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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 26.01.1999
Aktenzeichen: X ZR 92/93
Rechtsgebiete: PatG a.F., ZPO


Vorschriften:

PatG a.F. § 110 Abs. 3
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 91 Abs. 1.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 92/93

Verkündet am: 26. Januar 1999

Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in der Patentnichtigkeitssache

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 1999 durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Dr. Jestaedt, Dipl.-Ing. Frhr. v. Maltzahn, Scharen und Keukenschrijver

für Recht erkannt:

1. Auf die Anschlußberufung der Klägerin und unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten zu 1 wird das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats II) des Bundespatentgerichts vom 10. März 1993 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Das deutsche Patent 34 34 351 wird für nichtig erklärt.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte zu 1. Im übrigen bleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.

Tatbestand:

Die Beklagten sind eingetragene Inhaber des deutschen Patents 34 34 351 (Streitpatent), das am 19. September 1984 angemeldet worden ist.

Das Streitpatent umfaßt sieben Patentansprüche, von denen die Ansprüche 1-3 ein Jacquard-Doppelplüschgewebe, die Ansprüche 4-6 ein Verfahren zur Herstellung des Gewebes und Anspruch 7 eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens betreffen.

Die das Jacquard-Doppelplüschgewebe betreffenden Patentansprüche 1-3 haben folgenden Wortlaut:

1. Jacquard-Doppelplüschgewebe mit Ein-Schuß-Polbindung und Einzelfach-Schußeintrag, insbesondere als Doppelteppichplüsch,

gekennzeichnet durch

auf die Ober- und Unterware (1, 2) eingewebte tote Chore (8, 9).

2. Doppelplüschgewebe nach Anspruch 1,

dadurch gekennzeichnet,

daß die Bindung in Ober- und Unterware (1, 2) abwechselnd nur jeweils gleichzeitig die toten Chore (8, 9) einbindende und Polfäden (3) aufspannende Unter- und Oberschüsse (6, 7) aufweist.

3. Doppelplüschgewebe nach Anspruch 1 oder 2,

dadurch gekennzeichnet,

daß der jeweils außenliegende, d.h. der Polseite der Ware gegenüberliegende Schußfaden etwa doppelt so dick wie der auf der Polseite liegende Schußfaden ist.

Die Verfahrensansprüche 4-6 lauten:

4. Verfahren zum Herstellen eines Jacquard-Doppelplüschgewebes nach einem oder mehreren der Ansprüche 1-3,

gekennzeichnet durch

Polbindung an jedem Schuß (6, 7) in Ober- und Unterware (1, 2) mit Hilfe eines gesonderten (Jacquard-) Kartenblattes für jeden Schuß (6, 7) zum Steuern aller Chore bei der Ein-Schuß-Polbindung.

5. Verfahren nach Anspruch 4,

dadurch gekennzeichnet,

daß die polbildenden und die nicht polbildenden Chore bzw. Kettfäden willkürlich über oder unter den jeweiligen Schußfäden bewegt werden.

6. Verfahren zum Herstellen des Jacquard-Doppelplüschgewebes nach einem oder mehreren der Ansprüche 1-3,

dadurch gekennzeichnet,

daß eine Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschine eingesetzt wird.

Der Vorrichtungsanspruch 7 hat folgenden Wortlaut:

7. Vorrichtung zum Durchführen der Verfahren nach Anspruch 4 oder 5,

dadurch gekennzeichnet,

daß bei Einsatz einer Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschine mit jeder einzelnen Platine zugeordneter, am freien Ende eine Pollitze tragender Harnischschnur an jede Platine eine Hubrolle (Rollenzug) angehängt, die zugehörige Harnischschnur über die Hubrolle geführt und mit ihrem ihrer Pollitze gegenüberliegenden Ende fest mit dem Maschinenrahmen verbunden ist.

Die Klägerin hat in erster Instanz zunächst die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents beantragt. Im Anschluß an eine vom Bundespatentgericht durchgeführte Beweisaufnahme hat sie die Klage teilweise zurückgenommen und das Streitpatent nur noch im Umfang der Patentansprüche 1 und 2 sowie der auf diese Ansprüche zurückbezogenen Ansprüche 4-7 angegriffen. Außerdem hat sie die Beschränkung des Anspruchs 3 auf ein "Jacquard-Doppelteppichplüschgewebe" beantragt. Wegen der Formulierung der Klageanträge wird auf die Anlage zum Sitzungsprotokoll des Bundespatentgerichts vom 10. März 1993 Bezug genommen.

Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent teilweise für nichtig erklärt, soweit es über folgende Patentansprüche hinausgeht:

1. Jacquard-Doppelteppichplüschgewebe mit Ein-Schuß-Polbindung und Einzelfach-Schußeintrag,

dadurch gekennzeichnet,

daß die toten Chore (8, 9) verteilt auf die Ober- und Unterware (1, 2) eingewebt sind, daß die Bindung in Ober- und Unterware (1, 2) abwechselnd nur jeweils gleichzeitig die toten Chore (8, 9) einbindende Polfäden (3) aufspannende Unter- und Oberschüsse (6, 7) aufweist, und daß der jeweils außenliegende, d.h. der Polseite der Ware gegenüberliegende Schußfaden etwa doppelt so dick wie der auf der Polseite liegende Schußfaden ist.

2. Verfahren zum Herstellen eines Jacquard-Doppelteppichplüschgewebes nach Anspruch 1,

gekennzeichnet durch

Polbindung an jedem Schuß (6, 7) in Ober- und Unterware (1, 2) mit Hilfe eines gesonderten (Jacquard-) Kartenblattes für jeden Schuß (6, 7) zum Steuern aller Chore bei der Ein-Schuß-Polbindung.

3. Verfahren nach Anspruch 2,

dadurch gekennzeichnet,

daß die polbildenden und die nicht polbildenden Chore bzw. Kettfäden willkürlich über oder unter den jeweiligen Schußfäden bewegt werden.

4. Verfahren zum Herstellen des Jacquard-Doppelteppichplüschgewebes nach Anspruch 1,

dadurch gekennzeichnet,

daß eine Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschine eingesetzt wird.

