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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.12.2008
Aktenzeichen: X ZR 89/07
Rechtsgebiete: EPÜ, PatG


Vorschriften:

PatG § 3
EPÜ Art. 54
a) Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt wird (Fortführung des Sen. Urt. v. 16.12.2003 - X ZR 206/98, GRUR 2004, 407 - Fahrzeugleitsystem).

b) Offenbart kann auch dasjenige sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt ist, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf, sondern "mitgelesen" wird. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt jedoch keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient, nicht anders als die Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, lediglich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (Fortführung von BGHZ 128, 270 - Elektrische Steckverbindung).

c) Mit der Offenbarung einer chemischen Strukturformel sind die unter diese Formel fallenden Einzelverbindungen grundsätzlich noch nicht offenbart (Fortführung von BGHZ 103, 150 - Fluoran).


Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat

auf die mündliche Verhandlung vom 16. Dezember 2008

durch

den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,

die Richterin Mühlens und

die Richter Prof. Dr. Meier-Beck, Asendorf und Gröning

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 4. Juni 2007 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Gerichtskosten des Rechtsstreits und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten haben die Klägerinnen und die Streithelferinnen der Klägerin zu 1 zu tragen. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen die Klägerinnen und die Streithelferinnen jeweils selbst.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte ist Inhaberin des am 24. April 1991 unter Inanspruchnahme einer britischen Priorität vom 25. April 1990 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 454 436, das 22 Patentansprüche umfasst, von denen die Ansprüche 2, 6, 8, 20 und 21 wie folgt lauten:

2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepine or a pharmaceutically acceptable acid addition salt thereof.

The use of a compound according to claim 2 or 3 for the manufacture of a medicament for the treatment of schizophrenia.

The use of a compound according to claim 2 or 3 for the manufacture of a medicament for the treatment of acute mania.

A process for producing a compound according to claim 1, which comprises reacting N-methylpiperazine with a compound of the formula in which Q is a radical capable of being split off, or ringclosing a compound of the formula

A compound of the formula in which Q is -NH2, -OH or -SH, and when Q is -NH2 salts thereof.

Wegen des Wortlauts der übrigen Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerinnen machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig.

Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie den Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.

Die Klägerinnen sowie die Streithelferinnen der Klägerin zu 1, die dem Verfahren im zweiten Rechtszug beigetreten sind, treten dem Rechtsmittel entgegen.

Als gerichtlicher Sachverständiger hat Professor Dr. Michael Müller, Inhaber des Lehrstuhls für Pharmazeutische und Medizinische Chemie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, in der mündlichen Verhandlung ein Gutachten erstattet.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat Erfolg und führt zur Abweisung der Klage. Das Patentgericht hat das Streitpatent zu Unrecht für nichtig erklärt.

I.

Das Streitpatent betrifft (in der vom Patentgericht und den Parteien verwendeten Nomenklatur) die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin mit dem Freinamen Olanzapin, ihre Verwendung als Arzneimittel insbesondere als Antipsychotikum zur Behandlung von Schizophrenie und akuter Manie und ein Verfahren zur Herstellung dieser Verbindung.

Die Streitpatentschrift schildert, dass seit der Einführung von Antipsychotika zur Behandlung von Störungen des Zentralnervensystems therapiebedingte extrapyramidale Symptome (Störungen der extrapyramidalen motorischen Nebenbahnen des zentralen Nervensystems) beobachtet würden, zu denen Parkinsonismus, akute dystonische Reaktionen, Akathisie, tardive Dyskenisie und tardive Dystonie gehörten. Starke extrapyramidale Symptome träten etwa bei dem häufig angewandten Haloperidol auf.

Aus der großen Gruppe trizyklischer Verbindungen sei Clozapin mit dem Anspruch eingeführt worden, frei von solchen extrapyramidalen Wirkungen zu sein. Die Verbindung verursache jedoch bei einigen Patienten Agranulozytose, eine lebensbedrohliche Verringerung der Zahl weißer Blutkörperchen. Die Strukturformel von Clozapin ist die Folgende:

Die Streitpatentschrift erörtert sodann eine Gruppe von Thienobenzodiazepinen, die im britischen Patent 1 533 235 (Anl. K 2) beschrieben sei. Die Verbindung 7-Fluor-2-methyl-10-(4-methyla-piperazinyl)-4H-thieno[2,3-b][1,5]-benzodiazepin (Flumezapin) aus dieser Gruppe sei bis zur klinischen Anwendung an Schizophreniepatienten entwickelt worden. Jedoch habe die klinische Phase wegen mögliche Toxizität anzeigender erhöhter Enzymgehalte beendet werden müssen. Hinsichtlich der Tendenz zu einem erhöhten Leberenzymgehalt ähnele Flumezapin dem Antipsychotikum Chlorpromazin, das seit längerem verwandt werde, dessen Sicherheit jedoch in Frage gestellt sei.

Flumezapin hat die Strukturformel:

Aus dieser Kritik am Stand der Technik und der vorgeschlagenen Lösung ergibt sich als das mit den Mitteln des Streitpatents zu lösende technische Problem, eine weitere Verbindung zur Verfügung zu stellen, die als Antipsychotikum wirksam ist, keine extrapyramidalen Symptome erzeugt und in möglichst wenigen Fällen andere gravierende Nebenwirkungen hat.

Dieses Problem soll durch die Verbindung Olanzapin mit der folgenden Strukturformel gelöst werden:

Olanzapin hat somit wie Clozapin und Flumezapin eine trizyklische Grundstruktur mit einem zentralen Diazepinring (B) und einem ("linken") Phenylring (A); der dritte ("rechte") Ring (C), der bei Clozapin wie der linke ein Phenylring ist, wird bei Olanzapin wie bei Flumezapin durch einen Thiophenring mit einem Methylrest (Thienylring) gebildet. Wie bei Clozapin und Flumezapin ist an den Diazepinring in Position 4 ein Piperazinring mit einem an das Stickstoffatom bindenden Methylrest (Piperazinylring) angebunden. Anders als Clozapin und Flumezapin ist der Phenylring (A) bei Olanzapin weder in Position 7 noch in Position 8 halogeniert.

Nach den Angaben der Streitpatentschrift hat Olanzapin überraschende und exzellente Ergebnisse bei Screeningtests zur Untersuchung der Aktivität im zentralen Nervensystem gezeigt. Die Verbindung habe sich als wirksamer Dopamin-Antagonist erwiesen und bei der klinischen Evaluierung bei - mit geringerem Nebenwirkungsrisiko verbundenen - niedrigen Dosierungen hohe antipsychotische Wirkung gezeigt.

