Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 11.11.2008
Aktenzeichen: XI ZR 420/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
ZPO § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2
ZPO § 544 Abs. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XI ZR 420/07

vom 11. November 2008

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Nobbe und den Richter Dr. Joeres, die Richterin Mayen, die Richter Dr. Ellenberger und Dr. Matthias

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. Juli 2007 zugelassen.

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. Juli 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 110.000 €.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt im eigenen Namen, hilfsweise aus abgetretenem Recht ihres Streithelfers, Schadensersatz wegen Verletzung ihres Sicherungseigentums bzw. wegen Verletzung von Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Verwertung zweier Druckmaschinen. Diese waren der Klägerin am 16. April 1999 von der D. GmbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin) sicherungsübereignet worden. Am 7. August 2002 wurde über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und der Streithelfer als Insolvenzverwalter bestellt. Dieser beauftragte die Beklagte mit der Verwertung der Maschinen, die sie an die H. GmbH veräußerte. Die Käuferin bezahlte zunächst nur einen Teilbetrag des Kaufpreises. Am 16. August 2002 mahnte die Beklagte die vollständige Kaufpreiszahlung an. Sie gestattete der Käuferin am 29. August 2002, die kleinere der beiden Maschinen bei der Insolvenzschuldnerin abzuholen, wies jedoch darauf hin, dass die zweite Maschine erst nach vollständiger Zahlung entfernt werden dürfe. Die Käuferin holte beide Maschinen ab, veräußerte sie, bezahlte jedoch den restlichen Kaufpreis nicht und geriet in Vermögensverfall.

Die Klägerin, die am 9. Januar 2003 vom Streithelfer einen Anteil des gezahlten Kaufpreises erhielt, verlangt Schadenersatz in Höhe der ihr verbleibenden Forderungen gegen die Insolvenzschuldnerin. Die Parteien haben in beiden Instanzen darüber gestritten, ob der frühere Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin auf Veranlassung der Beklagten die Abholung beider Maschinen gestattet hat und ob die Beklagte vertraglich die Verpflichtung übernommen hat, sich um die Sicherung der Maschinen zu kümmern. Die Klägerin hat sich dabei den Vortrag ihres Streithelfers zu Eigen gemacht, der faktische Geschäftsführer der Beklagten habe ihm gegenüber ausdrücklich erklärt, er brauche sich, was die Verwertung und Sicherung der Maschinen betreffe, um nichts zu kümmern, und hierfür Zeugenbeweis angeboten. Die Beklagte hat dies unter Zeugenbeweis bestritten und vorgetragen, die Verwahrung der Maschinen und die Überwachung der Geschäftsräume habe auf Wunsch des Streithelfers beim früheren Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin verbleiben sollen.

Das Landgericht hat den früheren Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin zu den Umständen der Abholung der Druckmaschinen vernommen. Es hat den Zeugen für glaubwürdig gehalten und die Beklagte zur Zahlung von 110.000 € nebst Zinsen verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht den Zeugen erneut vernommen, ihn für unglaubwürdig gehalten und die Klage abgewiesen. Über die widerstreitenden Behauptungen der Parteien zu den Absprachen hinsichtlich der Sicherung der Maschinen ist kein Beweis erhoben worden.

II.

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, WM 2004, 1407, 1408 f. und vom 18. Januar 2005 - XI ZR 340/03, BGHReport 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass gerichtliche Entscheidungen frei von Verfahrensfehlern ergehen, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG i.V. mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfGE 50, 32, 36; 60, 250, 252; 65, 305, 307; 69, 141, 144).

a) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Die Klägerin hat sich auf Seite 6 ihres Schriftsatzes vom 4. Juni 2007 ausdrücklich das Vorbringen des Streithelfers auf Seite 3 f. seines Schriftsatzes vom 28. September 2005 zu Eigen gemacht, die Beklagte habe nicht lediglich die Verwertung, sondern ausdrücklich auch die Sicherung der Maschinen übernommen. Der faktische Geschäftsführer der Beklagten habe gegenüber dem Streithelfer erklärt, dieser brauche sich, was die Verwertung und Sicherung der Maschinen betreffe, um nichts zu kümmern. Die Beklagte habe deshalb die Abholung der Maschinen durch die Käuferin beaufsichtigen und weitere Schutzmaßnahmen treffen müssen, was sie pflichtwidrig unterlassen habe. Für die Richtigkeit dieser Behauptungen hat sich die Klägerin das Beweisangebot des Streithelfers zur Vernehmung seiner Mitarbeiterin zu Eigen gemacht. Die Beklagte hat dies bereits auf Seite 3 ihres Schriftsatzes vom 25. April 2005 und auf Seite 3 Ihres Schriftsatzes vom 26. Juni 2007 in Abrede gestellt und unter Zeugenbeweis behauptet, auf ausdrücklichen Wunsch des Streithelfers habe die Verwahrung der Maschinen und die Überwachung der Geschäftsräume der Insolvenzschuldnerin weiter durch deren früheren Geschäftsführer erfolgen sollen. Dies hatte der Streithelfer auf Seite 6 seines Schriftsatzes vom 28. September 2005 ausdrücklich bestritten und seine Vernehmung als Zeuge angeboten.

b) Das angefochtene Urteil lässt nicht erkennen, dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen der Parteien und die diesbezüglichen Beweisantritte zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. In den Entscheidungsgründen wird lediglich ausgeführt, die Klägerin könne Schadenersatz weder aus eigenem noch aus abgetretenem Recht beanspruchen, denn Voraussetzung sowohl für einen Anspruch aus unerlaubter Handlung wegen Verletzung ihres Sicherungseigentums als auch für einen Anspruch wegen Verletzung des zwischen dem Streithelfer und der Beklagten geschlossenen Verwertungsvertrages sei, dass der Verlust des Sicherungsgutes kausal auf eine Handlung der Beklagten zurückzuführen sei, durch welche diese die Herausgabe der Maschinen durch den früheren Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin an die Käuferin veranlasst habe, bevor der Kaufpreis vollständig entrichtet gewesen sei. In der Folge befasst sich das Berufungsgericht allein mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen Hi. . Nicht erwogen hat das Berufungsgericht jedoch, ob die Beklagte im Zusammenhang mit dem Abschluss des Verwertungsvertrages besondere Sicherungspflichten übernommen und diese verletzt hat.

2. Das Übergehen des vorgenannten Vortrages und der Beweisantritte der Parteien verletzt den Anspruch der beweisbelasteten Klägerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392 f.). Die Gehörsverletzung führt nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (BGHZ 154, 288, 296 f.) und rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache. Das Berufungsgericht wird nunmehr den Beweisantritten beider Parteien nachzugehen haben.

Ende der Entscheidung

Zurück