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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 04.11.2008
Aktenzeichen: X ZR 154/05
Rechtsgebiete: PatG


Vorschriften:

PatG § 83
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat

auf die mündliche Verhandlung vom 4. November 2008

durch

den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis und

die Richter Scharen, Keukenschrijver, Asendorf und Gröning

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 7. Juni 2005 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert:

Das europäische Patent 291 194 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit es über folgende Fassung seiner Patentansprüche hinausgeht:

1. Analytisches Testgerät, umfassend einen trockenen porösen Träger (10), unmarkiertes spezifisches Bindungsreagenz für einen Analyten, welches unmarkierte Reagenz auf dem porösen Träger in einer Nachweiszone (14) permanent immobilisiert und daher in feuchtem Zustand nicht beweglich ist, und in trockenem Zustand in einer Zone (12) stromaufwärts von der Nachweiszone ein markiertes spezifisches Bindungsreagenz für dieselbe Nachweissubstanz, welches markierte spezifische Bindungsreagenz innerhalb des porösen Trägers in feuchtem Zustand frei beweglich ist, so dass die Flüssigkeitsprobe, die dem Gerät zugeführt ist, das markierte Reagenz aufnehmen und danach in die Nachweiszone eindringen kann, dadurch gekennzeichnet, dass der poröse Träger und das markierte spezifische Bindungsreagenz innerhalb eines hohlen Gehäuses (30) enthalten sind, das aus feuchtigkeitsundurchlässigem, festem Material aufgebaut ist, der poröse Träger direkt oder indirekt mit dem Äußeren des Gehäuses derart in Verbindung steht, dass flüssige Testprobe auf den porösen Träger aufgebracht werden kann, das Gehäuse Mittel (32) zum Feststellen des Ausmaßes (sofern gegeben) beinhaltet, bis zu dem das markierte Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist, der Markierungsstoff ein Direktmarkierungsstoff in Form eines Farbsols, Goldsols oder gefärbter Latexteilchen ist, das markierte Reagenz in einer ersten Zone (12) des trockenen porösen Trägers enthalten ist und das unmarkierte Reagenz in einer von der ersten Zone räumlich getrennten Nachweiszone immobilisiert ist, wobei die beiden Zonen derartig angeordnet sind, dass eine auf den porösen Träger aufgebrachte Flüssigkeitsprobe über die erste Zone in die Nachweiszone dringen kann, und der poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst.

2. Testgerät nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass gefärbte Latexteilchen eines maximalen Durchmessers von nicht größer als etwa 0,5 ? m den Direktmarkierungsstoff darstellen.

3. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Gehäuse aus opakem oder durchscheinendem Material besteht und mit mindestens einer Öffnung (32) versehen ist, durch die das Analysenergebnis beobachtet werden kann.

4. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Gehäuse aus Kunststoffmaterial geformt ist.

5. Testgerät nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst, der bzw. die mit einer Schicht von durchsichtigem feuchtigkeitsundurchlässigen Material verstärkt ist, wobei die durchsichtige Schicht in der Nähe der Öffnung(en) mit der Innenseite des Gehäuses in Kontakt steht, um den Eintritt von Feuchtigkeit oder Probe zu verhindern.

6. Testgerät nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass das Verstärkungsmaterial ein durchsichtiges Kunststoffmaterial ist.

7. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das poröse Trägermaterial Nitrocellulose ist.

8. Testgerät nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Nitrocellulose eine Porengröße von mindestens 1 ? m hat.

9. Testgerät nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, dass die Porengröße mehr als 5 ? m beträgt.

10. Testgerät nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, dass die Porengröße 8 bis 12 ? m beträgt.

11. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass es in dem porösen Träger stromabwärts von der Nachweiszone (209) eine Kontrollzone (210) aufweist, um anzuzeigen, dass die Flüssigkeitsprobe über die Nachweiszone hinausgedrungen ist, wobei die Kontrollzone ebenfalls außerhalb des Gehäuses beobachtbar ist.

12. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der poröse Träger ein Streifen mit einer Absorptionsmittelfalle (18) an seinem distalen Ende ist, wobei die Falle eine ausreichende Absorptionskapazität hat, damit jegliches ungebundenes markiertes Reagenz aus der Nachweiszone ausgewaschen werden kann.

13. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das markierte Reagenz als Oberflächenschicht auf den porösen Träger aufgebracht ist.

14. Testgerät nach Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet, dass der poröse Träger in dem Bereich, auf den das markierte Reagenz aufgebracht wird, mit einem Glasurmaterial vorbehandelt ist.

15. Testgerät nach Anspruch 14, dadurch gekennzeichnet, dass das Glasurmaterial ein Zucker ist.

16. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das immobilisierte Reagenz in der Nachweiszone über die gesamte Dicke des Trägers in der Nachweiszone imprägniert ist.

17. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Nachweissubstanz hCG ist.

18. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche 1 bis 16, dadurch gekennzeichnet, dass die Nachweissubstanz LH ist.

19. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das frei bewegliche Reagenz statt als spezifisches Bindungsmittel für eine Nachweissubstanz in Gegenwart einer Nachweissubstanz an einer Konkurrenzreaktion teilnehmen kann.