II.

Das Patentgericht hat angenommen, der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 9 sei nicht neu, da durch den Aufsatz "4-Piperaninyl-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepines as Potential Neuroleptics" von Chakrabarti et al in Journal of Medicinal Chemistry (J. Med. Chem.) 1980, 878 (Anl. K 4, Chakrabarti 1980) vorweggenommen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Gegenstand der (Olanzapin und seine Säureadditionssalze betreffenden) Patentansprüche 1 bis 3 ist weder durch die Entgegenhaltung Chakrabarti 1980 noch sonst im Stand der Technik offenbart.

1.

Zur Begründung seiner Auffassung hat das Patentgericht ausgeführt:

Die chemische Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin sei in K 4 zwar nicht expressis verbis beschrieben. Der Offenbarungsgehalt einer vorveröffentlichten Druckschrift umfasse aber auch solche Abwandlungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so dass er sie gewissermaßen in Gedanken gleich mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist. Diese Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHZ 128, 270, 276 f. - Elektrische Steckverbindung) seien auch im Bereich der Stoffchemie mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine chemische Verbindung dann offenbart sei, wenn dem Fachmann ein konkreter Hinweis auf die betreffende Verbindung vermittelt werde, er also diese Verbindung in Gedanken ohne weiteres mitlese und aufgrund dieses Hinweises ohne weiteres in die Lage versetzt werde, den betreffenden Stoff in die Hand zu bekommen (BGHZ 103, 150 - Fluoran; Sen.Urt. v. 30.5.1978 - X ZR 16/76, GRUR 1978, 696 - ?-Aminobenzylpenicillin).

Bei der Druckschrift K 4 handele es sich um eine wissenschaftliche Abhandlung, die sich ausweislich ihres Titels mit 4-Piperazinyl-10H-thieno[2,3-b] [1,5]benzodiazepinen als potentiellen Neuroleptika befasse. Das Potential dieser Titelverbindungen zur Anwendung als neuroleptische Wirkstoffe werde exemplarisch anhand von Versuchen mit insgesamt 45 Verbindungen am Tier aufgezeigt und außerdem mit Verbindungen davon zum Teil erheblich abweichender Struktur sowie mit als therapeutisch wirksam anerkannten Standardverbindungen verglichen. Im Textteil setze sich die Druckschrift im Wesentlichen mit der Beziehung zwischen Struktur und Wirkung (structureactivity relationship, SAR) von 4-Piperazinyl-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen auseinander; daneben werde auch deren chemische Synthese beschrieben.

Ausgehend von der bereits im Titel benannten Verbindungsgruppe werde der Leser zu der erheblich enger gefassten, besonders bevorzugten pharmakologischen Leitstruktur der Formel I mit ihren beiden variablen Resten R1 und R2, dem eigentlichen Ziel der Studie, hingeführt (S. 878 re. Sp. unten i. V. m. S. 879 re. Sp. "4'-(N-Methylpiperazinyl) compounds are most active"). Tatsächlich stünden damit nicht 4-Piperazinyl-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepine allgemein, sondern speziell die 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3b] [1,5]benzodiazepine der Formel I mit den beiden variablen Resten R1 und R2 im Fokus der SAR-Studie. Der aufmerksame Leser könne deshalb auch nicht diejenigen Textstellen übersehen, in denen ausgehend von der vorangestellten Textstelle "4'-(N-Methylpiperazinyl) compounds are most active" zum Rest R1 der Formel I festgestellt werde, dass die Substitution des Phenylrings in Position 7, d.h. der Ersatz des Wasserstoffatoms in 7-Position durch ein Halogenatom (Cl, F) die Aktivität verbessere. Zum variablen Rest R2 werde des Weiteren ausgeführt, dass ein kurzkettiger Alkylrest (Me, Et, i-Pr) als Substituent in Position 2 des Thiophenrings die Aktivität zu erhöhen scheine. Diese Aussagen zur Relation zwischen Struktur und Wirkung (SAR) innerhalb der Gruppe der 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepine der Formel I basierten auf den Messwerten am Tier betreffend die Verbindungen der Tabelle 1, soweit sich diese auf die Formel I bezögen (Verbindungen 6 bis 30), in denen für R1 in 7-Position u.a. H, Cl, F und für R2 in 2-Position H, Me, Et, i-Pr stünden.

Die Offenbarung zu den Verbindungen der Formel I beschränke sich damit ersichtlich nicht auf die expressis verbis genannten Verbindungen 6 bis 30. Vielmehr stünden die aufgelisteten Verbindungen lediglich exemplarisch für sämtliche, unter Berücksichtigung der verschiedenen Bedeutungen der Reste R1 und R2 unter die allgemeine Formel I fallenden Verbindungen mit der Konsequenz, dass die stoffliche Lehre der K 4 sämtliche Verbindungen der Formel I einbeziehe, die sich aus der Kombination von in der Beschreibung oder in der Tabelle explizit genannten Substituenten R1 und R2 zwanglos ergäben, und zwar davon insbesondere diejenigen, die den exemplarisch tatsächlich hergestellten und auf ihre neuroleptische Aktivität hin untersuchten Verbindungen strukturell unmittelbar benachbart seien. Darüber hinaus werde anhand der Beschreibung aus dem stofflich und zahlenmäßig überschaubaren Kollektiv von Verbindungen der Formel I mit den beiden variablen Resten R1 und R2, das in der Tabelle 1 exemplarisch anhand der Verbindungen 6 bis 30 dargestellt sei, insbesondere jene sehr kleine Gruppe von Verbindungen näher identifiziert, deren Gruppenmitglieder in 7-Position Wasserstoff, Fluor oder Chlor und in 2-Position Wasserstoff, Methyl, Ethyl oder Isopropyl aufwiesen, und dadurch gegenüber anderen Verbindungen der Formel I sowie der Tabelle 1 deutlich hervorgehoben. Aus dieser sehr kleinen Gruppe von lediglich zwölf Verbindungen stelle 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin damit eine bereits aus der K 4 unmittelbar zu entnehmende Ausführungsform der pharmakologischen Leitstruktur der allgemeinen Formel I mit der Bedeutung R1 = Wasserstoff in 7-Position und R2 = Methyl in 2-Position dar. Beide Substituenten seien als individuelle Substituenten expressis verbis genannt und in der Kombination 7-H, 2-CH3 als unmittelbar benachbart zu gleich drei expressis verbis beschriebenen Verbindungen, nämlich Nr. 6 (7-H, 2-C2H5), Nr. 8 (7-F, 2-H) sowie Nr. 9 (7-F, 2-CH3) ohne Weiteres mitzulesen. Zwischen diesen drei unmittelbar benachbarten Verbindungen finde sich quasi eine durch die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin aufzufüllende Lücke oder, photographisch betrachtet, das "Negativ" dieser Verbindung, welches es lediglich zu kopieren gelte.

