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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.11.2006
Aktenzeichen: XI ZR 438/04
Rechtsgebiete: HWiG, VerbrKrG, ZPO


Vorschriften:

HWiG § 1 Abs. 1 Nr. 1
VerbrKrG § 9
VerbrKrG § 9 Abs. 1 Satz 2
VerbrKrG § 9 Abs. 3
ZPO § 544 Abs. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XI ZR 438/04

vom 7. November 2006

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Nobbe, die Richter Dr. Müller und Dr. Joeres, die Richterin Mayen und den Richter Dr. Grüneberg

am 7. November 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 26. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 8. September 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 50.000 €

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus abgetretenem Recht der Volksbank E. (im Folgenden: Volksbank) gesamtschuldnerisch auf Rückzahlung eines gekündigten Darlehens in Anspruch.

Die Beklagten traten am 10. November 1995 dem Immobilienfonds Nr. .. bei. Zur Finanzierung des Fondsbeitritts schlossen sie am 28. November 1995/28. März 1996 mit der Volksbank einen Darlehensvertrag über 105.720 DM. Dieser enthält keine Widerrufsbelehrung nach dem Haustürwiderrufsgesetz. Die Auszahlung der Darlehensvaluta erfolgte vereinbarungsgemäß an einen Treuhänder. Nachdem die Beklagten das Darlehen nicht mehr bedienten, kündigte die Volksbank den Darlehensvertrag und forderte von den Beklagten 113.703,28 DM. Mit Schreiben vom 25. Februar 2003 widerriefen die Beklagten ihre Fondsbeitrittserklärung und mit Schreiben vom 22. März 2003 ihre Darlehensvertragserklärung nach dem Haustürwiderrufsgesetz.

Die Beklagten behaupten, zum Fondsbeitritt und zum Abschluss des Darlehensvertrages seien sie durch den Vermittler S. in ihrer Privatwohnung überredet worden. Dieser habe sie Anfang November 1995 unangemeldet aufgesucht. Die Klägerin hat den Vortrag der Beklagten zum Zustandekommen des Darlehensvertrages bestritten und behauptet, die Volksbank habe weder den Vermittler S. , der dort nicht bekannt sei, noch den Immobilien Service, für den er angeblich tätig geworden sei, beauftragt.

Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung eines erstrangigen Darlehensteilbetrags von 50.000 € zuzüglich Zinsen sowie auf rückständige Zinsen von 4.084,34 € stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Zur Begründung seiner von der Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beklagten hätten ihre Darlehensvertragserklärung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWiG wirksam widerrufen. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagten zur Abgabe dieser Erklärung in einer Haustürsituation bestimmt worden seien, ohne dass hierüber Beweis erhoben werden müsse. Soweit die Klägerin den Tatsachenvortrag der Beklagten zur Haustürsituation mit Nichtwissen bestreite, sei dies nicht zulässig. Die Klägerin habe sich über ihre Rechtsvorgängerin bei dem von dieser eingeschalteten Verhandlungsgehilfen über den Verlauf der Vertragsanbahnungsgespräche erkundigen müssen. Die Haustürsituation sei auch für den Abschluss des Darlehensvertrages kausal geworden und der Rechtsvorgängerin der Klägerin zuzurechnen. Den Beklagten stehe gegenüber dem Darlehenrückzahlungsanspruch danach ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 9 VerbrKrG zu, da ein verbundenes Geschäft im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 VerbrKrG vorliege. Einwenden könnten die Beklagten nach § 9 Abs. 3 VerbrKrG außerdem, dass die Fondsinitiatoren und Prospektverantwortlichen die Vertriebskosten und Provisionen im Vertriebsprospekt mit lediglich 5,21% der Einlagen angegeben hätten, während in Wahrheit zusätzliche Provisionen in Höhe von 9% gezahlt worden seien.

II.

Das angefochtene Urteil ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen mündlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Das angegriffene Urteil verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in zweifacher Hinsicht.

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG NJW-RR 2001, 1006, 1007). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 22, 267, 274; 79, 51, 61; 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; BVerfG NJW 2000, 131).

Dies ist hier, wie die Klägerin zu Recht rügt, der Fall. Das Berufungsgericht hat völlig übergangen, dass die Klägerin die von den Beklagten behauptete Haustürsituation keineswegs nur mit Nichtwissen, sondern den gesamten Vortrag der Beklagten zum Zustandekommen der Verträge in einer Haustürsituation mehrfach ausdrücklich positiv bestritten sowie in Abrede gestellt hat, dass ihre Rechtsvorgängerin mit dem angeblich tätig gewordenen Vermittler S. , den diese nicht kenne, irgendetwas zu tun habe, geschweige denn, dass sie ihn beauftragt habe. Gleichwohl ist das Berufungsgericht ausdrücklich davon ausgegangen, die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe ihn als "Verhandlungsgehilfen eingeschaltet". Dies ist nur so zu erklären, dass es den Vortrag der Klägerin insoweit entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder aber bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat.

b) Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt außerdem voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Es kommt deshalb im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG 84, 188, 190; 86, 133, 144; 98, 218, 263). Auch unter diesem Gesichtspunkt verstößt das Berufungsurteil, wie die Klägerin zu Recht rügt, gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, das Bestreiten einer Haustürsituation durch die Klägerin sei unzulässig, widerspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der erkennende Senat hat bereits in seinem vom Berufungsgericht übergangenen Urteil vom 18. November 2003 (XI ZR 332/02, WM 2004, 27, 31) dargelegt, dass das Bestreiten einer Haustürsituation durch eine daran nicht beteiligte Bank kein unzulässiges pauschales Bestreiten ist und dass ein substantiiertes Bestreiten von ihr nur gefordert werden könnte, wenn der Beweis der Haustürsituation dem Kreditnehmer nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die Bank alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Angesichts dieser Ausführungen, die das Berufungsgericht auch in seinem Urteil vom 27. September 2004 (26 U 8/04) missachtet hat, so dass auch dieses Urteil aufgehoben werden musste (Senatsurteil vom 26. September 2006 - XI ZR 358/04), brauchte auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter ohne einen vorherigen Hinweis nicht damit zu rechnen, das Berufungsgericht werde das Bestreiten der Haustürsituation durch die Klägerin als unzulässig ansehen. Das gilt besonders, da das Vorbringen der Klägerin zur Haustürsituation im Urteil des Landgerichts - zu Recht - als streitig behandelt worden ist.

2. Die Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht ist auch entscheidungserheblich. Da das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer Haustürsituation ausgegangen ist, fehlt für das von ihm bejahte Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten nach § 9 VerbrKrG eine tragfähige Grundlage. Abgesehen davon hat das Berufungsgericht zu den Voraussetzungen eines verbundenen Geschäfts nach § 9 Abs. 1 Satz 2 VerbrKrG keine Feststellungen getroffen, sondern sich mit der Rechtsbehauptung begnügt, ein verbundenes Geschäft liege vor. Rechtsfehlerhaft ist schließlich auch noch die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe dafür einzustehen, dass die Fondsinitiatoren und Prospektverantwortlichen zu den Vertriebskosten und Provisionen im Vertriebsprospekt falsche Angaben gemacht haben. Ansprüche aus einer arglistigen Täuschung durch Fondsinitiatoren oder Prospektverantwortliche kann der Kreditnehmer dem Darlehensrückzahlungsanspruch der Bank, wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 25. April 2006 (XI ZR 106/05, WM 2006, 1066, 1070) näher dargelegt hat, auch unter Berücksichtigung des § 9 Abs. 3 VerbrKrG nicht entgegensetzen.

3. Das angefochtene Urteil war danach gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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