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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 20.03.2001
Aktenzeichen: X ZR 180/98
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 636 Abs. 1 Satz 1
BGB § 636 Abs. 1 Satz 1

Für die Berechtigung zum Rücktritt bei verspäteter Herstellung des Werks ist es nicht maßgeblich, ob der Unternehmer eine Hauptleistungspflicht nicht rechtzeitig erfüllt hat. Das Rücktrittsrecht besteht unabhängig von der Einordnung als Haupt- oder Nebenleistungspflicht hinsichtlich der gesamten, noch nicht erbrachten Werkleistungen jedenfalls dann, wenn eine werkvertraglich geschuldete Leistung nicht rechtzeitig erbracht wird, auf der vom Unternehmer geschuldete weitere Leistungen aufbauen, und infolge der nicht rechtzeitig erbrachten Leistung der Eintritt des vertragsgemäß geschuldeten Erfolgs gefährdet ist.

BGH, Urteil vom 20. März 2001 - X ZR 180/98 - OLG Düsseldorf LG Duisburg


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 180/98

Verkündet am: 20. März 2001

Fritz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. März 2001 durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Dr. Jestaedt, Dr. Melullis, Keukenschrijver und Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. August 1998 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, der Inhaber eines Ingenieurbüros ist, nimmt die Beklagte als Bürgin in Höhe von 124.000 DM auf Rückzahlung einer Anzahlung für die Herstellung und Lieferung einer Trennschleifmaschine in Anspruch, die er auf Grund eines Angebots vom 11. November 1993 am 19. Januar 1994 bei der I. GmbH (nachfolgend: Hauptschuldnerin) im Rahmen eines ihm selbst von der W. GmbH für ein Edelstahlwalzwerk in Li. bei L. erteilten Auftrags bestellt hatte; das Angebot umfaßte auch einen Fundamentplan und Funktionspläne. Die Vorlage des Fundamentplans monierte der Kläger u.a. mit Schreiben vom 18., 21. und 25. Februar 1994 und zuletzt, nachdem die Hauptschuldnerin mit Schreiben vom 28. und 29. April 1994 die Einhaltung eines Termins zum 6. Mai 1994 zugesagt hatte, mit Schreiben vom 2. Mai 1994, das auszugsweise wie folgt lautet:

"Herr v. E. hat uns heute während der Besprechung in R. zugesagt, daß I. uns alle ausstehenden Zeichnungen bis spätestens zum 06.05.1994 übergeben wird. Weiterhin hat uns Herr v. E. versichert, daß diese Zeichnungen alle Schnittstellen zu den anschließenden Anlagen klären werden und daß er bei noch auftretenden Fragen unverzüglich zur Klärung beitragen wird.

Dies ist der letzte Termin, den wir Ihnen in dieser Angelegenheit zugestehen können!

Sollte dieser o.g., zugesagte Termin von I. ungenutzt verstreichen, behalten wir uns vor, unsere Ihnen unter Vorbehalt erteilten Aufträge zu annullieren.

Eine evtl. weitere Zusammenarbeit kann nur unter dem Vorbehalt geschehen, daß I. unseren Vorgaben entsprechend handelt."

Am 7. Mai 1994 lieferte die Hauptschuldnerin Pläne. Der Kläger, der diese mit Schreiben vom 9. Mai 1994 als unzureichend beanstandet hatte, "kündigte" den Vertrag durch Schreiben vom 13. Mai 1994. Er hat seine Forderung nach Klageerhebung an einen Gläubiger abgetreten und begehrt nunmehr Zahlung an diesen.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Dagegen hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger in erster Linie sein Zahlungsbegehren weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen war.

