungsform ist nachfolgend dargestellt:

Die Anlage besteht aus einem Wasserklosett (1), das aus einem Wassertank (7) über eine Leitung (8) und ein Ventil (10) gespült wird. Das Abwasser wird durch das Ventil (9) über die Vakuumabwasserleitung (2) in eine Entleerungseinrichtung (3), eine Sammelkammer (13) und einen Hilfstank (15) gefördert. Die Vakuumerzeugung erfolgt durch die Saugstrahldüse (5), die aus einem Druckluftnetz (6) gespeist wird. Die Ventile (9, 10, 12) und die Bodenklappe (17) mit der Bewegung durch den Arbeitszylinder (16) werden von der Steuereinrichtung (25) betätigt.

Der Spülvorgang wird ausgelöst durch die Betätigung des Spülknopfes (11). Die Steuerungseinrichtung öffnet gleichzeitig das Ventil (10) zur Spülwasserzufuhr und über das Ventil (12) die Druckluftleitung (6). Die Druckluft strömt durch die Saugstrahldüse (5) und evakuiert damit die Abwasserleitung (2), die Entleerungseinrichtung (3) und den Hilfstank (15). Nach dem Schließen des Ventils (12) öffnet das Bodenventil (9), wodurch das Abwasser durch den Unterdruck angesaugt nach oben durch die Leitung (2) in die Entleerungseinrichtung (3) und die Sammelkammer (13) gelangt. Nach dem Schließen des Ventils (9) wird über den Arbeitszylinder (16) die Bodenklappe (17) geöffnet; der Inhalt der Sammelkammer (13) wird in den Sammeltank (4) entleert. Nach dem Schließen der Bodenklappe (17) steht die Anlage für einen erneuten Spülvorgang bereit.

Die Abwasserleitung und die Sammelkammer stehen unter Atmosphärendruck. Nur zum Spülen der Toilette und allein für diese Zeit erzeugen die Betriebseinrichtungen (5, 25) in der Abwasserleitung (2) und in der mit ihr in Strömungsverbindung stehenden Sammelkammer (13) ein Teilvakuum. Jeder Abgabeimpuls setzt die Erzeugung des erforderlichen Teilvakuums in Gang, öffnet das Abgabeventil der zu entleerenden Einheit und wirkt als Steuereinrichtung für die anderen unmittelbar mit dem Abgabevorgang verbundenen Funktionen. Durch den Spülvorgang wird der Unterdruck verbraucht. Die Abwasserleitung und die Sammelkammer bleiben unter Atmosphärendruck bis zur Einleitung eines neuen Spülzyklus. Die Entleerung der Toilette ist binnen weniger Sekunden möglich. Die Betätigung der Anlage, die sich nicht von der Benutzung einer normalen Wasserspülung unterscheiden soll, ist einfach. Es kann eine an Bord, z.B. in der Eisenbahn vorhandene Energiequelle, z.B. Druckluft, genutzt werden, wobei der Energieverbrauch sparsam ist. Das System ermöglicht den Anschluß einer oder weniger Abwasserquellen, wie Toilettenbecken oder Waschbecken, die Nutzung von Hohlräumen des Fahrzeugaufbaus zur Aufnahme von Speichern für das Abwasser, z.B. unter dem Dach, und eine einfache Entleerung der Sammeltanks, da dieser druckfrei ist.

II. 1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der verteidigten Fassung ist neu. Keine der Entgegenhaltungen zeigt ein Vakuum-Abwasserkanalisationssystem, bei dem in der Abwasserleitung und in der Sammelkammer nur für diejenige Zeit das Teilvakuum vorhanden ist, die zum Fördern jeder einzelnen Abwasserabgabe von den Abwasser erzeugenden Einheiten zur Sammelkammer erforderlich ist. Dies gilt insbesondere auch gegenüber der bereits in der Streitpatentschrift erörterten britischen Patentschrift 1 486 940.

