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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 10.06.2008
Aktenzeichen: XI ZR 331/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 767 Abs. 1
a) Erfasst der Sicherungszweck einer Bürgschaft für ein Gesellschafterdarlehen auch den Fall, dass die schuldende GmbH in eine Krise gerät, so kann sich der haftende Bürge nicht auf eine das Eigenkapital der Gesellschaft sichernde Rückzahlungssperre berufen (im Anschluss an BGH, Urteil vom 15. Februar 1996 - IX ZR 245/94, WM 1996, 588, 590).

b) Fehlende Kenntnis von der Stellung des Darlehensgebers als Gesellschafter der darlehensnehmenden GmbH kann den Bürgen nur von dem spezifischen Risiko entlasten, das mit der Einordnung der Hauptschuld als eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen verbunden ist, steht jedoch nicht der Bürgenhaftung entgegen, wenn die Gesellschaft als Hauptschuldnerin vermögenslos wird und deswegen allgemein ihre Verbindlichkeiten nicht erfüllt.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XI ZR 331/07

Verkündet am: 10. Juni 2008

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juni 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Nobbe und die Richter Dr. Müller, Dr. Ellenberger, Maihold und Dr. Matthias

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 25. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. Mai 2007 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage in Höhe eines Betrages von 296.498,83 € nebst Zinsen abgewiesen worden ist.

Die weitergehende Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin, eine GmbH, die sich an einer Vielzahl von Steuerberatungsgesellschaften beteiligt, nimmt den Beklagten auf Zahlung von 510.000 € nebst Prozesszinsen aus einer Bürgschaft für Verbindlichkeiten der F. GmbH (im Folgenden: GmbH) in Anspruch, die auf einem von der Klägerin geführten Verrechnungskonto aufgelaufen sind.

Der Beklagte, ein Steuerberater, verkaufte seine Steuerberatungspraxis im Dezember 1998 an eine GmbH, an der er 40% und der Zeuge W. 60% des Stammkapitals von 50.000 DM hielten, für 1,6 Millionen DM, zahlbar in zwei Raten von 1,12 Millionen DM und 480.000 DM. Alleiniger Geschäftsführer der GmbH wurde der Beklagte. Der Kaufpreis wurde von der Klägerin, die für die GmbH, die über entsprechende Eigenmittel nicht verfügte, in Vorlage trat, gezahlt. Dafür übernahm der Beklagte eine selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe von 468.000 DM, die den Anspruch der Klägerin aus der Finanzierung sowohl seiner Stammeinlage von 20.000 DM als auch eines seiner Gesellschaftsbeteiligung von 40% entsprechenden Anteils an der ersten Kaufpreisrate sichern sollte.

Am 19. Januar 1999 schloss die Klägerin mit der GmbH in einer Urkunde, in der der Beklagte als "Partner" bezeichnet wurde, eine sogenannte Cash-Clearing-Vereinbarung, die den Tochtergesellschaften der Klägerin den Zugang zu besonders günstigen Kreditkonditionen der Klägerin im Rahmen einer mit der D. Bank geschlossenen Vereinbarung eröffnen sollte. Die Konten der Cash-Clearing-Teilnehmer wurden dabei von der Bank nach Außen wie gewöhnliche Girokonten geführt, im Innenverhältnis wurden sie jedoch buchungstäglich ausgeglichen und der Saldo zugunsten bzw. zulasten des Gesamtkredits der Klägerin umgebucht. Gleichzeitig führte die Klägerin für die GmbH als Teilnehmerin an dem Cash-Clearing-Verfahren ein Verrechnungskonto, das sämtliche in dieses Verfahren einbezogene, die GmbH betreffende Kontobewegungen erfasste. Dieses durfte die GmbH bis maximal 50.000 DM belasten. In § 5 der Vereinbarung wurde festgelegt, dass der "Partner" gegenüber der Klägerin eine "selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe des vereinbarten Gesamtlimits nebst Zinsen" übernimmt.

Am selben Tag schloss der Beklagte mit der Klägerin einen von ihr auch in vergleichbaren Fallgestaltungen verwendeten formularmäßigen Bürgschaftsvertrag, in dem er eine betragsmäßig unbegrenzte selbstschuldnerische Bürgschaft für Ausgleichsansprüche der Klägerin gegen die GmbH aus der Cash-Clearing-Vereinbarung übernahm.

