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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 05.10.2000
Aktenzeichen: X ZR 57/98
Rechtsgebiete: BauGB, ZPO


Vorschriften:

BauGB §§ 192 ff.
ZPO § 286
ZPO § 412
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 57/98

Verkündet am: 5. Oktober 2000

Fritz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Oktober 2000 durch den Richter Dr. Jestaedt und die Richter Dr. Melullis, Scharen, Keukenschrijver und die Richterin Mühlens

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 11. Februar 1998 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Beklagte ist Sachverständiger für Grundstücksbewertung. Die Klägerin war Eigentümerin eines im Außenbereich von G. gelegenen ca. 15 ha großen Grundstücks, das von verschiedenen Nutzern mit Wochenendbungalows überbaut und erschlossen worden war. Für einen Teil des Grundstücks hatte die Stadt G. einen Bauvorbescheid erteilt. Auf Wunsch der Nutzer wollte die Klägerin das Grundstück parzellieren und zum Verkehrswert - ohne Berücksichtigung der Leistungen der Nutzer - verkaufen. Zur Ermittlung des Verkehrswerts gab die Klägerin beim Beklagten ein Bodenwertgutachten in Auftrag. Das Auftragsschreiben nebst Anlagen spricht von einem "Wertgutachten des derzeitigen Verkehrswerts"; die Anlage "Angaben zum Grundstück" enthält u.a. folgende weitere Angaben:

"12. Welche Bauleistungen sind Mietereigentum evtl. mit Wertangabe: bestehende Baulichkeiten sowie Erschließung (EH, Wasser, Abwasser) ...

17. Sonstige Hinweise: Bewertung muß als unbebaut und unerschlossen (evtl. Gartenland) mit Bebauung der Nutzer bewertet werden. ..."

Der Beklagte erstellte ein Wertgutachten, in dem er von einem Bodenrichtwert von 60,-- DM/m² (für Bauland) ausging und von dem Baulandpreis 90% abzog, womit er auf einen Wert von 6,-- DM/m² kam. Zu diesem Preis verkaufte die Klägerin einen Großteil der Fläche an die Nutzer. Nachdem die Klägerin später zu der Auffassung gelangte, daß der Bodenwert 54,-- DM/m² betrage, hat sie den Beklagten auf Zahlung der Differenz zu dem erzielten Verkaufspreis (498.864,-- DM) in Anspruch genommen. In den - sachverständig beratenen - Vorinstanzen hatte die Klage in der Hauptsache teilweise in Höhe von 166.288,-- DM Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Die Klägerin ist dem entgegengetreten.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision des Beklagten hat Erfolg.

I.1. Das Berufungsgericht hat eine Haftung des Beklagten aus positiver Vertragsverletzung des Gutachtervertrags als möglich angesehen. Dies begegnet vom rechtlichen Ausgangspunkt her keinen Bedenken (vgl. Sen. BGHZ 115, 32).

2. a) Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Beklagte habe durch zumindest fahrlässiges Außerachtlassen des Bauvorbescheids gegen seine vertragliche Pflicht zur gewissenhaften Überprüfung der Bewertungskriterien für das zu bewertende Grundstück verstoßen. Die Einordnung des Objekts als Gartenland sei schon deshalb unzutreffend gewesen, weil das Gebiet auf Grund des Vorbescheids als Bauerwartungsland einzuordnen gewesen sei; daraus habe sich ein Quadratmeterpreis von mindestens 22,-- DM ergeben müssen. Dem stehe nicht entgegen, daß es nie zur Ausführung des notwendigen Vorhaben- und Erschließungsplanverfahrens gekommen sei. Zum Zeitpunkt der Bewertung habe die tatsächliche Nutzung des Grundstücks auf Grund der Erschließung in greifbarer Nähe gelegen. Der Bauvorbescheid stelle einen Verwaltungsakt dar, der nicht als nichtig anzusehen gewesen sei. Dem stehe nicht entgegen, daß der Beklagte ausdrücklich dazu beauftragt gewesen sein wolle, das Grundstück bei der Bewertung als Gartenland zu behandeln. Hiergegen stehe bereits der eindeutige Wortlaut des Auftragsschreibens. Nach Nr. 17 habe die Bewertung nicht zwingend als Gartenland erfolgen sollen. Der eindeutige Wortlaut des schriftlichen Auftrags stehe auch gegen den Vortrag des Beklagten, ihm sei auf nochmalige Nachfrage vom Sachbearbeiter der Klägerin erklärt worden, der Bewertungsmaßstab "Gartenland" sei auf jeden Fall dem Gutachten zugrunde zu legen. Der Vortrag habe aber auch deshalb unberücksichtigt bleiben müssen, weil der Beklagte trotz ausdrücklichen Hinweises nicht hinreichend dargelegt habe, wann konkret die behauptete Vorgabe erfolgt sein solle.