I. Das Berufungsgericht hat eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung aus der Bürgschaft verneint, weil die Hauptschuldnerin zur Erstattung der Anzahlung nicht verpflichtet sei. Der Hauptschuldnerin stehe ein über den Betrag von 124.000 DM hinausgehender Vergütungsanspruch zu. Das Berufungsgericht hat die Erklärung des Klägers vom 13. Mai 1994 als Kündigung nach § 649 BGB behandelt und dabei offengelassen, ob die Erklärung auch als Rücktritt ausgelegt werden könne. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Rücktrittsrechts hat das Berufungsgericht verneint. Die Überlassung von Plänen und Zeichnungen sei nur Nebenpflicht gewesen. Zudem sei die gesetzte Frist nur um einen Tag überschritten worden; damit fehle es an einer erheblichen Leistungsverzögerung, was einem Rücktritt nach Treu und Glauben entgegenstehe. Schließlich habe es an einer vorausgegangenen hinreichend deutlichen Ablehnungsandrohung gefehlt, weil sich der Kläger Schritte lediglich vorbehalten habe und der Vorbehalt zudem andere Aufträge betroffen habe.

II. 1. Das Berufungsgericht hat nicht abschließend geprüft, ob die "Kündigung" des Vertrags als Erklärung eines Rücktritts ausgelegt werden kann. Für das Revisionsverfahren ist deshalb zugunsten des Klägers davon auszugehen, daß in der Erklärung ein Rücktritt liegt. Eine eigenständige Auslegung der Erklärung ist dem Senat im Rahmen einer revisionsrechtlichen Prüfung schon deshalb nicht möglich, weil nicht auszuschließen ist, daß noch weitere Feststellungen zu treffen sind, die für die Auslegung von Bedeutung sein können, wie dies die Revision unter Hinweis auf das Schreiben des Klägers vom 2. Mai 1994 geltend macht. Allerdings sprechen der Wortlaut der Erklärung und die Äußerung dahin, die erbrachten Leistungen anerkennen zu wollen, zunächst für eine Kündigungserklärung. Andererseits weist der Sachverhalt die Besonderheit auf, daß auf der Erstellung und Lieferung des Fundamentplans weitere Leistungen der Hauptschuldnerin aufbauen sollten. - Zudem kann aus einer bestimmten Wortwahl nicht ohne weiteres geschlossen werden, daß der Erklärende eine ihm möglicherweise ungünstigere Rechtsfolge abschließend habe wählen wollen (vgl. für das Verhältnis von Schadensersatzanspruch und Rücktritt Staudinger/Otto, 13. Bearb. 1995, § 326 BGB Rdn. 174: BGH, Urt. v. 10.2.1982 - VIII ZR 27/81, NJW 1982, 1279, 1280; Urt. v. 11.5.1988 - VIII ZR 138/87, NJW-RR 1988, 1100).

2. Auf der Grundlage eines demnach in Betracht zu ziehenden Rücktritts nach § 636 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Diese Bestimmung knüpft das Rücktrittsrecht an die nicht rechtzeitige Herstellung des Werks. Verzug im Sinn der §§ 284 ff., 326 BGB ist dabei nicht erforderlich (Sen.Urt. v. 5.5.1992 - X ZR 115/90, NJW-RR 1992, 1141, 1142). Entgegen der Auffassung der Revision ist dabei nicht maßgeblich, ob der Unternehmer eine Hauptleistungspflicht nicht rechtzeitig erfüllt hat, denn anders als etwa die Regelung in § 326 BGB knüpft § 636 BGB nicht an die Leistungspflicht in einem gegenseitigen Vertrag, sondern an die (gänzliche oder teilweise) nicht rechtzeitige Herstellung des Werks und damit zunächst an die Gesamtheit der werkvertraglich geschuldeten Leistungen an. Das Rücktrittsrecht besteht unabhängig von der Einordnung als Haupt- oder Nebenleistungspflicht hinsichtlich der gesamten, noch nicht erbrachten Werkleistungen jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend - eine werkvertraglich geschuldete Leistung nicht rechtzeitig erbracht wird, auf der vom Unternehmer geschuldete weitere Leistungen aufbauen und infolge der nicht rechtzeitig erbrachten Leistung der Eintritt des vertragsgemäß geschuldeten Erfolgs gefährdet ist. Ob dies der Fall ist, hätte das Berufungsgericht schon deshalb näher prüfen müssen, weil es nach dem Vortrag des Klägers und der Streithelferin, mit dem sich das Berufungsgericht nicht im einzelnen auseinandergesetzt hat, auf die Fundamentierung für die Funktionsfähigkeit der Trennschleifmaschine wesentlich ankam.