Damit hat das Patentgericht den Bereich des durch Chakrabarti 1980 Offenbarten verkannt.

2.

Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt wird (Sen. Urt. v. 16.12.2003 - X ZR 206/98, GRUR 2004, 407, 411 - Fahrzeugleitsystem; Benkard/Melullis, EPÜ, Art. 54 Rdn. 54; PatG, 10. Aufl., § 3 Rdn. 20 f.). Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen kann oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen (allgemeinen) Lehre entnimmt. In der Rechtsprechung des Senats und der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts wird dies auch dahin ausgedrückt, dass maßgeblich ist, was aus fachmännischer Sicht einer Schrift "unmittelbar und eindeutig" zu entnehmen ist (BGHZ 148, 383, 389 - Luftverteiler; Sen. Urt. v. 14.10.2003 - X ZR 4/00, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit; Sen. Urt. v. 30.1.2008 - X ZR 107/04, GRUR 2008, 597 Tz. 17 - Betonstraßenfertiger; EPA (GrBK) Amtsbl. 2001, 413 = GRUR Int. 2002, 80; EPA GRUR Int. 2008, 511 - Traction sheave elevator/KONE; s. dazu auch Benkard/Melullis, EPÜ aaO Rdn. 59; Rogge, GRUR 1996, 931, 934).

Hierzu steht es nicht in Widerspruch, dass der Senat insbesondere im Hinblick auf den Zweck der (gesonderten) Neuheitsprüfung, Doppelpatentierungen zu vermeiden, eine Ausdehnung des neuheitsschädlich Offenbarten über den "reinen Wortlaut" hinaus für unabdingbar gehalten hat (BGHZ 128, 270, 277 - Elektrische Steckverbindung). Die Erfassung desjenigen, was in den Merkmalen des Patentanspruchs und im Wortlaut der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Sicht des Fachmanns jedoch nach seinem allgemeinen Fachwissen für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich oder unerlässlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf (BGHZ 128, 270, 276) , zielt nicht auf eine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern, nicht anders als bei der Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, auf die Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (Benkard/Melullis aaO Rdn. 75). Nichts anderes gilt für die in der Entscheidung "Elektrische Steckverbindung" weiterhin in den Offenbarungsgehalt einbezogenen Abwandlungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so dass er sie gewissermaßen in Gedanken gleich mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist (BGHZ 128, 270, 276 f.) . Das Wort "naheliegen" mag in diesem Zusammenhang vordergründig auf den Äquivalenzbereich hinweisen. Der Begriff des Mitlesens macht jedoch deutlich, dass es nicht um die Einbeziehung von Austauschmitteln geht, sondern darum, die technische Information, die der Fachmann durch eine Schrift erhält, in ihrer Gesamtheit zu erfassen (vgl. Rogge, GRUR 1996, 931, 935). Abwandlungen und Weiterentwicklungen dieser Information gehören ebenso wenig zum Offenbarten wie diejenigen Schlussfolgerungen, die der Fachmann kraft seines Fachwissens aus der erhaltenen technischen Information ziehen mag (Benkard/Melullis, EPÜ, aaO Rdn. 68, 71, 77; PatG, aaO Rdn. 35 f.; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 3 Rdn. 100).

Diese Grundsätze gelten, wie das Patentgericht insoweit zutreffend angenommen hat, auch im Bereich der Stoffchemie und insbesondere auch bei der Beurteilung des Informationsgehalts einer Strukturformel. Dass eine chemische Verbindung unter eine vorveröffentlichte Formel fällt, besagt deshalb für die Offenbarung der konkreten Verbindung ebenso wenig wie der Umstand, dass die konkrete Ausführungsform einer Vorrichtung unter einen allgemein formulierten Vorrichtungsanspruch fällt, etwas über die Offenbarung dieser konkreten Ausführungsform aussagt (BGHZ 103, 150, 157 - Fluoran). Maßgeblich ist vielmehr, ob die konkrete Verbindung offenbart wird. Dazu bedarf es Angaben, die den Fachmann ohne weiteres in die Lage versetzen, die eben diese chemische Verbindung betreffende Erfindung auszuführen, d.h. den betreffenden Stoff in die Hand zu bekommen (BGH aaO).

Hierbei darf, wiederum nicht anders als bei Vorrichtungspatenten, die Fähigkeit des Fachmanns, mit Hilfe bekannter Verfahren und seines sonstigen Fachwissens eine mehr oder weniger große Anzahl von Einzelverbindungen herzustellen, die unter eine offenbarte Strukturformel fallen, nicht mit der Offenbarung dieser Einzelverbindungen gleichgesetzt werden (Sen. Urt. v. 30.9.1999 - X ZR 168/96, GRUR 2000, 296, 297 - Schmierfettzusammensetzung). Vielmehr stellen die Einzelverbindungen, jedenfalls regelmäßig, Nutzanwendungen der technischen Information dar, die dem Fachmann durch die Offenbarung der Strukturformel oder sonst einer allgemeineren Formel gegeben wird. Durch deren Mitteilung sind die darunter fallenden einzelnen Verbindungen als solche nicht offenbart; um sie dem Fachmann im Sinne der Neuheitsprüfung "in die Hand zu geben", bedarf es in der Regel weitergehender Informationen insbesondere zu ihrer Individualisierung. Soweit der noch zum Patentgesetz 1968 ergangenen Entscheidung "Fluoran", in der der Senat sich im Rechtsbeschwerdeverfahren an die Feststellung des Patentgerichts gebunden gesehen hat, dem Fachmann seien durch eine allgemeine Formel fast 2000 unter die betreffende Formel fallende Einzelverbindungen als herstellbar offenbart, etwas anderes zu entnehmen sein sollte, wird daran für das geltende Recht nicht festgehalten. Als offenbart kann eine nicht ausdrücklich genannte Einzelverbindung vielmehr nur dann gelten, wenn der Fachmann sie im vorstehend ausgeführten Sinne "mitliest", etwa weil sie ihm als die übliche Verwirklichungsform der genannten allgemeinen Formel geläufig ist und sich ihm daher sofort als jedenfalls auch gemeint aufdrängt, wenn er die allgemeine Formel liest.

