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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 29.01.2002
Aktenzeichen: XI ZR 112/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 123
ZPO § 565 Abs. 1 Satz 2 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XI ZR 112/01

Verkündet am: 29. Januar 2002

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe, die Richter Dr. Müller, Dr. Joeres, Dr. Wassermann und die Richterin Mayen

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 19. Zivilsenat in Freiburg - vom 15. Februar 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 13. Zivilsenat des Berufungsgerichts in Freiburg zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich mit der Vollstreckungsabwehrklage gegen die Zwangsvollstreckung der beklagten Sparkasse aus einem Versäumnisurteil. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger und seine Ehefrau hatten Ende 1993 bei der Beklagten Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 7 Mio. DM. Über einen Teilbetrag von 1 Mio. DM nebst Zinsen erwirkte die Beklagte am 12. April 1994 ein Versäumnisurteil. Im Jahre 1996 gab der Kläger die eidesstattliche Offenbarungsversicherung ab und verlor in der Folge seine Zulassung als Rechtsanwalt und Steuerberater wegen Vermögensverfalls. Unter Hinweis auf die eidesstattliche Versicherung, wegen deren Unrichtigkeit er strafrechtlich verurteilt worden ist, erklärte der Kläger in Schreiben an die Beklagte vom 20. und 29. April 1997, er verfüge über kein monatliches Einkommen, sondern lebe von der Unterstützung naher Verwandter; mit einer Änderung der Einkommenssituation sei in den nächsten 30 Jahren nicht zu rechnen.

Im Jahr 1998 nahmen die Kläger mit der Beklagten Verhandlungen über einen Teilerlaßvergleich auf. Am 29. Juni 1998 ließen sie durch ihren Rechtsanwalt mitteilen, ohne Wiedererlangung der Berufszulassung habe der Kläger "praktisch keine Möglichkeit", ein Einkommen zu erzielen, das zumindest teilweise zur Rückführung der Schulden verwendet werden könne. Realistisch sei allenfalls ein monatlicher Nettoverdienst von 2.800 DM. Auf eine Anfrage der Beklagten vom 16. September 1998, die im Verlaufe der Vergleichsverhandlungen unter Hinweis auf einen von dritter Seite erhaltenen "Gläubigeraufruf" eine titulierte Forderung des Klägers über 712.000 DM, hohe Einnahmen in den letzten zwei Jahren und erhebliche Vermögenswerte ansprach, antwortete dieser mit Schreiben vom 24. September 1998, weder er noch seine Frau hätten regelmäßige Einnahmen; er erhalte nur hin und wieder Aufträge von befreundeten ehemaligen Kollegen, die "ganz normal abgerechnet" würden. Die angesprochene titulierte Forderung habe er abgetreten, sie stehe ihm also wirtschaftlich nicht zur Verfügung. Unstreitig hatte der Kläger in den Jahren 1996 und 1997 Einnahmen von mehr als 700.000 DM. "Aufgrund" dieser Ausführungen des Klägers stimmte die Beklagte am 25. September 1998 dem Vergleichsvorschlag über 95.702,38 DM, ca. 3,8% ihrer Gesamtforderung, zu. Die Kläger zahlten die Vergleichssumme im Oktober 1998.

Im Dezember 1998 setzte die Beklagte die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil fort und erklärte mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 17. Dezember 1998 die Anfechtung des Vergleichs wegen arglistiger Täuschung und Irrtums. Zur Begründung verwies sie darauf, daß die Kläger falsche und unvollständige Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht hätten, da sie bei der eidesstattlichen Versicherung des Klägers und auch danach erhebliche Honoraransprüche, die Beteiligung des Klägers an der D. Treuhand GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer er war, und den titulierten Anspruch über 712.000 DM verschwiegen hätten.

Die Kläger halten die Anfechtung des Vergleichs für unwirksam und wenden sich gegen die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt sie ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:

