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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 27.10.1998
Aktenzeichen: X ZR 92/96
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 256
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 92/96

Verkündet am: 27. Oktober 1998

Welte Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

ZPO § 256

Bei der Feststellung, ob ein Schaden entstanden ist, ist der Wert von Grundpfandrechten nicht nach einem geschätzten Verkehrswert der haftenden Grundstücke, sondern danach zu bemessen, welche Möglichkeiten der Verwertung bestehen und inwieweit dabei tatsächlich ein Erlös zu erwarten ist.

BGH, Urt. v. 27. Oktober 1998 - X ZR 92/96 - OLG München LG München I


Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 27. Oktober 1998 durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Dipl.-Ing. Frhr. v. Maltzahn, Dr. Melullis, Scharen und Keukenschrijver

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das am 28. Mai 1996 verkündete Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagten sind die Erben des am 19. Februar 1997 verstorbenen J. R. ; sie haben das ursprünglich gegen diesen gerichtete, in der Revisionsinstanz wegen seines Todes ausgesetzte Verfahren wieder aufgenommen.

Die klagende Bank hatte der Betreiberin des Berggasthofes "R." einen Kontokorrentkredit in Höhe von insgesamt 2,4 Mio. DM gewährt. Die Forderung war durch entsprechende Buchgrundschulden in den Grundbüchern der zu dem Anwesen gehörenden Grundstücke gesichert. Auf Wunsch der Betreiberin erhöhte die Klägerin den Kreditrahmen gegen eine entsprechende Absicherung durch weitere Grundschulden auf diesen Grundstücken auf insgesamt 3,8 Mio. DM, nachdem ihr ein von J. R. erstelltes Wertgutachten vorgelegt worden war. In dem Schätzgutachten vom 21. Mai 1992 hatte J. R. den Gesamtwert des Anwesens einschließlich aller dazugehörigen Grundstücke auf 12,5 Mio. DM bewertet. Dabei war er davon ausgegangen, daß drei Grundstücke Bauerwartungsland seien.

Die Betreiberin des Berggasthofes konnte die vereinbarten Tilgungen und Zinszahlungen nicht mehr aufbringen. Die Klägerin kündigte den Kontokorrentkredit.

Mit der Behauptung, J. R. habe durch eine falsche Einstufung dreier Grundstücke als Bauerwartungsland den Wert des Grundbesitzes wesentlich zu hoch geschätzt, erhob die Klägerin gegen J. R. Feststellungsklage, daß dieser verpflichtet sei, ihr jedweden Schaden zu ersetzen, der ihr aus der falschen Bewertung des Bodenwerts des Areals des Berggasthofes "R." im Schätzgutachten vom 21. Mai 1992 entstanden sei und noch entstehen werde.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel - nach Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens gegen die Beklagten als Erben des J. R. - weiter.

Entscheidungsgründe:

1. Das Berufungsgericht meint, die Klägerin habe nicht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung der behaupteten Schadensersatzpflicht. Soweit das Vorbringen der Klägerin nicht als verspätet zurückzuweisen sei, ergebe sich aus ihrem Vortrag nicht, daß ihr bereits ein Schaden entstanden sei. Grundpfandrechte böten ausreichende Sicherung, wenn der Verkehrswert der Grundstücke, die als Sicherheit dienten, den Kreditbetrag deutlich übersteige. Die Klägerin selbst habe den Verkehrswert der haftenden Grundstücke mit ca. 7,1 Mio. DM angegeben. Die deshalb allein zu besorgende Gefahr, daß die Verwertung der Sicherheit nicht zur vollständigen Befriedigung führen werde, stelle lediglich eine Vermögensgefährdung, nicht jedoch schon einen Schaden dar.

Die Revision beanstandet dies, weil die Klägerin ihr Begehren schon in erster Instanz und auch mit der Berufungsbegründung auf die unter Sachverständigenbeweis gestellte Behauptung gestützt habe, die als Sicherheit dienenden Grundstücke könnten nur zu einem Preis von insgesamt bis zu ca. 2,5 Mio. DM veräußert werden. Dies habe seinen Grund darin, daß den von J. R. als Bauerwartungsland eingestuften Grundstücken diese Eigenschaft nicht zukomme; das ganze Anwesen könne deshalb von Dritten wirtschaftlich nur eingeschränkt genutzt werden. Tatsächlich sei bei der Klägerin mithin ein Schaden bereits eingetreten.