19. Analysenverfahren, bei dem ein Testgerät nach irgendeinem der Ansprüche 1 bis 19 mit einer wässrigen Flüssigkeitsprobe, die vermutlich die Nachweissubstanz enthält, derartig in Kontakt gebracht wird, dass die Probe durch Kapillarwirkung durch den porösen Träger über die erste Zone in die Nachweiszone dringt und das markierte Reagenz mit ihr aus der ersten Zone in die Nachweiszone wandert, wobei das Vorliegen einer Nachweissubstanz in der Probe durch Beobachten des Ausmaßes (sofern gegeben) bestimmt wird, bis zu dem das markierte Reagenz in der Nachweiszone gebunden wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5 zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 26. April 1988 unter Inanspruchnahme der Priorität britischer Patentanmeldungen vom 27. April und 30. Oktober 1987 (Nrn. 8 709 873 und 8 725 457) angemeldeten und mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 291 194 (Streitpatents). Es betrifft ein analytisches Testgerät sowie ein Analysenverfahren und umfasst in der im europäischen Einspruchsbeschwerdeverfahren aufrechterhaltenen Fassung 22 Patentansprüche. Ansprüche 1 und 22 lauten in der Verfahrenssprache:

"1. An analytical test device comprising a dry porous carrier (10), unlabelled specific binding reagent for an analyte which unlabelled reagent is permanently immobilised in a detection zone (14) on the porous carrier and is therefore not mobile in the moist state, and in the dry state in a zone (12) upstream from the detection zone a labelled specific binding reagent for the same analyte which labelled specific binding reagent is freely mobile within the porous carrier when in the moist state, such that liquid sample applied to the device can pick up labelled reagent and thereafter permeate into the detection zone, characterised in that the porous carrier and the labelled specific binding reagent are contained within a hollow casing (30) constructed of moistureimpervious solid material, the porous carrier communicates directly or indirectly with the exterior of the casing such that liquid test sample can be applied to the porous carrier, the casing incorporates means (32) enabling the extent (if any) to which the labelled reagent becomes bound in the detection zone to be observed, the label is a particulate direct label, the labelled reagent is contained in a first zone (12) of the dry porous carrier, and the unlabelled reagent is immobilised in a detection zone spatially distinct from the first zone, the two zones being arranged such that liquid sample applied to the porous carrier can permeate via the first zone into the detection zone.

22. An analytical method in which a test device according to any one of claims 1 to 21 is contacted with an aqueous liquid sample suspected of containing the analyte, such that the sample permeates by capillary action through the porous carrier via the first zone into the detecting zone and the labelled reagent migrates therewith from the first zone to the detecting zone, the presence of analyte in the sample being determined by observing the extent (if any) to which the labelled reagent becomes bound in the detecting zone."

Die Klägerin, die von der Beklagten aus dem Streitpatent in Anspruch genommen wird, hat während des laufenden Einspruchsbeschwerdeverfahrens Nichtigkeitsklage erhoben, die das Bundespatentgericht durch Urteil vom 7. März 2002 als unzulässig abgewiesen hat. Auf die Berufung der Klägerin hat der Senat diese Entscheidung nach Abschluss des Einspruchsverfahrens durch sein am 13. Januar 2004 verkündetes Urteil (X ZR 124/02, Schulte-Kartei PatG 110-122 Nr. 64) aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen. Dort hat die Klägerin geltend gemacht, das Streitpatent sei nicht patentfähig. Sein Gegenstand sei nicht neu, wobei die Priorität der britischen Patentanmeldungen nicht wirksam in Anspruch genommen werden könne, es beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Außerdem gehe der Gegenstand des Patents über den Inhalt der europäischen Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Zur Begründung hat sich die Klägerin u.a. auf folgende Veröffentlichungen gestützt:

europäische Patentanmeldung 149 158 (NK 10), Veröffentl. der internat. Patentanmeldung WO 86/03839 (NK 11), europäische Patentanmeldung 183 442 (NK 12), europäische Patentanmeldung 250 137 (NK 13), europäische Patentanmeldung 284 232 (NK 14), europäische Patentanmeldung 299 428 (NK 15), europäische Patentanmeldung 286 371 (NK 16), europäische Patentanmeldung 032 270 (NK 19), US-Patentschrift 4 552 839 (NK 23), US-Patentschrift 3 888 629 (NK 28), US-Patentschrift 4 235 601 (NK 29), US-Patentschrift 4 361 537 (NK 30), europäische Patentanmeldung 186 799 (NK 32), Veröffentl. der internat. Patentanmeldung WO 86/04683 (NK 38), deutsche Auslegeschrift 1 245 619 (NK 39).

Durch das angefochtene Urteil hat das Bundespatentgericht das Streitpatent antragsgemäß mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des ersten Berufungsverfahrens auferlegt.

Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung verteidigt die Beklagte das Streitpatent in erster Linie in der aus dem Tenor ersichtlichen Fassung, in der in Anspruch 1 u.a. Merkmale der im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Ansprüche 2, 3 und 6 aufgenommen worden sind; ferner mit Hilfsanträgen, wegen deren Fassung auf den Schriftsatz vom 31. Oktober 2008 und die Sitzungsniederschrift vom 4. November 2008 Bezug genommen wird. Im Übrigen beantragt die Beklagte, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Berufung. Sie sieht Gegenstand und Schutzbereich des Streitpatents in der verteidigten Fassung als unzulässig erweitert an und hält seine Lehre auch in dieser Fassung nicht für patentfähig.

Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. F. B. , , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:

I.

Soweit das Streitpatent über die Fassung der mit dem Hauptantrag zulässigerweise (dazu unten III 2) vorgenommenen Beschränkung hinausgeht, ist es ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (st. Rspr., vgl. BGHZ 170, 215 - Carvedilol II). Die Änderungen sind formal nicht zu beanstanden; namentlich kann das Patent mit Patentansprüchen in deutscher Sprache verteidigt werden (st. Rspr., vgl. BGHZ 147, 306 - Taxol), auch wenn es häufig zweckmäßig sein wird, dies in der Verfahrenssprache zu tun, um Zweifel an der vollständigen inhaltlichen Übereinstimmung der Sprachfassungen zu vermeiden (Sen.Urt. v. 23.9.2008 - X ZR 135/04 - Multiplexsystem, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Im Umfang der beschränkten Verteidigung des Streitpatents hat die Berufung Erfolg und führt zur Abweisung der Klage.

II.