5. Vorrichtung zum Durchführen des Verfahrens nach Anspruch 2 oder 3,

dadurch gekennzeichnet,

daß bei Einsatz einer Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschine mit jeder einzelnen Platine zugeordneter, am freien Ende eine Pollitze tragender Harnischschnur an jede Platine eine Hubrolle (Rollenzug) angehängt, die zugehörige Harnischschnur über die Hubrolle geführt und mit ihrem ihrer Pollitze gegenüberliegenden Ende fest mit dem Maschinenrahmen verbunden ist.

Gegen das Urteil des Bundespatentgerichts hat nur der Beklagte zu 1 Berufung eingelegt. Die Beklagte zu 2, eine in Israel ansässige Gesellschaft, ist im Verlauf des Berufungsverfahrens in Konkurs gefallen. Ausweislich der amtlichen Bescheinigung des "Official Receiver" des Staates Israel sind die Rechtsanwälte Y. C. und O. B. als "Administrators" (Konkursverwalter) der Beklagten zu 2 bestellt worden. Diese haben das unterbrochene Verfahren aufgenommen und Patentanwalt Dipl.-Ing. B. als Bevollmächtigten bestellt.

Der Beklagte zu 1 verteidigt das Streitpatent im Berufungsrechtszug in erster Linie mit folgenden Patentansprüchen:

1A. Jacquard-Doppelteppichplüschgewebe mit Ein-Schuß-Polbindung und Einzelfach-Schußeintrag,

gekennzeichnet durch

verteilt auf die Ober- und Unterware (1, 2) eingewebte tote Chore (8, 9), wobei die Bindung in Ober- und Unterware (1, 2) abwechselnd nur jeweils gleichzeitig die toten Chore (8, 9) einbindende und Polfäden (3) aufspannende Unter- und Oberschüsse (6, 7) aufweist, und durch Polbindung an jedem Schuß (6, 7) in Ober- und Unterware (1, 2) mit Hilfe eines gesonderten (Jacquard-) Kartenblattes für jeden Schuß (6, 7) zum Steuern aller Chore bei der Ein-Schuß-Polbindung, wobei die polbildenden und die nicht polbildenden Chore bzw. Kettfäden willkürlich über oder unter den jeweiligen Schußfäden bewegt werden.

2A. Jacquard-Doppelteppichplüschgewebe nach Anspruch 1A,

dadurch gekennzeichnet,

daß der jeweils außen liegende, d.h. der Polseite der Ware gegenüberliegende Schußfaden etwa doppelt so dick wie der auf der Polseite liegende Schußfaden ist.

3A. Verfahren zum Herstellen des Jacquard-Doppelteppichplüschgewebes nach Anspruch 1A oder 2A,

dadurch gekennzeichnet,

daß eine Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschine eingesetzt wird.

4A. Vorrichtung zum Durchführen des Verfahrens nach Anspruch 3A,

dadurch gekennzeichnet,

daß bei Einsatz einer Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschine mit jeder einzelnen Platine zugeordneter, am freien Ende eine Pollitze tragender Harnischschnur an jede Platine eine Hubrolle (Rollenzug) angehängt, die zugehörige Harnischschnur über die Hubrolle geführt und mit ihrem ihrer Pollitze gegenüberliegenden Ende fest mit dem Maschinenrahmen verbunden ist.

Hilfsweise verteidigt der Beklagte zu 1 den Patentanspruch 1 in folgender Fassung, bei der die zusätzlich eingefügten Worte diesseits unterstrichen sind:

1. Jacquard-Doppelteppichplüschgewebe mit Ein-Schuß-Polbindung und Einzelfach-Schußeintrag, mit verteilt auf die Ober- und Unterware (1, 2) eingewebten toten Choren (8, 9), wobei die Bindung in Ober- und Unterware (1, 2) abwechselnd nur jeweils gleichzeitig die toten Chore (8, 9) einbindende Polfäden (3) aufspannende Unter- und Oberschüsse (6, 7) aufweist, und mit Polbindung an jedem Schuß (6, 7) in Ober- und Unterware (1, 2) mit Hilfe eines gesonderten (Jacquard-) Kartenblattes für jeden Schuß (6, 7) zum Steuern aller Chore bei der Ein-Schuß-Polbindung, wobei die polbildenden und die nicht polbildenden Chore bzw. Kettfäden zur Vermeidung von Mischkonturen willkürlich über oder unter den jeweiligen Schußfäden bewegt werden.

Diesem Anspruch sollen sich die unveränderten Ansprüche 2A bis 4A des Hauptantrages anschließen.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung. Im Wege der Anschlußberufung beantragt sie die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents, weil sie dessen Lehre nicht für schutzfähig hält.

Der Beklagte zu 1 beantragt die Zurückweisung der Anschlußberufung.

Der Senat hat Zeugenbeweis darüber erhoben, ob der "Weave Catalogue 1983" der Klägerin (Anl. NK 10) vor dem Anmeldetag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich war und ob die Zeichnungen gemäß den Anlagen NK 24a-c vor dem Prioritätstag des Streitpatents von der Klägerin an interessierte Personen ohne Geheimhaltungsverpflichtung herausgegeben worden sind.

Der als gerichtliche Gutachter bestellte Prof. Dr.-Ing. B. W. hat ein schriftliches Gutachten und ein schriftliches Ergänzungsgutachten erstellt, die er in der mündlichen Verhandlung erläutert, vertieft und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:

Auf die Anschlußberufung der Klägerin war das deutsche Patent 34 34 351 (Streitpatent) in vollem Umfang für nichtig zu erklären, weil es nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Die Berufung des Beklagten zu 1 war infolgedessen zurückzuweisen.

I. Das Streitpatent betrifft ein Jacquard-Doppelplüschgewebe, insbesondere ein Jacquard-Doppelteppichplüschgewebe, sowie ein Verfahren zur Herstellung dieses Gewebes und eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens.

Bei Doppelplüschgeweben, das sind Gewebe, die unter anderem bei der Herstellung von Webteppichen eingesetzt werden, werden zwei Gewebebahnen übereinander gewebt, die durch (zusätzlich und gleichzeitig) eingewebte Polfäden miteinander verbunden sind. Im fertigen Doppelgewebe werden die (senkrechten) Polfäden zwischen Ober- und Unterware durchschnitten. Es entstehen so zwei Gewebebahnen mit einseitig aufstehenden Fäden, dem sogenannten Flor. In einem Arbeitsgang können so zwei spiegelbildlich gegenüberliegende Teppiche gefertigt werden.

