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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.01.2006
Aktenzeichen: XII ZB 224/04 (1)
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 139
ZPO § 234 Abs. 1
ZPO § 236 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
ZPO § 561 Abs. 2
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 224/04

vom 18. Januar 2006

in der Familiensache

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Januar 2006 durch den Richter Sprick, die Richterin Weber-Monecke, den Richter Prof. Dr. Wagenitz, die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat vom 29. September 2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 2.000 €

Gründe:

I.

Das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern, mit dem die Vaterschaftsanfechtungsklage des Klägers abgewiesen wurde, ist diesem am 15. Juli 2004 zugestellt worden. Dagegen legte der Kläger mit auf den 12. August 2004 datiertem Schriftsatz Berufung ein, der beim Oberlandesgericht Zweibrücken am Dienstag, dem 17. August 2004, einging.

Nach telefonischem Hinweis der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts auf den verspäteten Eingang versicherte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Fax vom 18. August 2004, die Berufungsschrift am 13. August 2004 persönlich zur Post gegeben zu haben, so dass der verspätete Eingang am 17. August 2004 nicht erklärbar sei und dem Kläger nicht zum Verschulden gereiche. Ein ausdrückliches Wiedereinsetzungsgesuch enthält dieser Schriftsatz nicht.

Mit erneutem Hinweis vom 16. September 2004 teilte das Oberlandesgericht mit, es beabsichtige, die Berufung unabhängig davon zu verwerfen, ob dem Kläger Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren sei, weil inzwischen auch die Berufungsbegründungsfrist (Ablauf 15. September 2004) versäumt sei.

Mit vorab per Fax übermitteltem Schriftsatz vom 24. September 2004, der wiederum keinen ausdrücklichen Antrag auf Wiedereinsetzung enthält, erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, diesen Hinweis am 23. September 2004 erhalten zu haben, und versicherte wiederum an Eides statt, die Berufungsbegründung am 13. September 2004 gefertigt und zur Post gegeben zu haben. Er beantrage deshalb, die Berufung nicht als unzulässig zu verwerfen.

Das Berufungsgericht wies den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zurück und verwarf die Berufung des Klägers als unzulässig.

Zur Begründung führte es aus, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe Wiedereinsetzung rechtfertigende Tatsachen trotz eidesstattlicher Versicherung nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Der Senat sei von der Richtigkeit dieser Angaben nicht überzeugt, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers die beiden als Wiedereinsetzungsgesuche anzusehenden Schriftsätze jeweils per Fax übermittelt habe, obwohl insoweit kein naher Fristablauf gedroht habe, nicht aber die jeweils erst relativ kurz vor Fristablauf gefertigte Berufungsschrift und Berufungsbegründungsschrift. Hier hätte es aber um so näher gelegen, zumindest die Berufungsbegründungsschrift per Fax zu übermitteln, nachdem sich herausgestellt habe, dass die Berufungsschrift nicht innerhalb der üblichen Postlaufzeit eingegangen sei. Es erscheine auch ganz unwahrscheinlich, dass die Postbeförderung der Berufungsschrift sieben Tage gedauert haben solle, es sei denn, der Schriftsatz sei nicht ordnungsgemäß adressiert worden, in sonstiger Weise mangelhaft, oder nicht ordnungsgemäß aufgegeben worden, wozu im Übrigen näherer Vortrag fehle.

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, mit der er die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses erstrebt und seine Wiedereinsetzungsgesuche gegen die Versäumung beider Fristen weiterverfolgt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie hat jedoch mangels Vorliegen von Zulassungsgründen keinen Erfolg, denn das Oberlandesgericht hat die Berufung im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen.

1. Das Berufungsgericht hat die Berufung letztlich wegen verschuldeter Versäumnis der Berufungsbegründungsfrist verworfen. Ob die hierfür gegebene Begründung der rechtlichen Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht standhält, bedarf hier keiner Entscheidung. Zwar vermag der Senat der Ansicht des Berufungsgerichts nicht zu folgen, bereits die einmalige Überschreitung der üblichen Postlaufzeit bei der Beförderung der Berufungsschrift hätte den Anwalt veranlassen müssen, die Berufungsbegründung per Fax zu übermitteln, statt erneut auf die Zuverlässigkeit der Postbeförderung zu vertrauen. Darauf und auf die insoweit von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen weiteren Rechtsfragen kommt es aber nicht an, weil der Kläger bereits die Berufungsfrist versäumt hatte und in seinem als Wiedereinsetzungsgesuch auszulegenden Schriftsatz vom 18. August 2004 die Möglichkeit, dass dies auf ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden (§ 85 Abs. 2 ZPO) zurückzuführen ist, nicht ausgeräumt hat.

2. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in diesem Schriftsatz lediglich an Eides statt versichert, die Berufungsschrift am 13. August 2004 (Freitag) persönlich zur Post gegeben und darauf vertraut zu haben, er werde fristgerecht am 16. August 2004 (Montag) bei dem Berufungsgericht eingehen.

a) Grundsätzlich darf eine Partei eine einzuhaltende Frist zwar bis zum letztmöglichen Tag ausnutzen und darauf vertrauen, dass die mit der Beförderung eines fristwahrenden Schriftsatzes betraute Post die von ihr nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten auch einhalten werde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2003 - X ZB 7/02 - NJW-RR 2003, 1000 f.).

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist kann aber nicht gewährt werden, wenn die Überschreitung der üblichen Postlaufzeit auf Umständen beruht, die der Partei oder ihrem Prozessbevollmächtigten zum Verschulden gereichen, oder wenn dies zumindest möglich erscheint und in der Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs nicht ausgeräumt ist.

b) Dies gilt insbesondere, wenn bei der Adressierung eines fristwahrenden Schriftsatzes der Anschrift des Rechtsmittelgerichts keine oder eine unzutreffende Postleitzahl vorangestellt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2003 aaO, vom 10. März 1993 - VIII ZB 1/93 - VersR 1994, 75 und vom 15. Oktober 1999 - V ZR 50/99 - NJW 2000, 82). Das ist hier der Fall. Die richtige Postleitzahl des Oberlandesgerichts Zweibrücken lautet - bei Verwendung der Anschrift Schlossplatz 7 - 66482 und - bei Verwendung der Postfachanschrift - 66464. In der Berufungsschrift ist hingegen die unzutreffende sechsstellige Postleitzahl 193394 angegeben. Es liegt auf der Hand, dass der verzögerte Eingang dieses Schriftsatzes auch darauf zurückzuführen sein kann.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2004 (nach Erlass des angefochtenen Beschlusses) vorgetragen hat, er habe nachträglich "unter der Hand" erfahren, dass bei der Postfiliale seines Kanzleisitzes die Post auch das eine oder andere Mal über das Wochenende liegen bleibe. Es kann dahinstehen, ob dieses Vorbringen noch hätte berücksichtigt werden können, weil es ohnehin nicht geeignet ist, die Möglichkeit auszuräumen, dass der verspätete Eingang der Berufungsschrift auf der Angabe einer unzutreffenden Postleitzahl beruhte. Die Kausalität dieses Umstandes wäre nur ausgeräumt, wenn der Kläger hinreichend glaubhaft gemacht hätte, dass die Postsendung auch bei richtiger Angabe der Postleitzahl erst nach Fristablauf eingegangen wäre.

Hierfür reicht es - entgegen der von der Rechtsbeschwerde mit Schriftsatz vom 31. August 2005 vertretenen Auffassung - nicht aus, auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass die falsche Postleitzahl hier angesichts der vorgetragenen Missstände im Postamt Osterholz-Scharmbeck ausnahmsweise zu einer Beschleunigung statt zu einer Verzögerung geführt haben könnte, da die falsch adressierte Berufungsschrift immerhin nach fünf Tagen, die richtig adressierte Berufungsbegründung hingegen erst nach sieben Tagen zugestellt worden sei. Dass diese Möglichkeit nicht ganz fern liegen mag, bedeutet nämlich noch nicht, dass die falsche Postleitzahlangabe als Ursache der eingetretenen Verzögerung auszuschließen ist oder zumindest höchst unwahrscheinlich wäre. Etwas anderes könnte gelten, wenn der Kläger glaubhaft gemacht hätte, dass in der fraglichen Zeit bei diesem Postamt eingelieferte Briefe stets mehrere Tage unbearbeitet liegen blieben. Mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2004 hatte er aber nur vortragen lassen, diese Postfiliale lasse Briefsendungen "über das Wochenende auch das eine oder andere Mal" liegen.

