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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 20.06.2006
Aktenzeichen: XI ZR 305/05
Rechtsgebiete: BGB, BörsG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 826
BörsG § 53 Abs. 2 a.F.
ZPO § 286 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 559 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XI ZR 305/05

Verkündet am: 20. Juni 2006

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2006 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe, die Richter Dr. Müller, Dr. Joeres, die Richterin Mayen und den Richter Prof. Dr. Schmitt

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in Brandenburg vom 15. November 2005 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz für Verluste aus Optionsgeschäften in Anspruch.

Der Beklagte war Geschäftsführer einer in Spanien ansässigen Gesellschaft, die gewerbsmäßig Termin- und Optionsgeschäfte vermittelte. Nach telefonischer Werbung und Übersendung einer Informationsbroschüre unterzeichnete der Kläger eine Unterrichtungsschrift über Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften und schloss mit einem Betreuungs-Service einen entgeltlichen Betreuungsvertrag. Er erteilte der Vermittlungsgesellschaft im August und September 2000 Aufträge zum Erwerb von Rohstoff-Optionen und überwies hierfür insgesamt 31.850 DM. Für jedes Geschäft wurden ihm von der Gesellschaft ein Disagio von bis zu 10% des eingesetzten Betrages und eine Kommission in Höhe von 65 US-Dollar je Optionskontrakt in Rechnung gestellt. Ferner hatte er für die monatlichen Kontoauszüge und sonstige angeforderte Belege je 30 US-Dollar zu zahlen.

Der Kläger ist der Auffassung, der Beklagte habe ihn nicht ausreichend über die Risiken der Geschäfte aufgeklärt. Seine Klage auf Zahlung von 16.284,65 € nebst Zinsen war in den Vorinstanzen erfolgreich. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Beklagte schulde dem Kläger gemäß § 826 BGB wegen mangelhafter Aufklärung über die Risiken der Optionsgeschäfte Schadensersatz in Höhe des eingesetzten Kapitals. Er sei für die Aufklärung des Klägers darüber verantwortlich gewesen, dass höhere Vermittlungsprovisionen Gewinnchancen weitgehend ausgrenzten, dass die geringe Wahrscheinlichkeit, insgesamt einen Gewinn zu erzielen, mit jedem Geschäft abnehme, und dass die Kunden praktisch chancenlos seien. Diesen Anforderungen genüge die dem Kläger zur Verfügung gestellte Aufklärungsbroschüre nicht. Die in ihr enthaltenen Hinweise auf die Geschäftsrisiken seien nicht deutlich genug hervorgehoben, sondern über die gesamte Broschüre verteilt. Insbesondere sei der Broschüre nicht unmissverständlich zu entnehmen, dass wegen der höheren Prämienaufschläge ein Gewinn kaum zu erwarten sei, und zwar um so weniger, je mehr Geschäfte abgeschlossen würden. Der Hinweis, dass unter Berücksichtigung der Transaktionskosten die Wahrscheinlichkeit eines Verlusts größer als die eines Gewinns sei, reiche nicht aus. In der Broschüre werde zwar ausgeführt, dass Transaktionskosten, die 5% des eingesetzten Kapitals überstiegen, nicht mehr als vertretbar anzusehen seien, und dass mit einem tatsächlichen Kostenansatz von über 12% zu rechnen sei. Diese Hinweise befänden sich jedoch an verschiedenen Stellen der Broschüre, so dass sich, insbesondere einem flüchtigen Leser, die wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht erschlössen. Zudem würden die Warnhinweise durch Beschönigungen und werbende Aussagen verharmlost. Die Unterrichtungsschrift über Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften enthalte keine Angaben über die Auswirkungen der Prämienaufschläge, sondern gebe nur den Wortlaut des § 53 Abs. 2 BörsG a.F. wieder.

Der Beklagte, der als Geschäftsführer der Vermittlungsgesellschaft für eine ausreichende Aufklärung habe Sorge tragen müssen, habe bei der Verletzung dieser Pflicht zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt. Er habe den unzureichenden Inhalt der Broschüre gekannt und keine Überprüfung anhand der nach ihrer Erstellung ergangenen Rechtsprechung veranlasst. Die schwerwiegenden Aufklärungsmängel sprächen gegen ein versehentliches Versäumnis.

Eine tatsächliche Vermutung spreche dafür, dass der Kläger die verlustreichen Geschäfte bei gehöriger Aufklärung nicht abgeschlossen hätte.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.

