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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.11.2002
Aktenzeichen: XII ZB 104/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 519 b Abs. 2 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 104/01

vom

13. November 2002

in dem Rechtsstreit

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. November 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz, Dr. Ahlt und Dr. Vézina

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 28. März 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Wert: 32.661 € (= 63.881 DM).

Gründe:

I.

Die Beklagte legte gegen das ihr am 4. Dezember 2000 zugestellte Urteil des Landgerichts am 4. Januar 2001 Berufung ein. Auf ihren Antrag wurde die Berufungsbegründungsfrist bis Montag, den 5. März 2001, verlängert. Die Berufungsbegründung ging am 6. März 2001 bei dem Oberlandesgericht ein.

Nach einem gerichtlichen Hinweis auf den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung beantragte die Beklagte am 12. März 2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Begründung trug sie vor: In der Kanzlei ihrer Anwälte bestehe die Anweisung, daß die Tagespost, die zuvor postfertig gemacht und in das Postausgangsbuch eingetragen worden sei, täglich bei Büroschluß um 17.30 Uhr von einer Mitarbeiterin in den nächstgelegenen Briefkasten eingeworfen werde. Dieser Briefkasten werde von montags bis freitags jeweils um 18.15 Uhr geleert. Am Freitag, dem 2. März 2001, habe Rechtsanwalt Dr. A. vormittags die Berufungsbegründung unterschrieben, selbst postfertig gemacht, in das Postausgangsbuch eingetragen und in die für die Ausgangspost vorgesehene Sammelstelle gelegt. Wegen eines auswärtigen Termins habe Rechtsanwalt Dr. A. gegen 15.00 Uhr das Büro verlassen; zu dieser Zeit sei dort noch eine Sekretärin tätig gewesen. Am Vormittag des 5. März 2001 habe Rechtsanwalt Dr. A. gegen 8.45 Uhr das Postausgangsfach leer vorgefunden und deshalb keinen Anlaß gehabt, auf Unregelmäßigkeiten zu schließen. Auf den Hinweis des Gerichts, die Berufungsbegründung sei verspätet eingegangen, habe sich herausgestellt, daß die Sekretärin am 2. März 2001 vergessen habe, die Tagespost mitzunehmen und in den Briefkasten einzuwerfen. Am Sonntag, den 4. März 2001, habe der Kollege von Rechtsanwalt Dr. A., Rechtsanwalt Dr. K. bemerkt, daß die Post noch im Postausgangsfach gelegen habe. Daraufhin habe er die Post mitgenommen und noch am Sonntag in den Briefkasten eingeworfen. Hierüber sei Rechtsanwalt Dr. A. nicht informiert worden, andernfalls sei es ihm am 5. März 2001 noch möglich gewesen, die Berufungsbegründung zu Gericht bringen zu lassen.

Das Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.

II.

Das nach § 519 b Abs. 2 ZPO a.F. statthafte Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt worden und damit zulässig. In der Sache bleibt es jedoch ohne Erfolg, da die Beklagte die Berufungsbegründungsfrist nicht ohne ihr Verschulden versäumt hat. Das Berufungsgericht hat deshalb die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht nicht gewährt (§ 233 ZPO), sondern die Berufung verworfen.

1. Das Berufungsgericht hat ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten in dem Verhalten von Rechtsanwalt Dr. K. gesehen. Dieser habe die Post am Sonntag, den 4. März 2001, nicht ungeprüft in den - von Montag bis Freitag um 18.15 Uhr geleerten - Briefkasten einwerfen dürfen, sondern entweder selbst die Post auf eventuelle Fristsachen durchsehen oder diese Prüfung Rechtsanwalt Dr. A. am Montag überlassen müssen. Eine solche Pflicht des Rechtsanwalts Dr. K. habe bestanden, weil er erkannt habe, daß die Tagespost an dem vorausgegangenen Freitag liegengeblieben sei und ihm habe klar sein müssen, daß sich darunter auch fristgebundene Schriftsätze befinden konnten. Wenn er die erforderliche Überprüfung vorgenommen hätte, so wäre ihm die Berufungsbegründung aufgefallen, so daß deren rechtzeitige Einreichung bei Gericht noch am Montag, dem 5. März 2001, hätte veranlaßt werden können. Dieses Fehlverhalten des mit Rechtsanwalt Dr. A. in einer Sozietät verbundenen Rechtsanwalt Dr. K. müsse die Beklagte sich zurechnen lassen.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