Der Senat sieht sich mit dieser allgemeinen Beurteilung des Offenbarungsgehalts chemischer Formeln im Wesentlichen in Einklang mit der - auch vom High Court für England und Wales (Floyd J.) in dem das Streitpatent betreffenden Nichtigkeitsverfahren zugrunde gelegten ([2008] EWHC 2345 (Pat)) - Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, nach der nur solche technische Lehren neuheitsschädlich sind, die einen Stoff als zwangsläufiges Ergebnis eines vorbeschriebenen Verfahrens oder in spezifischer, d.h. individualisierter, Form offenbaren (Amtsbl. 1982, 296 - Diastereomere/BAYER; Amtsbl. 1984, 401 - Spiroverbindungen/CIBA GEIGY; Amtsbl. 1988, 381 - Xanthines/DRACO; Amtsbl. 1990, 195 - Enantiomere/HOECHST; Entscheidung vom 19.2.2003 - T 940/98 - Diastereomere des 3-Cephem-4-carbonsäure-1-(isopropoxycarbonyloxy)ethylesters/HOECHST).

3.

Für den Streitfall folgt hieraus:

Chakrabarti 1980 gibt mit der nachfolgend wiedergegebenen Formel I auf S. 878 unten eine Strukturformel für 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepine mit den Substituenten R1 und R2 an.

Es kann offenbleiben, ob diese Formel, obwohl die Schrift keine ausdrücklichen Substituentenlisten enthält, aufgrund der in Tabelle 1 aufgeführten, von den Verfassern tatsächlich verwendeten Substituenten als sogenannte Markush-Formel gelesen werden kann, bei der R1 Wasserstoff, Fluor oder Chlor und R2 Wasserstoff, Methyl, Ethyl oder Isopropyl sein kann. Denn die erfindungsgemäße Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno [2,3-b][1,5]benzodiazepin, bei der R1 Wasserstoff und R2 Methyl ist, ist damit noch nicht offenbart. Sie ist lediglich eine von zwölf Verbindungen, die der Fachmann, ein mit Pharmakologen und Medizinern zusammenarbeitender erfahrener organischer oder pharmazeutischer Chemiker, bei der gedanklichen Aufstellung der Substituentenlisten als unter die allgemeine Formel fallend erkennen kann. Sie ist aber weder in Tabelle 1 der Schrift als von den Verfassern hergestellte Einzelverbindung aufgeführt, noch im Text der Abhandlung an irgendeiner Stelle erwähnt.

Es lässt sich auch nicht sagen, dass der Fachmann die individuelle Verbindung gleichwohl "mitlese". Das würde voraussetzen, dass sich dem Fachmann beim Lesen der Strukturformel und der (gedachten) Substituentenlisten sogleich die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b] [1,5]benzodiazepin als gemeint aufdrängt. Dafür gibt es weder im Vorbringen der Parteien einen Anhalt, noch haben hierfür die erst- und die zweitinstanzliche Beweisaufnahme etwas erbracht.

Die Erwägungen des Patentgerichts tragen diese Annahme ebenfalls nicht. Sie befassen sich, ausgehend von der Formel I und dem Hinweis "4'-(N-Methylpiperazinyl) compounds are most active" mit der Frage, inwieweit der Fachmann Veranlassung hat, sich außer den hergestellten und diskutierten Einzelverbindungen auch mit 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno [2,3-b][1,5]benzodiazepin zu befassen. Das Patentgericht sieht dies deshalb als veranlasst an, weil die Substituenten R1 = H in 7-Position und R2 = CH3 in 2-Position als individuelle Substituenten expressis verbis genannt und in der Kombination 7-H, 2-CH3 unmittelbar benachbart zu gleich drei ausdrücklich beschriebenen Verbindungen, nämlich Nr. 6 (7-H, 2-C2H5), Nr. 8 (7-F, 2-H) sowie Nr. 9 (7-F, 2-CH3) seien. Damit hat das Patentgericht jedoch den Bereich der Ermittlung der Offenbarung der Vorveröffentlichung verlassen und sich der Frage zugewandt, was den Fachmann dazu veranlassen (oder möglicherweise auch drängen) könnte, eine weitere "Ausführungsform" der in Formel I definierten Gruppe von 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen in den Blick zu nehmen und damit, wie es das Patentgericht ausgedrückt hat, eine "Lücke" in der Tabelle 1 der Schrift zu füllen. Eine solche Untersuchung ist indessen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit vorbehalten.

Dass sich das Patentgericht bei seiner Untersuchung außerhalb des Offenbarungsgehalts der Veröffentlichung bewegt, wird auch daran deutlich, dass sich die Füllung der vermeintlichen Lücke in Tabelle 1 gar nicht bewerkstelligen ließe, ohne die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin zunächst herzustellen und sodann mit ihr diejenigen Versuche auszuführen, die die Verfasser der Abhandlung mit den von ihnen synthetisierten Verbindungen durchgeführt haben. Denn über die in der Tabelle ausgewiesenen experimentellen Werte wie die CAR- und CAT-Werte für Olanzapin könnte der Fachmann nur spekulieren.

4.

Ebenso wenig ist Olanzapin in der britischen Patentschrift 1 533 235 (Anl. K 2), der dieser Patentschrift zugrunde liegenden Anmeldung 51 240 (Anl. K 35) oder einer der weiteren, auf diese Prioritätsanmeldung zurückgehenden Patentanmeldungen und Patentschriften (der deutschen Offenlegungsschrift 25 52 403 [Anl. RA 1], dem deutschen Patent 25 52 403 [Anl. RA 2 = Anl. N 10] und dem US-Patent 4 115 574 [Anl. K 10]) offenbart. Die in diesen Vorveröffentlichungen enthaltenen allgemeinen Formeln sind jeweils noch weit breiter gefasst als in der Abhandlung Chakrabarti 1980; 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin ist weder hergestellt noch sonst erwähnt worden.