Die Nichtigkeitsklage ist auch nach Ablauf der Schutzdauer des Streitpatents zulässig, weil die Klägerin daraus wegen Patentverletzung in Anspruch genommen wird und sie deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis an der Nichtigerklärung des Streitpatents im angegriffenen Umfang hat (st. Rspr., vgl. etwa Sen.Urt. v. 24.4.2007 - X ZR 201/02, GRUR 2008, 90 - Verpackungsmaschine).

III.

1.

Das Streitpatent betrifft Assays, insbesondere Immunoassays und analytische Testgeräte dafür. Bei Immunoassays handelt es sich um bioanalytische Verfahren, welche sich die spezifische Bindungsfähigkeit von Liganden und Liganden-Bindungspartnern (auch: spezifische Bindungspaare, "sbp"), insbesondere die von Antikörpern und Antigenen bzw. Haptenen zunutze machen, um das Vorhandensein von Analyten in flüssigen Proben feststellen zu können. Zum Nachweis der oft nicht direkt sichtbaren Bindungsreaktionen wurden Verfahren zur indirekten Beobachtung eingesetzt, die die Markierung eines der Glieder des spezifischen Bindungspaars mit einem Radioisotop, einem Chromophor, einem Fluorophor oder die eine enzymatische Markierung vorsahen. Radiomarkierungen, Chromophore bzw. Fluorophore können mittels Strahlungsdetektoren, Spektrophotometern oder mit dem bloßen Auge nachgewiesen werden; bei Enzymmarkierungen wird ein nachweisbares Signal durch die Aktivierung einer Verbindung wie etwa eines Farbstoffs im Rahmen eines Reaktionssystems erzeugt.

Ursprünglich in Vorrichtungen wie Reagenzgläsern mittels Zentrifugierung und Ausfällung durchgeführt (sogenannte Flüssigphasenassays), ist, der Beschreibung des Streitpatents zufolge, bei spezifischen Bindungsassays wie Immunoassays auch die Verwendung von mit Reagenzien imprägnierten Teststreifen vorgeschlagen worden (sogenannte Festphasenassays). Dabei bewegt sich die auf einen Teil des Teststreifens aufgetragene Probe mit Hilfe eines eluierenden Lösungsmittels, wie Wasser, durch das Material des Teststreifens in oder durch eine dort vorgesehene Nachweiszone, in der ein für die in der Probe vermutete Nachweissubstanz spezifisches Bindungsreagenz immobilisiert ist, um die Nachweissubstanz gegebenenfalls zu binden. Das Maß dieser Bindung kann mit markierten Reagenzien bestimmt werden, die ebenfalls im Teststreifen enthalten sind oder anschließend darauf aufgebracht werden. Der Streitpatentschrift zufolge erfordern alle kommerziell erhältlichen Geräte die Durchführung einer Reihe von aufeinander folgenden Arbeitsschritten, bevor das Testergebnis ablesbar ist, was notwendigerweise Zeit erfordere und Fehlerquellen einführe.

Als Aufgabe der Erfindung bezeichnet die Streitpatentschrift die Anpassung und Verbesserung der bekannten Techniken zur Bereitstellung diagnostischer Testgeräte insbesondere für den privaten Gebrauch, die auch von einer ungeübten Person schnell und bequem zu handhaben sind, vom Benutzer möglichst wenige Arbeitsschritte erfordern und bei denen das Analyseergebnis innerhalb von Minuten nach dem Probenauftrag - beispielsweise Urin im Fall eines Schwangerschafts- oder Ovulationstests - vorliegt.

Dazu schlägt das Streitpatent in der verteidigten Fassung im Patentanspruch 1 ein analytisches Testgerät vor, umfassend ein hohles, aus einem feuchtigkeitsundurchlässigen Material aufgebautes Gehäuse, das einen trockenen porösen Träger (10) enthält, der einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst, mit dem Äußeren des Gerätes direkt oder indirekt derart in Verbindung steht, dass flüssige Testprobe darauf aufgebracht werden kann, und der ein markiertes spezifisches Bindungsreagenz für eine Nachweissubstanz enthält, das 3.1 sich in trockenem Zustand in einer ersten Zone (12) des trockenen porösen Trägers, 3.2 stromaufwärts von einer Nachweiszone befindet und das 3.3 in feuchtem Zustand innerhalb des porösen Trägers frei beweglich ist, wobei der Markierstoff ein Direktmarkierstoff in Form eines Farbsols, Goldsols oder gefärbten Latexteilchens ist, ferner unmarkiertes spezifisches Bindungsreagenz für denselben Analyten, 5.1 das auf dem porösen Träger, 5.2 in einer von der ersten Zone räumlich getrennten Nachweiszone (14) permanent immobilisiert 5.3 und (daher) in feuchtem Zustand nicht beweglich ist, wobei die beiden Zonen derartig angeordnet sind, dass eine auf den porösen Träger aufgebrachte Flüssigkeitsprobe über die erste Zone in die Nachweiszone dringen kann, die Flüssigkeitsprobe, die dem Gerät zugeführt ist, 7.1 das markierte Reagenz aufnehmen 7.2 und danach in die Nachweiszone eindringen kann und das Gehäuse Mittel (32) zum Feststellen des Ausmaßes (sofern gegeben) beinhaltet, bis zu dem das Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist, sowie, in Anspruch 20, ein Analysenverfahren, bei dem ein Testgerät nach irgendeinem der Ansprüche 1 bis 19 mit einer wässrigen Flüssigkeitsprobe in Kontakt gebracht wird, die Probe durch Kapillarwirkung durch den porösen Träger über die erste Zone in die Nachweiszone dringt und das markierte Reagenz mit ihr aus der ersten Zone in die Nachweiszone wandert und das Vorliegen einer Nachweissubstanz in der Probe durch Beobachten des Ausmaßes bestimmt wird, bis zu dem das markierte Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist.

2.

