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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.11.2003
Aktenzeichen: XII ZB 140/02
Rechtsgebiete: ZPO, EGZPO


Vorschriften:

ZPO a.F. § 574 Abs. 2
ZPO a.F. § 519 Abs. 2
EGZPO § 26 Nr. 5
Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß ein Rechtsanwalt nur die Berechnung und Notierung einfacher und geläufiger Fristen seinem Büropersonal überlassen darf, nicht dagegen komplizierte Fristberechnungen, wie sie etwa in der Übergangszeit geänderter Vorschriften zum Fristenlauf anfallen. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO liegen bei dieser Fallgestaltung nicht vor.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 140/02

vom 5. November 2003

in dem Rechtsstreit

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. November 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Gerber, Fuchs, Dr. Ahlt und die Richterin Dr. Vézina beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 10. Juli 2002 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 25.000 €.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2001 mit Urteil vom 25. Januar 2002 die Beklagten zur Räumung von überwiegend gewerblich genutzten Räumlichkeiten verurteilt.

Das Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 12. Februar 2002 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 6. März 2002, der am 7. März 2002 bei Gericht eingegangen ist, haben die Beklagten durch ihren zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten Berufung eingelegt. Dieser hat mit Schriftsatz vom 10. April 2002 beantragt "die am 12.4.2002 ablaufende Frist zur Berufungsbegründung" zu verlängern. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, daß die einmonatige Berufungsbegründungsfrist bereits am 8. April 2002 abgelaufen sei, hat der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten am 22. April 2002 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung gleichzeitig begründet.

Er hat vorgetragen: Die Versäumung der Frist beruhe auf einem Versehen einer seit drei Jahren mit der Notierung der Fristen und deren Überwachung befaßten, in hohem Maße zuverlässigen Kanzleikraft, die über die Neuregelung des § 520 Abs. 2 ZPO und den Inhalt des § 26 Nr. 5 EGZPO ausdrücklich unterrichtet worden sei. Da dem Urteil selbst nicht zu entnehmen gewesen sei, wann die letzte mündliche Verhandlung stattgefunden habe, habe sie angenommen, daß die letzte mündliche Verhandlung nach dem 1. Januar 2002 stattgefunden habe. Nachdem er Anfang April 2002 bei einem Telefongespräch mit dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten erfahren habe, daß die letzte mündliche Verhandlung am 10. Dezember 2001 stattgefunden habe, habe er seine seit 25 Jahren für ihn tätige Anwaltssekretärin angewiesen, die bereits notierte Berufungsbegründungsfrist anhand der Mitteilung des Oberlandesgerichts Stuttgart über den Eingang des Rechtsmittelschriftsatzes zu überprüfen. Seine Anwaltssekretärin habe daraufhin die Akte sowie den Fristenkalender zur Hand genommen und festgestellt, daß die Berufungsbegründungsfrist bereits auf den 12. April 2002 notiert gewesen sei. Deshalb sei sie davon ausgegangen, daß die Fristnotierung erledigt und nichts weiteres mehr zu veranlassen sei.

Das Oberlandesgericht hat mit Beschluß vom 10. Juli 2002 den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. begründet worden sei. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie ihr Wiedereinsetzungsgesuch weiterverfolgen und die Aufhebung der vom Oberlandesgericht ausgesprochenen Verwerfung der Berufung erstreben.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 i.V. mit §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt der Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist, die sich allgemein, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt (vgl. BGH Beschluß vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02 - NJW 2002, 3029). Das ist hier nicht der Fall.

Die Berechnung der Begründungsfrist richtete sich im vorliegenden Fall aufgrund der Übergangsvorschrift des § 26 Nr. 5 EGZPO noch nach altem Recht, da das Landgericht die mündliche Verhandlung noch vor dem 1. Januar 2002 geschlossen hatte. Allerdings war der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aus dem Urteil nicht erkennbar. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen (Senatsbeschluß vom 29. April 1998 - XII ZB 140/95 - NJW-RR 1998, 1526; BGH Beschlüsse vom 26. September 1996 - V ZB 25/96 - NJW-RR 1997, 55; vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02 - NJW 2003, 1815). Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, daß die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden; unverzichtbar sind insoweit eindeutige Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die mindestens stichprobenartige Kontrolle des Personals (BGH Beschluß vom 5. Februar 2003 aaO m.w.N.). Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, darf der Anwalt darauf vertrauen, daß das zuständige Büropersonal die ihm übertragenen Aufgaben des Fristenwesens ordnungsgemäß erfüllt. Ob der Rechtsanwalt unter Zugrundelegung dieser Grundsätze die Sorgfaltsanforderungen beachtet hat, ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Das Berufungsgericht hat ausgehend von diesen Grundsätzen zu Recht angenommen, daß es sich im vorliegenden Fall nicht um eine einfach zu berechnende Frist handelte. Vielmehr besteht gerade in der Übergangszeit geänderter Vorschriften zum Fristenlauf eine erhöhte Gefahr für Fehler bei Fristberechnungen. Deshalb war der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten verpflichtet sich selbst zu vergewissern, ob sein Personal die Fristen richtig berechnet. Eine abstrakte, der Verallgemeinerung zugängliche Rechtsfrage wirft der Fall nicht auf.

2. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

Die angefochtene Entscheidung weicht nicht von der ständigen Rechtsprechung ab, wonach es auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen für die Fristwahrung in der Kanzlei dann nicht entscheidend ankommt, wenn im Einzelfall eine konkrete Anweisung erteilt worden ist, die bei Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (Senatsbeschlüsse vom 23. April 1997 - XII ZB 56/97 - NJW 1997, 1930, 1931 und vom 11. Februar 1998 - XII ZB 184/97 - NJW-RR 1998, 787, 788). Eine solche konkrete Anweisung hat der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts seiner Anwaltssekretärin nicht erteilt.



Ende der Entscheidung

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