Nichts anderes gilt, soweit die britische Patentanmeldung als "preferred compounds falling within the scope of compounds defined in any of formulae (I) - (VII) above ... those having one or more of the following charakterictics" erwähnt und unter den insgesamt 14 "Charakteristika" unter die Strukturformeln II oder V, von denen die Formel II das Ringsystem von Olanzapin mit den Substituenten R1 und R2 des Benzolrings und den Substituenten R5 des Diazepinrings aufweist, R1 und R2 mit Wasserstoff, R5 als eine Gruppe der Formel N N - R6 wobei R6 Methyl, Carbothoxy oder Phenyl, insbesondere o-Methoxyphenyl ist, den Thiophenring als durch eine C1-4-Alkylgruppe wie Ethyl substituiert angibt. Kombiniert man diese "Charakteristika", ist zwar Olanzapin eine der unter diese Kombination fallenden Verbindungen. Dies ändert aber nichts daran, dass die Verbindung als solche nicht offenbart ist und erst erhalten wird, wenn nicht nur die "Charakteristika" J, E, I und K kombiniert werden, sondern auch bei I und K jeweils Methyl ausgewählt wird. Entsprechend verhält es sich bei den Patentansprüchen 2 und 3 des deutschen Patents 25 52 403, die auf Thieno[1,5]benzodiazepine der allgemeinen Formel I' nach Anspruch 1 gerichtet sind, worin R1 und R2 unabhängig voneinander jeweils Wasserstoff, Halogen oder C1-4-Halogenalkyl bedeuten und Y (richtig: R5) eine Gruppe der Formel N N - R6 ist, wobei R6 Methyl bedeutet, und der Thiophenring durch eine C1-4-Alkylgruppe substituiert ist.

Auch die Erwähnung von 2-Ethyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin ("Ethyl-Olanzapin") als erste der für "besonders bevorzugte Verbindungen" genannten mehr als 70 Beispiele (GB 51 240 A, S. 8 Z. 20; DE 25 52 403 C2 S. 7 Z. 15-17) ändert daran nichts. Ein Ethyl-Substituent ist aus fachmännischer Sicht kein Methyl-Substituent; der Austausch einer Alkylgruppe gegen eine andere ist vielmehr eine Abwandlung der Verbindung, die gegebenenfalls naheliegen oder sich auch geradezu aufdrängen mag, aber nicht Inhalt der Offenbarung einer bestimmten Alkylverbindung ist. Dies gilt zumal im pharmazeutischen Kontext, in dem dem Fachmann, wie der Gutachter Prof. Dr. D der Beklagten unwidersprochen dargelegt hat (Anl. B 51, S. 4) und das Gutachten bestätigt, das Prof. Dr. Dr. Mutschler für die Streithelferin zu 2 der Klägerin zu 1 erstattet hat (Anl. RA 3, S. 2 f.), eine Reihe von Verbindungen bekannt sind, die trotz identischer Struktur aufgrund ihrer unterschiedlichen Methyl- bzw. Ethylseitenketten deutlich unterschiedliche biologische Aktivität zeigen.

5.

Schließlich ist Olanzapin auch nicht in der Abhandlung "A Free-Wilson Study of 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepine Analogues" von Schauzu und Mager (Pharmazie 38 [1983], 562, Anl. K 6) offenbart.

Bei einer Free-Wilson-Analyse handelt es sich um ein mathematisches Verfahren zur Ermittlung des quantitativen Gewichts, das ein einzelner Substituent einer Verbindung an einer gegebenen biologischen Aktivität dieser Verbindung hat.

In Tabelle 1 der Abhandlung sind zwar für die analysierte Verbindung 11 als Substituenten R1 und R2 Wasserstoff und Methyl genannt. Die der Tabelle vorangestellte Strukturformel zeigt jedoch keine Piperazinyl-, sondern Piperidinylverbindungen. Es besteht somit ein Widerspruch zwischen Strukturformel und Titel der Arbeit. Der Fachmann wird zumindest aus diesem Grund die in der Arbeit von Schauzu und Mager zitierte Referenz für die zugrunde gelegten experimentellen Daten zu Rate ziehen. Dabei handelt es sich um die Arbeit "Effects of Conformationally Restricted 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepine Neuroleptics on Central Dopaminergic and Cholinergic Systems" von Chakrabarti et al. in J. Med. Chem. 1982, 1133 (Anl. B 41, Chakrabarti 1982). Dieser Abhandlung ist auf S. 1135 die - dem Titel der Arbeit von Schauzu entsprechende - Strukturformel für die untersuchten 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepine zu entnehmen. Die Verbindungen 1 bis 12 sowie die Vergleichsverbindungen Clozapin und Haloperidol sind - in anderer Reihenfolge - identisch mit den von Schauzu analysierten; die experimentellen IC50-Werte bei Chakrabarti 1982 entsprechen, wie die Beklagte unwidersprochen dargetan hat, (bis auf zwei Rundungsfehler) umgerechnet den Werten in der Spalte "log I50 obtd." bei Schauzu. Aus fachmännischer Sicht ergibt sich somit, dass die fehlerhafte Strukturformel bei Schauzu in Übereinstimmung mit der Strukturformel bei Chakrabarti 1982 zu korrigieren ist.

Die Strukturformel in Tabelle 1 bei Chakrabarti 1982 zeigt aber auch, dass der linke Phenylring einen Halogensubstituenten in Gestalt eines 7-Fluorrestes trägt, der bei der ohnehin fehlerhaften Darstellung bei Schauzu am linken Rand der Textspalte "abgeschnitten" ist. Die als Nr. 11 bei Schauzu offenbarte Verbindung ist somit nicht Olanzapin, sondern Flumezapin.

III.

Verhandlung und Beweisaufnahme haben auch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Gegenstand des Streitpatents dem Fachmann am Prioritätstag durch die Schrift Chakrabarti 1980 oder auf andere Weise nahegelegt war.

1.

Von Chakrabarti und seinen Mitautoren wird dargelegt, dass bis vor kurzem angenommen worden sei, das Auftreten extrapyramidaler Nebenwirkungen stehe in engem Zusammenhang mit der therapeutischen Wirksamkeit von Neuroleptika. Inzwischen gehe man jedoch davon aus, dass die extrapyramidalen Symptome durch eine Blockade der Dopaminrezeptoren im Striatum hervorgerufen werde, während die antipsychotische Wirkung durch eine ähnliche Interaktion in der mesolimbischen Hirnregion bedingt sei. Daraus wird die Erwartung abgeleitet, dass eine Verbindung mit einer spezifischeren Wirkung auf die dopaminergen Rezeptoren im mesolimbischen System eine geringere Katalepsie bei Tieren bewirken und auch beim Menschen weniger extrapyramidale Symptome hervorrufen werde.