Die Beschränkung von Patentanspruch 1 ist zulässig; durch sie wird insbesondere der Schutzbereich des Streitpatents nicht erweitert.

a)

Eine Schutzbereichserweiterung erfolgt zunächst nicht dadurch, dass das dem Begriff "direct label" (Direktmarkierungsstoff) beigefügte Wort "particulate" (teilchenförmig) entfällt. Als solche Markierungsstoffe kamen zunächst jegliche Einheiten ("entities") in Betracht, deren Vorhandensein ohne Weiteres nachgewiesen werden kann, insbesondere Direktmarkierungsstoffe. Diese werden als Einheiten definiert, die in natürlichem Zustand entweder mit bloßem Auge oder mit Hilfe eines optischen Filters und/oder einer angelegten ("applied") Stimulation, z.B. UV-Licht zum Hervorrufen einer Fluoreszenz, leicht sichtbar sind. Als besonders geeignete Beispiele werden winzige farbige Teilchen ("particles"), z.B. Farbsole, Metallsole (wie Goldsole) und gefärbte Latexteilchen angesprochen (vgl. die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung, Anl. NK 1, S. 4 Z. 42 ff.). Insoweit mag zweifelhaft sein, ob der ausdrücklichen Aufnahme eines Hinweises auf den Teilchencharakter der Markierungsstoffe überhaupt sachliche Bedeutung zukommen konnte. Dass diese Eigenschaftsangabe in dem verteidigten Patentanspruch entfallen ist, kann schon deshalb nicht zu einer Erweiterung führen, weil sich der teilchenförmige Charakter der Direktmarkierungsstoffe zwingend aus der abschließenden Aufzählung derjenigen Markierungsstoffe ergibt, für die Schutz beansprucht wird und die allesamt teilchenförmig sind. Die Formulierung "... in Form eines Farbsols ..." im verteidigten Patentanspruch 1 ist entgegen der Ansicht der Klägerin ebenfalls von der ursprünglichen Offenbarung gedeckt. Sie bringt nämlich nur zum Ausdruck, dass die drei genannten Direktmarkierungsstoffe allein noch vom Streitpatent erfasst werden sollen.

b)

Ebenfalls keine Erweiterung des Schutzbereichs von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung liegt in der Umschreibung, wonach der trockene poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material "umfasst" (Merkmale 2 und 2.1). Soweit die Klägerin meint, dadurch würden Ausgestaltungen eingeschlossen, bei denen sich das markierte Bindungsreagenz in einem gesonderten Träger vor dem eigentlichen Trägerstreifen für den chromatografischen Fluss befinden könne, unterscheidet sie nicht hinreichend zwischen der Frage der Platzierung des Bindungsreagenzes, die allein den Schutzbereich betrifft, und der Frage der Ausgestaltung des porösen Trägers, die die Auslegung des erteilten Patents berührt (nachstehend III 2 d). Das markierte Bindungsreagenz ist in trockenem Zustand auch in der verteidigten Fassung von Anspruch 1 des Streitpatents in einer ersten Zone des porösen Trägers enthalten (Merkmale 3, 3.1). Diese merkmalsmäßige Zuordnung des Bindungsreagenzes zum Träger wird durch Verwendung des Verbs "umfasst" im Zusammenhang mit der Bestimmung des porösen Trägers nicht außer Kraft gesetzt. Der Schutzbereich des Patents wird deshalb nicht erweitert.

c)

Eine unzulässige Schutzbereichserweiterung liegt des Weiteren nicht darin, dass gefärbte Latexteilchen ohne Begrenzung ihres Durchmessers in den Hauptanspruch aufgenommen worden sind. Diese Teilchen sind als solche ohne Beschränkung auf einen bestimmten Höchstdurchmesser in den Anmeldungsunterlagen als Direktmarkierungsstoff offenbart (NK 1 S. 4 Z. 44 f.). Dass die Teilchen in Patentanspruch 2 nur in Verbindung mit einer Größenangabe genannt sind, nötigt nicht zu der Aufnahme dieser Größenangabe in den verteidigten Patentanspruch 1 (vgl. Busse/Keukenschrijver, 6. Aufl., § 83 PatG Rdn. 37; vgl. zur Aufnahme einzelner Merkmale eines Ausführungsbeispiels BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer).

d)

Mit der Beschränkung, dass der trockene poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material "umfasst" (Merkmale 2, 2.1), geht die von Anspruch 1 in der verteidigten Fassung beschriebene Ausgestaltung des porösen Trägers nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung oder das erteilte Patent hinaus. Danach sollte das Trägermaterial vorzugsweise in Form eines Streifens oder einer Folie bestehen. Das Gerät konnte gemäß der Erfindung daher auch, falls gewünscht, zwei oder mehrere diskrete Körper von porösem Festphasenmaterial, z.B. getrennte Streifen oder Folien für die Aufnahme von Reagenzien, vereinigen, und zwar, entgegen der Ansicht der Klägerin, nicht ausschließlich parallel nebeneinander angeordnet (NK 1 S. 5 Z. 20 ff.). Demnach blieb es dem Fachmann überlassen, den porösen Träger den jeweiligen Erfordernissen entsprechend unterschiedlich auszugestalten. Diesen Rahmen überschreitet das Streitpatent in der verteidigten Fassung nicht; insbesondere wird durch die Aufnahme der Merkmale des früheren Anspruchs 6 in den Hauptanspruch entgegen der Ansicht der Klägerin keine von der Ursprungsoffenbarung nicht erfasste "Zwischenebene" geschaffen.

IV.

Soweit das Streitpatent noch verteidigt wird, liegt keiner der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe der Art. 138 EPÜ, Art. II § 6 IntPatÜG vor.

1.