Als eine besonders einfache Technik, die auf normalen Hochfach-Jacquard-Maschinen eingesetzt werden kann, nennt die Streitpatentschrift die Ein-Schuß-Polbindung unter Einzelfach-Schußeintrag. Die Warenoberfläche wird hierbei durch Noppenreihen gebildet, die jeweils nur von einem Schuß getragen werden, wobei die Schußfäden abwechselnd in das Ober- und Untergewebe eingetragen werden. Jede Noppe in der Ober- und Unterware ist dabei durch einen Schuß in den Bindeketten eingebunden. Ein-Schuß-Polbindung bedeutet, daß jeder Schuß einen Polfaden (= Florfaden) aufspannt. Unter Einzelfach-Schußeintrag ist zu verstehen, daß jeweils nur ein einziges Fach gebildet wird, in welchem abwechselnd der Schuß für das Obergewebe und der Schuß für das Untergewebe eingetragen wird.

Diese bekannte Technik hat nach Angaben der Streitpatentschrift Nachteile, denn es entstehen zwei nicht gleichwertige Teppiche, weil auf der Rückseite der sogenannten Unterware die zur Musterbildung nicht benötigten Polkettfäden, die sogenannten toten Chore anliegen ("flottieren"). Diese toten Chore müssen in einem gesonderten Verfahren entfernt werden. Liegen sie auf der Schauseite der Unterware, werden sie ausgekämmt, liegen sie auf der Geweberückseite der Unterware, werden sie abgekratzt, wodurch der sogenannte Abkratzteppich entsteht. Dieser ist deshalb nicht so hochwertig wie der aus der Oberware hergestellte Teppich, weil durch das Entfernen der toten Chore, das heißt durch das Herausziehen von halben Polfäden (Noppen) an den Polwechselstellen im Untergewebe Fehlstellen entstehen. Im übrigen entsteht durch das Auskämmen oder Wegkratzen ein Verlust wertvollen Materials.

Die Streitpatentschrift teilt mit, daß dieser Nachteil unter Beibehaltung eines Einzelfach-Schußeintrags, also eines einzigen Fachs, in welches alternierend der Schuß für das Obergewebe und der Schuß für das Untergewebe eingetragen wird, durch eine Drei-Schuß-Polbindung vermieden werden könne. Obwohl auch bei dieser Bindung die toten Chore auf der Rückseite der Unterware wegzukratzen seien, entstünden dort keine Fehlstellen. Der Gewinn dieser Bindung werde allerdings durch den Verlust wertvollen Materials erkauft.

Weil bei den Ein-Schuß-Polbindungen die auf dem Rücken der Unterware flottierenden toten Chore nur als Abfallmaterial zu verwerten seien, sei die ebenfalls durch Einzelfach-Schußeintrag zu webende Zwei-Schuß-Bindung entwickelt worden, bei welcher die toten Chore verteilt auf die Ober- und Unterware eingewebt würden. Dadurch würde sich allerdings die Tourenzahl der einsetzbaren normalen Hochfach-Maschine gegenüber der Ein-Schuß-Bindung etwa halbieren.

Zur Leistungssteigerung habe man daher verschiedene Arten des Webens mit Doppelfach-Schußeintrag eingesetzt. Bei der einfachsten Art der durch Doppelfach-Schußeintrag gewebten Zwei-Schuß-Bindung träten jedoch beim Durchweben Mischkonturen und beim Halbdurchweben Stehflor und Spreiznoppen und damit eine unruhige Oberseite auf. Deshalb sei man auf die Drei-Schuß-Bindung mit Doppelfach-Schußeintrag übergegangen. Bei dieser Webtechnik werde zwischen die zwei Schüsse der Zwei-Schuß-Bindung noch ein dritter Schuß eingefügt, der die toten Chore an der Unterseite des Teppichs abdecke. Dadurch ist in der gesamten Struktur der Bindung eine Bildung von Mischkonturen nicht mehr möglich. In der Streitpatentschrift wird erläutert, daß diese Technik zwar ein gutes Ergebnis liefere, aber nur eine geringe Produktion erlaube, weil zum Bilden einer Flornoppe drei Schüsse benötigt würden.

Die Streitpatentschrift will ein ähnlich gutes Ergebnis wie bei der durch Doppelfach-Schußeintrag zu webenden Drei-Schuß-Bindung mit einer durch Einzelfach-Schußeintrag herzustellenden Ein-Schuß-Polbindung erreichen. Bei der erfindungsgemäßen Bindung soll ein Durchdrücken der toten Chore vermieden werden, es sollen keine Mischkonturen vorkommen, die Zahl der Schüsse pro Flornoppe soll auf ein Minimum herabgesetzt werden und es sollen auf der Vorder- und Rückseite von Ober- und Unterware klare Bilder entstehen. Um dies zu erreichen, sollen bei einer Ein-Schuß-Polbindung mit Einzelfach-Schußeintrag die toten Chore auf die Ober- und Unterware verteilt eingewebt werden.

Nach dem in erster Linie verteidigten Patentanspruch 1A, der aus einer Zusammenziehung von Merkmalen der erteilten Patentansprüche 1, 2, 4 und 5 gebildet ist, soll folgender Gegenstand geschützt sein:

1. Jacquard-Doppelteppichplüschgewebe

1.1. mit Ein-Schuß-Polbindung

1.2. mit Einzelfach-Schußeintrag

1.3. mit eingewebten toten Choren (8, 9) wobei

1.3.1. die toten Chore (8, 9) auf die Ober- und Unterware (1, 2) verteilt sind.

2. Die Bindung in Ober- und Unterware weist nur Unter- und Oberschüsse auf, die

2.1. abwechselnd und jeweils gleichzeitig

2.1.1. die toten Chore einbinden und

2.1.2. die Polfäden aufspannen.

3. Die Polbindung an jedem Schuß in Ober- und Unterware erfolgt

3.1. mit Hilfe eines gesonderten (Jacquard-) Kartenblattes für jeden Schuß zum Steuern aller Chore bei der Ein-Schuß-Polbindung, wobei

3.2. die polbildenden und die nicht polbildenden Chore bzw. Kettfäden willkürlich über oder unter den jeweiligen Schußfäden bewegt werden.

