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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 31.08.2000
Aktenzeichen: XII ZB 141/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 78 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 519 b Abs. 1
ZPO § 233
ZPO § 117 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 141/00 XII ZB 148/00

vom

31. August 2000

in der Familiensache

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Dr. Krohn, Gerber, Sprick und Weber-Monecke

beschlossen:

Tenor:

Die sofortigen Beschwerden gegen die Beschlüsse des 4. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. Juni 2000 und vom 10. Juli 2000 werden auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung der sofortigen Beschwerden Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, wird mangels Erfolgsaussicht zurückgewiesen (§ 114 ZPO).

Beschwerdewert: bis 12.000 DM.

Gründe:

I.

Das Familiengericht hat durch Urteil vom 3. April 2000 festgestellt, daß der Beklagte der Vater des klagenden Kindes ist. Außerdem hat es den Beklagten verurteilt, ab Rechtskraft des Feststellungsausspruchs an den Kläger zu Händen seiner gesetzlichen Vertreterin monatlich Unterhalt zu zahlen in Höhe von 100 % des Regelbetrages der jeweils geltenden Altersstufe nach der Regelbetrag-Verordnung abzüglich der Hälfte des jeweils gezahlten Kindergeldes. Wegen des für die Zeit vor der Rechtskraft des Feststellungsausspruchs geltend gemachten Unterhaltsanspruchs hat es die Klage abgewiesen. Dieses Urteil wurde dem Kläger zu Händen des ihn vertretenden Jugendamtes am 27. April 2000 zugestellt. Mit einem an das Oberlandesgericht gerichteten Schriftsatz des Jugendamtes vom 9. Mai 2000, eingegangen am 11. Mai 2000, hat der Kläger Berufung eingelegt. Der Schriftsatz enthält Berufungsanträge und eine Berufungsbegründung. Außerdem wird in dem Schriftsatz beantragt, dem Kläger für die Berufungsinstanz Prozeßkostenhilfe zu bewilligen und "einen zugelassenen Anwalt beizuordnen". Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers heißt es lediglich:

"Hinsichtlich des Prozeßkostenhilfeantrags wird erklärt, daß das Kind über kein eigenes Einkommen verfügt. Sollten weitere Angaben benötigt werden, so bitte ich um entsprechenden Hinweis."

Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2000 hat sich der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte des Klägers bestellt und auf den vom Jugendamt gestellten Prozeßkostenhilfeantrag Bezug genommen. Er hat angekündigt, nach der Entscheidung über den Prozeßkostenhilfeantrag ein Wiedereinsetzungsgesuch zu stellen.

Durch zwei Beschlüsse vom 19. Juni 2000 hat das Oberlandesgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zurückgewiesen und die mit Schriftsatz des Jugendamtes eingelegte Berufung als unzulässig verworfen.

Mit Schriftsätzen seines Prozeßbevollmächtigten vom 29. Juni 2000 hat der Kläger gegen den Verwerfungsbeschluß sofortige Beschwerde und gegen das Urteil des Familiengerichts Berufung eingelegt. Außerdem hat er wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zur Durchführung der Berufung wiederholt.

Durch Beschluß vom 10. Juli 2000 hat das Oberlandesgericht (u.a.) den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und die mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 29. Juni 2000 eingelegte Berufung als unzulässig verworfen. Auch gegen diesen Beschluß hat der Kläger sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die sofortigen Beschwerden des Klägers sind zulässig, haben aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Die vom Jugendamt mit Schriftsatz vom 9. Mai 2000 eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht zu Recht als unzulässig verworfen. Nach § 78 Abs. 2 Nr. 2 ZPO besteht bei Unterhaltsklagen in der Berufungsinstanz Anwaltszwang. Die Berufungsschrift hätte deshalb durch einen beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben sein müssen.

2. Die von dem bei dem Berufungsgericht zugelassenen Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 29. Juni 2000 eingelegte Berufung ist ebenfalls unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Berufungsfrist bei Gericht eingegangen ist. Die Berufungsfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Zustellung des Urteils, das angefochten werden soll (§ 516 ZPO). Das Urteil des Familiengerichts ist dem Kläger zu Händen des Jugendamtes am 27. April 2000 zugestellt worden. Die Berufung hätte deshalb spätestens am 29. Mai 2000 (einem Montag) bei Gericht eingehen müssen. Da sie verspätet eingegangen ist, war sie nach § 519 b Abs. 1 und Abs. 2 ZPO durch Beschluß ohne mündliche Verhandlung zu verwerfen.

Den Antrag des Klägers, ihm wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

Nicht gefolgt werden kann allerdings der vom Berufungsgericht für diese Entscheidung in erster Linie gegebenen Begründung. Das Berufungsgericht führt aus, der Kläger sei nicht durch seine Mittellosigkeit gehindert gewesen, rechtzeitig Berufung einzulegen, die Versäumung der Berufungsfrist sei vielmehr auf einen Fehler des Jugendamtes - des gesetzlichen Vertreters des Klägers - zurückzuführen, das selbst Berufung eingelegt habe, obwohl ihm offensichtlich bekannt gewesen sei, daß im zweiten Rechtszug Anwaltszwang herrsche. Das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters müsse sich der Kläger zurechnen lassen, die Versäumung der Berufungsfrist sei deshalb nicht unverschuldet.