Die Erfindung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann sie ausführen kann.

a)

Das Erfordernis der ausführbaren Offenbarung bedeutet nicht, dass die Lehre alle im Einzelnen zur Erreichung des erfindungsgemäßen Ziels erforderlichen Schritte detailliert beschreiben müsste. Es reicht aus, wenn dem Fachmann ein generelles Lösungsschema an die Hand gegeben wird. Unschädlich ist, wenn er bei der Nacharbeitung auf Unvollkommenheiten stößt, die er als solche erkennt und mit Hilfe seines Wissens im Sinne der Erfindung überwinden kann, ohne selbst erfinderisch tätig werden zu müssen (vgl. Busse/ Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 34 Rdn. 273 ff.; Schulte, PatG, 7. Aufl., § 34 Rdn. 364; Benkard/Schäfers, EPÜ, Art. 83 Rdn. 43). Die Erforderlichkeit von Versuchen ist unschädlich, solange sie das übliche Maß nicht übersteigen (Keukenschrijver, aaO Rdn. 293 m.w.N. in Fn. 639). Das gilt namentlich dann, wenn die Lehre, wie hier, den Einsatz biochemischer Reagenzien und die Herbeiführung entsprechender Reaktionen betrifft.

b)

Danach ist im Streitfall unschädlich, dass der Fachmann einzelne Parameter wie Fließgeschwindigkeit, Konzentration und Bindungsstärke (Affinität) sowohl des zu immobilisierenden als auch des markierten Antikörpers erst, wie der gerichtliche Sachverständige meint, nach Experimenten einstellen konnte, zumal Anmeldungsunterlagen und Streitpatentschrift zu Fließgeschwindigkeit und Teilchen- bzw. Porengröße Angaben enthalten (Anlage NK 1, S. 11 Rdn. 15 ff.; geänderte Streitpatentschrift Abs. 75 ff.). Der danach noch erforderliche Versuchsaufwand übersteigt das dem Fachmann zumutbare Maß nicht.

c)

Der Nichtigkeitsgrund unzureichender Offenbarung besteht auch nicht in Bezug auf die Resolubilisierung der teilchenförmigen, an die Markierungsantikörper gekoppelten Direktmarkierungsstoffe.

Wie der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt und in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, ist die Lehre insoweit jedenfalls bei Einbeziehung der in den Unteransprüchen 13 bis 15 enthaltenen Anweisungen ausführbar. Damit wird dem Fachmann (dazu unten 3 b aa), was ausreicht, ein gangbarer Weg zur Ausführung der Erfindung mit allen von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung beanspruchten Direktmarkierungsstoffen offenbart (ähnlich BGHZ 147, 306 - Taxol für die allgemeine Beanspruchung eines Verfahrensschritts in Form einer allgemein bezeichneten Reaktion bei nacharbeitbarer Offenbarung eines ausführbaren Wegs zur Durchführung dieser Reaktion in der Patentschrift). Die zur Ausführung der Erfindung benötigten Angaben müssen nicht abschließend dem Hauptanspruch zu entnehmen sein. Es genügt, wenn sie sich aus dem Inhalt der Patentschrift insgesamt erschließen (vgl. Sen.Urt. v. 1.10.2002 - X ZR 112/99, GRUR 2003, 223 - Kupplungsvorrichtung II).

2.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung ist nicht wegen fehlender Patentfähigkeit für nichtig zu erklären.

a)

Der Gegenstand des Anspruchs ist neu. Das gilt ungeachtet der Frage, ob das Streitpatent die Priorität einer der beiden britischen Patentanmeldungen 8 725 457 bzw. 8 709 873 (NK 5, 6) wirksam in Anspruch nehmen kann, auch dann, wenn für die Neuheit auf den Anmeldetag des Streitpatents selbst abgestellt wird und die Entgegenhaltungen NK 13, NK 14 und NK 16 bei der Neuheitsprüfung berücksichtigt werden.

aa)

Die am 23. Dezember 1987 veröffentlichte europäische Patentanmeldung 250 137 (NK 13) betrifft ein Verfahren zum Nachweis eines Liganden in einer Probe. Es verwendet mit kolloidalem Gold zwar einen Direktmarkierungsstoff. Dieser wird jedoch nicht (in trockenem Zustand) auf einen porösen Träger aufgebracht, sondern ist Bestandteil eines Reagenzes, das mit einer Probe flüssig vorvermischt wird und einen Liganden-Bindungspartner oder einen Liganden enthält, der direkt oder indirekt mit dem kolloidalen Gold markiert ist. Bei diesem Verfahren fehlt es an der Merkmalsgruppe 3 des Streitpatents; außerdem ist kein hohles Gehäuse beschrieben (Merkmale 1 und 8 des Streitpatents). Ob die Schrift, wie die Klägerin meint, sämtliche Merkmale des Streitpatents vorwegnimmt, wenn die in der Beschreibung erwähnten US-Patentschriften 3 888 629, 4 325 601 und 4 361 537 (NK 28 bis 30) einbezogen werden, kann dahinstehen. Die Neuheit einer Erfindung ist grundsätzlich im Wege des Einzelvergleichs zu prüfen. Eine in einer Vorveröffentlichung in Bezug genommene weitere Schrift kann nur berücksichtigt werden, wenn hinreichend deutlich gemacht wird, welche daraus ersichtlichen Informationen in Bezug genommen und zur Grundlage der Vorveröffentlichung gemacht werden und diese dem Leser zum jeweils maßgeblichen Datum zugänglich sind (vgl. Keukenschrijver, aaO, § 3 PatG Rdn. 111). Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf die genannten amerikanischen Patentschriften nicht erfüllt.

bb)