Wie die Streitpatentschrift ausführt (vgl. Spalte 5 Zeilen 6 ff.) ist es für die patentgemäße Bindung wesentlich, daß die Oberschüsse 7 nicht nur (wie bei der bekannten Zwei-Schuß-Bindung nach Figur 1 des Streitpatents) die Aufgabe haben, die toten Chore 8 und 9 einzubinden, sondern zugleich die Aufgabe übernehmen, jeweils eine Flornoppe zu bilden (vgl. Figur 2).

Das Wort "willkürlich" des Anspruchsmerkmals 3.2 versteht der die Patentschrift lesende Fachmann nach den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen so, daß die toten Chore mittels Steuerung durch das Jacquard-Kartenblatt nach Belieben jeweils auf die Ober- und Unterware verteilt werden. Der Gegensatz dazu sei ein Rapport.

II. Der Senat hat Zeugenbeweis erhoben, ob der als Anlage NK 10 zu den Gerichtsakten gereichte "Weave Catalogue 1983" der Klägerin und die als Anlagen NK 24a-c zu den Gerichtsakten gereichten Zeichnungen der Klägerin vor dem Anmeldetag des Streitpatents (19.9.1984) der Öffentlichkeit zugänglich waren.

Beides ist bewiesen worden.

1. Der auf seine Aussage vereidigte Zeuge J., der Lehrer für Textiltechnik an der KTA Gent war, hat angegeben, er könne sich daran erinnern, den "Weave Catalogue 1983" der Klägerin von einem früheren Schüler der KTA Gent (Herrn S.) im Anschluß an einen Besuch bei der Klägerin im September 1983 erhalten zu haben. Diesen Katalog habe er sogleich an den zuständigen Bücherei-Mitarbeiter der KTA weitergegeben, damit er in die Bücherei eingestellt werde. Er könne bezeugen, daß dieser Katalog schon 1983 dort eingestellt und für jeden Studenten zugänglich gewesen sei.

Der Senat verkennt nicht, daß die zeitliche Einordnung weit zurückliegender Sachverhalte allein aus dem Gedächtnis unsicher ist. Es gibt im vorliegenden Fall jedoch objektive Anhaltspunkte und außerdem die Aussage des ebenfalls vereidigten Zeugen H. L., welche die zeitliche Einordnung des Zeugen J. bestätigen. Es ist unstreitig, daß die alle vier Jahre stattfindende Textilmesse ITMA im Oktober 1983 stattgefunden hat. Der Zeuge J. hat erklärt, er erinnere sich, den Katalog schon vor der Messe erhalten zu haben. Der Zeuge L., der zunächst Chefkonstrukteur und zum Schluß seiner 42-jährigen Tätigkeit bei der Klägerin Direktionsberater war, hat angegeben, daß der "Weave Catalogue 1983" vor der Textilmesse ITMA im Oktober 1983 fertiggestellt war, er habe auf der Messe in größerer Stückzahl am Stand der Klägerin ausgelegen und sei an Fachkundschaft verteilt worden. Schließlich hat sich auch der Zeuge J.-N. L., der bis 1991 Lehrer für Textiltechnik an der Technischen Schule W. war, daran erinnert, den "Weave Catalogue 1983" von der Klägerin kurz vor der Messe ITMA bekommen zu haben; er hat sich auch daran erinnert, den Katalog auf der ITMA im Oktober 1983 am Messestand der Klägerin gesehen zu haben, wo er ausgelegt gewesen sei. Betrachtet man die Aufmachung des Katalogs, so spricht alles dafür, daß er nicht für den internen Gebrauch der Klägerin, sondern als Werbemittel gegenüber der Fachkundschaft bestimmt war. Es ist dabei naheliegend, daß der "Weave Catalogue 1983" so rechtzeitig fertiggestellt wurde, daß er auf der nur alle vier Jahre stattfindenden ITMA im Oktober 1983 zur Verfügung stand.

Nach allem hat der Senat keine Zweifel, daß der "Weave Catalogue 1983" vor dem Anmeldetag des Streitpatents am 19. September 1984 der Öffentlichkeit zugänglich war.

2. Die Klägerin hat darüber hinaus auch bewiesen, daß die Bindungszeichnungen gemäß den zu den Gerichtsakten gereichten Anlagen NK 24a-c vor dem Anmeldetag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich waren. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung die Original-Transparentzeichnungen zu den Kopien der Anlagen NK 24a-c eingereicht, die mit letzteren übereinstimmen.

Der Zeuge L. hat unter Eid erklärt, die Bindungszeichnungen gemäß den Anlagen 24 a-c seien in den Jahren 1963/1964 entstanden, als er Leiter der Entwicklungsabteilung der Klägerin gewesen sei. Er habe die Zeichnungen nicht selbst gefertigt, er könne auch nicht mit Sicherheit sagen, welcher Zeichner die Zeichnungen angefertigt habe. Er könne allerdings mit Sicherheit angeben, daß er diese Zeichnungen damals interessierten Kunden ausgehändigt habe mit denen die Klägerin in Geschäftsbeziehungen stand. Vor seiner Vernehmung durch den erkennenden Senat habe er sich in das Archiv seiner ehemaligen Arbeitgeberin (der Zeuge ist seit 1987 im Ruhestand) begeben und dort seine verstaubte Kundenmappe aus der damaligen Zeit wiedergefunden, die er seinerzeit bei Kundenbesuchen benutzt habe. In dem handschriftlich geführten Kundenheft, das Bestandteil der Kundenmappe sei, seien die Zeichnungsnummern der zusammengestellten Zeichnungen aufgeführt, darunter auch die gemäß den Anlagen NK 24a-c. In der Mappe hätten sich auch Lichtpausen (Transparentpausen) dieser Zeichnungen befunden. Der Zeuge hat das Kundenheft und die Lichtpausen der Zeichnungen gemäß den Anlagen NK 24a-c der Kundenmappe entnommen und beides dem Senat vorgelegt. Zu der Kundenmappe hat der Zeuge erklärt, darin seien die Bindungszeichnungen zusammengestellt gewesen, die mit den damaligen Webmaschinen der Klägerin hätten gewebt werden können. Die Klägerin habe allerdings eigene Jacquardmaschinen damals noch nicht gefertigt, solche seien aber bei den Kunden vorhanden gewesen, z.B. Maschinen der französischen Firma M.. Die Mappe habe er seinerzeit für Besprechungen mit Kunden der Klägerin zusammengestellt. Bei Kundenbesuchen habe er stets die vollständige Mappe mitgenommen, um den Kunden alles zeigen zu können, wofür sie sich interessieren könnten. Allerdings habe er nicht jedem aufgesuchten Kunden alle Zeichnungen der Mappe gezeigt, sondern nur die, bei denen er ein Interesse des Kunden habe voraussetzen können. Was die Bindungszeichnungen gemäß den Anlagen NK 24a-c anbelange, so könne er mit Sicherheit bekunden, daß er diese der Teppichweberei V. T. W. gezeigt und übergeben habe. Dort seien auch Teppiche gemäß den sechsschäftigen Bindungen der Zeichnungen NK 24a und c hergestellt worden, während die vierschäftige Bindung gemäß Anlage NK 24b dort nicht gewebt worden sei. Er könne sich erinnern, daß in den Jahren 1964 bis 1968 und auch noch später in anderen Webereien Teppiche mit den Bindungen gemäß den Anlagen NK 24a-c gewebt worden seien, so in den spanischen Webereien G., P. und L.-L.. Die Bindungen gemäß den Anlagen NK 24a-c hätten auch mit den damals gebräuchlichen einfachen Jacquardmaschinen hergestellt werden können. Allerdings sei das nicht ganz einfach gewesen, weshalb diese Bindungen seinerzeit nur erfahrenen Kunden mit gut geregelten Maschinen angeboten worden seien. Er, der Zeuge, erinnere sich daran, daß es wegen dieser Bindungen Rückfragen gegeben habe. Später seien sowohl die Webmaschinen als auch die Bindungen weiterentwickelt worden, so daß an den Bindungen gemäß den Anlagen NK 24a-c kein Interesse mehr bestanden habe. Die meisten Kunden seien an diesen Bindungen ohnehin nicht interessiert gewesen.