Das Berufungsgericht zieht nicht in Zweifel, daß sich der Kläger mit seiner Erklärung vom 13. Mai 1994 von den mit der Hauptschuldnerin getroffenen Vereinbarungen (durch Rücktritt oder Kündigung) nicht nur im Umfang des zu erstellenden Fundamentplans, sondern auch wegen der Lieferung der Trennschleifmaschine lösen wollte. Hiervon ist im Revisionsverfahren deshalb auszugehen.

3. Die Revision wendet sich mit Erfolg auch gegen die weitere Begründung des Berufungsgerichts, die Fristüberschreitung sei so geringfügig gewesen, daß sie nach Treu und Glauben einem Rücktritt entgegenstehe.

a) Die Verpflichtung der Hauptschuldnerin zur Lieferung des Fundamentplans ist mit dem Abruf dieser Leistung im Februar 1994 fällig geworden. Dies ergibt sich aus den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen.

b) Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, daß der Hauptschuldnerin Frist zum 6. Mai 1994 gesetzt worden sei und daß diese am 7. Mai 1994 Pläne geliefert habe. Damit ist die Lieferung der Pläne erst nach Ablauf der gesetzten Frist erfolgt. Feststellungen, wonach die Fristsetzung unangemessen kurz gewesen wäre - worauf die Revisionserwiderung verweist - , sind nicht getroffen. Somit ist für das Revisionsverfahren von einer ausreichenden Fristsetzung auszugehen, zumal sich die Hauptschuldnerin auf die gesetzte Frist eingelassen hat, wie das Berufungsgericht ausdrücklich feststellt.

c) Das Berufungsgericht hat zu der behaupteten Mangelhaftigkeit der am 7. Mai 1994 übergebenen Pläne ausgeführt, die in ihnen enthaltenen Fehler seien so geringfügig und leicht zu beheben gewesen, daß der Kläger nach seinen eigenen Angaben im Schreiben vom 13. Mai 1994 ohne Nachbesserung kurzfristig seine verbindlichen Fundamentpläne habe erstellen können. Die Revision rügt insoweit zu Recht, daß sich das Berufungsgericht nicht mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. auseinandergesetzt hat, nach dem diese Pläne unbrauchbar waren. Soweit das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang darauf abstellt, daß es dem Kläger zuzumuten gewesen sei, die Fehler zunächst zu rügen und eventuell durch die Hauptschuldnerin kurzfristig beseitigen zu lassen, stellt dies keine hinreichende sachliche Auseinandersetzung mit dem Prozeßstoff dar (§ 286 ZPO). Daß die übergebenen Pläne erfüllungstauglich waren, hatte mangels erfolgter Abnahme die Beklagte darzulegen. Dem angefochtenen Urteil läßt sich nicht entnehmen, daß ihr dies gelungen wäre. Waren die Pläne aber unbrauchbar, kann die Fristüberschreitung nicht wegen ihrer Überlassung am 7. Mai 1994 als geringfügig angesehen werden, weil in diesem Fall die Fristüberschreitung nicht an diesem Tag endete (vgl. Sen. Urt. v. 24.11.1998 - X ZR 21/96, NJW-RR 1999, 347, 348). Auf Gewährleistungsansprüche nach §§ 633 ff. BGB mußte sich der Kläger vor Abnahme des Werks nicht verweisen lassen, wie sich aus § 636 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. und Satz 2 BGB ergibt (vgl. Sen.Urt. v. 17.2.1999 - X ZR 8/96, NJW 1999, 2046, 2047; Sen.Urt. v. 26.9.1996 - X ZR 33/94, NJW 1997, 50).