Es werden sodann die mit Clozapin gemachten Erfahrungen erörtert. In diesem Zusammenhang heißt es, jüngste Studien deuteten darauf hin, dass Clozapin - wie nach dem Vorstehenden wünschenswert - im mesolimbischen System aktiver als im striatalen sei. Clozapin unterscheide sich chemisch von anderen Neuroleptika der Dibenzozepinreihe durch eine Substitution mit einem Chloratom in Position 8 (Ring A), jedoch nicht in Position 2 (Ring C). Hingegen verhalte sich sein Ring-C-substituiertes 2-Chlor-Isomer wie ein klassisches Neuroleptikum. Ähnliche Veränderungen des Aktivitätsprofils seien auch für Octoclothepin und Doclothepin berichtet worden. Für die tiefgreifende Veränderung der Aktivität durch die Transposition der Halogensubstitution gebe es keine eindeutige Erklärung.

Die Autoren bilden vor diesem Hintergrund die Hypothese, dass die Ursache für die unterschiedliche Aktivität darin liegen könne, dass die Verschiebung der nuklearen Substitution zu einem elektronischen Ungleichgewicht zwischen den beiden Benzolringen des asymmetrischen trizyklischen Systems führe. Da ähnliche Effekte durch geeignete Heteroarengruppen an Stelle eines Benzolrings erzielt werden könnten, sei es interessant zu untersuchen, ob Verbindungen wie diejenigen der Formel I, bei der der Benzolring C durch einen relativ elektronenreichen Thiophenring ersetzt werde, zu einer ähnlichen biologischen Reaktion wie nichtklassische Neuroleptika (wie Clozapin) führten.

Diesem Ziel dient die Synthese einer Reihe von 4-substituierten 10H-Thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen und deren Vergleich mit bekannten Antipsychotika, über die nachfolgend berichtet wird. Dazu wird einleitend weiter erläutert, dass bei den synthetisierten Verbindungen Modifikationen an den Substituenten des Phenylrings und des Thiophenrings sowie geeignete Veränderungen der basischen Seitenkette vorgenommen worden seien, um den Zusammenhang zwischen Struktur und Aktivität zu untersuchen. Die neuroleptische Aktivität sei anhand der Fähigkeit beurteilt worden, bei Mäusen eine Hypothermie zu produzieren und bei Ratten eine konditionierte Vermeidungsreaktion (conditioned avoidance response, CAR) zu blockieren und eine Katalepsie (CAT) hervorzurufen.

Die insgesamt 59 synthetisierten Verbindungen und die für diese ermittelten CAR- und CAT-Werte werden in Tabelle 1 wiedergegeben und in dem Kapitel "Structure-Activity Relationships" diskutiert. Es wird dabei als (aufgrund der ermittelten Daten) evident bezeichnet, dass ein basischer und in Position 4 mit dem Thienobenzodiazepinring verbundener Piperanzinring unerlässlich sei.

Am aktivsten seien 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen. Eine höhere Alkylsubstitution (Et, n-Pr) (Verbindungen 31 bis 33) bewirke eine Reduktion der Aktivität. Dagegen behielten die Verbindungen 34 bis 36 mit 4'-[N-(Hydroxyalkyl)]-gruppen (2-Hydroxyethyl, 3-Hydroxypropyl) eine gute Aktivität. Die Substitution des Phenylrings mit einem Halogenatom (Cl, F) in Position 7 verstärkte die Aktivität. Obwohl die 7,8-Difluorverbindung (Verbindung 29) eine gute Aktivität behalten habe, zeigten die 8-Fluor- und 6,8-Difluor-Positionsisomerverbindungen (27 und 30) eine verminderte Aktivität. Das 8-Methyl-Derivat (28) weise eine mittlere Aktivität auf, wohingegen die Substitution in Position 7 mit NO2, SCH3, SO2CH3 und SO2N(CH3)2 (23 bis 26) keinen Vorteil ergeben habe. Eine kurze Alkylsubstitution (Me, Et, i-Pr) in Position 2 des Thiophenrings scheine die Aktivität zu erhöhen. Verbindungen mit einer sperrigen t-Bu-Gruppe oder einer langen n-Hexankette in dieser Position oder mit 3-Methyl- oder 2,3-Dialkylsubstituenten zeigten nur eine minimale Aktivität. Von den beiden Umsetzungsprodukten, die durch Oxidation der Ethylseitenkette von Verbindung 12 entstanden seien, habe Verbindung 15 mit einer 1'-Hydroxylethylkette eine mittelmäßige Aktivität behalten, während die andere Verbindung (16) mit einer elektronenziehenden Acetylgruppe inaktiv gewesen sei.

Die berichteten Tests korrelierten mit der Fähigkeit der Verbindung, Dopaminrezeptoren zu blockieren. Einige Verbindungen, z.B. 9, 12, 17, 29 und 34, hätten sich als aktiver als Clozapin erwiesen und eine ähnliche, wenn auch weniger deutliche Trennung der Aktivität im CAR- und CAT-Test gezeigt. Dieses Aktivitätsprofil erfordere, so resümieren die Autoren, eine weitere Entwicklung dieser Klasse von Verbindungen.

2.

Die Autoren finden somit grundsätzlich die Hypothese bestätigt oder jedenfalls nicht widerlegt, sondern eine weitere Untersuchung rechtfertigend, dass Verbindungen wie diejenigen der Formel I, bei der der Benzolring C durch einen relativ elektronenreichen Thiophenring ersetzt ist, zu einer ähnlichen biologischen Reaktion wie Clozapin oder andere nichtklassische Neuroleptika führen (können). Die Verbindungen 9 (= Flumezapin), 12, 17, 29 und 34 werden dafür ausdrücklich nur als Beispiele genannt. Da 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen als die aktivsten bezeichnet werden, mag dem Patentgericht in der Annahme gefolgt werden, dass der Fachmann, der der Frage nach einer Clozapin-Alternative weiter nachgehen will, Veranlassung hat, sich insbesondere diesen Verbindungen zuzuwenden. Gleichwohl liegt hierin ein erster nicht ganz selbstverständlicher Schritt, da er zum einen voraussetzt, dass der Fachmann überhaupt Chakrabarti 1980 zum Ausgangspunkt weiterer Bemühungen wählt, und zum anderen die Formel I auf S. 878 unten nur beispielhaft genannt wird ("such as I") und die linke Strukturformel in der Oberzeile der Tabelle 1 (zu der die synthetisierten Verbindungen 1-45 gehören) erheblich weiter ist und insgesamt 1.452 Verbindungen umfasst.