Der Senat hat keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des vereidigten Zeugen L. und an der Glaubhaftigkeit seiner durch die genannten Unterlagen gestützten Aussage.

III. 1. Der mit dem Hauptantrag verteidigte Sachanspruch 1A.

Mit dem gerichtlichen Sachverständigen und den Parteien geht der Senat davon aus, daß die Bindungszeichnungen gemäß den Anlagen NK 24a-c den nächstliegenden Stand der Technik bilden.

Die Bindungszeichnung gemäß Anlage NK 24a zeigt ein Jacquard-Doppelplüschgewebe. Wie der gerichtliche Sachverständige angegeben hat, ist es für den Fachmann zwar nicht zwingend, aber außerordentlich naheliegend, daß es sich um ein Jacquard-Doppelteppichplüschgewebe handelt (Merkmal 1). Als Durchschnittsfachmann ist nach den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen ein Textilingenieur anzusehen, der über eine gründliche theoretische Ausbildung in Gewebekonstruktion (Bindungslehre) und in der Fertigungstechnik der Gewebeherstellung besitzt und der über eine mehrjährige praktische Erfahrung in der Entwicklungsabteilung eines Doppelgewebeherstellers verfügt. Auch das Bundespatentgericht hat den berufserfahrenen Textilingenieur als Durchschnittsfachmann angesehen; die Parteien sehen das nicht anders. Dieser Fachmann - so hat der gerichtliche Sachverständige bekundet - werde bei der Bindungszeichnung gemäß Anlage NK 24a in erster Linie an ein Teppichgewebe denken. Dies ergebe sich einmal daraus, daß die straffe Kette aus Jute bestehe und Jute der typische Träger des Grundgewebes eines Teppichs sei, zum anderen deute auch die Polhöhe auf ein Teppichgewebe hin. Dies wird durch die Aussage des Zeugen L. bestätigt, der bekundet hat, daß die Bindungszeichnungen nach den Anlagen NK 24a-c für die Herstellung von Doppelteppichen angefertigt wurden und von Kunden der Klägerin nach diesen Bindungen Teppichgewebe hergestellt worden sind.

Es handelt sich bei der Bindung nach der Anlage NK 24a auch um eine Ein-Schuß-Polbindung (Merkmal 1.1.), weil jeder Schuß eine Polnoppe trägt. Jede Noppe in der Ober- und Unterware ist durch nur einen Schuß in den Bindeketten der Ober- und Unterware eingebunden.

Die Polbindung erfolgt auch durch Einzelfach-Schußeintrag (Merkmal 1.2.), wie an der versetzten Anordnung der Schüsse in der Ober- und Unterware zu erkennen ist.

Es ist ferner ohne weiteres zu erkennen, daß die toten Chore, das heißt die zur Musterbildung gerade nicht benötigten (nicht "arbeitenden") Polkettfäden eingewebt sind (Merkmal 1.3.), wobei die toten Chore auf die Ober- und Unterware verteilt sind (Merkmal 1.3.1.).

Man erkennt ferner, daß die Bindungen in Ober- und Unterware nur Unter- und Oberschüsse aufweisen (Merkmal 2.), welche die toten Chore alternierend in der Ober- und Unterware einbinden und jeweils gleichzeitig die Polfäden aufspannen (Merkmale 2.1., 2.1.1., 2.1.2.).

Es ist außerdem zu sehen, daß die Polbindung an jedem Schuß in der Ober- und Unterware erfolgt (Merkmal 3.).

Nicht zu sehen ist, daß dies mit Hilfe eines gesonderten (Jacquard-) Kartenblatts für jeden Schuß erfolgt (Merkmal 3.1.).

Dies erkennt der Fachmann nach der Angabe des gerichtlichen Sachverständigen jedoch aus seinem allgemeinen Fachwissen. Dem Fachmann ist die Funktionsweise der über der Webmaschine angeordneten Jacquardmaschine geläufig. Die nach Joseph-Marie Jacquard (1752-1834) benannte Fachbildevorrichtung ermöglicht es im Gegensatz zur Schaftmaschine, jeden Kettfaden in der Webmaschine bindungsgerecht einzeln auszuheben. Der Sinn der von Jacquard ersonnenen Fachbildevorrichtung besteht darin, daß im Gegensatz zur Schaftmaschine die einzelnen Kettfäden unabhängig voneinander ausgehoben werden und so das dem herzustellenden Muster entsprechende Fach für den Eintrag des Schusses gebildet wird. Wie der gerichtliche Sachverständige angegeben hat, geschah das Einlesen bei der ersten Jacquardmaschine noch von Hand, später wurde jeder Schuß durch eine Lochkarte (Jacquard-Kartenblatt) mustergerecht eingelesen, wobei grundsätzlich pro Schuß ein Jacquard-Kartenblatt benötigt wird. Dies war nach Angabe des gerichtlichen Sachverständigen herkömmlicher und dem Fachmann des Anmeldetages des Streitpatents vertrauter und geläufiger Stand der Technik. Wenn der Fachmann die Zeichnung gemäß Anlage NK 24a sehe, werde er deshalb zwanglos an die ihm vertraute Technik der Jacquardmaschine denken, wonach jedes Kartenblatt einen Schuß steuere.