Im Juli 1999 gewährte die D. Bank der GmbH ein Darlehen in Höhe von 1,6 Millionen DM zur Finanzierung des bisher von der Klägerin getragenen Aufwands für den Erwerb der Steuerberaterpraxis des Beklagten, das nach Stellung entsprechender Sicherheiten durch zum Unternehmensverbund der Klägerin gehörende Gesellschaften an die Klägerin ausgezahlt wurde. Für dieses Darlehen übernahm der Beklagte gegenüber der D. Bank entsprechend seiner damaligen Stammeinlage an der GmbH von 35% eine Höchstbetragsbürgschaft über 560.000 DM. Der Aufwand für dieses Darlehen wurde in der Folge über das bei der Klägerin im Rahmen der Cash-Clearing-Vereinbarung geführte Verrechnungskonto der GmbH gebucht. Die Klägerin, die Ende Dezember 2000 den Anteil des Zeugen W. an der GmbH übernahm, erweiterte den der GmbH in dem Cash-Clearing-Verfahren eingeräumten Kreditrahmen laufend, zuletzt mit von dem Beklagten für die GmbH gegengezeichnetem Schreiben vom 28. Januar 2002 auf 510.000 €. Nach Feststellung der bilanziellen Überschuldung der GmbH erklärte die Klägerin mit ihren Ansprüchen in Höhe von 600.000 € einen Rangrücktritt, solange die GmbH überschuldet sei.

Nach Auseinandersetzungen der Parteien über die Geschäftsführung der GmbH fasste am 15. Oktober 2003 die Gesellschafterversammlung der GmbH, an der inzwischen die Klägerin zu 60%, der Beklagte zu 35% und der Steuerberater B. zu 5% beteiligt waren, mehrheitlich den Beschluss, den Beklagten aus wichtigem Grund als Geschäftsführer der GmbH abzuberufen und seinen Geschäftsanteil einzuziehen. Am selben Tag stellte die Klägerin das Darlehen aus der Cash-Clearing-Vereinbarung gegenüber der GmbH fällig. Diese leistete keine Zahlungen auf das Darlehen. Die Klägerin nimmt deshalb den Beklagten aus der Bürgschaft vom 19. Januar 1999 in Anspruch.

Die Klägerin behauptet, das Verrechnungskonto der GmbH habe zum 31. Dezember 2002 ein Debet von 957.704,87 € aufgewiesen, das in der Folgezeit auf mehr als 1,2 Millionen € angewachsen sei. Der Beklagte habe dafür in Höhe des zuletzt vereinbarten Kreditrahmens von 510.000 € einzustehen, jedenfalls aber für Verbindlichkeiten der GmbH in Höhe von 296.498,83 €, da diese im laufenden, operativen Geschäft der GmbH entstanden seien und nicht auf dem zur Refinanzierung des Erwerbsaufwandes aufgenommenen Darlehen beruhten.