Die am 7. März 1988 eingereichte europäische Patentanmeldung 284 232 (Anl. NK 14) offenbart kein Gehäuse mit Mitteln zum eventuellen Feststellen des Ausmaßes, bis zu dem das Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist (Merkmale 1 und 8 des Streitpatents), und zwar auch nicht, soweit in der Beschreibung von im Stand der Technik vorzufindenden festen Trägern (solid supports) die Rede ist (S. 2 Ziff. 6-13). Damit sind Elemente gemeint, die funktionell dem porösen Träger des Streitpatents entsprechen und nicht seinem hohlen Gehäuse. Das ist, wovon auch die Klägerin ausgeht (Berufungserwiderung S. 34) offensichtlich für den in der Entgegenhaltung erwähnten Tauchstreifens ("dipstick"), gilt aber auch für die daneben genannten Röhren. Damit sind Kapillarrohre mit einem geringen Durchmesser gemeint, wie sie etwa in der europäischen Patentanmeldung 149 168 (Anl. NK 10) beschrieben sind und bei denen die Kapillarwirkung gerade durch den geringen Durchmesser gefördert wird.

cc)

Die europäische Patentanmeldung 286 371 (NK 16) beschreibt eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Durchführung von Assayverfahren, die ein Gehäuse und einen trockenen porösen Träger mit einer (immunosorbierenden) Zone umfassen, in welcher ein Mitglied eines spezifischen Bindungspaares immobilisiert sein kann, um den komplementären Bindungspartner zu fangen. Letzterer und seiner Markierung dienende Komponenten - in der Diktion dieser Schrift: Mitglied(er) eines signalerzeugenden Systems - sind vorzugsweise aber in flüssiger Form, gewöhnlich in einem wässrigen Medium, in mindestens einem zerbrechbaren Behälter in dem Gehäuse eingeschlossen, also nicht nach Maßgabe der Merkmalsgruppe 3 des Streitpatents auf dem porösen Träger enthalten. Die Schrift erwähnt lediglich, dass Mitglieder des spezifischen Bindungspaares und, falls gewünscht, Mitglieder des signalerzeugenden Systems an das als poröser Träger dienende saugfähige Material gebunden sein können, und zwar nichtdiffundierend oder diffundierend, je nachdem, ob der jeweils durchgeführte Assay die Bewegung eines derartigen Mitglieds entlang des Streifens erfordere oder nicht. Mit diesen Hinweisen offenbart die Patentanmeldung nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit ein in trockenem Zustand in einer ersten Zone des porösen Trägers enthaltenes direktmarkiertes spezifisches Bindungsreagenz für eine Nachweissubstanz (Merkmale 3, 3.1). Das gilt um so mehr, als das signalerzeugende System der Beschreibung zufolge meistens ein chromophores Substrat und Enzym umfasst, wobei chromophore Substrate enzymatisch in Farbstoffe, die Licht im ultravioletten oder sichtbaren Bereich absorbieren, in Phosphore oder in Fluoreszenzfarbstoffe überführt werden und daneben für die Markierung noch Radioisotope erwähnt werden. Der in der Anmeldung enthaltene Hinweis auf die US-Patentschrift 4 555 839 (NK 23) und die dort beschriebenen Assaymethoden (Sp. 27 Z. 27 ff.) mag zwar die Möglichkeit der Verwendung von Direktmarkierungsstoffen in flüssigen Medien offenbaren, dies aber nicht auf die in der Merkmalsgruppe 3 beschriebenen Weise.

dd)

Die europäische Patentanmeldung 299 428 (NK 15)datiert mit dem 13. Juli 1988 von einem Tage, der nach der Anmeldung des Streitpatents liegt. Soweit in dieser Schrift für die Priorität auf die amerikanische Patentanmeldung 72 459 mit Datum vom 13. Juli 1987 Bezug genommen wird, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anmeldung der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung des Streitpatents zugänglich gemacht worden ist. Vielmehr hat die amerikanische Anmeldung die bei der Neuheitsprüfung vorauszusetzende Publizität erst durch die Veröffentlichung auf sie hin erteilten US-Patents erlangt, was jedenfalls nicht vor dem Tag der Anmeldung des Streitpatents geschehen ist.

Abgesehen davon wird in dieser Entgegenhaltung kein Gehäuse offenbart, sondern vielmehr in einer Ausführungsform chromatografisches Substratmaterial auf einem inerten Trägerstreifen und eine Deckplatte, die, bis auf einen Endbereich, über die Länge des chromatografischen Materials vorgesehen ist (Anl. NK 12 S. 12 Z. 53). Damit sind die Merkmale 1 und 8 des Streitpatents nicht erfüllt.

b)

Das Ergebnis von Verhandlung und Beweisaufnahme lässt nicht die Wertung zu, dass sich der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben hat.

aa)

Der zur Zeit der Anmeldung des Streitpatents mit der Weiterentwicklung von Immunoassays befasste Fachmann verfügte über einen Hochschulabschluss in den Fächern Biochemie oder Biotechnologie bzw. in einem verwandten natur- oder ingenieurwissenschaftlichen Fach und war in einem Großunternehmen beschäftigt. Die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit auf diesem Gebiet lag seinerzeit in den Händen solcher Unternehmen, die für die Entwicklung ihrer Produkte gegebenenfalls interdisziplinäre Teams zusammenstellten.

bb)

Die aufgabengemäße Verbesserung von Testgeräten für Immunoassays erforderte, die gegenständliche Ausgestaltung der Geräte dem Bedürfnis eines unkomplizierten Einsatzes in Laienhand anzupassen. Ineinandergreifend mit dieser konstruktiven Aufgabe musste das mithilfe des Geräts durchzuführende Testverfahren hin zu der angestrebten Ein-Schritt-Analyse weiterentwickelt werden. Die vom Streitpatent in der verteidigten Fassung aufgefundene Lösung dieser komplexen Entwicklungsaufgabe ergab sich nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

(1)

Entgegen der Ansicht des Bundespatentgerichts gab die europäische Patentanmeldung 149 168 (NK 10) dem Fachmann keine richtungsweisenden Anregungen für die konstruktive Wahl des Gehäuses zur Aufnahme des porösen Trägers, auch wenn diese Anmeldung, wie das Streitpatent, eine vereinfachte Anwendung bei Immunoassays anstrebt. Vorgeschlagen wird dort, Kapillarröhrchen mit entsprechend geringem Durchmesser (vgl. NK 10 S. 11 Z. 27 ff.) mit festen Matrizen zu packen, auf denen die für die Durchführung von Assays erforderlichen Reagenzien aufgebracht sind, um anschließend das untere Ende des Röhrchens - das die Funktion des porösen Trägers des Streitpatents übernimmt - in eine Probenlösung zu tauchen oder die Kapillaritätswirkung bei einer Blutentnahme durch Andrücken des Röhrchens an den Bereich der Einstichstelle hervorzurufen. Diese Lösung lag vom Streitpatent recht weit ab.