Diese erste Auswahlentscheidung kann auch nicht mit der Erwägung vernachlässigt werden, dass der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit stets der nächstkommende Stand der Technik zugrunde zu legen wäre und dieser hier in den von Chakrabarti beschriebenen 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen oder gar einer bestimmten Verbindung aus dieser Gruppe läge. Ein solcher Vorrang des "nächstkommenden Standes der Technik" besteht nicht. Erst aus rückschauender Sicht wird erkennbar, welche Vorveröffentlichung der Erfindung am nächsten kommt und wie der Entwickler hätte ansetzen können, um zu der erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen. Die Wahl des Ausgangspunktes bedarf daher der Rechtfertigung, die in der Regel in dem Bemühen des Fachmanns liegt, für einen bestimmten Zweck eine bessere Lösung zu finden, als sie der bekannte Stand der Technik zur Verfügung stellt.

Bei den 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen handelt es sich immer noch um eine relativ große Gruppe von Verbindungen, von denen 24 synthetisiert worden sind (Verbindungen 6 bis 30), die jedoch, schon wenn nur die in Tabelle 1 aufgeführten Substituenten berücksichtigt werden, insgesamt (11 x 11 =) 121 Verbindungen umfasst (vgl. Gutachten Prof. Dr. Kleemann [Anl. RA 5, S. 2] und Gutachten Prof. Dr. Ritter [Anl. RA 8, S. 3 f.]). Um 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin als einen Kandidaten für die Synthetisierung und weitere CAR- und CAT-Tests nahezulegen, bedürfte es daher zusätzlicher Hinweise, die dem Fachmann innerhalb der Gruppe der 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen eine Eingrenzung der Kandidaten nach Kriterien erlauben, die 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin einschließen. Solche Hinweise zur Eingrenzung einer engeren Gruppe interessanter Verbindungen sind Chakrabarti 1980 auch zu entnehmen. Sie schließen jedoch Olanzapin nicht ein.

Die maßgeblichen Hinweise hat das Patentgericht bereits herausgearbeitet: Sie ergeben sich aus der Bewertung, dass die Substitution des Phenylrings mit einem Halogenatom (Cl, F) in Position 7 die Aktivität verstärkt habe, sowie aus dem vorsichtiger formulierten Hinweis, dass eine kurze Alkylsubstitution (Me, Et, i-Pr) in Position 2 des Thiophenrings die Aktivität zu erhöhen scheine. Der Fachmann wird damit zu den Verbindungen mit einem Halogenatom, namentlich einem Fluoratom, in Position 7 hingelenkt. Andere Substituenten in Position 7 werden als ungünstiger bezeichnet, lediglich von der Verbindung 29 mit dem Substituenten 7,8-F2 heißt es, dass er eine gute Aktivität behalten habe (CAR 3 [10], CAT 3 [25]; in eckigen Klammern ist die Dosierung in Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht angegeben: der CAT-Wert wird somit erst bei dem 2,5 fachen der für den CAR-Wert 3 notwendigen Dosierung erreicht). Die Verbindungen mit nicht halogeniertem Benzolring (6 und 7) werden gar nicht erst erwähnt. Dass sie ähnlich der 7,8-Difluorverbindung wenigstens eine gute Aktivität zeigen, erschließt sich dem Fachmann nicht. Chakrabarti 1980 setzt dafür einen CAR-Wert von 3 voraus, wie sich außer an der Verbindung 29 auch daran zeigt, dass die als beispielhaft für mögliche interessante Verbindungen genannten sämtlich einen CAR-Wert von 3 oder 4 (sowie ein günstiges CAR-CAT-Verhältnis) aufweisen. Für die nichthalogenierte (im Übrigen aber mit einem Ehthylrest am Thiophen der fluorsubstituierten Verbindung 12 entsprechende) Verbindung 6 ist jedoch lediglich ein CAR-Wert von 2 [10] (bei CAT 1 [16]) angegeben, der CAR-Wert für die Verbindung 7 ist 0 [10]; sie ist daher auf den CAT-Wert nicht getestet worden.

Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass der CAR-Wert ein relativ grobes Raster darstelle. Ein Wert von 2 bedeutet, wie Chakrabarti et al. in Fußnote d erläutern, eine Hemmung von 31 bis 50 % des erlernten Verhaltens zur Vermeidung eines unangenehmen Reizes, ein Wert von 3 entspricht einer Hemmung von 51 bis 75 %. Wenn daher, wie die Gutachter Dr. E (Anl. B 53, S. 8), Prof. Dr. G (Anl. B 55, S. 3) und Prof. Dr. H (Anl. B 56, S. 2 f.) unwidersprochen ausgeführt haben, eine Hemmung von 70 bis 80 % für wichtig gehalten worden ist, lag ein CAR-Wert von 2 deutlich außerhalb desjenigen Bereichs, der dem nacharbeitenden Fachmann nach den gegebenen Informationen für weitergehende Forschungen interessant und erfolgversprechend erscheinen musste.

An diesem Befund ändert es auch nichts, dass Chakrabarti et al. die kurze Alkylsubstitution in Position 2 des Thiophenrings, die die Aktivität zu erhöhen "scheine", nicht ausdrücklich zu der Halogenierung des Aromaten in Beziehung setzen. Denn da von den 48 synthetisierten 4-Piperazinylthieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen in Tabelle 1 überhaupt nur zehn keinen Substituenten am Aromaten haben und bei acht von diesen zehn wiederum der Substituent in Position 2 des Thiophenrings Ethyl ist, wird, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, aufgrund der durchweg schlechten Aktivität dieser Verbindungen und mangels Vergleichswerten zu nicht alkylsubstituierten Verbindungen ersichtlich, dass die Vermutung von der günstigen Wirkung der kurzen Alkylsubstitution in Position 2 des Thiophenrings auf die Testergebnisse der halogenierten Verbindungen gestützt ist (vgl. auch Gutachten Prof. Dr. D, Anl. B 51, S. 5).