2. Entgegen der von der sofortigen Beschwerde vertretenen Auffassung bestehen keine Bedenken gegen die Annahme, die Beklagte habe für das Verhalten von Rechtsanwalt Dr. K. einzustehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist davon auszugehen, daß ein Rechtsanwalt, der einer Anwaltssozietät angehört, ein ihm angetragenes Mandat zur Prozeßführung in der Regel im Namen dieser Sozietät annimmt, d.h. nicht nur sich persönlich, sondern auch den oder die mit ihm zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen Kollegen verpflichtet. Sowohl der Auftraggeber als auch der Rechtsanwalt haben nämlich grundsätzlich den Willen, das Mandatsverhältnis mit allen Mitgliedern der Sozietät zu begründen (BGHZ 124, 47, 48 f. m.w.N.; BGH Urteil vom 19. Januar 1995 - III ZR 107/94 - NJW 1995, 1841). Das gilt auch dann, wenn zwischen den Anwälten keine echte Sozietät besteht, sondern diese lediglich als Außensozietät auftreten und sich im Innenverhältnis nur zu einer Bürogemeinschaft verbunden haben (BGHZ 70, 247, 249), wie es die Beklagte hinsichtlich der Rechtsanwälte Dr. A. und Dr. K. behauptet. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann ausnahmsweise von der Begründung eines Einzelmandats an ein Mitglied der Sozietät ausgegangen werden (BGHZ aaO; Senatsbeschluß vom 7. Mai 1991 - XII ZB 18/91 - NJW 1991, 2294 für den Fall der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Prozeßkostenhilfe).

3. Diese Rechtsprechung, an der der Senat festhält, führt dazu, daß die Beklagte sich das Verhalten des Rechtsanwalts Dr. K. zurechnen lassen muß.

a) Die Annahme des Berufungsgerichts, daß Rechtsanwalt Dr. K. ein Verschulden an der Fristversäumnis trifft, wird von der sofortigen Beschwerde nicht angegriffen. Gegen diese Beurteilung bestehen aus Rechtsgründen auch keine Bedenken.

b) Das Verschulden von Rechtsanwalt Dr. K. ist der Beklagten zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Es ist weder vorgetragen und glaubhaft gemacht worden, daß Rechtsanwalt Dr. A. ein Einzelmandat erteilt worden ist, noch ergibt sich dies aufgrund besonderer Umstände des vorliegenden Falles. Deshalb ist davon auszugehen, daß das Mandat zur Führung des Rechtsstreits der Anwaltssozietät erteilt worden ist, so daß alle Mitglieder der Sozietät Bevollmächtigte im Sinne des § 85 ZPO sind. Das Verschulden eines Bevollmächtigten steht aber dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO).

Soweit die sofortige Beschwerde demgegenüber geltend macht, die unmittelbare und volle Verantwortung für alle mit der Prozeßführung verbundenen Pflichten träfen allein Rechtsanwalt Dr. A. als den Anwalt, der die Beklagte vor Gericht vertrete, kann ihr nicht gefolgt werden. Zwar hat von mehreren in einer Sozietät zusammengeschlossenen Rechtsanwälten grundsätzlich derjenige die Fristen zu überwachen, der bei dem zuständigen Gericht zugelassen ist, was nicht nur für die überörtliche Sozietät, sondern allgemein gilt (BGH Beschluß vom 10. Juli 1997 - IX ZB 57/97 - NJW 1997, 3177, 3178). Im vorliegenden Fall beruht das Versäumen der Berufungsbegründungsfrist aber nicht auf der eigentlichen Fristüberwachung, sondern darauf, daß Rechtsanwalt Dr. K. eigenmächtig in den Geschehensablauf eingegriffen hat, indem er die Post - ohne eine Überprüfung auf das Vorhandensein von Fristsachen vorzunehmen - sonntags in einen (offensichtlich erst montags wieder geleerten) Briefkasten eingeworfen hat. Für ein solches Verschulden ihres Bevollmächtigten hat die Partei unabhängig davon einzustehen, wem im Innenverhältniss der Anwälte zueinander die Fristenüberwachung grundsätzlich oblegen hat. Abgesehen davon war aber auch Rechtsanwalt Dr. K. bei dem Oberlandesgericht zugelassen und damit auch selbst für die Überwachung der Frist verantwortlich.

Ende der Entscheidung

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