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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 23.11.2004
Aktenzeichen: XI ZR 137/03
Rechtsgebiete: BGB, Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte (1995)


Vorschriften:

BGB § 666
Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte (1995) Nr. 16
a) Aus einem Wertpapierdepotvertrag folgt keine Pflicht der Bank zu vollumfänglicher Betreuung und laufender Beratung.

b) Die Bank ist aus Nr. 16 der Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte zur vollständigen und unmißverständlichen Weiterleitung der in den "Wertpapier-Mitteilungen" veröffentlichten Informationen verpflichtet, die für den Depotinhaber wichtig sind.

c) Eine Bank ist grundsätzlich nicht zum Hinweis auf die Konsequenzen und die wirtschaftliche Bedeutung der vollständig und unmißverständlich weitergeleiteten Informationen verpflichtet (Klarstellung zu BGHZ 151, 5).


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XI ZR 137/03

Verkündet am: 23. November 2004

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. November 2004 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe und die Richter Dr. Müller, Dr. Wassermann, Dr. Appl und Dr. Ellenberger

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 5. März 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung einer Pflicht aus einem Depotvertrag. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten, einer Sparkasse, ein Wertpapierdepot, in dem sich unter anderem 52 Aktien der E. befanden. Vertragsbestandteil waren die "Bedingungen für Wertpapiergeschäfte" (künftig: Bedingungen). Deren Nr. 16 - insoweit identisch mit den in WM 1995, 362 ff. abgedruckten "Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte" - lautet:

"Weitergabe von Nachrichten

Werden in den "Wertpapier-Mitteilungen" Informationen veröffentlicht, die die Wertpapiere des Kunden betreffen, oder werden der Sparkasse solche Informationen vom Emittenten oder von ihrem ausländischen Verwahrer/Zwischenverwahrer übermittelt, so wird die Sparkasse dem Kunden diese Informationen zur Kenntnis geben, soweit sich diese auf die Rechtsposition des Kunden erheblich auswirken können und die Benachrichtigung des Kunden zur Wahrung seiner Interessen erforderlich ist. So wird sie insbesondere Informationen über

- gesetzliche Abfindungs- und Umtauschangebote

- freiwillige Kauf- und Umtauschangebote

- Sanierungsverfahren

zur Kenntnis geben. Eine Benachrichtigung des Kunden kann unterbleiben, wenn die Information bei der Sparkasse nicht rechtzeitig eingegangen ist oder die vom Kunden zu ergreifenden Maßnahmen wirtschaftlich nicht zu vertreten sind, weil die anfallenden Kosten in einem Mißverhältnis zu den möglichen Ansprüchen des Kunden stehen."

In den "Wertpapier-Mitteilungen" vom 8. Juli 2000 wurde mitgeteilt, daß die spanische T. den Aktionären der E. ein freiwilliges Übernahme-/Abfindungsangebot befristet bis zum 24. Juli 2000 abgegeben hatte. Mit Schreiben vom 11. Juli 2000 unterrichtete die Beklagte die Klägerin von dem Umtauschangebot und bat um Mitteilung bis zum 17. Juli 2000, ob die Klägerin das Angebot annehmen wolle. Auch wurde darauf hingewiesen, daß das Angebot der T. nur bei einer Annahme von mindestens 75% gültig sei. Nicht mitgeteilt wurde, daß die Frist zum Umtausch bis zum 24. Juli 2000 lief und daß ausweislich des Textes in den "Wertpapier-Mitteilungen" der Board of Directors die Annahme empfohlen hatte. Nachdem die überwiegende Mehrheit der Aktionäre der E. das Umtauschangebot angenommen hatte, wurde die Börsennotierung der E. -Aktien an allen Wertpapierbörsen mit Wirkung zum 14. September 2000 eingestellt.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Ersatz des Depotwertes der E. -Aktien bei Handelseinstellung in Höhe von 7.176 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen deren Übertragung mit der Begründung, die Beklagte habe ihre aus dem Depotvertrag folgende Pflicht zu laufender Information und Beratung verletzt. Sie habe weder über den Ablauf der Umtauschfrist noch über die Empfehlung des Board of Directors zur Annahme des Umtauschangebots informiert noch auf die drohende Einstellung des Börsenhandels der E. -Aktien bei erfolgreicher Übernahme hingewiesen. Wenn das geschehen wäre, hätte sie, die Klägerin, die Aktien vor Ablauf der Umtauschfrist verkauft. Die Aktien seien nunmehr wertlos, weil sie auch außerbörslich nicht mehr veräußert werden könnten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Aus dem Depotvertrag folge kein Anspruch der Klägerin, "vollumfänglich betreut, also laufend informiert und beraten zu werden". Eine Pflicht zur Information ergebe sich lediglich aus Nr. 16 der Bedingungen. Dieser Verpflichtung sei die Beklagte in ausreichendem Maße nachgekommen. Irgendeine Empfehlung im Zusammenhang damit habe sie nicht aussprechen müssen. Daß sie die Klägerin über das in den "Wertpapier-Mitteilungen" genannte Datum des Ablaufs der Umtauschfrist am 24. Juli 2000 nicht informiert habe, sei unschädlich, weil sie der Klägerin mitgeteilt habe, bis zum 17. Juli 2000 müsse bei ihr ein entsprechender Auftrag eingegangen sein, um ausreichend Zeit für die Ausführung zu haben.