Der Beklagte ist der Ansicht, er hafte allenfalls auf den Betrag von 50.000 DM, der in der Verrechnungsvereinbarung als Kreditrahmen vorgesehen sei. Auch in dieser Höhe sei er jedoch mangels Fälligkeit der Bürgschaft nicht zur Zahlung verpflichtet, da das Darlehen der Klägerin als Eigenkapital der GmbH anzusehen sei und deswegen jedenfalls zur Zeit nicht geltend gemacht werden könne.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin 510.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist teilweise begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit die Klage in Höhe von 296.498,83 € nebst Zinsen abgewiesen worden ist.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Auslegung der Bürgschaft des Beklagten ergebe, dass sie sich nicht auf Verbindlichkeiten der GmbH erstreckte, die im Zusammenhang mit der Refinanzierung des Kaufpreises für den Erwerb der Steuerberatungspraxis entstanden seien. Dagegen spreche zwar die weite formularmäßige Bürgschaftserklärung. Jedoch belegten der Zusammenhang der Bürgschaft mit der zugleich geschlossenen Cash-Clearing-Vereinbarung, die Angaben des Zeugen W. , des früheren Mehrheitsgesellschafters der GmbH und die Übernahme weiterer, der Beteiligung des Beklagten an der GmbH anteilsmäßig entsprechender Bürgschaften für den Finanzierungsaufwand, dass mit der auf das Cash-Clearing-Verfahren bezogenen Bürgschaft nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien keine Ansprüche der Klägerin gegen die GmbH aus dem Kauf der Steuerberatungspraxis hätten gesichert werden sollen. Deswegen bedürfe keiner Entscheidung, ob angesichts der nicht abschließend geklärten Stellung des Beklagten in der GmbH die weite formularmäßig bestellte Bürgschaft wirksam sei. Ebenso wenig sei die weitere Behauptung der Klägerin zu klären, Verbindlichkeiten auf dem durch die Bürgschaft gesicherten Verrechnungskonto in Höhe von 296.498,83 € stünden nicht im Zusammenhang mit der Kaufpreisfinanzierung. Das von der Klägerin über das Verrechnungskonto gewährte Darlehen sei nämlich nach den §§ 30, 31 GmbHG als Eigenkapital der nach Belastung mit der Kaufpreisforderung für den Erwerb der Steuerberatungspraxis überschuldeten GmbH anzusehen und deswegen - jedenfalls derzeit - der Darlehensrückzahlungsanspruch der Klägerin nicht durchsetzbar. Darauf könne sich der Beklagte berufen, da ihm bei Übernahme der Bürgschaft die künftige Stellung der Klägerin als Gesellschafterin der GmbH nicht bekannt gewesen sei.

II.

Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen hat, halten rechtlicher Überprüfung nur teilweise stand.

1. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die durch rechtsfehlerfreie Auslegung der Vertragserklärungen der Parteien gewonnene Auffassung des Berufungsgerichts, die von dem Beklagten am 19. Januar 1999 übernommene Bürgschaft sichere auf dem Verrechnungskonto im Rahmen der Cash-Clearing-Vereinbarung verbuchte Verbindlichkeiten der GmbH nicht, soweit diese durch Leistungen auf das an die Klägerin zum Ausgleich für die Kosten des Erwerbs der Steuerberaterpraxis ausgezahlte Darlehen der D. Bank entstanden seien. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Bürgschaft kann entgegen der Ansicht der Revision im Revisionsverfahren nur eingeschränkt überprüft werden.

a) Der Bürgschaft, die der Beklagte zur Sicherung von Ansprüchen der Klägerin gegen die GmbH aus dem Cash-Clearing-Verfahren bestellt hat, liegen zwar Geschäftsbedingungen zugrunde, die von der Klägerin für entsprechende Verträge mit weiteren Teilnehmern an diesem Verrechnungsverfahren verwendet wurden. Solche Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach objektiven Maßstäben auszulegen, wie die an solchen Geschäften typischerweise beteiligten Verkehrskreise sie verstehen können und müssen (st.Rspr., vgl. BGHZ 51, 55, 58; BGHZ 102, 384, 389 f.). Dies schließt es aus, ein davon abweichendes Verständnis nur einer der Vertragsparteien zum Maßstab der Auslegung zu machen (Senat, Urteil vom 23. März 2004 - XI ZR 14/03, WM 2004, 1080, 1082). Soweit die Parteien den Inhalt ihrer Vereinbarungen aber übereinstimmend abweichend vom objektiven Sinngehalt einer Klausel, die in einbezogenen Geschäftsbedingungen enthalten ist, verstanden haben, ist anerkanntermaßen von der gemeinsamen Auffassung der Parteien auszugehen. Nicht nur bei der Auslegung von Individualvereinbarungen, sondern auch von Allgemeinen Geschäftsbedingungen geht, was die Revi-sion verkennt, der übereinstimmende Wille der Parteien dem Wortlaut des Vertrages und jeder anderweitigen Deutung vor (BGHZ 113, 251, 259; BGH, Urteil vom 9. März 1995 - III ZR 55/94, WM 1995, 874, 876 f., insoweit in BGHZ 129, 90 ff. nicht abgedruckt; BGH, Urteil vom 22. März 2002 - V ZR 405/00, WM 2002, 1017, 1018; Erman/Roloff, BGB 12. Aufl. § 305c Rdn. 20; MünchKomm/Basedow, BGB 5. Aufl. § 305c Rdn. 26; Staudinger/Schlosser, BGB Bearb. 2006, § 305c Rdn. 127; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht 10. Aufl. § 305b BGB Rdn. 9). Auch individuelle Umstände des konkreten Vertragsschlusses, die Anhaltspunkte für die den Klauseln übereinstimmend beigemessene Bedeutung liefern, sind zu beachten (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1990 - II ZR 15/89, WM 1990, 679, 681; Staudinger/Schlosser, BGB Bearb. 2006, § 305c Rdn. 130; Lindacher, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz 4. Aufl. § 5 Rdn. 11; Palandt/Heinrichs, BGB 67. Aufl. § 305c Rdn. 15; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht 10. Aufl. § 305c BGB Rdn. 84).