b) Dies greift die Revision im Ergebnis mit Erfolg an.

aa) Allerdings kann ihr nicht darin beigetreten werden, daß die Einordnung des zu bewertenden Gebiets durch das Berufungsgericht als Bauerwartungsland fehlerhaft sei. Das Berufungsgericht hat wesentlich die vorhandene Erschließung und den Bauvorbescheid herangezogen. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Selbst wenn der Bauvorbescheid rechtswidrig gewesen sein sollte, was das Berufungsgericht offenläßt, entfaltete er im Rahmen seines Regelungsumfangs mit Ausnahme der Baufreigabe dieselben Wirkungen wie eine Baugenehmigung (BGHZ 105, 52, 54 f. m.w.N.). Darauf, ob einer Bebauung des Grundstücks sonst baurechtliche Bestimmungen oder öffentliche Belange entgegenstanden, brauchte das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revision nicht entscheidend abzustellen.

Damit gehen auch die Rügen fehl, der gerichtliche Sachverständige habe unrichtige Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt und es sei nach § 412 ZPO ein neues Gutachten einzuholen.

bb) Die Revision verweist weiter darauf, daß der Beklagte wiederholt unter Beweisantritt vorgetragen habe, der Sachbearbeiter H. habe ihm in den Beratungen ausführlich erläutert, aus welchem Grund die Bewertung als unbebaut und unerschlossen bzw. als Gartenland zu erfolgen habe. Dieser Vortrag sei geeignet gewesen, eine Bewertung als Gartenland als richtig unter Beweis zu erstellen. Hierzu habe der Zeuge H. vernommen werden müssen. Auf den genauen Zeitpunkt der Vorgabe sei es nicht angekommen.

Dieser Rüge kann der Erfolg nicht versagt bleiben.

Es bestehen schon im Hinblick auf den zivilrechtlichen Grundsatz der Vertragsfreiheit keine durchgreifenden Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Vereinbarung, ein Verkehrswertgutachten abweichend von Vorgaben des öffentlichen Baurechts, insbesondere der §§ 192 ff. BauGB und der Wertermittlungsverordnung, zu erstellen. Demgemäß konnte die Klägerin beim Beklagten ein Gutachten in Auftrag geben, das auf einen bestimmten, tatsächlich nicht vorhandenen Erschließungszustand und auf eine bestimmte, tatsächlich ebenfalls nicht bestehende bauplanungsrechtliche Qualität des zu bewertenden Grundstücks abstellte. Daß dies geschehen sei, hat der Beklagte vorgetragen und durch Vernehmung des Zeugen H. unter Beweis gestellt.

Das Berufungsgericht hat den angebotenen Beweis nicht erhoben, ist aber gleichwohl von einem anderen Vertragsinhalt ausgegangen. Dies verstößt gegen die Bestimmung des § 286 ZPO. Daß sich aus den schriftlichen Unterlagen nach Auffassung des Berufungsgerichts ein bestimmter Vertragsinhalt ergab, steht der Annahme nicht entgegen, daß sich entsprechend der Behauptung des Beklagten unter Berücksichtigung mündlicher Erläuterungen ein abweichender Inhalt ergeben konnte.