Die Vollstreckungsabwehrklage sei mit Rücksicht auf den zwischen den Parteien zustande gekommenen Vergleich begründet. Die Beklagte habe diesen Vergleich nicht wirksam angefochten. Die Anfechtungserklärung vom 17. Dezember 1998 sei zwar formell wirksam. Es liege jedoch kein Anfechtungsgrund vor. Für die Behauptung der Beklagten, die Kläger hätten sie über Jahre hinweg vorsätzlich mit dem Ziel getäuscht, zum richtigen Zeitpunkt einen günstigen Vergleich abschließen zu können, fehle es an hinreichendem Tatsachenvortrag. Es gebe auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, daß den Angaben des Klägers in dem Vermögensverzeichnis aus dem Jahr 1996 bei Abschluß des Vergleichs maßgebliche Bedeutung zugekommen sei. Insbesondere lasse sich dies nicht dem Schreiben der Beklagten vom 16. September 1998 entnehmen, mit dem sie die Kläger zu den in dem "Gläubigeraufruf" enthaltenen Hinweisen befragt habe. Ohne Belang sei ferner, welche Einkünfte der Kläger nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erzielt habe. Die Beklagte habe die Kläger nicht konkret nach ihren Einkünften befragt. Zudem sei die Behauptung der Kläger unwiderlegt geblieben, erzielte Einkünfte zur Schuldentilgung sowie zum Lebensunterhalt aufgebraucht zu haben. Deshalb rechtfertige auch das Antwortschreiben des Klägers vom 24. September 1998 die Anfechtung nicht; die Beklagte habe nämlich nicht belegen können, daß die dortigen Angaben - bezogen auf den Zeitpunkt der Abfassung des Schreibens - unzutreffend und für den Vergleichsabschluß kausal irreführend gewesen seien. Es treffe zwar zu, daß der Kläger in den Jahren 1996 und 1997 beträchtliche Einkünfte erzielt habe, die schwerlich mit den Ausführungen in seinen beiden Schreiben von April 1997 in Einklang zu bringen seien. Die Angaben in dem Antwortschreiben vom 24. September 1998 hätten sich jedoch auf die Verhältnisse des Jahres 1998 bezogen.

Eine Täuschung über die titulierte Forderung des Klägers von 712.000 DM sei ebenfalls nicht feststellbar. Über diese Forderung sei die Beklagte bei Vergleichsschluß durch den Hinweis, der Kläger habe die Forderung bereits 1996 abgetreten, ausreichend informiert gewesen. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme stehe die Abtretung der Forderung fest. Daß sie nur zur Sicherung eines Darlehensrückzahlungsanspruchs abgetreten worden sei und die gesicherte Forderung weit überstieg, habe der Kläger nicht offenbaren müssen. Die verschwiegene Beteiligung an der D. Treuhand GmbH sei unbeachtlich, weil es sich hierbei nicht um eine nennenswerte Vermögensposition handele.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung in entscheidenden Punkten nicht stand.

1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings von der Zulässigkeit der Anfechtung eines Vergleichs wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB ausgegangen. Dabei ist es für die Anfechtungsbefugnis ohne Belang, ob sich die Täuschung auf die Vergleichsgrundlage, also die streitigen und ungewissen Punkte, deren Beseitigung der Vergleich bezweckte, oder auf eine andere als feststehend angenommene, für den Vergleich relevante Tatsache bezog. Jede arglistige Täuschung ist Anfechtungsgrund nach § 123 BGB, sofern sie den Getäuschten zu dem Vergleich bestimmt hat, den er ohne die Täuschung nicht abgeschlossen hätte (BGH, Urteil vom 19. Mai 1999 - XII ZR 210/97, NJW 1999, 2804 m.w.Nachw.).

2. Zu Unrecht kommt das Berufungsgericht aber zu dem Ergebnis, es fehle an hinreichendem Tatsachenvortrag für eine arglistige Täuschung der Beklagten.

a) Dies gilt zunächst für die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung über die Einkommensverhältnisse der Kläger ablehnt. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.

aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann keinem Zweifel unterliegen, daß ausreichender Tatsachenvortrag der Beklagten, die Kläger hätten sie bei Abschluß des Vergleichs über ihre Einkünfte arglistig getäuscht, vorliegt. Dabei kann dahinstehen, ob schon die falsche eidesstattliche Offenbarungsversicherung des Klägers geeignet wäre, eine arglistige Täuschung zu begründen. Jedenfalls hat der Kläger das im Zuge der Vergleichsverhandlungen formulierte Schreiben der Beklagten vom 16. September 1998 bewußt wahrheitswidrig beantwortet.

In diesem Schreiben hat die Beklagte um Stellungnahme zu von dritter Seite erhaltenen Informationen gebeten, der Kläger habe "in den letzten 2 Jahren große Einnahmen" gehabt. Der Kläger hat darauf geantwortet, seine Frau und er hätten keine regelmäßigen Einnahmen. Die anderslautende Behauptung des Informanten der Beklagten sei "unwahr". Tatsächlich hatte der Kläger in den von der Beklagten angesprochenen Jahren 1996 und 1997 unstreitig Einnahmen von mehr als 700.000 DM. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Unrichtigkeit der Angaben des Klägers könne gleichwohl nicht festgestellt werden, weil sich seine Angaben "eindeutig auf die gegenwärtigen Verhältnisse, d.h. diejenigen des Jahres 1998" bezogen hätten, entbehrt jeder Grundlage. Gleiches gilt für die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe aus der Tatsache, daß im Vorfeld des Vergleichsschlusses Leistungen an andere Gläubiger erfolgt seien, schließen müssen, daß der Kläger über nicht unbedeutende Einkünfte verfüge. Abgesehen davon, daß Leistungen an andere Gläubiger auch auf Darlehen etwa von Verwandten der Kläger beruhen konnten, besagen die Ausführungen des Berufungsgerichts nichts gegen eine bewußt wahrheitswidrige Beantwortung der Anfrage der Beklagten vom 16. September 1998 nach den Einkommensverhältnissen der Kläger. Auch der Hinweis des Berufungsgerichts, die Beklagte habe keine konkreten Angaben zu Einnahmen gefordert, geht entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ersichtlich fehl. Die Beklagte hatte "große Einnahmen" des Klägers angesprochen und darauf vom Kläger unter Verschweigen seiner erheblichen Einkünfte eine falsche Antwort erhalten.