b) In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei zu der Feststellung gelangt, dass die Bürgschaftserklärung in der Urkunde vom 19. Januar 1999 nach dem von den Parteien übereinstimmend festgelegten Sicherungszweck Verbindlichkeiten der GmbH aus der Finanzierung des Praxiserwerbs nicht umfasst.

aa) Es hat dabei - entgegen der Ansicht der Revision - nicht verkannt, dass der mit der Bürgschaft verfolgte Sicherungszweck zunächst anhand des Wortlauts der Bürgschaftsurkunde zu klären ist. Dieser spricht bei objektiver Auslegung dafür, dass die formularmäßige Bürgschaft alle Ausgleichsansprüche der Klägerin aus der Cash-Clearing-Vereinbarung umfasst und damit gegen eine Beschränkung der Haftung des Beklagten.

bb) Dabei ist das Berufungsgericht aber zu Recht nicht stehen geblieben, sondern hat anschließend unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Vertragsschlusses und der Interessenlage untersucht, ob die Parteien den Sicherungszweck der Bürgschaft übereinstimmend beschränkt haben. Aus dem Zusammenspiel der verschiedenen zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen, insbesondere der gleichzeitig mit der Bürgschaft abgeschlossenen Cash-Clearing-Vereinbarung, nach deren Wortlaut der Beklagte der Klägerin lediglich eine Bürgschaft in Höhe des vereinbarten Gesamtlimits von damals 50.000 DM nebst Zinsen schuldete, sowie unter Berücksichtigung der dem umfangreichen Vertragswerk der Parteien zugrunde liegenden wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten hat das Berufungsgericht die Überzeugung gewonnen, dass die Bürgschaft nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien nicht den Aufwand für die Finanzierung des Praxiserwerbs von mehr als 1 Million DM umfasst. Dabei hat das Berufungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass der Beklagte Bürgschaften für die Darlehen der Klägerin bei der D. Bank über 1,6 Millionen DM zur Finanzierung des Kaufpreises der Steuerberaterpraxis nur entsprechend seinem Anteil am Stammkapital der GmbH übernommen hat. Wenn das Berufungsgericht angesichts dessen zu der Feststellung gelangt ist, die Klägerin habe nicht berechtigterweise erwarten dürfen, der Beklagte habe bei der Verbürgung der Ausgleichsansprüche der Klägerin aus der Cash-Clearing-Vereinbarung das volle wirtschaftliche Risiko der GmbH aus dem Praxiskauf allein übernehmen wollen, so ist das aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und die gegenteilige Ansicht der Revision nicht überzeugend.

2. Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsurteil dagegen insoweit, als es auch einen Anspruch der Klägerin aus der Bürgschaft verneint, soweit diese Verbindlichkeiten der GmbH aus deren laufendem Geschäftsbetrieb sichert. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen steht einer Inanspruchnahme des Beklagten aus der Bürgschaft nicht entgegen, dass das gesicherte Kontokorrentdarlehen fehlendes Eigenkapital der GmbH ersetzt.

a) Dem Bürgen, der für ein Gesellschafterdarlehen haftet, kommt das Verbot der Rückzahlung Eigenkapital ersetzender Darlehen nicht ohne Weiteres zugute.