Das Berufungsgericht durfte das Beweisangebot nicht mit der Begründung zurückweisen, der Beklagte habe nicht dargelegt, wann konkret die behauptete Vorgabe erfolgt sei. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als entstanden erscheinen zu lassen (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 12.7.1984 - VII ZR 123/83, NJW 1984, 2888 f.; Urt. v. 15.2.1990 - III ZR 87/88, VersR 1990, 656 f.; Urt. v. 12.10.1990 - V ZR 111/89, WM 1991, 237 f., jeweils m.w.N.). Der Pflicht zur Substantiierung ist nur dann nicht genügt, wenn das Gericht auf Grund dieser Darstellung nicht beurteilen kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind (Sen.Urt. v. 29.9.1992 - X ZR 84/90, NJW-RR 1993, 189 m.w.N.). Das unter Beweis gestellte Geschehen konnte im Fall seines Nachweises, insbesondere in Verbindung mit der Vertragsklausel unter Nr. 17, eine Vertragsauslegung nahelegen, nach der der Beklagte gehalten war, bei seiner Begutachtung auf andere Kriterien abzustellen als auf die Vorgaben des baurechtlichen Bewertungsrechts. Dabei kommt es, worauf die Revision zutreffend hinweist, nicht auf die genaue zeitliche Einordnung der behaupteten Besprechung an.

Infolge des Übergehens des Beweisangebots fehlt es an einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage für die vom Berufungsgericht vorgenommene Vertragsauslegung. Das entzieht der angefochtenen Entscheidung, die sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend erweist, die Grundlage. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.

II. 1. Das Berufungsgericht wird, sofern es nicht bereits auf Grund neuerlicher Vertragsauslegung zu dem Ergebnis kommen sollte, daß das erstellte Gutachten den vertraglichen Vorgaben entsprach, den Zeugen H. zu vernehmen und unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag erneut auszulegen haben. Sofern es daraufhin zu dem Ergebnis gelangen sollte, daß der Beklagte das Grundstück als Gartenland zu bewerten hatte, wird es erneut zu prüfen haben, ob das erstellte Gutachten dieser vertraglichen Vorgabe entsprach. Sofern es - auch unter Berücksichtigung der Vertragsklausel unter Nr. 17 - wiederum zu dem Ergebnis gelangen sollte, daß sich die Bewertung an den Vorgaben des öffentlichen Baurechts zu orientieren hatte, beständen entgegen der Auffassung der Revision allerdings keine durchgreifenden Bedenken dagegen, daß sich die Klägerin auf eine Fehlbewertung berufen dürfte. Es gelingt der Revision nämlich nicht aufzuzeigen, woraus sich - im Sinn der Verwirkungsgrundsätze - ein Vertrauenstatbestand zugunsten des Beklagten ergeben sollte.

2. Ebensowenig greifen die Angriffe der Revision gegen eine Ursächlichkeit einer etwaigen Fehlbewertung für einen Vermögensschaden bei der Klägerin durch. Hätte - wie insoweit zu unterstellen ist - der Beklagte das Grundstück nicht zu niedrig bewertet, hätte die Klägerin nicht Teilflächen zu einem unter dem Wert liegenden Preis verkauft. Davon, daß die Klägerin auf jeden Fall und auch zu einem unangemessen niedrigen Preis das Grundstück weggeben wollte, spricht nichts; die diesbezügliche Annahme der Revision ist nicht durch Tatsachenvortrag gestützt.

3. Sofern sich ergeben sollte, daß der Beklagte Vertragspflichten verletzt hat, wird auch die Annahme des Berufungsgerichts, daß der Beklagte fahrlässig gehandelt habe, weil er den Bauvorbescheid nicht eingesehen habe, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sein. Selbst wenn der Vorbescheid rechtswidrig gewesen wäre, hätte dies nicht dessen Wirkungslosigkeit zur Folge. Schon seine Existenz konnte auf die Bewertung Einfluß haben.

4. Bedenken begegnet indessen die Verneinung eines Mitverschuldens der Klägerin. Zwar kann in der Regel ein Mitverschulden nicht daraus hergeleitet werden, daß der Auftraggeber einen Fehler des Gutachters nicht erkennt (BGH, Urt. v. 2.11.1983 - IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355, 357). Dies gilt allerdings nicht ohne weiteres, wenn ungewöhnliche Abweichungen vom Marktpreis vorliegen (BGH aaO.). Der ersichtlich ungewöhnliche Bewertungsabschlag von 90 % hätte die Klägerin zu einer weiteren Aufklärung veranlassen müssen. Dies gälte um so mehr, wenn die Klägerin durch unklare Vorgaben an den Beklagten die Gefahr einer Fehlbewertung mit herbeigeführt haben sollte, wofür schon die genannten Vertragsklauseln sprechen könnten.



Ende der Entscheidung

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