Bei dieser Argumentation übersieht das Berufungsgericht, daß die vom Jugendamt mit Schriftsatz vom 9. Mai 2000 eingelegte unzulässige Berufung einen vom Kläger beauftragten, beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt nicht gehindert hätte, bis zum Ablauf der Berufungsfrist - also bis zum 29. Mai 2000 - die Berufungseinlegung - diesmal in zulässiger Weise - zu wiederholen. Der Kläger hat mit Schriftsatz des Jugendamtes vom 9. Mai 2000 (eingegangen am 11. Mai 2000) Prozeßkostenhilfe beantragt. Eine vermögende Partei hätte statt dessen einen Rechtsanwalt beauftragt. Dieser hätte erkannt, daß die vom Jugendamt eingelegte Berufung unzulässig war und hätte erneut Berufung einlegen können.

Die vom Berufungsgericht gegebene Hilfsbegründung trägt jedoch die Entscheidung. Einer Partei, die vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zur Durchführung des Rechtsmittels Prozeßkostenhilfe beantragt hat, ist nach Ablehnung ihres Prozeßkostenhilfegesuchs wegen der Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO zu gewähren, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozeßkostenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen mußte, sich also für arm halten und davon ausgehen durfte, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Prozeßkostenhilfe dargetan zu haben (st.Rspr. des Bundesgerichtshofs, vgl. Senatsbeschluß vom 27. November 1996 - XII ZB 84/96 - BGHR ZPO § 233 Prozeßkostenhilfegesuch 5 m.N.). Im Regelfall schreibt § 117 Abs. 4 ZPO zwingend vor, daß sich die Partei zur Darlegung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des durch die Verordnung vom 17. Oktober 1994 (BGBl. I 3001) eingeführten Vordrucks bedienen muß. Die Partei kann deshalb grundsätzlich nur dann davon ausgehen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe dargetan zu haben, wenn sie rechtzeitig (vor Ablauf der Rechtsmittelfrist) einen solchen Vordruck ordnungsgemäß ausgefüllt zu den Akten gereicht hat. Eine Bezugnahme auf eine in der Vorinstanz eingereichte Erklärung ist nur dann ausnahmsweise zuzulassen, wenn das Verlangen, eine neue Erklärung vorzulegen, lediglich eine überflüssige Förmelei darstellen würde. Das ist dann der Fall, wenn der Antragsteller im Zusammenhang mit der Bezugnahme auf die frühere Erklärung unmißverständlich mitteilt, es habe sich seither nichts geändert und eine neue Erklärung müsse denselben Inhalt haben (Senatsbeschluß aaO m.N.). § 2 der erwähnten Verordnung sieht allerdings vor, daß ein minderjähriges unverheiratetes Kind, das in einem Verfahren über Unterhalt seine Rechte verfolgt, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Erklärung zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen formfrei abgeben kann, ohne den Vordruck zu benutzen. Es muß dann aber unter anderem Angaben darüber machen, wie es seinen Lebensunterhalt bestreitet (§ 2 Nr. 1 der VO) und insbesondere welche Einnahmen im Monat die Personen haben, die ihm aufgrund gesetzlicher Unterhaltspflicht Unterhalt gewähren (§ 2 Nr. 2 a der VO).

Diesen Anforderungen wird das vom Jugendamt eingereichte Prozeßkostenhilfegesuch nicht gerecht. Das Jugendamt hat den vorgesehenen Vordruck über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht vorgelegt und auch nicht auf den in erster Instanz vorgelegten Vordruck Bezug genommen. Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers hat es lediglich vorgetragen, der Kläger verfüge über kein eigenes Einkommen. Diese Mitteilung ist schon deshalb nicht ausreichend, weil bei einem 4-jährigen Kind von vornherein weniger eigenes Einkommen in Betracht kommt als zum Beispiel ein Anspruch auf einen Prozeßkostenvorschuß gegen seine Mutter. In erster Instanz hatte der Kläger vorgetragen, daß seine Mutter Sozialhilfe bezieht und hatte diesen Vortrag belegt mit der Vorlage eines Sozialhilfebescheids vom 26. Mai 1999. Daraus ergibt sich nicht, daß die Mutter des Klägers auch ein Jahr später - im Mai 2000 - noch Sozialhilfe bezogen hat und kein Erwerbseinkommen hatte. Dem Vortrag des Klägers ist nicht zu entnehmen, ob sich das Jugendamt, bevor es den Prozeßkostenhilfeantrag für die zweite Instanz gestellt hat, bei der Mutter des Klägers erkundigt hat, wie sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse inzwischen entwickelt haben.

In dem Schriftsatz vom 9. Mai 2000 hat das Jugendamt im Zusammenhang mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe geschrieben, es bitte um einen entsprechenden Hinweis, wenn "weitere Angaben benötigt werden". Daraus ergibt sich, daß sich das Jugendamt zumindest nicht sicher war, alles Erforderliche vorgetragen zu haben. Die oben dargelegte Rechtslage mußte dem Jugendamt, das regelmäßig in Unterhaltssachen als Beistand für minderjährige Kinder tätig wird und in diesem Zusammenhang regelmäßig auch mit Prozeßkostenhilfeanträgen befaßt ist, bekannt sein. Es mußte auch wissen und hat offensichtlich auch gewußt, daß in Unterhaltssachen in zweiter Instanz Anwaltszwang besteht. Daß es dennoch selbst Berufung zum Oberlandesgericht eingelegt und ein derart unvollständiges Prozeßkostenhilfegesuch eingereicht hat, stellt eine Nachlässigkeit dar. Da der Kläger sich diese Nachlässigkeit seines gesetzlichen Vertreters zurechnen lassen muß, war die Versäumung der Berufungsfrist nicht unverschuldet.

Ende der Entscheidung

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