Diese Rüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

2. Zur Feststellung eines Vermögensschadens, den ein vorwerfbares Tun oder Unterlassen eines Dritten verursacht hat, ist die infolge des haftungsbegründenden Fehlverhaltens eingetretene Vermögenslage des Betroffenen mit derjenigen zu vergleichen, in der sich dessen Vermögen bei fehlerlosem Verhalten des Dritten befunden hätte (st. Rspr., vgl. BGHZ 111, 138 m.w.N.; BGHZ 99, 182, 196). Ausgehend von dem zu berücksichtigenden tatsächlichen Vorbringen der Klägerin ist deshalb auch im vorliegenden Fall ein Vergleich der tatsächlichen Vermögenslage der Klägerin mit der Vermögenslage vorzunehmen, in der sich die Klägerin befunden hätte, wenn J. R. den Wert des aus Gasthof und dazugehörigen Grundstücken bestehenden Grundbesitzes nicht auf ca. 12,5 Mio. DM, sondern nur auf einen Wert von ca. 7,1 Mio. DM geschätzt hätte, weil dies der Wert ist, auf den nach Darstellung der Klägerin bei fehlerloser Begutachtung die Grundstücke hätten geschätzt werden dürfen.

Die Revision macht unter Hinweis auf entsprechenden Vortrag der Klägerin in den Tatsacheninstanzen geltend, daß die Klägerin die weiteren Kredite von 1,4 Mio. DM der Betreiberin des Gasthofes nicht gewährt hätte, wenn J. R. den Wert des Grundbesitzes auf einen Betrag dieser Größenordnung geschätzt hätte. Dies habe seinen auch im angefochtenen Urteil angegebenen Grund darin, daß die Klägerin den Beleihungswert niedriger als den Wert ansetze, den eine Schätzung des Verkehrswerts der Grundstücke ergeben hat. Ohne das als haftungsbegründend angesehene Verhalten des Beklagten hätte danach zum Vermögen der Klägerin ein Wert in Höhe von 1,4 Mio. DM gehört. Er hätte der Klägerin ohne weiteres zur Verfügung gestanden, sei es als bereits erwirtschafteter Geldbetrag, sei es in anderer liquider Form.

Anstelle dieser flüssigen Mittel gehört tatsächlich zum Vermögen der Klägerin eine Darlehensrückzahlungsforderung, die durch Grundpfandrechte gesichert ist. Da die Forderung gegen die Betreiberin des Gasthofes notleidend geworden ist, ist der notwendige Vergleich vornehmlich anhand der als Sicherheit bestellten Grundpfandrechte vorzunehmen. Auch die Parteien streiten nicht darüber, daß dies hier der maßgebliche Rechnungsposten ist.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist anerkannt (BGHZ 98, 212, 218 m.w.N.), daß es dazu, inwieweit ein Rechnungsposten das Vermögen erhöht oder mindert, einer wertenden Erfassung des jeweiligen Vermögensgegenstandes bedarf. Dabei kann nicht allein sein Bestand entscheiden; zu berücksichtigen sind darüber hinaus die dem Inhaber durch den Vermögensgegenstand eröffneten Möglichkeiten, soweit sie von wirtschaftlichem Wert sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der betreffende Vermögensgegenstand seiner Funktion nach dazu bestimmt ist, dem Rechtsträger gerade diese Möglichkeiten zu schaffen oder zu erhalten. Sind sie nicht denjenigen des nach der Differenzmethode gegenüberzustellenden Vermögensgegenstandes vergleichbar, kann regelmäßig ein Schaden nicht verneint werden.

3. Das Berufungsgericht durfte einen Schaden der Klägerin daher noch nicht mit der Überlegung abschließend verneinen, daß sich aus der Fehleinschätzung des Verkehrswerts allein noch keine Vermögenseinbuße ergebe, solange der sachgerecht ermittelte Verkehrswert gleichwohl noch erheblich über der gesicherten Forderung liege.

Das Berufungsgericht ist - demgemäß im Ausgangspunkt zutreffend - davon ausgegangen, ein Schaden könne auch bei nominell ausreichender Sicherheit gegeben sein. Denn es hat entscheidend darauf abgestellt, ob die Klägerin dargelegt habe, daß sie trotz der gegebenen Sicherheit nicht mit einer Befriedigung ihrer Forderung rechnen könne. Das Berufungsgericht hat diese Frage verneint, dabei jedoch rechtsfehlerhaft verkannt, daß die Klägerin genau dies behauptet und unter Beweis gestellt hat. So hat die Klägerin schon in der Klagebegründung vorgetragen, es habe sich nicht einmal ein Interessent für einen Preis von 3 Mio. DM gefunden; es sei zu befürchten, daß bei einem freihändigen Verkauf allenfalls ein Betrag von 2,5 Mio. DM und im Wege der Zwangsvollstreckung noch wesentlich weniger zu erzielen sei.