4. a) Das Berufungsgericht ist der Ansicht, einem Rücktritt des Klägers stehe entgegen, daß die Fristsetzung nicht mit einer hinreichend deutlichen Ablehnungsandrohung verbunden gewesen sei, weil sich der Kläger Schritte nur vorbehalten habe. Das ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Den rechtlichen Maßstab für die Anforderungen an die qualifizierte Fristsetzung im Sinn des § 636 BGB stellt § 634 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Danach entsteht ein Rücktrittsrecht wegen verspäteter Herstellung des Werks regelmäßig erst, nachdem dem Unternehmer eine angemessene Frist mit der Erklärung gesetzt worden ist, daß nach deren Ablauf die Leistung abgelehnt werde, und nachdem der Unternehmer die Frist ohne vollständige Herstellung des Werks hat verstreichen lassen (Sen. Urt. v. 17.12.1996 - X ZR 74/95, NJW-RR 1997, 622, 623).

b) Das Berufungsgericht meint, der "Vorbehalt" in dem Schreiben des Klägers vom 2. Mai 1994 habe nicht den Auftrag über die Trennschleifmaschine, sondern andere, nur unter Vorbehalt erteilte Aufträge betroffen. Sollte die Erklärung tatsächlich in dieser Weise zu verstehen sein, wäre es indessen nicht nachvollziehbar und als Verstoß gegen die Denkgesetze anzusehen, hieraus abzuleiten, daß hinsichtlich der geschuldeten Leistungen in bezug auf die Trennschleifmaschine keine Ablehnungsandrohung erfolgt sei, weil die Erklärung dann mit den Leistungen bezüglich dieser Maschine nichts zu tun gehabt hätte.

c) Das Berufungsgericht hat zudem, wie die Revision mit Recht rügt, den Inhalt des Schreibens vom 2. Mai 1994 nicht ausgeschöpft. Denkbar wäre auch ein Verständnis, daß sich entgegen der vom Berufungsgericht geäußerten Auffassung der "Vorbehalt" - zumindest auch - auf die geschuldeten Leistungen hinsichtlich der Trennschleifmaschine bezogen. Dann mag eine isolierte Beurteilung der Erklärung des Klägers, er behalte sich vor, Aufträge zu annullieren, hinzunehmen sein, daß damit eine hinreichend deutliche Ablehnungsandrohung nicht ausgesprochen worden sei (vgl. Staudinger/Otto aaO, § 326 BGB Rdn. 93). Jedoch hat das Berufungsgericht in seine Beurteilung, die den Umständen des Falls Rechnung tragen muß, nicht einbezogen, daß der Kläger unter graphischer Hervorhebung einen "letzten" Termin gesetzt hat, was für eine Ablehnungsandrohung sprechen konnte. Das Berufungsgericht wird bei seiner erneuten Befassung mit der Sache zu erwägen haben, daß der Ernst der Lage auch dadurch betont wurde, daß eine etwaige weitere Zusammenarbeit uneingeschränkt davon abhängig gemacht wurde, daß die Hauptschuldnerin den Vorgaben des Klägers entsprechend handelte.

III. Darauf, ob der Kläger zur außerordentlichen Kündigung berechtigt war, kommt es nur dann an, wenn ein wirksamer Rücktritt vom Vertrag nicht erfolgt ist. Das Berufungsgericht wird im wiedereröffneten Berufungsrechtzug Gelegenheit haben, diese Frage erneut unter Berücksichtigung der Einzelumstände von Verzögerung und Mangelhaftigkeit der Erstellung des Fundamentplans zu prüfen.

IV. Sollte das Berufungsgericht bei seiner erneuten Befassung wiederum zu dem Ergebnis gelangen, daß sich der Kläger nur auf § 649 BGB stützen konnte, erwiese sich der Angriff gegen die Höhe der zu berücksichtigenden Vergütungsforderung der Hauptschuldnerin als nicht begründet. Diese hat ihre Ersparnisse beziffert. Es ist grundsätzlich Sache des Bestellers, höhere Aufwendungen darzutun und zu beweisen, als sie sich der Unternehmer anrechnen läßt (Sen. Urt. v. 5.5.1992 - X ZR 133/90, NJW-RR 1992, 1077). Die Revision zeigt nicht auf, daß die Hauptschuldnerin auch im Sinn der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (u.a. BGHZ 131, 362, 365 f; BGHZ 140, 263, 265 f; Sen.Urt. v. 27.10.1998 - X ZR 116/97, NJW 1999, 418, 420) ihre Ersparnisse nicht ausreichend dargelegt hätte.

Ende der Entscheidung

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