1. Das Berufungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass der Beklagte nicht in ausreichender Weise für eine korrekte Aufklärung des Klägers Sorge getragen hat.

a) aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind gewerbliche Vermittler von Terminoptionen verpflichtet, Kaufinteressenten vor Vertragsschluss schriftlich und in auch für flüchtige Leser auffälliger Form die Kenntnisse zu vermitteln, die sie in die Lage versetzen, den Umfang ihres Verlustrisikos und die Verringerung ihrer Gewinnchance durch den Aufschlag auf die Optionsprämie richtig einzuschätzen. Dazu gehört neben der Bekanntgabe der Höhe der Optionsprämie auch die Aufklärung über die wirtschaftlichen Zusammenhänge des Optionsgeschäfts und die Bedeutung der Prämie sowie ihren Einfluss auf das mit dem Geschäft verbundene Risiko. So muss darauf hingewiesen werden, dass die Prämie den Rahmen eines vom Markt noch als vertretbar angesehenen Risikobereichs kennzeichnet und ihre Höhe den noch als realistisch angesehenen, wenn auch weitgehend spekulativen Kurserwartungen des Börsenfachhandels entspricht. Ferner ist darzulegen, ob und in welcher Höhe ein Aufschlag auf die Prämie erhoben wird, und dass ein solcher Aufschlag die Gewinnerwartung verschlechtert, weil ein höherer Kursausschlag als der vom Börsenfachhandel als realistisch angesehene notwendig ist, um in die Gewinnzone zu kommen. In diesem Zusammenhang ist unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass höhere Aufschläge vor allem Anleger, die mehrere verschiedene Optionen erwerben, aller Wahrscheinlichkeit nach im Ergebnis praktisch chancenlos machen. Die Aussagekraft dieses Hinweises, der schriftlich und in auch für flüchtige Leser auffälliger Form zu erfolgen hat, darf weder durch Beschönigungen noch auf andere Weise beeinträchtigt werden (Senat BGHZ 124, 151, 154 f.; Urteile vom 16. Oktober 2001 - XI ZR 25/01, WM 2001, 2313, 2314, vom 28. Mai 2002 - XI ZR 150/01, WM 2002, 1445, 1446, vom 1. April 2003 - XI ZR 385/02, WM 2003, 975, 976 f. und vom 22. November 2005 - XI ZR 76/05, WM 2006, 84, 86).

bb) Für diese Aufklärung hat der Geschäftsführer einer Optionsvermittlungsgesellschaft Sorge zu tragen. Ein Geschäftsführer, der Optionsgeschäfte ohne gehörige Aufklärung der Kunden abschließt, den Abschluss veranlasst oder bewusst nicht verhindert, missbraucht seine geschäftliche Überlegenheit in sittenwidriger Weise und haftet den Optionserwerbern gemäß § 826 BGB auf Schadensersatz (Senat BGHZ 124, 151, 162; Urteile vom 28. Mai 2002 - XI ZR 150/01, WM 2002, 1445, 1446, vom 1. April 2003 - XI ZR 385/02, WM 2003, 975, 977 und vom 22. November 2005 - XI ZR 76/05, WM 2006, 84, 87).

b) Diese Pflichten hat der Beklagte nicht erfüllt.

aa) Die zwölfseitige Informationsbroschüre enthält, wie der Senat (Urteil vom 30. März 2004 - XI ZR 488/02, WM 2004, 1132, 1134) für eine Broschüre mit ähnlichem Inhalt bereits entschieden hat, die erforderliche Aufklärung nicht.

Auf der ersten Seite der Broschüre wird zwar auf den ausschlaggebenden negativen Einfluss der Transaktionskosten auf das Ergebnis der Geschäfte und auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Totalverlustes hingewiesen. Der entscheidende Hinweis, dass der Aufschlag vor allem Anleger, die mehrere verschiedene Optionen erwerben, aller Wahrscheinlichkeit nach im Ergebnis praktisch chancenlos macht, fehlt aber. Stattdessen wird die Aussage, dass bei wiederholter Spekulation eine per saldo-Gewinnchance nicht besteht, auf den Fall der Realisierung anfänglicher Verluste beschränkt. Dadurch wird die Gefahr verschleiert, trotz eines gewinnbringenden Erstgeschäfts durch weitere Geschäfte einen Totalverlust zu erleiden. Auch der anschließend gegebene Hinweis, Transaktionskosten, die den Betrag von 5% des eingesetzten Kapitals überstiegen, hätten die zuvor geschilderten negativen Auswirkungen und seien als in diesem Sinne nicht mehr vertretbar anzusehen, dies gelte auch für die von der Vermittlungsgesellschaft erhobenen Kosten, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Revision keine andere Beurteilung. Auch hier wird die praktische Chancenlosigkeit von Anlegern, die - wie der Kläger - mehrere verschiedene Optionen erwerben, nicht hinreichend deutlich gemacht.