Der Beklagte zu 1 hat in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat die Auffassung vertreten, der die Bindung gemäß Anlage NK 24a genau studierende Fachmann werde erkennen, daß alle vier Schüsse ein Wechsel des Polfadens stattfinde, und daraus schließen, daß diese vier Schüsse über nur eine Jacquard-Karte gesteuert würden. Dem hat der gerichtliche Sachverständige widersprochen. Der Fachmann, der z.B. die ersten vier Schüsse (vgl. die Schußbezeichnungen der Anl. NK 24a in Abb. 2 S. 4 des ErgänzungsgutA des gerichtlichen Sachverständigen) betrachte, würde daraus schließen, daß er für die vier verschiedenen Polstellungen eines Polkettfadens (vgl. den Polkettfaden P 4) vier Jacquard-Karten benötige, nämlich für jeden Schuß an den vier Positionen des Polkettfadens eine. Anderes könne der Fachmann aus der Zeichnung gemäß Anlage NK 24a nicht herleiten. Der gerichtliche Sachverständige hat weiter darauf hingewiesen, daß es am Anmeldetag des Streitpatents noch keine Doppel-Jacquardmaschinen gegeben habe, und der Fachmann deshalb ohne weiteres von der Erforderlichkeit eines Einlesevorgangs für jeden Schuß habe ausgehen müssen, wie dies dem Stand der Technik entsprochen habe. Im übrigen sei ein Einlesevorgang für zwei Schüsse schwierig zu verwirklichen und auch deshalb für den Fachmann nicht naheliegend.

Selbst wenn man dieser eindeutigen Aussage des gerichtlichen Sachverständigen nicht folgen und mit dem Beklagten zu 1 annehmen wollte, der Fachmann könne bei genauem Studium der Zeichnung gemäß Anlage NK 24a auf den Gedanken kommen, die zur Steuerung jedes Polkettfadens jeweils erforderlichen vier Informationen in nur einem Informationsträger (Kartenblatt) zusammenzufassen (der dann mehrfach, aber unterschiedlich, ausgelesen werden müßte), würde dies nichts daran ändern, daß ihm durch die Zeichnung gemäß Anlage NK 24a jedenfalls auch das nahegelegt ist, was der gerichtliche Sachverständige dieser Zeichnung allein zu entnehmen vermag und was dem unbestritten altbekannten und üblichen Stand der Technik entsprach, nämlich für jeden einzelnen Schuß ein gesondertes Jacquard-Kartenblatt vorzusehen. Damit ist dem Fachmann durch die Bindungszeichnung gemäß Anlage NK 24a jedenfalls auch das Merkmal 3.1. des verteidigten Patentanspruchs 1A nahegelegt, die Polbindung an jedem Schuß mit Hilfe eines gesonderten Jacquard-Kartenblattes zu steuern.

Dann aber ist dem Fachmann auch das Merkmal 3.2. des verteidigten Patentanspruchs in dem Verständnis nahegelegt, das der Beklagte zu 1 dem Wort "willkürlich" beimißt. Dieses Wort kann bei einer Jacquardmaschine nicht die Bedeutung von "zufallsbedingt" und "ungesteuert" haben, sondern nach der Erläuterung des gerichtlichen Sachverständigen nur so verstanden werden, daß die Polfäden in Abweichung von einer starren Folge (Rapport) für jeden Schuß gesondert gesteuert werden können, wodurch dem Dessinateur die größtmögliche Freiheit bei der Wahl der einzelnen Polfäden erhalten bleibt. Die Möglickeit, die polbildenden und die nicht polbildenden Chore bzw. Kettfäden "willkürlich" (d.h. nach dem jeweiligen Bedürfnis) über oder unter den jeweiligen Schußfäden zu bewegen, ergibt sich zwangsläufig daraus, daß der Fachmann der Bindungszeichnung nach Anlage NK 24a die nach der Erläuterung des gerichtlichen Sachverständigen jedenfalls naheliegende, weil dem Stand der Technik entsprechende Möglichkeit entnimmt, für jeden Schuß ein gesondertes Jacquard-Kartenblatt vorzusehen. Damit ist aber der einzelne Polkettfaden nach jedem Schuß "willkürlich" steuerbar.

Der verteidigte Patentanspruch 1A beruht nach allem nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

2. Der mit dem Hilfsantrag verteidigte Patentanspruch 1 unterscheidet sich von dem nach dem Hauptantrag verteidigten nur dadurch, daß in Merkmal 3.2. eingefügt ist, daß die polbildenden und die nicht polbildenden Chore bzw. Kettfäden zur Vermeidung von Mischkonturen willkürlich über oder unter den jeweiligen Schußfäden bewegt werden.