Zwar bestimmt sich die Haftung des Bürgen grundsätzlich nach Inhalt und Beschaffenheit der Hauptschuld (§ 767 BGB). Dies spricht grundsätzlich dafür, dass auch der für ein Gesellschafterdarlehen einstehende Bürge nach § 768 BGB gegenüber dem Gläubiger die Durchsetzungssperre des § 30 GmbHG in Anspruch nehmen kann. Die Akzessorietät findet ihre Grenze jedoch in der Sicherungsabrede der Parteien. Wird der vereinbarte oder bei Abschluss der Bürgschaft vorausgesetzte Sicherungsfall durch einen Umstand ausgelöst, der zugleich zur eingeschränkten Durchsetzbarkeit der gesicherten Forderung oder gar zu deren Wegfall führt, so kann sich der Bürge darauf nicht berufen. Dies ist in der Rechtsprechung nicht nur für die Durchsetzungssperre bei kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen (BGH, Urteil vom 15. Februar 1996 - IX ZR 245/94, WM 1996, 588, 590) und beim Untergang der Hauptschuldnerin als Rechtsperson wegen Vermögenslosigkeit (vgl. BGHZ 82, 323, 327; Senat BGHZ 153, 337, 340; BGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 - IX ZR 443/00, WM 2002, 2278, 2279) anerkannt, sondern auch für die Mithaftungserklärung eines Gesellschafters für ein der GmbH gewährtes Eigenkapitalergänzungsdarlehen (Senat, Urteil vom 27. April 2004 - XI ZR 49/03, WM 2004, 1381, 1384). Erfasst der ausdrücklich oder schlüssig vereinbarte Sicherungszweck den Fall, dass die schuldende Gesellschaft in eine Krise gerät, so kann sich der für ein Gesellschafterdarlehen haftende Bürge nicht auf eine das Eigenkapital der Gesellschaft sichernde Rückzahlungssperre berufen, da sich dabei gerade das mit der Bürgschaft abgesicherte Risiko verwirklicht (vgl. BGHZ 143, 381, 385; BGH, Urteil vom 15. Februar 1996 - IX ZR 245/94, WM 1996, 588, 590 f.; Senat, Urteil vom 27. April 2004 - XI ZR 49/03, WM 2004, 1381, 1383 f.; Erman/Hermann, BGB 12. Aufl. § 768 Rdn. 7; MünchKomm/Habersack, BGB 4. Aufl. § 768 Rdn. 7 und § 765 Rdn. 109; Schmitz/Wassermann/Nobbe, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch 3. Aufl. § 91 Rdn. 127; a.A. für alle akzessorischen Sicherungsmittel: Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht 3. Aufl. Rdn. 6.78).

b) Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte hafte dennoch nicht für das Kapitalersatzrisiko, da die Klägerin bei Abschluss der Bürgschaft noch nicht Gesellschafterin der GmbH gewesen sei und der Beklagte deshalb den kapitalersetzenden Charakter des im Rahmen der Cash-Clearing-Vereinbarung eingeräumten Kredits nicht habe erkennen können, ist rechtsfehlerhaft.

aa) Dabei geht das Berufungsurteil noch zutreffend davon aus, der Erstreckung der Bürgschaft auf das Kapitalersatzrisiko könne im Einzelfall die fehlende Kenntnis des Bürgen von der Stellung des Darlehensgebers als Gesellschafter der schuldenden GmbH entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 1996 - IX ZR 245/94, WM 1996, 588, 590 f.). Dies folgt aus der Maßgeblichkeit der Sicherungsabrede für die Reichweite der Bürgenhaftung. Besitzt der Bürge aus der objektiven Sicht des Empfängers der Bürgschaftserklärung keine Kenntnis von der Gesellschafterstellung des Gläubigers und ergeben sich auch keine anderen Anhaltspunkte für eine entsprechende Risikoübernahme, so kann dies nach den konkreten Umständen einer Auslegung seiner Sicherungserklärung entgegenstehen, er wolle auch für das Risiko einer die Hauptverbindlichkeit wegen ihrer kapitalersetzenden Funktion treffenden Durchsetzungssperre einstehen.