Damit ist zumindest dargelegt, daß durch die Verwertung der haftenden Grundstücke ein Erlös, der den Betrag der ihretwegen gewährten Krediterhöhung mitabdeckt, nicht ohne weiteres Bemühen zu erzielen ist. Die Möglichkeiten, welche die Klägerin durch die Grundpfandrechte erlangt hat, sind deshalb nicht denjenigen vergleichbar, die sie bei dem vergleichsweise gegenüberzustellenden Geschehensablauf gehabt hätte. Während ihr bei Unterlassen der Krediterhöhung ein Betrag von 1,4 Mio. DM ohne weiteres zur Verfügung gestanden hätte, muß nunmehr mit Schwierigkeiten gerechnet werden, ihn erzielen zu können. Bei wertender Betrachtung sind die Grundpfandrechte im Vermögen der Klägerin weniger wert als der Geldbetrag, welcher der Krediterhöhung entspricht.

Zu Recht verweist die Revision auf das allerdings zur Frage eines Vermögensschadens beim Betrug ergangene Urteil des Bundesgerichtshofes vom 20. Mai 1981 (2 StR 209/81, NStZ 1981, 351), in welchem erkannt worden ist, Sicherheiten böten nur dann einen vollständigen Ausgleich, wenn sie ohne nennenswerte Schwierigkeiten eine Verwertung erlaubten, die zur Deckung des vollen Kreditbetrages ausreiche. Dies ist nach dem Vorbringen der Klägerin im zu entscheidenden Fall jedoch gerade nicht gewährleistet.

4. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts, das eine detaillierte Darstellung der Verkaufsbemühungen der Klägerin für erforderlich gehalten hat, damit erkennbar werde, daß tatsächlich ernsthafte und intensive Aktivitäten entfaltet worden seien, Kaufinteressenten zu werben, ist das einen Schaden der Klägerin darlegende Vorbringen auch hinreichend substantiiert.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein Sachvortrag schlüssig, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als entstanden erscheinen zu lassen; die Angabe von Einzelheiten ist nur dann erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind (vgl. z.B. Sen.Urt. v. 23.04.1991 - X ZR 77/89, NJW 1991, 2707, 2709). Diesen Anforderungen genügt der bereits erwähnte Tatsachenvortrag der Klägerin, der von der Zurückweisung von Vorbringen durch das Berufungsgericht nicht erfaßt ist. Die Klägerin hat damit aufgezeigt, es könne nicht damit gerechnet werden, daß ihrem Vermögen tatsächlich eine dem Krediterhöhungsbetrag entsprechende Summe zufließen werde. Einer weiteren Begründung der Behauptung, ein Schaden sei bereits eingetreten, bedurfte es deshalb nicht.

5. Die Abweisung der Klage als unzulässig erweist sich auch nicht aus einem anderen Grunde als richtig. Wenn ein Schaden als Folge eines haftungsbegründenden Verhaltens dargelegt ist, ist das Rechtsschutzinteresse für eine Schadensersatzklage ohne weiteres gegeben. Die Klägerin hat aber auch das für eine Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse, daß die Schadensersatzpflicht der Beklagten durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird.

Ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses ist immer dann gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Urt. v. 07.02.1986 - V ZR 201/84, NJW 1986, 2507 m.w.N.). Eine solche Gefährdung liegt in der Regel schon darin, daß der Beklagte das Recht des Klägers ernstlich bestreitet (BGH, aaO, m.w.N.). Das ist hier der Fall, weil J. R. als Rechtsvorgänger der Beklagten sich nicht nur gegen die Zulässigkeit der Klage gewandt hat, sondern seinen Klageabweisungsantrag auch mit Behauptungen zu rechtfertigen gesucht hat, wonach eine Schadensersatzpflicht dem Grunde nach nicht bestehen würde. Unter diesen Umständen bedarf die Klägerin zur Klärung des behaupteten Schadensersatzanspruchs der Feststellungsklage, denn die Höhe ihres Schadens steht noch nicht fest, weil unbekannt ist, inwieweit die Klägerin mit ihrer Forderung gegen die Betreiberin des Grundstücks tatsächlich ausfällt. Das mit der Klage erstrebte Ziel wäre mithin durch eine Klage auf Leistung nicht erreichbar (vgl. zum Ausschluß der Feststellungsklage bei Möglichkeit einer Leistungsklage z.B. BGH, Urt. v. 09.06.1983 - III ZR 74/82, NJW 1984, 1118, 1119 m.w.N.).

6. Nach allem können die gegen die Zurückweisung von tatsächlichem Vorbringen der Klägerin gerichteten Rügen der Revision ebenso dahinstehen wie die Rüge, das Berufungsgericht sei gehalten gewesen, der Klägerin anheimzugeben, bestimmte Zeugen zum Termin zu stellen. Unentschieden kann schließlich auch bleiben, ob die Feststellungsklage nicht bereits deshalb zulässigerweise erhoben worden ist, weil die Klägerin jedenfalls die Wahrscheinlichkeit eines auf die behauptete Verletzungshandlung von J. R. zurückzuführenden Schadenseintritts dargetan hat (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 14.12.1995 - IX ZR 242/94, NJW 1996, 1062, 1063).



Ende der Entscheidung

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