So zutreffend daher der Hinweis der Klägerinnen und ihrer Streithelferinnen ist, dass die Untersuchung primär nicht auf die Auswirkung der Halogenierung des Benzolrings, sondern auf die Auswirkung eines elektronenreichen Rings wie des Thiophenrings auf das Aktivitätsprofil angelegt ist, so wenig kann außer Betracht bleiben, dass die Ergebnisse der Untersuchung die halogensubstituierten Verbindungen - in Übereinstimmung mit der Bedeutung, die im Prioritätszeitpunkt auch sonst elektronenziehenden Substituenten, wie sie Chlorpromazin, Haloperidol und auch Clozapin haben, häufig beigemessen worden ist (vgl. Kaiser/Setler in Burger's Medicinal Chemistry, 4. Aufl. [Anl. E 16], S. 912; gutachtliche Äußerung Dr. E [Anl. E 18], S. 5 mit Literaturzitaten; gutachtliche Äußerung Prof. Dr. H [Anl. B 52], S. 3; gutachtliche Äußerung Prof. N [Anl. E 12] Tz. 26 ff.; gutachtliche Äußerung Prof. Dr. O [Anl. K 25], S. 4) - als diejenigen ausweisen, die vornehmlich weitere Aufmerksamkeit verdienen.

Zwar mag der Fachmann einen solchen Fokus nicht für zwingend halten. Sieht man von ihm ab, gibt es aber auch keinen zureichenden Grund, sich auf 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen zu beschränken. Denn auch diese werden zwar als die aktivsten bezeichnet, Alternativen sind deswegen jedoch nicht von vornherein zu verwerfen. Dies wird schon dadurch deutlich, dass die Verbindung 34, bei der R = (CH2)2OH und R1 wiederum Wasserstoff ist und die einen CAR-Wert von 4 [20] bei einem CAT-Wert von 2 [20] aufweist, ebenfalls zu den von den Autoren im Resümee als ein Beispiel für die weiterer Entwicklung bedürftige Stoffgruppe bezeichnet wird.

3.

Auch unter Berücksichtigung der übrigen in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen ist der Gegenstand des Streitpatents nicht nahegelegt. Was Hinweise anbelangt, die den Fachmann dazu veranlassen könnten, insbesondere der Gruppe der 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen weiter nachzugehen und diese Gruppe nach Kriterien einzugrenzen, die 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin einschließen, gehen die britische Patentschrift 1 533 235 (K 2) und die weiteren, auf die dieser Patentschrift zugrunde liegende Prioritätsanmeldung zurückgehenden Schriften (die deutsche Offenlegungsschrift 25 52 403 [Anl. RA 1], das deutsche Patent 25 52 403 [Anl. RA 2 = Anl. N 10] und das US-Patent 4 115 574 [Anl. K 10]) über Chakrabarti 1980 nicht hinaus. Auch der gerichtliche Sachverständige hat hierfür keinen Anhaltspunkt gesehen. Der europäischen Patentanmeldung 354 781 (Anl. K 30), die keine Thieno-, sondern Thiazolobenzodiazepine betrifft, und der US-Patentschrift 4 216 148 (Anl. K 34), bei deren Verbindungen der Thienoring nicht substituiert ist, ist dazu ebenfalls nichts Weiterführendes zu entnehmen.

4.

Die Patentansprüche 4 bis 19 werden von der Patentfähigkeit des Gegenstands der Patentansprüche 1 bis 3 getragen.

IV.

Auch im Umfang der Patentansprüche 20 bis 22 liegen die Voraussetzungen für eine Nichtigerklärung des Streitpatents nicht vor.

1.

Das Patentgericht hat hierzu ausgeführt: Die Herstellung von 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin erschließe sich dem fachkundigen Leser unmittelbar aus dem in Anl. K 4 (Chakrabarti 1980) angegebenen Syntheseschema I in Verbindung mit Tabelle II sowie den Ausführungen in den Abschnitten "Chemistry" und "Experimental Section". Demnach sei auch eine Zwischenverbindung mit R1 = H in Position 7 des Phenylrings sowie mit R2 = CH3 in Position 2 des Thienylrings als 4-Keto- bzw. in tautomerer Form als 4-Hydroxy-Zwischenverbindung in der Tabelle II mitzulesen. Dass anstelle der 4-Keto-Zwischenverbindungen ebenso deren 4-Thio-Derivate herstellbar und als Zwischenverbindungen geeignet seien, lasse sich dem experimentellen Teil der K 4 direkt entnehmen. Entsprechendes gelte für ein über diese Zwischenverbindungen führendes Verfahren. In der Bedeutung Q = NH2 sei die 4-Amino-Zwischenverbindung gemäß Patentansprüchen 21 und 22 zwar aus der K 4 nicht expressis verbis zu entnehmen. Sie sei jedoch dem Fachmann als offensichtliche Vorstufe einer 4-Keto-Verbindung ohnehin geläufig. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die Herstellbarkeit des 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepins mit den angegebenen Arbeitsweisen nicht ohne Weiteres gegeben sein sollte. Denn die nicht fluorierte Verbindung Nr. 60 aus Tabelle II weise in Position 2 des Thienylrings anstelle der Methylgruppe die strukturell nächstkommende homologe Ethylgruppe auf, so dass in Analogie dazu weder an der Verfügbarkeit der erforderlichen unsubstituierten bzw. anstelle von Ethyl durch Methyl substituierten Edukte noch an dem Gelingen der chemischen Synthese zu den entsprechenden Endprodukten gemäß dem in K 4 angegebenen Syntheseverfahren A auch nur der geringste Zweifel bestehe.

2.

Diese Ausführungen tragen aus den zu II 3 ausgeführten Gründen nicht die Annahme, das erfindungsgemäße Verfahren sei durch Chakrabarti 1980 vorweggenommen. Sie rechtfertigen aber auch nicht die Annahme, das Verfahren habe für den Fachmann nahegelegen. Ihm mag zwar die theoretische Möglichkeit zur Verfügung gestanden haben, mit den Angaben bei Chakrabarti zum Herstellungsverfahren und zu den dabei erhältlichen Zwischenprodukten auch 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b] [1,5]benzodiazepin herzustellen. Nahegelegt war das Verfahren aber erst dann, wenn für den Fachmann auch Veranlassung zu der Herstellung von 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin bestand. Dies war, wie ausgeführt, im Prioritätszeitpunkt nicht der Fall.

Für die Zwischenprodukte des Verfahrens gilt Entsprechendes.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. § 91 Abs. 1, § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 2 ZPO (vgl. Sen. Urt. v. 16.10.2007 - X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 Tz. 44 - Sammelhefter II).

Ende der Entscheidung

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