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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.06.1998
Aktenzeichen: XI ZR 254/97
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 254 Abs. 1
BGB § 254 Abs. 1

Es begründet kein Mitverschulden am Abhandenkommen eines Schecks auf dem Postwege, wenn der Aussteller den Scheck mit einfachem Brief übermittelt.

BGH, Urteil vom 16. Juni 1998 - XI ZR 254/97 - OLG Stuttgart LG Stuttgart


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XI ZR 254/97

Verkündet am: 16. Juni 1998

Bartholomäus Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 1998 durch die Richter Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Nobbe, Dr. van Gelder und Dr. Müller

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. Juli 1997 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart vom 31. Oktober 1996 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der beklagten Volksbank Schadensersatz, weil diese bei der Hereinnahme eines Inhaberverrechnungsschecks grob fahrlässig nicht erkannt hat, daß der Scheck abhanden gekommen war. Streitig ist allein noch, ob die Klägerin ein Mitverschulden an der Entstehung des Schadens trifft.

Die Klägerin stellte am 4. Juli 1995 für ihre Lieferantin in D. einen auf die R.'er Volksbank gezogenen Scheck über 306.250 DM aus, den sie am gleichen Tage in einem einfachen Brief am Schalter der Hauptpost R. ablieferte und der die Adressatin nicht erreichte. Eine unbekannte Person, die sich - ausgewiesen durch einen gestohlenen Reisepaß - als "O." ausgab, reichte den Scheck am 11. Juli 1995 bei der Beklagten zum Einzug und zur Gutschrift auf ihr Girokonto ein, das sie an diesem Tag eröffnet hatte. Das Konto der Klägerin wurde mit 306.250 DM belastet. Diesen Betrag nebst Zinsen und Nebenkosten fordert die Klägerin von der Beklagten.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen der Klägerin 153.125 DM nebst Zinsen und Nebenkosten zugesprochen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Zurückweisung der Berufung der Beklagten in vollem Umfang.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I.

Das Berufungsgericht hat ein erhebliches Mitverschulden der Klägerin an der Entstehung ihres Schadens angenommen, das ihren Schadensersatzanspruch um die Hälfte mindere (§ 254 Abs. 1 BGB). Es hat dazu u.a. ausgeführt:

Der Klägerin sei anzulasten, daß sie den Scheck mit einfachem Brief versandt habe. Zwar erreiche nur ein ganz geringer Prozentsatz von Briefsendungen den Empfänger nicht. Enthalte der Brief jedoch wertvolle Unterlagen, sei es dem Absender im eigenen Interesse zuzumuten, Vorkehrungen zu treffen, die das Risiko des Abhandenkommens verringern. Dazu gehörten der Versand durch Einschreiben mit Rückschein, das verhältnismäßig zeitnah eine Kontrolle ermögliche, ob der Brief dem Empfänger zugegangen sei, oder der teurere und aufwendigere Versand als Wertbrief.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Klägerin ein anspruchminderndes Verschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) an der Entstehung des Schadens nicht anzulasten.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann demjenigen, der zur Übermittlung auch einer hohen Geldleistung nicht den sicheren Weg einer Banküberweisung gewählt, sondern einen Verrechnungsscheck per Brief zur Post gegeben hat, kein Vorwurf gemacht werden (Urteil vom 19. Januar 1993 - XI ZR 76/92, WM 1993, 541, 544). Dies gilt auch, was der Senat bislang offengelassen hat, wenn der Scheck nicht durch Einschreibebrief, sondern - wie hier - nur mit einfachem Brief übermittelt wird.

Es ist schon zweifelhaft, ob kriminellen Zugriffen auf Postsendungen durch einen Einschreibebrief besser begegnet werden kann als durch einfachen Brief (vgl. OLG Hamburg WM 1995, 2136). Angesichts der Massenhaftigkeit des Postverkehrs und der verschwindend geringen Zahl verlorengehender Postsendungen entspricht der Versand mit einfachem Brief jedenfalls dann noch der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, wenn nicht ohne weiteres erkennbar ist, daß ein Scheck verschickt wird, wie es zum Beispiel bei Fensterumschlägen der Fall sein kann (vgl. Schwintowski/Schäfer, Bankrecht § 4 Rdn. 302; Christoffel WuB I D 3.-3.96; Irmen WuB I D 3.-6.91; a.A. OLG Hamm WM 1983, 459).

Auch die Banken sehen den Postversand von Verrechnungsschecks mit einfachem Brief nicht als unüblich an. Weder empfehlen sie ihren Kunden bei der Übermittlung selbst hoher Geldleistungen zur Verminderung des Mißbrauchsrisikos die Verwendung von Orderschecks, noch warnen sie vor dem Postversand. Wenn einzelne Banken - wie die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat - ihren Kunden Fensterbriefhüllen für das Verschicken von Schecks als Briefdrucksache zur Verfügung stellen und das Feld für die Angabe des Scheckempfängers als Adreßfeld gestalten, das den handelsüblichen Fensterumschlägen angepaßt ist, regen sie sogar eine höchst riskante Form der Postübermittlung an.

Die Klägerin durfte mithin, ohne daß ihr die Verletzung einer Obliegenheit angelastet werden kann, den Scheck mit einfachem Brief ihrer Lieferantin übermitteln. Es kann deshalb auch kein Mitverschulden begründen, wenn die Klägerin ergänzende Sicherheitsmaßnahmen unterließ. Sie war insbesondere nicht gehalten - wie das Berufungsgericht meint -, die Scheckempfängerin telefonisch oder per Fax über den Versand zu informieren. In der kurzen Zeit zwischen Absenden des Schecks und dessen Einlösung hatte die Klägerin auch keinen Anlaß, sich nach dem Zugang des Schecks zu erkundigen (vgl. KG NJW-RR 1994, 1391, 1392).

Das angefochtene Urteil war danach teilweise aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Da es weiterer Feststellungen nicht bedurfte, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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