Soweit die Beklagte die Klägerin nicht über die Empfehlung des Board of Directors informiert habe, fehle es jedenfalls an der Schadenskausalität. Eine Vermutung beratungsrichtigen Verhaltens gebe es bei der Verletzung einer Informationspflicht aus einem Depotvertrag nicht. Die Klägerin habe keinen Beweis dafür erbracht, daß sie der Empfehlung des Board of Directors gefolgt wäre. Dagegen spreche, daß sie nach ihrem eigenen Vortrag bei vollständiger Information die Aktien verkauft hätte.

Eine Pflichtverletzung der Beklagten bestehe auch nicht darin, daß sie die bevorstehende Einstellung des Handels mit E. -Aktien nicht mitgeteilt habe. Die Beklagte habe keine Kenntnis von einer bevorstehenden Einstellung des Handels gehabt, weil der Umfang, in dem das Tauschangebot der T. angenommen werden würde, unsicher gewesen sei. Ein vorsorglicher Hinweis sei auf der Grundlage des Depotvertrages von der Beklagten nicht geschuldet gewesen. Selbst wenn man eine derart weitreichende Pflicht der Beklagten annehmen wolle, so könne diese allenfalls gegenüber erkennbar unerfahrenen Anlegern bestehen. Daß es sich bei der Klägerin um eine unerfahrene Anlegerin gehandelt habe, sei weder vorgetragen noch ersichtlich.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Rechtsfehlerfrei ist allerdings die Ansicht des Berufungsgerichts, aus dem zwischen den Parteien bestehenden Depotvertrag habe die Klägerin keinen Anspruch auf eine vollumfängliche Betreuung und laufende Beratung. Die Auffassung des Berufungsgerichts entspricht der in Rechtsprechung und Literatur nahezu einhellig vertretenen Meinung (vgl. OLG Karlsruhe WM 1992, 577; OLG München WM 1997, 1802, 1804; OLG Hamm BB 1999, 1679; Siol, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch 2. Aufl. § 44 Rdn. 87; Gößmann, ebenda § 72 Rdn. 4; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht 3. Aufl. Rdn. 11.107) und wird von der Revision nicht angegriffen.

2. Zu Recht rügt die Revision jedoch die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe ihre Informationspflicht aus Nr. 16 der Bedingungen durch ihr Schreiben vom 11. Juli 2000 erfüllt. Nach Nr. 16 der Bedingungen war die Beklagte verpflichtet, die in den "Wertpapier-Mitteilungen" veröffentlichten Informationen, die Wertpapiere der Klägerin betrafen, der Klägerin zur Kenntnis zu geben, soweit sich diese auf ihre Rechtsposition erheblich auswirken konnten und die Benachrichtigung der Klägerin zur Wahrung ihrer Interessen erforderlich war. Diese Verpflichtung hat die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 11. Juli 2000 nicht in ausreichendem Maße erfüllt.