bb) Das Berufungsurteil berücksichtigt jedoch die sachliche Grenze dieser Einschränkung der Bürgenhaftung nicht. Fehlende Kenntnis von der Gesellschafterstellung der Gläubigerin kann den Bürgen nur von dem spezifischen Risiko entlasten, das gerade mit der Einordnung der Hauptschuld als Eigenkapital ersetzendes Gesellschafterdarlehen verbunden ist. Die Entlastung des Bürgen von dem Kapitalersatzrisiko rechtfertigt keine darüber hinausgehende Privilegierung. Wird die Gesellschaft als Hauptschuldnerin vermögenslos und erfüllt deswegen allgemein ihre Verbindlichkeit nicht, so ist dieser Sicherungsfall von der Bürgschaft erfasst, ohne dass es auf die Gesellschafterstellung der Gläubigerin oder eine Kenntnis des Bürgen davon ankäme. Das besondere, diesem Bürgen ursprünglich verborgene Risiko der Kapitalersatzhaftung eines Gesellschafterdarlehens wird dann von dem sich für alle Darlehen gleichermaßen verwirklichenden allgemeinen Liquiditätsrisiko der Gesellschaft überlagert. Entsprechend ist in der Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 15. Februar 1996 - IX ZR 245/94, WM 1996, 588, 590) darauf hingewiesen worden, dass der Kapitalersatzcharakter eines Gesellschafterdarlehens wirtschaftlich ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur Zahlungseinstellung darstellen kann und es dann nicht mehr gerechtfertigt sei, die Sicherung der Darlehensverbindlichkeit hinter den Grundsatz der Akzessorietät zurücktreten zu lassen.

cc) Das Berufungsgericht hat unangegriffen festgestellt, dass die GmbH bereits seit Jahren wegen erheblicher Überschuldung insolvenzreif sei. Sie habe seit längerem ihre satzungsgemäße Geschäftstätigkeit eingestellt. Die GmbH sei nicht in der Lage, ihre Verbindlichkeiten auch nur zu einem Teil zu erfüllen. Damit realisiert sich in der Bürgenhaftung des Beklagten nicht das besondere Risiko der Kapitalersatzhaftung für Gesellschafterdarlehen, sondern das allgemeine Bürgenrisiko einer Vermögenslosigkeit der Hauptschuldnerin. Dieses hat ein Bürge, der ohne sein Wissen für ein als Eigenkapital anzusehendes Gesellschafterdarlehen bürgt, ebenso wie alle Bürgen zu tragen, die allgemein für Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzustehen haben.

III.

Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), soweit das Berufungsgericht eine Haftung des Beklagten für von ihm bestrittene Verbindlichkeiten der Hauptschuldnerin über 296.498,83 € aus deren laufendem Geschäftsbetrieb verneint hat. Für weitergehende insoweit bestehende Schulden der GmbH fehlt bereits substantiiertes Vorbringen der Klägerin. Da die Sache danach nicht zur Entscheidung reif ist, war sie zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Dieses wird sich gegebenenfalls auch mit der Frage zu befassen haben, ob die Haftung des Beklagten angesichts der Bezugnahme des Bürgschaftsvertrags auf die am selben Tag abgeschlossene Cash-Clearing-Vereinbarung und das darin vereinbarte Gesamtlimit auf 50.000 DM beschränkt ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1987 - IX ZR 220/86, WM 1987, 1430, 1431), oder der Beklagte angesichts der weiten Sicherungszweckerklärung auch für die nachträgliche Erweiterung des Gesamtkredits der GmbH im Cash-Clearing-Verfahren haftet, weil er darauf als geschäftsführender Gesellschafter der GmbH bestimmenden Einfluss hatte (vgl. hierzu BGHZ 142, 213, 216; 151, 374, 377 f.; 153, 293, 297 f.; BGH, Urteil vom 30. September 1999 - IX ZR 287/98, WM 1999, 2251, 2252; BGH, Urteil vom 16. Dezember 1999 - IX ZR 36/98, WM 2000, 514, 517; BGH, Urteil vom 18. September 2001 - IX ZR 183/00, WM 2001, 2156, 2158).

Ende der Entscheidung

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