Auch diese Einfügung vermag den verteidigten Patentanspruch 1 nicht in den Rang einer Erfindung zu erheben. Mischkonturen entstehen immer dann, wenn der Polschenkel einer anderen Farbe zwischen zwei gleichfarbrigen Polschenkeln erscheint. Wie der gerichtliche Sachverständige angegeben hat, ist dem Fachmann die Ursache von Mischkonturen bekannt und er weiß, wie er sie vermeiden kann. Betrachtet man die Bindungszeichnung gemäß Anlage NK 24a, zu der der gerichtliche Sachverständige in Abbildung 2 auf S. 4 seines schriftlichen Ergänzungsgutachtens die Schußbezeichnungen eingetragen hat, so erkennt man, daß bei einem Wechsel des Polkettfadens der aus dem Grundgewebe ausarbeitende tote Chor jeweils aus dem gegenüberliegenden Grundgewebe kommt. Dies führt etwa beim Schuß 8/9 und 16/17 zu Mischkonturen, weil an diesen Schüssen zwischen den beiden gleichfarbigen Polschenkeln der Polschenkel einer anderen Farbe erscheint. Schon in der Bindungszeichnung nach Anlage NK 24a ist z.B. bei dem Schuß 4/5 indessen ein Weg gezeigt, wie eine Mischkonturbildung verhindert werden kann, indem der tote Chor des aus der Oberware kommenden Polkettfadens bei Schuß 4 in die Unterware eingearbeitet wird. Konsequent durchgeführt ist das in der Bindungszeichnung gemäß Anlage NK 24c, bei der es nicht zu Mischkonturen kommen kann. Die Mischkonturenfreiheit wird dadurch erreicht, daß der tote Chor des aus der Unterware zugeführten Polkettfadens P 3 bei Schuß 3 in die Oberware eingebunden wird und der tote Chor des aus der Oberware zugeführten Polkettfadens P 4 bei Schuß 8 in die Unterware eingebunden wird usw.. Es ist zwar richtig, daß die Mischkonturenfreiheit der Bindung gemäß Anlage NK 24c dadurch erreicht wird, daß bei einem Wechsel des Polkettfadens zwei Schüsse eingetragen werden, die jeweils nur eine halbe Polnoppe aufspannen, was zu einer geringeren Poldichte führt als z.B. bei der in Figur 2 des Streitpatents dargestellten Bindung. Dies ändert aber nichts daran, daß dem Fachmann der Bindungszeichnung gemäß Anlage NK 24c zusätzlich ein Weg gewiesen wird, wie bei Teppichgeweben unerwünschte Mischkonturen vermieden werden können, wobei er eine Anregung dazu schon aus der Bindungszeichnung nach Anlage NK 24a entnehmen kann.

3. Der verteidigte Unteranspruch 2A

Der Unteranspruch 2A besagt, daß der jeweils außenliegende, auf der Rückseite des Teppichgewebes liegende Schußfaden etwa doppelt so dick sein soll, wie der auf der Schauseite liegende Schußfaden. Der Sinn dieser Maßnahme besteht in einer besseren Abdeckung des Geweberückens. Schon der Prüfer des Erteilungsverfahrens hat diese Maßnahme im Bescheid vom 12. Februar 1985 als eine im Bereich des handwerklichen Könnens des Fachmanns liegende Maßnahme angesehen. Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt, das Eintragen von dicken Schußfäden zur Abdeckung des Geweberückens entspreche dem Stand der Technik. Dies wird durch Figur 6 der deutschen Offenlegungsschrift 21 64 948 belegt, wo gezeigt ist, daß für die auf dem Geweberücken liegenden Schüsse etwa doppelt so dicke Schußfäden eingesetzt werden, wie auf der Innenseite des Gewebes. Auch diese Abwandlung vermag das Gewebe nach dem verteidigten Patentanspruch 1 nicht in den Rang einer Erfindung zu erheben.

4. Der verteidigte Verfahrensanspruch 3A

Durch den verteidigten Patentanspruch 3A soll ein Verfahren zum Herstellen des Jacquard-Doppelteppichplüschgewebes geschützt werden, das dadurch gekennzeichnet ist, daß die Doppelteppichplüschgewebe nach den verteidigten Patentansprüchen 1A und 2A auf einer Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschine hergestellt werden.

Auch dieser Patentanspruch ist nicht schutzfähig, denn der Einsatz von Doppelhub-Offenfach-Jacquardmaschinen zur Herstellung von Doppelplüschgeweben war nach Angaben des gerichtlichen Sachverständigen am Anmeldetag des Streitpatents bekannt. So wird in "Melliand Textilberichte" Nr. 6/79 auf S. 469 f. unter dem Titel "Doppelplüsch-Webmaschine mit Einfachgreifer zur Herstellung von Jacquardvelours für Möbelstoffe und Teppiche" der Einsatz von Offenfach-Jacquardmaschinen zur Herstellung von Ein-Schuß-V-Polbindungen beschrieben. Mit dieser Maschine können unter anderem Jacquard-Doppelteppichplüschgewebe mit Bindungen gemäß den verteidigten Patentansprüchen 1A und 2A hergestellt werden. Die Steuerung der einzelnen Polkettfäden erfolgt dabei durch eine einzelne Platine der Jacquardmaschine. Es besteht die Möglichkeit, die toten Chore einzubinden. Der Beschreibung des Maschinentyps in dem genannten Melliand-Bericht entnimmt der gerichtliche Sachverständige, daß es sich um eine Doppelhub-Offenfach-Jacquardmaschine handelt.

Es ist nicht nur nachgewiesen, daß mit der in dem "Melliand-Textilbericht" beschriebenen Offenfach-Jacquardmaschine Doppelteppichplüschgewebe der hier in Rede stehenden Art hergestellt werden können, sondern auch, daß Teppichgewebe dieser Art vor dem Anmeldetag des Streitpatents auf solchen Maschinen hergestellt worden sind. So ist für die zur Herstellung eines Wandteppichs oder einer Gebetsmatte vorgesehene Bindung auf S. 49 des vorveröffentlichten "Weave Catalogues 1983" (NK 10) angegeben, daß eine Jacquardmaschine "double lift, open shed, 2 positions T (= Top position) and B (= Bottom position)" einzusetzen sei. Im übrigen handelt es sich bei der auf S. 49 des "Weave Catalogues 1983" dargestellten Bindung um eine Einschuß-Polbindung mit Einzelfach-Schußeintrag, bei der die toten Chore in die Ober- und die Unterware des Doppelteppichplüschgewebes eingebunden sind.

Wie sich aus dem Großen Textil-Lexikon von Koch und Satlow S. 353 (Anl. NK 22d) ergibt, werden die Begriffe Offenfach- und Ganzoffenfach-Jacquardmaschine synonym verwendet. Es besteht also kein Unterschied zwischen einer Doppelhub-Offenfach- und einer Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschine.