(2)

Im Ergebnis nichts anderes gilt für die europäische Patentanmeldung 183 442 (NK 12). Sie beschreibt eine Chromatografie-Vorrichtung und ein Verfahren zu deren Anwendung, insbesondere für die quantitative Bestimmung der Menge eines Analyten. Die Vorrichtung umfasst allerdings ein Gehäuse, welches einen saugfähigen Streifen aufnimmt, der an einem Ende mit der in einem flüssigen Medium gelösten Probe, die mutmaßlich den Analyten enthält, in Verbindung gebracht werden kann. Das Nachweisverfahren nutzt das Bindungsverhalten von Liganden und Rezeptoren - in der Terminologie der Schrift: Mitglieder eines spezifischen Bindungspaars "sbp" - aus. Ein sbp-Mitglied - und zwar der homologe oder reziproke Bindungspartner des jeweiligen Analyten - ist unbeweglich, nichtdiffundierbar, in einem als "immunosorbierende Zone" bezeichneten Bereich des verwendeten Teststreifens aufgebracht. Zum Nachweis des Analyten ist ein sogenanntes signalerzeugendes System vorgesehen, das eine oder mehrere Komponenten aufweisen kann, von denen mindestens eine an ein sbp-Mitglied konjugiert ist. Das signalerzeugende System ermöglicht, das Gebiet in der immunosorbierenden Zone, an das der Analyt gebunden ist, von dem Gebiet zu unterscheiden, in welchem er nicht enthalten ist, so dass die Entfernung von einem vorher bestimmten Punkt auf dem Immunochromatogramm ein Maß für die Menge an Analyt in der Probe ist. Offenbart ist somit eine Lehre, welche die Merkmale bzw. Merkmalsgruppen 1, 2, 7 und 8 aufweist und darüber hinaus lediglich die Merkmale 3.3, 5.1 und 5.3, wohingegen die Merkmale 4 und 6 fehlen. Bezüglich des Testverfahrens selbst bleibt die Entgegenhaltung NK 12 im Wesentlichen den im Stand der Technik dominierenden enzymatischen Markierungen verhaftet und kann deshalb den damit einhergehenden höheren Detektionsaufwand nicht reduzieren. Zur Durchführung des Assays wird das untere Ende des Teststreifens mit der Probe in Kontakt gebracht, die zuvor in einem geeigneten Lösungsmittel gelöst worden ist, welches ein oder mehrere Mitglieder des signalerzeugenden Systems enthalten kann. Infolge der Kapillarwirkung durchwandert die Probenlösung den saugfähigen Träger einschließlich der immunosorbierenden Zone. Wenn das nachweisbare Signal, gegebenenfalls nach Entwicklung des auf Enzymbasis funktionierenden Assays, erzeugt worden ist, kann die Entfernung von einem Ende des Chromatogramms als quantitatives Maß der Menge an Analyten in der Probe unter Verwendung der am Gehäuse vorgesehenen Anzeigemittel in Form einer graduierten Skala (NK 12 S. 9 Z. 9 ff.) gemessen werden. Mit Blick auf die im Vergleich zum Streitpatent unterschiedliche Bedeutung der Anzeigemittel in dieser Entgegenhaltung fehlt dem in ihr beschriebenen Gehäuse auch eine hinreichende Vorbildfunktion für die Lehre des Streitpatents.

(3)

Zu einem aufgabengemäß verbesserten Testgerät führten den Fachmann entgegen der Ansicht des Bundespatentgerichts auch nicht die europäische Patentanmeldung 186 799 (NK 32) und die internationale Patentanmeldung WO 86/04683 (NK 38).

In der ersteren Anmeldung werden ein analytisches Mittel und Verfahren zum Nachweis oder zur Bestimmung einer Komponente eines bioaffinen Bindungspaars offenbart. Das dabei verwendete flächenförmige diagnostische Mittel besteht aus einem oder mehreren hintereinander angeordneten Streifen, die untereinander über ihre Kanten in für wässrige Lösungen saugfähigem Kontakt stehen und aus entsprechendem Material, wie beispielsweise Cellulose o. Ä. bestehen. Die Streifen enthalten die für das jeweilige diagnostische Mittel notwendigen Reagenzkomponenten. Einer der bioaffinen Bindungspartner wird in der sogenannten Festphasenzone an das Trägermaterial in dem Funktionsbereich gebunden, der zum Nachweis des Analyten vorgesehen ist. Zumindest ein markierter Reaktand befindet sich in einer vorgelagerten Zone und wird, wenn eine Lösungsmittelprobe aufgetragen wird, vom ankommenden Lösungsmittel verflüssigt in die Festphasenzone transportiert, wo er durch ein bioaffines Bindungssystem gebunden wird. Die Erfindung weist die Merkmalsgruppen 2, 3, 5, 6 und 7 auf. Sie offenbart dagegen kein Gehäuse (Merkmal 1) und dementsprechend auch nicht das Merkmal 8 und bedient sich auch nicht eines Direktmarkierstoffs (Merkmal 4), sondern bevorzugt eine Enzymmarkierung, die chromogene, Fluoreszenz oder Chemilumineszenz erzeugende Substratsysteme erfordert und erwähnt des Weiteren eine Chemilumineszenzmarkierung, die allerdings erst nach Zugabe eines Reagenzes gemessen wird.