c) Zwar darf der Rechtsanwalt die erforderliche Überprüfung der Anschrift des Rechtsmittelgerichts einschließlich der zugehörigen Postleitzahl zumindest dann, wenn es sich - anders als hier - um ein ortsansässiges Gericht handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2003 aaO), seinem zuverlässigen und gut geschulten Büropersonal überlassen, ohne das Ergebnis dann selbst noch einmal überprüfen zu müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. März 1993 aaO und vom 15. Oktober 1999 aaO). Hier hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers aber weder vorgetragen, diese Aufgabe durch geeignete organisatorische Maßnahmen seinem Büropersonal übertragen zu haben, noch hat er dessen ausreichende Schulung und Zuverlässigkeit dargelegt.

d) Dies kann in der Rechtsbeschwerdeinstanz auch nicht mehr nachgeholt werden, da es sich insoweit nicht lediglich um eine Erläuterung oder Vervollständigung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist gemachter unklarer oder ungenauer Angaben handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 2004 - IX ZB 71/03 - FamRZ 2004, 1552), sondern neuen Vortrag darstellen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juni 2002 - I ZB 28/01 - BGHReport 2002, 1114 f.). Alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, müssen nämlich innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist der §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO vorgetragen werden. Beruft der Antragsteller sich insoweit auf eine ungewöhnlich lange Postlaufzeit, braucht er zwar nicht ausdrücklich vorzutragen, den fristwahrenden Schriftsatz vollständig und richtig adressiert zu haben, wenn und soweit sich dies ohne weiteres aus dem Schriftsatz selbst ergibt. Ist allerdings - wie hier - das Gegenteil der Fall, muss innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist auch dargelegt werden, warum dies ausnahmsweise nicht auf einem der Partei zuzurechnenden Verschulden beruhe.

3. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, diese Präklusion neuen Wiedereinsetzungsvorbringens führe jedenfalls dann, wenn das Rechtsbeschwerdegericht auf einen vom Berufungsgericht nicht gewürdigten und auch nicht zum Gegenstand eines Hinweises nach § 139 ZPO gemachten Umstand (hier: falsche Postleitzahl) abstelle, im Ergebnis zu einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Da die Wiedereinsetzung zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit der Berufung gehört, ist das Rechtsbeschwerdegericht zu einer uneingeschränkten Prüfung von Amts wegen berufen; bindend ist nur eine bereits gewährte Wiedereinsetzung (§ 238 Abs. 3 ZPO). Dabei ist es abweichend von § 561 Abs. 2 ZPO an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gebunden, sondern insbesondere dazu berufen, die Beweislage selbständig zu würdigen (vgl. Senatsurteil vom 2. November 1988 - IVb ZR 109/87 - BGH-DAT und JURIS unter 1. m.N., insoweit in FamRZ 1989, 373 f. nicht abgedruckt).

Hier ergab sich die Angabe einer falschen Postleitzahl bereits aus der bei den Akten befindlichen Berufungsschrift, deren Adressierung das Rechtsbeschwerdegericht bei der Beurteilung möglicher Ursachen der verzögerten Weiterleitung von Amts wegen zu überprüfen hatte.

Zu einem entsprechenden Hinweis nach § 139 ZPO war das Berufungsgericht auch dann, wenn es die falsche Postleitzahl bemerkt hätte, schon deshalb nicht verpflichtet, weil es darauf nach seiner Rechtsauffassung - wegen auch verspäteter Berufungsbegründung - nicht ankam.

Eine Verletzung rechtlichen Gehörs wegen der Präklusion nachträglichen Wiedereinsetzungsvorbringens liegt nicht vor, weil der Kläger - wie dargelegt - nicht nur Gelegenheit hatte, sondern es zu seinen Obliegenheiten gehörte, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist alle Umstände vorzutragen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein konnten. Hierzu gehörte auch die Darlegung der Gründe, die einerseits zu der Angabe einer falschen Postleitzahl geführt haben, diese andererseits aber nicht der Partei zum Verschulden gereichen lassen. Dem nachzugehen und dies vorzutragen bestand hier konkreter Anlass, weil die Partei bei einer auf verzögertem Postlauf beruhenden Versäumung einer Rechtsmittelfrist in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch alle ihr zuzurechnenden möglichen Ursachen der Verzögerung auszuräumen hat (siehe oben 2 d), was stets auch eine Prüfung der Adressierung als der naheliegendsten Alternativursache voraussetzt.

Ende der Entscheidung

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