Es beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit, diese bekannte Jacquardmaschine zur Herstellung des in den verteidigten Patentansprüchen 1A und 2A beschriebenen Doppelteppichplüschgewebes einzusetzen. Wer eine solche Maschine besitzt und diese Teppichgewebe herstellen will, wird diese bei ihm vorhandene Maschine einsetzen. Hat er diese Doppelhub-Jacquardmaschine bisher nur zur Herstellung von Flachgeweben eingesetzt, bei denen ein großer Hub nicht erforderlich ist, wird er die Maschine auf die nötige Hubhöhe umrüsten, wozu nach Angabe des gerichtlichen Sachverständigen üblicherweise ein Flaschenzug eingesetzt wird, worauf noch zurückzukommen ist. Wer keine Doppelhub-Jacquardmaschine besitzt, wird überlegen müssen, ob es sich wirtschaftlich lohnt, eine solche Maschine zu erwerben, bei der zwei Schußeinträge pro Arbeitsspiel erfolgen oder ob es vorteilhafter ist, eine langsamer arbeitende Einhub-Maschine einzusetzen, die für jeden Schuß ein volles Arbeitsspiel benötigt. Ob es im Einzelfall vorzuziehen ist, den schneller oder den langsamer arbeitenden Maschinentyp einzusetzen, beruht nicht auf erfinderischen, sondern auf wirtschaftlichen Überlegungen, in erster Linie auf dem für den hergestellten Webtechnik am Markt zu erzielenden Preis.

5. Der verteidigte Vorrichtungsanspruch 4A

Durch den verteidigten Patentanspruch 4A soll eine Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschine zum Herstellen des in den verteidigten Patentansprüchen 1A und 2A beschriebenen Doppelteppichplüschgewebes geschützt werden, deren Besonderheit darin besteht, daß die Platinenhubhöhe durch eine Rollenzugvorrichtung vergrößert wird. Dies geschieht in der Weise, daß an jede Platine eine Hubrolle (Rollenzug) angehängt wird.

Der gerichtliche Sachverständige hat angegeben, daß es vor dem Anmeldetag des Streitpatents üblich gewesen sei, den Platinen- oder Litzenhub von Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschinen durch den Einsatz eines Flaschenzuges zu vergrößern. Daß man durch den Einsatz eines Flaschenzuges den Platinenhub vergrößern könne, lerne der Student bereits im ersten Semester und sei ihm geläufig. Darüber hinaus habe es vor dem Anmeldetag des Streitpatents bereits elektronische Jacquardmaschinen gegeben, bei denen Hubrollen mit einer ähnlichen Funktion wie bei herkömmlichen Jacquardmaschinen unverzichtbar seien (vgl. dazu Abb. 7 S. 13 des gerichtl. GutA). Der Einsatz von Hubrollen zur Vergrößerung des Platinenhubs sei eine rein handwerkliche Maßnahme.

Diese Angaben des gerichtlichen Sachverständigen werden durch den vorgelegten Stand der Technik bestätigt. So zeigt die deutsche Auslegeschrift 29 39 714 eine Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschine, bei der Doppelrollenelemente zur Realisierung von drei Fachstellungen eingesetzt werden. Bei dieser Vorrichtung wird der maximale Hub H der beiden Messerkästen 16, 17 (vgl. Figur 1) durch die Führung der Harnischschnüre 10 über die Umlenkrolle 9 und zusätzlich über die feste Rolle 12 am Strupfenboden 11 auf das 1,5-fache im Unterfach 22 und im Oberfach 24 vergrößert. Dadurch ist es möglich, das Unterfach 22 und das Oberfach 24 auch bei einem mehrchorigen Florgewebe soweit zu öffnen, daß relativ große Schützen 27 ein- und ausgetragen werden können.

Eine ähnliche Rollenzugvorrichtung zur Hubvergrößerung der Platinenhübe einer Doppelhub-Ganzoffenfach-Jacquardmaschine ist in der DDR-Patentschrift 213 246 gezeigt. Zur Erzeugung der drei Fachstellungen werden zwei Platinen über ein Rollenelement miteinander verbunden. Der Zweck ist auch hier die Hubvergrößerung, um dadurch eine ausreichend große Fachhöhe zu erzeugen.

Schließlich ist in der französischen Patentschrift 1 157 432 eine Jacquardmaschine gezeigt, bei der die als Polfäden arbeitenden Kettfäden durch zwei Platinen gesteuert werden, die über ein Rollenelement miteinander verbunden sind. Der Zweck dieser Rollenzugvorrichtung ist hier allerdings nicht die Vergrößerung der Fachhöhe bei einem begrenzten Platinenhub. Der Einsatz der Rollenzugvorrichtung ist bei der französischen Patentschrift 1 157 432 wegen der Beschränkung der möglichen Platinenbewegungen erforderlich. Durch die miteinander gekoppelten Platinen wird nämlich der Litzenhub zur Fachbildung halbiert. Die Rollenzugvorrichtung nach der französischen Patentschrift 1 157 432 ist als solche mit der nach Figur 3 des Streitpatents identisch, obwohl sie eine etwas andere Funktion als beim Streitpatent hat.

Betrachtet man diesen Stand der Technik, so muß dem gerichtlichen Sachverständigen in seinem Urteil zugestimmt werden, daß der Einsatz einer Rollenzugvorrichtung zur Vergrößerung des Litzenhubs und damit die Vorrichtung gemäß dem verteidigten Patentanspruch 4A dem Bereich des handwerklichen Könnens des Durchschnittsfachmanns zuzuordnen ist und damit nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

IV. Die Kostenentscheidung für den Berufungsrechtszug beruht auf § 110 Abs. 3 PatG a.F. in Verbindung mit § 97 Abs. 1 und § 91 Abs. 1 ZPO. Hierbei ist anzumerken, daß der Beklagte zu 1 die Kosten des Berufungsverfahrens allein zu tragen hat, weil die Beklagte zu 2 keine Berufung eingelegt hat. Die Beklagte zu 2 bleibt als notwendige Streitgenossin zwar Partei des Berufungsverfahrens. Die dem untätigen Streitgenossen zukommende Parteistellung ändert aber nichts daran, daß die Kostenlast nur denjenigen trifft, der das Rechtsmittel eingelegt hat (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 21. Aufl. (1999), ZPO § 62 Rdn. 32).

Bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung bewendet es deshalb, weil die Klägerin das Streitpatent zwar zunächst in vollem Umfang angegriffen, in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht die Klage aber teilweise zurückgenommen hat. Das Bundespatentgericht hat daraufhin das Streitpatent in dem nicht angegriffenen Umfang aufrechterhalten. Erst durch ihre in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat eingelegte Anschlußberufung hat die Klägerin wieder die volle Nichtigerklärung des Streitpatents beantragt.



Ende der Entscheidung

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