Diese offenbart dem Fachmann - einem Maschinenbau-Konstrukteur mit einer Ausbildung als Ingenieur oder Techniker, der über Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet des Fahrzeugbaus, insbesondere des Eisenbahnwaggonbaus und darin integrierte Abwassersysteme verfügt - ein Vakuum-Abwasserkanalisationssystem, bei dem eine Abwasserabgabe von einer Abwasser erzeugenden Einheit mittels Teilvakuum über ein Abgabeventil in eine unter Teilvakuum stehende Abwasserleitung gefördert wird, das nur wenige Abwasser erzeugende Einheiten, eine an diese Einheiten angeschlossene Abwasserleitung, die zu einer Sammelkammer führt, und Betriebseinrichtungen zur Erlangung eines Teilvakuums in der Abwasserleitung und der Sammelkammer aufweist. Auch sind die Betriebseinrichtungen so ausgelegt, daß in der mit der Abwasserleitung in Strömungsverbindung stehenden Sammelkammer ein Teilvakuum vorhanden ist. Das System besteht aus einem Klosettbecken mit einem angeschlossenen Vakuum-Abwasserrohr, dessen Ende über ein Rückschlagventil in eine Sammelkammer führt. Eine Vakuumpumpe sorgt durch ein Saugrohr für einen konstanten Unterdruck in der Sammelkammer. Entleert wird die Sammelkammer durch eine Klappe am Boden in eine unter normalem Luftdruck stehende Abwasser-Kanalisation oder einen Zwischenspeicher. Insoweit besteht grundsätzlich gleicher Aufbau und gleiche Arbeits- und Funktionsweise wie bei der Lehre des Streitpatents (Merkmale 1-4, 5.2 des Streitpatents).

Im Gegensatz zum Streitpatent ist es aber notwendig, daß bei Betriebsbereitschaft das Abwasserrohr und die Sammelkammer - durch Manometer überwacht - ständig unter Unterdruck gehalten werden. Bei Öffnen des Abgabeventils werden die Abwässer infolge des Teilvakuums aus der Toilette in die Abwasserleitung und in die Sammelkammer gefördert. Wird dabei der Unterdruck in der Abwasserleitung zu stark verbraucht, d.h. steigt der Druck zu stark an, so springt die Vakuumpumpe an, um den notwendigen Unterdruck in der Abwasserleitung und in der Sammelkammer wiederherzustellen. Zum Entleeren des Sammelbehälters wird dieser von der Vakuumpumpe abgetrennt und unter Atmosphären- oder Überdruck gesetzt, wobei die Rückschlagklappe schließt und den Unterdruck in der Abwasserleitung hält. Nach dem Entleeren der Sammelkammer wird diese wieder an die Vakuumpumpe angeschlossen und auf den notwendigen Unterdruck gebracht.

Die notwendige Aufrechterhaltung des Unterdrucks zur Sicherstellung der Betriebsbereitschaft bedingt einen anderen, komplizierteren Aufbau der Steuereinrichtungen als beim Streitpatent. Die Betriebsbereitschaft bei einer Anlage nach dem Streitpatent wird für jeden einzelnen Spülvorgang durch Betätigen des Spülknopfes (11) über eine entsprechend eingerichtete Steuerungseinrichtung erzeugt, während die Anlage im Ruhezustand nicht unter Unterdruck steht und deshalb auf Einrichtungen verzichten kann, die das Vakuum in der Abwasserleitung und in der Sammelkammer aufrechterhalten.

2. Der Senat konnte nicht feststellen, daß sich der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 des Streitpatents für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab.

Dieser Fachmann konnte den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zufolge aus der britischen Patentschrift 1 486 940 keine Anregung in Richtung auf den Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der verteidigten Fassung entnehmen. Diese Entgegenhaltung enthält keinen Hinweis, auf Betriebseinrichtungen, die den ständigen Unterdruck in der Abwasserleitung und in der Sammelkammer sicherstellen, zu verzichten und ein System vorzusehen, bei dem nur zum Spülen und allein für diese Zeit der zum Fördern des Abwassers erforderliche Unterdruck erzeugt und verbraucht wird.

Die weiter im Verfahren vorgebrachten Entgegenhaltungen liegen von der Lehre des Streitpatents noch weiter ab. Wie der gerichtliche Sachverständige im einzelnen überzeugend ausgeführt hat, befassen sie sich mit anderen Gegenständen und konnten deshalb dem Fachmann keine Anregung in Richtung auf den Vorschlag des Streitpatentanspruchs 1 in der verteidigten Fassung geben. Obwohl auch die deutsche Patentschrift 27 51 47 Betriebseinrichtungen vorschlägt, die so ausgelegt sind, daß sie in der Abwasserleitung nur für eine bestimmte Zeit ein Unterdruck vorsehen, wird der Fachmann aus dieser Schrift keine Anregung entnehmen, die ihn in Richtung des Streitpatents führen könnte. Die Patentschrift befaßt sich nicht mit einem Vakuum-Abwasserkanalisationssystem, sondern mit einem Schiffsklosett, bei dem eine Förderpumpe das Abwasser in ein Entleerungsrohr und von diesem in eine Sammelkammer fördert. Während beim Streitpatent die Förderung aufgrund des Druckunterschieds vor und hinter dem Abgabeventil in die unter Teilvakuum stehende Abwasserleitung und Sammelkammer erfolgt, wird bei der Schiffstoilette die Förderleistung von der Pumpe aufgebracht; die Förderung erfolgt in ein Druckrohr, nämlich in das Entleerungsrohr und von diesem in die Sammelkammer. Obwohl die Pumpe ansaugt, sind dies keine Betriebseinrichtungen zur Erzeugung eines Teilvakuums in der Abwasserleitung und der Sammelkammer.