Die zu Beginn der Broschüre gegebene Aufklärung ist nicht nur für sich betrachtet unzureichend, sondern wird durch den weiteren Text noch zusätzlich entwertet. Auf Seite 5 der Broschüre wird die Behauptung aufgestellt, Anleger der Vermittlungsgesellschaft und die ausgesuchten Betreuungsgemeinschaften stellten ihre Optionen maximal 30 Tage vor dem von der Börse vorgegebenen letzten Handelstag glatt, so dass ein Totalverlust beim jeweiligen Optionsgeschäft ausgeschlossen sei. Damit wird der zuvor gegebene Hinweis auf einen drohenden Totalverlust wieder zurückgenommen. Im Folgenden wird die praktische Chancenlosigkeit des Anlegers systematisch verschleiert und stattdessen eine nicht vorhandene Gewinnchance vorgetäuscht. Die für das Optionsgeschäft typische Hebelwirkung wird auf den Seiten 5 und 6 der Broschüre sowohl auf die Gewinn- als auch auf die Verlustseite bezogen. Auf Seite 6 heißt es, ohne sinnvollen Spekulationsplan sei ein Verlust um vieles wahrscheinlicher als ein Gewinn. Dadurch wird der falsche Eindruck erweckt, es gebe sinnvolle Spekulationspläne mit einer höheren Gewinnwahrscheinlichkeit.

Auch über die Höhe der für die praktische Chancenlosigkeit des Anlegers entscheidenden Transaktionskosten wird fehlerhaft aufgeklärt. Auf Seite 8 werden zwar die Kosten der Vermittlungsgesellschaft, aber nicht die des Betreuungs-Service angegeben, obwohl die Einschaltung von Betreuern ausdrücklich erwähnt wird. Auch das Berechnungsbeispiel auf Seite 9 der Broschüre berücksichtigt die Gebühren des Betreuungs-Service nicht, obwohl es nach der drucktechnisch hervorgehobenen Überschrift für Optionsgeschäfte mit Einschaltung von Betreuern gilt. Die darin liegende grobe Irreführung wird durch den anschließend in normaler Druckschrift gegebenen Hinweis auf zusätzliche Betreuungsgebühren nicht ausgeräumt.

bb) Das vom Kläger unterschriebene Merkblatt über Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften enthält die gebotene Aufklärung über die Auswirkungen der Gebührenaufschläge auf die Gewinnerwartung ebenfalls nicht.

2. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln des Beklagten angenommen hat, ist ebenfalls rechtsfehlerfrei. Die Feststellung des Vorsatzes unterliegt als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung im Sinne des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Dieses kann lediglich prüfen, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- oder Erfahrungssätze gewürdigt worden ist (Senat, Urteil vom 26. Oktober 2004 - XI ZR 211/03, WM 2005, 27). Ein solcher Rechtsfehler liegt nicht vor.

Die Revision beruft sich auch in diesem Zusammenhang ohne Erfolg darauf, die Aufklärungsbroschüre enthalte eine ausreichende Aufklärung. Dies trifft, wie dargelegt, nicht zu. Das Berufungsgericht hat bei seiner Würdigung zu Recht berücksichtigt, dass die Broschüre schwerwiegende Aufklärungsmängel enthält (vgl. Senat, Urteil vom 1. April 2003 - XI ZR 385/02, WM 2003, 975, 977). Soweit die Revision sich auf einen vom D. e.V. empfohlenen Musterprospekt beruft, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der gemäß § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht berücksichtigt werden kann.

3. Das Berufungsgericht hat auch die Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung für den Schaden des Klägers rechtsfehlerfrei bejaht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein Anleger bei gehöriger Aufklärung die verlustreichen Geschäfte nicht abgeschlossen hätte (Senat BGHZ 124, 151, 159 f. und Urteil vom 30. März 2004 - XI ZR 488/02, WM 2004, 1132, 1134, jeweils m.w.Nachw.). Umstände, die diese Vermutung entkräften könnten, liegen nicht vor. Das Berufungsgericht musste sich entgegen der Auffassung der Revision nicht ausdrücklich mit den Schreiben des Klägers vom 10. Oktober und 7. November 2000 auseinandersetzen. Diese Schreiben bringen zwar zum Ausdruck, dass dem Kläger die Möglichkeit eines Teil- oder Totalverlustes bewusst war. Sie enthalten aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass er die Auswirkungen der Gebührenaufschläge auf seine Gewinnchance kannte und dass er die Optionsgeschäfte trotz Kenntnis dieser wirtschaftlichen Zusammenhänge getätigt hätte.

III.

Die Revision war demnach als unbegründet zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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