Einen Direktmarkierungsstoff offenbart ebenfalls nicht die internationale Patentanmeldung WO 86/04683 (NK 38).

(4)

Um zum Gegenstand des Streitpatents in der verteidigten Fassung zu gelangen, bedurfte es mehr, als zusätzlich zu den aus den Entgegenhaltungen NK 32 und NK 38 ersichtlichen Vorschlägen die im Stand der Technik bekannten partikelförmigen Direktmarkierungsstoffe in Betracht zu ziehen.

Die europäische Patentanmeldung 32 270 (NK 19) schlägt die Verwendung von kolloidalen Farbstoffpartikeln in wässrigen Lösungen vor. Der Vorzug dieser Markierungen besteht den Anmeldungsunterlagen zufolge darin, dass die Enzym/Substrat-Inkubation weggelassen werden kann. Der Bindungsschritt zwischen der Nachweissubstanz und dem partikelmarkierten Nachweisreagenz erfolgt in einer Lösung, bevor die Probe auf den porösen Träger aufgetragen wird. Genauso verhält es sich bei der US-Patentschrift 4 552 839 (NK 23), in der teilchenförmige Direktmarkierungsstoffe zwar beschrieben sind, die aber ebenfalls gelöst auf den porösen Träger aufgebracht werden. Die Verwendung von Direktmarkierungsstoffen in gelöstem Zustand führte nicht zu der vom Streitpatent aufgefundenen einfachen Ein-Schritt-Analyse, bei welcher der Anwender lediglich die Flüssigkeitsprobe in Kontakt mit dem Testgerät bringen muss, um kurze Zeit später ein Testergebnis ablesen zu können. Um den Test so zu vereinfachen, musste der Fachmann die vergleichsweise umständliche Vermischung der Probe mit dem Bindungsreagenz vor der Aufbringung auf den Teststreifen durch eine einfache und sicher anwendbare Alternative ersetzen. Dazu musste er erkennen, dass die direktmarkierten Bindungsreagenzien auch in trockenem Zustand im Träger untergebracht werden können, um sie von der infolge der Kapillarwirkung aufsteigenden Probe wieder auflösen und mitsamt der Probenflüssigkeit zum auf dem porösen Träger immobilisierten komplementären Bindungspartner schwemmen zu lassen.

(5)

Zu dieser Lösung führte den Fachmann auch nicht der in der internationalen Patentanmeldung WO 86/03839 (NK 11) beispielhaft beschriebene qualitative Schwangerschaftstest (Beispiel X). Bei diesem wird eine Nitrocellulosemembran als Träger eingesetzt, die mit einer Abdeckung versehen wird, welche eine etwa 2 mm große Öffnung aufweist. Ein Tupfer, der mit lyophilisiertem Gold markierte AntihCG-Antikörper enthält, wird in Probeurin, welcher möglicherweise hCG enthält, angefeuchtet und dann für etwa 30 Sekunden mit der Membranabdeckung in Kontakt gebracht, damit der Urin aus dem Tupfer in die Membran diffundieren kann. Konzentrationen von hCG von über 50 mIU/ml, die im Allgemeinen eine Schwangerschaft anzeigen, können durch die Anwesenheit eines roten Flecks diagnostiziert werden; schwächere Konzentrationen erzeugen keinen solchen Fleck.

Die bloße Verwendung eines lyophilisierten Direktmarkierungsstoffs in diesem Beispiel gibt keinen zur Lehre des verteidigten Streitpatents führenden Hinweis. Die Benutzung eines mit markierten Antikörpern imprägnierten Tupfers, der mit Urin zu benetzen und dann auf die Membran aufzubringen ist, führt ebenso wenig zu einem aufgabengemäß problemlos und fehlerunanfällig von Laienhand ausführbaren Ein-Schritt-Analysensystem, wie dieses Beispiel dem Fachmann keine Anregung dafür gibt, das trockene markierte Bindungsreagenz in einer ersten Zone eines porösen Trägers zu platzieren, um es von der durch Kapillarität aufsteigenden Probenflüssigkeit zu einem einer weiteren Zone stromabwärts des Trägers fixierten Bindungspartners transportieren zu lassen. Vielmehr findet die Detektion punktuell an der Stelle statt, an der der Tupfer mit der mit polyklonalen Antikörpern gesättigten Membran in Berührung gebracht wird. Insgesamt bietet dieses Testverfahren keine Anregungen für die vom Streitpatent aufgabengemäß angestrebte Verbesserung der marktüblichen Testgeräte für den privaten Gebrauch, wie dies im Ergebnis auch schon die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in ihrer Entscheidung vom 27. Januar 2000 - T 0681/98 befunden hat.

cc)

Die europäischen Patentanmeldungen 284 232 (NK 14) und 286 371 (NK 16) sind bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht zu ziehen (Art. 56 Satz 2 i. V. mit Art. 54 Abs. 3 EPÜ). Die europäische Patentanmeldung 299 428 (NK 15) ist ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Wie bereits ausgeführt, liegt das für sie maßgebliche Anmeldedatum zeitlich nach dem des Streitpatents (oben IV 2 a dd).

Die europäische Patentanmeldung 250 137 (NK 13) ist zwar dem Stand der Technik zuzurechnen, gab dem Fachmann aber keine Anregungen zur Auffindung zu der vom Streitpatent in seiner verteidigten Fassung unter Schutz gestellten Lehre.

3.

Die nachgeordneten Ansprüche und der nebengeordnete Verfahrensanspruch haben mit dem verteidigten Hauptanspruch Bestand.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO i.V. mit § 121 Abs. 2 PatG.

Ende der Entscheidung

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