Der Fachmann wurde zudem durch Vorstellungen in der Fachwelt davon abgelenkt, ein nicht ständig unter Unterdruck stehendes Abwasserkanalisationssystem zu entwickeln, das ohne Vorbereitung betriebsbereit ist und bei dem mit der Betätigung des Spülknopfes durch den Benutzer durch eine Steuereinrichtung und Sensoren der gesamte Ablauf, nämlich die Spülwasserzufuhr und das gleichzeitige Evakuieren der Abwasserleitung, das Absaugen des Abwassers und das Entleeren der Sammelkammer ausgelöst wird. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen bestand vor dem Prioritätstag des Streitpatents eine eingefahrene technische Vorstellung, die die Fachwelt von der Lehre des Patentanspruchs 1 in der verteidigten Fassung eher ablenkte. Um Abwasser absaugen zu können, sei ein ständig unter Unterdruck zu haltendes System für erforderlich gehalten worden. Verschiedene Vorschläge zeigten deshalb besondere Anstrengungen nur in die Richtung, wie der Unterdruck schnell wieder herzustellen sei und wie und wann die gesammelten Abwässer aus dem Unterdrucksystem ohne grobe Störung des Betriebs in Behälter unter Normaldruck oder in die freie Kanalisation abgeführt werden können. Obwohl technisch durchaus die Möglichkeit bestanden habe, den Unterdruck nur bei Bedarf zu erzeugen, habe man eine Verzögerung des Spülvorgangs durch eine vorgeschaltete eigene Unterdruckerzeugung gescheut. Man sei von der Vorstellung ausgegangen, daß der Absaugvorgang nur dann mit dem notwendigen Erfolg durchgeführt werden könne, wenn der Unterdruck vollständig aufgebaut sei und sofort für die Absaugung wirksam zur Verfügung stehe. Die Folge seien aufwendige Schleusensysteme zur Ableitung des Abwassers aus dem Vakuum in den Normaldruck gewesen. Die für einen raschen Aufbau eines Unterdrucks und wegen des Fehlens beweglicher Teile besonders betriebssichere und einfache Strahlpumpe werde nur bei einer Entgegenhaltung, der Patentschrift 26 15 244 eingesetzt. Hier lenke der Einsatz allerdings eher von der Aufgabe des Streitpatents ab, da die Strahlpumpe dabei primär zur Anreicherung der Feststoffe mit Sauerstoff aus der Luft und nur sekundär zur Aufrechterhaltung eines konstanten Vakuums diene.

Es kann letztlich dahinstehen, ob in dem vom gerichtlichen Sachverständigen geschilderten Verhalten technische Fehlvorstellungen in der Fachwelt im patentrechtlichen Sinne zum Ausdruck kommen oder eher Schwerfälligkeit der Betreiber solcher Anlagen, insbesondere der Bahnverwaltungen, Ursache dafür war, die bekannten und erprobten Systeme fortzuentwickeln. Jedenfalls mußte sich der Erfinder des Streitpatents zunächst von eingefahrenen Systemen lösen, um ein Abwasserkanalisationssystem zu entwickeln, das nur beim Spülvorgang unter Unterdruck steht, so daß keine unnötigen Energieverluste auftreten können und das gegenüber den bislang gebräuchlichen und eingesetzten Anlagen wesentlich einfacher aufgebaut ist. Alle entgegengehaltenen Systeme erfordern mehr oder weniger große Druckbehälter, wobei sie kontinuierlich Energie speichern, um den Unterdruck aufrechtzuerhalten.

Wenn damit auch nicht nachgewiesen ist, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der verteidigten Fassung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, so sprechen diese Umstände in Verbindung mit der Tatsache, daß sich im Stand der Technik keine Anregung in Richtung auf das Streitpatent erkennen läßt, doch eher für erfinderisches Bemühen. Jedenfalls läßt sich nicht die entgegengesetzte Feststellung treffen, daß die Lehre des Streitpatents nahegelegen habe. Deshalb hat Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung Bestand.

III. Mit diesem bleiben auch die Unteransprüche 2, 3, 7, soweit sie auf die Patentansprüche 1, 2 oder 3 zurückbezogen sind, und 10, soweit er auf die Patentansprüche 1, 2, 3 oder 7 zurückbezogen ist, bestehen.



Ende der Entscheidung

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