Unzutreffend ist auch der Hinweis des Berufungsgerichts, die Angaben der Kläger seien schon deshalb nicht geeignet, den Vorwurf der arglistigen Täuschung zu begründen, weil die Behauptung der Kläger, erzielte Einkünfte zur Schuldentilgung sowie zum Lebensunterhalt aufgebraucht zu haben, unwiderlegt geblieben sei und nicht feststehe, daß die Kläger im Zeitpunkt der Vergleichsverhandlungen noch über entsprechende Mittel verfügt hätten. Die Frage, ob und ggf. wofür die Kläger die zuvor erzielten Einkünfte bei Abfassung des Antwortschreibens im September 1998 möglicherweise verbraucht hatten, ist für die Entscheidung, ob sie über ihre Einkommenssituation arglistig getäuscht haben, ohne jede Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist allein maßgeblich, daß die Kläger der Beklagten einen falschen Eindruck über ihre erzielten Einkünfte vermittelt haben. Zu Recht weist die Revision darauf hin, daß es allein Sache der Beklagten war, darüber zu entscheiden, ob sie einen Vergleich auch dann abschließen wollte, wenn die Kläger tatsächlich über erhebliche - wenngleich in der Zwischenzeit verbrauchte - Einkünfte verfügt hatten.

bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es auch nicht an hinreichendem Vortrag der Beklagten zur Ursächlichkeit der Täuschungshandlung für den Vergleichsschluß. Wenn das Berufungsgericht ausführt, die Beklagte könne nicht belegen, daß die Angabe der Kläger, sie hätten keine regelmäßigen Einnahmen, "kausal irreführend" für den Vergleichsabschluß gewesen sei, so läßt es außer acht, daß die Beklagte in ihrem Schreiben vom 25. September 1998 dem Vergleich ausdrücklich "aufgrund" der Angaben des Klägers vom Vortage zugestimmt hat. Ihr Vortrag zur Ursächlichkeit der Täuschung ist schon mit Rücksicht hierauf schlüssig. Außerdem übergeht das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht rügt, die ausdrückliche Behauptung der Beklagten, daß sie nicht auf eine Forderung von rund 2,4 Mio. DM zugunsten eines Schuldners verzichtet hätte, der nach eigenen Angaben ohne Vermögen und Einkommen war, tatsächlich aber erhebliche Einkünfte erzielte.

b) Einer rechtlichen Überprüfung halten auch die Ausführungen des Berufungsgerichts nicht stand, mit denen es eine arglistige Täuschung im Zusammenhang mit der titulierten Forderung des Klägers über 712.000 DM zuzüglich Zinsen verneint. Der Kläger hat zu dieser von der Beklagten im Schreiben vom 16. September 1998 mit der Bitte um Stellungnahme angesprochenen Forderung erklärt, er habe sie im Jahre 1996 abgetreten, die Forderung stehe ihm "wirtschaftlich nicht zur Verfügung". Die Antwort war falsch. Der Kläger hat verschwiegen, daß es sich lediglich um eine Sicherungsabtretung handelte, wobei die Sicherheit die zu sichernde Forderung um ein Mehrfaches überstieg. Die Freigabeforderung des Klägers stellte daher - jedenfalls nominell - einen erheblichen Wert dar. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger habe den Sicherungscharakter der Abtretung nicht offenbaren müssen, weil dieser angesichts der Vermögensverhältnisse der Kläger auf der Hand gelegen habe, ist rechtlich nicht haltbar. Ungeachtet der Frage, ob nicht der Sicherungscharakter der Abtretung allein schon offenbarungspflichtig war, konnte ein Dritter aus den Vermögensverhältnissen der Kläger - waren sie auch noch so schlecht - jedenfalls nicht erkennen, daß die zur Sicherheit abgetretene Forderung die gesicherte um ein Mehrfaches überstieg.

III.

Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil Feststellungen zu der von den Klägern bestrittenen Behauptung der Beklagten fehlen, sie hätte den Vergleich ohne die Täuschungshandlungen der Kläger nicht abgeschlossen. Für die Ursächlichkeit der Täuschungshandlungen hat die Beklagte Beweis angeboten. Dem wird das Berufungsgericht nachgehen müssen. Die Sache war deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.). Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. Gebrauch gemacht.

Ende der Entscheidung

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