a) Sie hat es unterlassen, zwei in den "Wertpapier-Mitteilungen" veröffentlichte Informationen an die Klägerin weiterzuleiten. Sie hat weder über den Ablauf der Umtauschfrist informiert noch hat sie der Klägerin mitgeteilt, daß der Board of Directors der E. die Annahme des Umtauschangebots empfohlen hatte. Beide Informationen waren zur Wahrung der Interessen der Klägerin erforderlich. Die Empfehlung des Board of Directors sprach dafür, daß die Übernahme der E. eine ausgehandelte Sache war, mit dem Erfolg der Umtauschaktion also unbedingt gerechnet werden mußte. Die genaue Kenntnis vom Ende der Umtauschfrist benötigte die Klägerin, um einen möglichst günstigen Verkaufspreis erzielen zu können. Im Zuge von Umtauschaktionen kommt es häufig zu einem Kursanstieg der betroffenen Aktien. Für eine erfolgreiche Spekulation auf den günstigsten Veräußerungszeitpunkt ist daher die Kenntnis des genauen Endes der Umtauschfrist wichtig. Die Beklagte hat die unterlassene Benachrichtigung auch zu vertreten. Soweit sie die ...bank mit der Auswertung der "Wertpapier-Mitteilungen" beauftragt hat, muß sie für deren Verschulden einstehen (§ 278 BGB).

b) Wegen der danach feststehenden Informationspflichtverletzung der Beklagten kann offen bleiben, ob die Klägerin auch verpflichtet war, auf die drohende Einstellung des Börsenhandels der E. -Aktien bei Erfolg der Umtauschaktion hinzuweisen. Eine solche Pflicht zum Hinweis auf die Konsequenzen und die wirtschaftliche Bedeutung einer weitergeleiteten Information wird in der Literatur allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen bei erkennbar unerfahrenen und schutzbedürftigen Anlegern erwogen (vgl. Jütten, in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis Rdn. 7/139; siehe auch Soergel/Beuthien BGB 12. Aufl. § 666 Rdn. 6). Eine über die ordnungsgemäße und unmißverständliche Weiterleitung der Angaben in den "Wertpapier-Mitteilungen" hinausgehende Pflicht zur Erläuterung dieser Angaben hat der Senat entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch seiner Entscheidung zu Nr. 15 Abs. 2 der "Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte" (BGHZ 151, 5, 11) nicht zugrundegelegt.

3. Von Rechtsfehlern beeinflußt sind ferner die Ausführungen des Berufungsgerichts zur fehlenden Kausalität der unterlassenen Weitergabe der vorgenannten in den "Wertpapier-Mitteilungen" veröffentlichten Informationen.

Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings die Vermutung für "aufklärungsrichtiges Verhalten" verneint. Zwar hat der Senat entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts eine Vermutung für "aufklärungsrichtiges Verhalten" auch bei einer Verletzung von Informationspflichten im Rahmen eines Depotvertrages bejaht (vgl. BGHZ 151, 5, 12). Eine solche Vermutung besteht aber nur in den Fällen, in denen es für den aufzuklärenden Partner vernünftigerweise nur eine Möglichkeit der Reaktion gibt, die vollständige und richtige Auskunft also keinen Entscheidungskonflikt ausgelöst hätte oder von zwei Handlungsalternativen beide jeweils geeignet gewesen wären, den entstandenen Schaden zu vermeiden (vgl. Senatsurteil BGHZ 151, 5, 12 m.w.Nachw.).

Der Klägerin standen hier mehrere Handlungsalternativen zur Verfügung, nämlich entweder das Umtauschangebot anzunehmen oder es aber abzulehnen oder die Aktien vor Ablauf der Umtauschfrist über die Börse zu verkaufen. Auch bei vollständiger Weitergabe der in den "Wertpapier-Mitteilungen" veröffentlichten Informationen gab es für die Klägerin mehr als nur eine vernünftige Reaktionsmöglichkeit. Sie muß daher nach allgemeinen Grundsätzen den Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem ihr entstandenen Schaden beweisen (vgl. Senatsurteil vom 10. Mai 1994 - XI ZR 115/93, WM 1994, 1466, 1467 f.). Dementsprechend hat die Klägerin vorgetragen und unter Beweis gestellt, daß sie bei ordnungsgemäßer Information die Aktien fristgerecht verkauft hätte. Das Berufungsgericht ist diesem Antrag zu Unrecht nicht nachgegangen.

III.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Entscheidung reif ist, war sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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